Kapitel 3. Celest
»Du hättest dich früher melden können, Phillipe.« Ich lief durch den Laden, den mir dieser Paul, Mr. Gelberos Assistent, empfohlen hatte. Offenbar dachte er, ich sei steinreich, denn als ich den Reis ansah, der mich wohl 20 Dollar kosten würde, ging er davon aus, dass meine Geldbörse so schwer war wie hier etwas Durchschnittliches an Essen zu finden. Ich seufzte. »Ich hatte Angst und stand im Regen.«
»Aber das ist die Schuld deines Chefs und nicht meine. Ich verstehe nicht, warum du mich jetzt so anmachst.«
Ich schnaubte. »Ich mach' dich nicht an, ich sage nur, dass mich ein früherer Anruf gefreut hätte.«
Es klackert am anderen Ende. »Also wirfst du mir vor, dass ich etwas zu tun hatte?«
Ich blieb mit dem Einkaufswagen stehen und seufzte. »Nein.«
»Gut, denn ich war gestern wirklich beschäftigt. Der Klubauftritt war mega. Soll ich dir Fotos schicken? Ich hab' gerockt!«
Schön, dachte ich. Schön, dass du kein Wort über meinen Flug, mein Ankommen, das Haus, von dem ich dir ein Foto geschickt hatte, oder generelle Fragen über meine Ankunft oder den Mann, mit dem ich jetzt scheinbar zwei Monate zusammenlebe, verlierst.
»Freut mich, Phil. Hör mal, ich-«
»Schatz, ich muss auflegen. Hören wir uns später?«
Ich ignorierte den kleinen Stich in meiner Brust und schob das Gefühl beiseite. So war es nun mal. Phillipe war immer auf dem Sprung und lebte mehr oder weniger für seinen Job als DJ. Er war viel unterwegs, um neue Kontakte zu knüpfen und Auftritte zu organisieren. Aber konnte ich ihm das Übel nehmen? Immerhin hatte ich ihn bei einem dieser Auftritte kennen und lieben gelernt. Er hatte mir in einem seiner Klubs einen Antrag gemacht, kein halbes Jahr, nachdem wir uns kennengelernt hatten. Das war jetzt drei Jahre her.
Die längste Verlobungszeit der Welt, scherzte Judi immer, und hatte recht, wenn man bedachte, dass noch nichts geplant war. Rein gar nichts. Phil wollte erst seine Karriere voranbringen und dann heiraten. Er hatte mich nur so früh gefragt, sagte er, weil er mir zeigen wollte, wie sehr er mich liebte. Ohne Ring, ohne Romantik. Früher fand ich das süß, wirklich. Aber jetzt? Es fing an, etwas zu nerven, und ich kam nicht umhin, mich langsam zu fragen, ob sein Job ihm wichtiger wurde als ich und meine Gefühle.
»Schatz? Bist du noch da, Amore?«
»Ja«, riss ich mich zusammen. »Meldest du dich später?«
»Klar«, meinte er und fügte dann hinzu: »Lieb dich.«
»Ich liebe dich au-«
Tut. Tut. Tut.
Aufgelegt. Etwas frustriert, blies ich Luft aus meinen aufgeblasenen Backen. »Ich liebe dich auch, Phil. Und danke, dass du mir Spaß bei der Arbeit wünschst. Ja, ich vermisse dich auch und freue mich, wenn wir uns in ZWEI MONATEN wiedersehen. Immerhin bist du ja mein Verlobter und ich hasse es, so lange von dir getrennt zu sein«, quasselte ich vor mich hin und schmiss wahllos Essen in den Einkaufswagen.
Was ich an der Kasse dann schwer bereute. Ich zog etwas widerwillig meine Kreditkarte und ließ die Dame die 270 Dollar abbuchen. Es war nicht so, dass ich arm war. Nein, ich hatte genug Geld, aber 270 Dollar für etwas Obst und Gemüse, Brot und Getränke waren hart. Da ich es jedoch nicht ändern konnte und ja etwas essen musste, lud ich den Einkauf in Tüten und wartete dann auf das Taxi, das ich gerufen hatte. Dieses kostete mich noch mal 50 Dollar und ich fragte mich, wie ich die zwei Monate überleben sollte, ohne auf dem Zahnfleisch zu gehen, was meine Finanzen anging. Es sollte mir ein Trost sein, dass der Job wirklich gut bezahlt werden würde und ich prozentual von dem Schätzwert meine Entlohnung erhielt. Das Haus, die Villa, musste einige Schätze bieten, da war ich mir sicher.
