Cut.
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Kᴀᴘɪᴛᴇʟ ₁₁ ﹕ Cᴜᴛ
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!Trigger-Warnung!
Selbstverletzendes Verhalten
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Die Schule ging heute schleppend voran. Obwohl ich mehrere Freistunden hatte, wollte die Zeit einfach nicht umgehen und ich hatte es satt immerzu den Blicken von all den Schülern ausgesetzt zu sein, die mich wie Frischfleisch musterten. Etwas, dass sie in der Luft zerfetzen und sich an den Einzelteilen ergötzen konnten. Und ich hatte es auch leid in die Iriden meiner Lehrer zu schauen und genau das Gegenteil darin zu sehen. Mitleid... das traf es wohl ganz gut.
Als es endlich zum Schulschluss klingelte, schulterte ich mir meinen schwarzen Rucksack und steuerte vor allen anderen aus der Klasse heraus in Richtung Ausgang. Während ich durch die Flure lief, zog ich mir die Kapuze meines dunklen Hoodies über den Kopf und tief in mein Gesicht. Ich wollte sie nicht mehr sehen, sie alle nicht mehr und noch viel weniger wollte ich ihn wiedersehen. Zum Glück hatte er mich bis jetzt in Ruhe gelassen nach dem gestrigen Vorfall im Wald, aber schlafen konnte ich deshalb trotzdem nicht. Ich hatte nicht ein Auge zugemacht und die aufgebrauchte Taschentuchpackung verschwieg ich lieber. Alles brannte einfach nur noch, mein Inneres und mein Äußeres, als hätte jemand tausende Nadeln in mir versenkt.
Ich presste meine Kiefer fest aufeinander, als ich schließlich die Tür ohne Rücksicht auf andere schwungvoll aufdrückte und hinaus in den grauen Herbsttag trat. Die Luft war angenehm feucht und fühlte sich so an, als ob sie das Feuer auf meiner Haut löschen würde. Doch nur für einen kurzen Moment, denn im nächsten fiel mir bereits der blaue Haarschopf am Ende des Geländes in die Augen.
Ein Stich zog durch meine Brust und ich verkrampfte meine Hände zu Fäusten. Mit gesenktem Kopf und ohne ihm einen Blick zuzuwerfen, verschnellerte ich meine Schritte und wollte schleunigst weg von hier. Plötzlich spürte ich jedoch einen Griff, um meinem Handgelenk, sodass ich mich rasend schnell herumdrehte und meine zu einer Faust geschlossenen Hand erhob. Aber gerade, als ich sie auf das Gesicht der Person vor mir herabdrücken wollte, hielt ich in meiner Bewegung inne.
Zwei vor Angst weit aufgerissene Augen starrten mir von unten entgegen und als sich der Griff um meinem Handgelenk löste, begann meine Faust vor dem entsetzten Gesicht zu zittern. Vollkommen überfordert zog ich sie schnell an mich und ließ meinen Kopf gen Boden sinken. „E-es t-tut mir leid", murmelte ich schwach und wanderte immer wieder mit meinen Iriden von einem beliebigen Punkt zum nächsten. Hauptsache ich musste nicht in seine vor schierer Panik geweiteten Augen schauen. Wann war es nur soweit gekommen?
„Hey, es... es ist okay", konnte ich auf einmal die weiche Stimme meines Gegenübers hören und gleichdarauf wie mir zögerlich eine Hand auf die Schulter gelegt wurde. Langsam hob ich meinen Blick, nur um erneut auf das paar himmelblaue Iriden zu treffen, die mir so vertraut und diesem Moment dennoch so fremd vorkamen.
Für einen Moment starrten wir beide uns einfach nur stumm in die Augen – die, auf die wir uns gegenseitig immer verlassen konnten, denen wir alles anvertrauten und die immerzu erkannten, ob es dem anderen schlecht ging. Und auch jetzt konnte ich genau erkennen, wie Besorgnis in den Blick des Jungen vor mir trat und er mit sich zu ringen schien.
„G-geht... geht es dir gut, Jungkook?", flüsterte er dann aber doch und als ich sehen konnte, wie sich Mitleid in seine Züge legte, konnte ich nicht anders, als seine Hand grob von meiner Schulter zu schütteln. Danach trat ich einen Schritt zurück, wobei mein Blick für einen flüchtigen Moment von ihm zu dem Blauhaarigen wanderte, der immer noch am Schultor stand. Augenblicklich schloss ich meine Hände wieder zu Fäusten, verkrampfte mich zunehmend und wich dem Starren des Jungen vor mir aus.
„Es geht mir gut", presste ich angespannt hervor, finster, genauso wie das Loch in meiner Brust, „lass mich einfach in Ruhe, Jimin." Und mit diesen Worten drehte ich mich einfach um und begann zu rennen. Ich rannte weg, weg von meinem besten Freund, weg von den Augen aller, weg von meinen Problemen und meinen Gefühlen.