Als das Taxi ankam und ich die Tür umständlich aufschloss, sah ich auf die Treppe, die im Eingangsbereich in den zweiten Stock führte, und verzog das Gesicht. Offensichtlich war sie neu gemacht worden, und der Marmor, so teuer er auch war, war völlig fehl am Platz. Historisch gesehen, in einem Haus wie diesem, ein Unding! So sehr, dass es den Wert und die Authentizität sicher senken würde.
Ich seufzte und wackelte mit den drei Tüten in die Küche. Ich räumte aus, ersetzte Mr. Gelberos Obst und räumte mir einen kleinen Bereich im Kühlschrank frei, den ich als meine Seite auserkoren hatte. Dann lächelte ich wieder und besah den Raum, bevor ich mir auf dem alten Gasherd Wasser kochte. Ich öffnete jeden Schrank und als ich die uralte Kaffeemaschine, die eigentlich nur ein Filterhalter war, herauszog, gab ich einen erfreuten Laut von mir.
So COOL!
»Nein, du wirst nichts dergleichen tun! Wenn ich dein dummes Gesicht auch nur einmal vor der Kamera der Presse sehe, dann mach ich dich endgültig fertig«, zischte jemand kühl, und ich wandte mich erschrocken um. Mr. Gelbero hielt sich ein Telefon ans Ohr, während er mit einer Anzughose, Gürtel und noch offenem Hemd die Treppe herunterkam. »Das ist mir scheißegal. Du hast diesen Fehler gemacht, nicht ich.« Er blieb abrupt stehen, als er mich sah, und verdrehte genervt die Augen. »Hör auf mit dem Unsinn, du weißt genau, dass ich dich nie betrogen habe. Ich leg jetzt auf.« Damit drückte er auf den Anruf weg und blickte wieder mich an. »Sie waren anscheinend einkaufen. Haben Sie alles bekommen, was Sie benötigen?«, fragte er mit einer freundlichen Stimme und die Kälte war verschwunden.
Memo an mich selbst: Vermeide es, deinen Boss böse zu machen, denn er scheint ... bossy zu sein.
Aber ... heilige Scheiße! CEO, wovon? Einem Modemagazin, bei dem er selbst vor der Kamera stand? Calvin Klein würde einen Salto schlagen, wenn er ihn in eine Kampagne bekäme. Da war ich mir sicher. Ich schluckte. Phillipe hatte schon einen schönen, durchtrainierten Körper. Aber Mr. Gelbero? WOW. Seine breite Brust, die Bauchmuskeln, die Schatten warfen, als wären sie aufgemalt, und das ›V‹, das in seiner Hose verschwand ...
Ich räusperte mich, als mein Blick auf seinen Oberkörper etwas zu lange anhielt und wandte mich ab, bevor er die Röte sah, die sich spürbar auf meinen Wangen ausbreitete.
Mist.
»Ja, ich ... Ähm ... habe alles bekommen. Diese Stadt«, setzte ich an und nahm das heiße Wasser in dem leise pfeifenden Teekessel vom Herd. Ich schüttete es langsam in den Filter, den ich zuvor mit Kaffee befüllt hatte. Sofort breitete sich ein angenehmer Geruch aus. »-ist ziemlich teuer, oder?«
Ich versuchte, die Fragen wegen der mitangehörten Wortfetzen beiseitezuschieben, denn ich war mir sicher, dieses Gespräch hätte ich nicht hören sollen. Ob er eine Freundin hatte? Es hörte sich zumindest so an, wenn man den Satz ›... dass ich dich nie betrogen habe ...‹ einbezog. Oder galt es Geschäftlichem?
Nein, C, das geht dich wirklich nichts an. Du arbeitest hier und hast selbst einen Verlobten.
Mr. Gelbero trat plötzlich hinter mich und öffnete einen Schrank direkt über mir. »Nun«, begann er, nahm sich eine Tasse und beugte sich von hinten zu mir herunter. Seine Tasse schob er von rechts nach links an mir vorbei. »-die Stadt hat auch günstigere Ecken. Hat dir Paul nur die teuren Supermärkte aufgelistet? Ich werde mit dem Idioten sprechen«, raunte er an meinem Ohr und fügte dann hinzu: »Dürfte ich auch einen Schluck Kaffee bekommen?«
Ich bekam eine Gänsehaut und drückte mich an die Arbeitsfläche. Was zum ... Den Kopf etwas zu ihm drehend, schluckte ich und antwortete reflexartig: »N-natürlich, können Sie einen Kaffee haben. Ich ... brauch dafür nur etwas Platz.« Ich betonte das ›Sie‹ besonders, um ihn daran zu erinnern, dass es etwas unangemessen war, mir so nahezukommen. Doch ich wollte am zweiten Tag nicht schon ein Fass aufmachen, also versuchte ich, mit meiner Körpersprache zu reagieren. Was leider nicht ganz so funktionierte, denn mein Körper, dieses verräterische Teil, wurde leider wieder von einem Schauer erfasst, der sich sichtbar auf meinen Unterarmen zeigte.
Herrgott, du hast einen Verlobten! Warum reagierst du so?
Ich meine ... ja, er war heiß. Sehr, sehr, sehr, SEHR heiß und ich nicht blind, aber dennoch. Mir auf die Lippe beißend, wartete ich ab, bis mein Boss – dessen verflixtes Hemd noch immer offen war! – reagierte.
Sein leises Lachen machte es noch schlimmer, aber Mr. Gelbero ging so viele Schritte zurück, dass er sich hinter mir an den anderen Küchentresen lehnen konnte. Sein Kopf etwas gesenkt, begann er, die Knöpfe des Hemdes zu schließen. »Ich bin gespannt, ob Sie, neben dem Bedienen des Ofens, auch guten Kaffee hinbekommen.«
Ich versuchte tunlichst, nicht zuzusehen, wie er sich anzog, doch es war schwer und ich schaffte es nicht. Die Augen halb auf ihn gerichtet, betrachtete ich das Muskelspiel. Und da er sich Zeit ließ ...
Seufzend sah ich weg und wartete, bis das Wasser im Filter dunkelbraun im Behälter darunter landete. Wann hatten Phil und ich das letzte Mal Sex? Vor drei, nein, vier Wochen. Und leider war der Quickie nur für ihn wirklich gut, denn ich hatte es nicht zum Höhepunkt geschafft. Phil hatte es eilig gehabt und versprochen, sich am Abend um mich zu kümmern, doch daraus war nichts geworden. Ich wartete, nahm dann selbst eine Tasse und achtete darauf, dass mein Rock nicht zu hoch rutschte – was Quatsch war, da er mir fast bis zu den Knöcheln reichte.
Die Tasse dampfte und ich reichte sie Mr. Gelbero. »Bitte schön.«
Er nahm den Kaffee und nippte kurz daran. »Lecker«, murmelte er und stellte ihn dann neben sich auf den Tresen. Mr. Gelbero griff in seine Hosentasche und zog eine Krawatte heraus. Während er diese um seinen Hals legte und begann zu binden, musterte er mich wieder. »Ich fahre gleich in die Firma. Ich schätze«, begann er und sah kurz auf die digitale Rolex an seinem Handgelenk. »-so gegen halb fünf werde ich wieder da sein. Wie lange werden Sie für das Bürozimmer benötigen? Was schätzen Sie?«
Ich sah auf seinen Hals, während er die Krawatte zu Ende band. Er hatte dort eine Ader, kaum sichtbar und doch auffallend genug, um verdammt sexy zu sein.
C, was denkst du da?!
Ruckartig wandte ich mich ab und schenkte mir selbst eine Tasse ein. Ich trank viel zu schnell und verbrannte mir, dämlich wie ich eben war, den Gaumen. Fluchend eilte ich zum Waschbecken, das übrigens auch authentisch aus dem 17. Jahrhundert zu sein schien, und spülte mir den Mund aus. Ich seufzte genüsslich und wandte mich dann, mit dem Mund voller Wasser, meinem Boss zu. Wieder lief mir etwas die Mundwinkel hinab und langsam schämte ich mich etwas. Was dachte er denn von mir? Ich benahm mich wie ein Kind, verdammt noch mal. Ich schluckte und klärte dann meine Kehle.