Doch wovor ich nicht weglaufen konnte, war vor dem blauhaarigen Jungen und dem Schmerz, den er mit sich brachte. Einen flüchtigen Blick über die Schulter werfend, konnte ich sehen, wie er mich verfolgte. Er kam mir mit jedem Schritt immer näher, sodass ich meine Geschwindigkeit noch einmal erhöhte und rasend durch die Straßen jagte. Ich wollte Heim. Schnell.
Meine Lungen rasselten bereits in meinem Brustkorb und meine Atmung ging unkontrolliert, sodass ich völlig geschafft vor meiner Haustür zum Stehen kam. Sofort kramte ich den Schlüssel aus meiner Jackentasche, wobei meine Hände so sehr zitterten, dass ich ihn zunächst gar nicht zu packen bekam. Schließlich schaffte ich es jedoch und schob ihn sogleich in das kleine Loch.
„Jungkook! Jungkook, warte", ich zuckte auf. Wie automatisiert hielt ich in meiner Bewegung inne, ich konnte auch gar nicht anders. Denn die tiefe Stimme, die wohlige Schauer über meinen Rücken entsandte, war schon immer meine Schwäche gewesen. Wie in Zeitlupe ließ ich meine Augen über meine Schulter hinweg zu dem Rand meiner Einfahrt wandern.
Dort stand er, die Hände in den Taschen seiner weiten Jeans vergraben, ein großer schwarzer Hoodie ließ seinen Körper so viel kräftiger wirken, als er eigentlich war, die blauen Strähnen fielen ihm verwegen in die Stirn und ein schmales Lächeln zierte seine Lippen. Für einige Sekunden war ich wie gefangen in dem Anblick Taehyungs, doch als er seine Augen zu mir aufschlug und ich mich beinahe in seinen dunklen Iriden verlor, ging ein Ruck durch meinen Körper.
Mein Herz setzte aus, nur um danach so viel schmerzvoller weiterzuschlagen. Am liebsten hätte ich es aus meiner Brust gerissen. Es sollte einfach aufhören. Es sollte endlich aufhören weh zu tun.
Mit einem Satz drückte ich die Tür auf, stolperte vollkommen überfordert in den Flur und direkt danach die Treppe zum oberen Stockwerk herauf. Langsam schoben sich die ersten Tränen in meine Augenwinkel und verschleierten meine Sicht, mit der ich geradewegs auf das Badezimmer zuhielt. Wimmernd stieß ich auch diese Tür auf, hetzte zu dem Badezimmerschrank herüber und zog mehrere Cremes und Dosen heraus, bis ich schließlich das kleine Plastikkästchen zwischen die zittrigen Finger bekam.
Achtlos ließ ich meinen Rucksack auf den Boden fallen, genauso wie meine Jacke und sank auf die kalten Fliesen neben der Badewanne, während ich den Ärmel meines Hoodies hochschob. Sofort fiel mein Blick auf den schwarzen Schriftzug an meinem Unterarm, der von vielen roten Linien durchzogen und entstellt wurde.
Unkontrolliert schluchzte ich auf, während ich mit meinem Zeigefinger über das Tattoo und die vielen Narben fuhr. Die ersten Tränen liefen mir über die Wangen und schließlich auf meinen entblößten Unterarm.
Ich wollte es nicht tun.
Ich hatte es schon so lange nicht mehr gemacht.
Mein Therapeut hatte mir gesagt, das sei ein Fortschritt und es hatte mir ein gutes Gefühl gegeben.
Doch in diesem Moment – genau jetzt – fühlte ich mich, als würde ich von einem Tsunami hinfortgerissen werden. Schluchzend begann ich mit meinen Nägeln über die Narben zu kratzen, immer fester...
... und fester...
... und fester.
Bis es nichts mehr half. Meine Haut brannte immer noch wie Feuer, ganz zu Schweigen von den Stichen in meiner Brust. Ich wollte, dass es aufhört; zumindest für eine kurze Zeit. Ich wollte einmal wieder durchatmen.
Ohne länger darüber nachzudenken, fummelte ich an dem Verschluss des kleinen Plastikkästchens herum, drückte es auf und betrachtete die silberglänzenden Metallstücke darin. Bedächtig zog ich eine Klinge heraus und wiegte sie zwischen meinen Fingern. Sie glänzte so wunderschön, so einladend- sie schrie beinahe danach, dass ich sie benutzen sollte, um für einen winzigen Augenblick wieder die Kontrolle über mein Leben zu bekommen. Kontrolle über das, was mir zwischen den Fingern zu entgleiten drohte.
Langsam, ganz vorsichtig näherte ich mich den Tintenbuchstaben auf meinem Unterarm. Meine Lippen presste ich zu einer schmalen Linie zusammen, als ich das kalte Metall auf meiner erhitzten Haut spüren konnte. Meine Atmung ging immer noch rasselnd und hatte sich seit dem Rennen kaum beruhigt. Mit einem letzten tiefen Atemzug setzte ich die Klinge waagerecht über der Schrift an...
... und dann schloss ich die Augen.
Ein ersticktes Seufzen verließ meine Lippen, gefolgt von einem Zischen, wobei ich mich zum ersten Mal seit langem wieder erlöst fühlte.
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