»Schwer zu sagen, Mr. Gelbero. Ich kann das erst einschätzen, wenn ich mir einen groben Überblick gemacht habe. Dann kann ich Ihnen Bescheid geben. Was mich zu der Frage bringt«, setzte ich an und wischte mir mit dem Handrücken über die Lippen, »-dass es ganz gut wäre, wenn ich Ihre private mobile Nummer bekommen könnte. Ausschließlich für berufliche Rückfragen versteht sich.«
Er schüttelte den Kopf und lachte. Dann fuhr der Mann sich durch das Haar und musterte mich wieder. »Sie sind wirklich amüsant«, meinte er nur, richtete sich auf und steckte sich das Hemd ordentlich in die Hose. Als alles saß, wie er es wollte, holte Mr. Gelbero sein Handy heraus und schickte mir die Nummer, dabei trank er den Kaffee.
Amüsant? Warum?
Mein Handy piepte und ich verzog das Gesicht, als ein lautes Stöhnen zu hören war. Ich hasste Judi. Hasste, dass sie sich immer Scherze daraus machte und, wenn wir uns sahen, jedes Mal an meinem Handy rumspielte. Und mehr nervte es mich, dass ich immer vergaß, es zu ändern. Mit hochroten Wangen nahm ich das Ding und stellte es auf stumm.
WIE PEINLICH!
Die Tasse an seine Lippen gelegt, hob er die Brauen. Mr. Gelbero trank einen langen Schluck, stieß sich dann von dem Holz ab und ging auf mich zu. Direkt vor mir stehend, konnte er ein schiefes Grinsen wohl nicht mehr verstecken. Aber er räusperte sich und klang professionell, als er endlich anfing zu sprechen: »Auch wenn Sie hier wohnen, sind Sie immer noch an Ihrem Arbeitsplatz. Halten Sie also Ihre anzügliche Art etwas im Zaum-«, er beugte sich vor, kam meinem Gesicht näher, um dann die Tasse ins Waschbecken stellen zu können, »-Miss Dickson.«
Er raunte meinen Namen in tiefer Tonlage, sah mir in die Augen und richtete sich dann wieder auf. Meine Knie drohten fast nachzugeben und dass ich kein Wimmern ausstieß, war pures Glück. Ich redete mir ein, es sei, weil er mich einschüchterte. Aber wenn wir mal ehrlich waren, reagierte mein Körper ohne jegliche Kontrolle auf seine Art. Mr. Gelbero war ein wirklich leckeres Exemplar der Männerwelt, und Gott hatte ihm wohl von allem etwas mehr gegeben, als es für die Frauenwelt gut war. Ich sah in diese grauen Augen und stellte fest, dass je nachdem, wie das Licht sie traf, ein helles, kaum erkennbares Blau darin zu erkennen war. Als Kind hatte ich mir immer gewünscht, hellblaue Augen zu haben, statt meiner langweiligen dunkelbraunen.
Ich schluckte und hielt meine Tasse sehr fest in der Hand. »Ich ... Meine Freundin, sie-«, setzte ich an, wusste aber, dass es wie eine lahme Ausrede klang. Also seufzte ich und sah etwas beschämt zu Boden. »Ja, Mr. Gelbero. Verzeihen Sie, das ist unprofessionell und kommt nicht wieder vor.«
Er sah auf mich hinab und nahm eine verirrte Haarsträhne zwischen seine Finger, sodass ich wieder aufsah. Wir starrten einander an, und er löste den Blick erst von mir, als ein Hupen zu hören war.
»Gut.« Mr. Gelbero ließ meine Strähne los, wandte sich ab und ging in den Eingangsbereich. Die Anzugjacke anziehend, sah er mich noch mal an. »Sollte irgendwann eine blonde Frau am Hauseingang stehen, dann öffnen Sie die Tür nicht. Haben Sie verstanden?«
Ich blinzelte noch etwas irritiert von dem Moment und nickte. »Ich hatte nicht vor, jemanden reinzulassen.«
Mr. Gelbero nickte und ging, während ich noch etwas unschlüssig dastand und tief durchatmete.
Was war das denn, Celest? Kopfschüttelnd trank ich einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse dann in die Spüle neben die meines Chefs. Er war ... seltsam. Heiß, aber sehr merkwürdig. Und Grenzen und private Wohlfühlzonen eines anderen schien er offensichtlich nicht zu kennen oder nicht zu respektieren, wenn man bedachte, dass er mir gefährlich nahegekommen war. Seufzend spülte ich die Tassen und machte mich dann auf den Weg in das Büro, um alles herzurichten und endlich mit meiner Arbeit anzufangen.
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