Kapitel 2
Ich fuhr mit meinen rauen Händen über den dunklen Stoff des Kleides und strich eine Falte glatt. Auf einmal wurde die Tür aufgerissen. Erschrocken wandte ich mich um. Ein Mann mit kurzen blond-braunen Haaren und in einer goldenen Rüstung stand vor mir, sein Blick zeigte Entsetzen auf.
»Was tut Ihr hier?«, verlangte er aufgebracht zu wissen.
»Jaime Lennister«, sagte ich nur. »Ich hätte Euch nicht wiedererkannt.«
»Ja, wir haben uns alle in den letzten Jahren verändert«, meinte der Mann. »Ihr habt meine Frage nicht beantwortet: Was tut Ihr hier?«
»Ich bin aus vielerlei Gründen hier. Der wichtigste ist jedoch, meine Schwester aus den Klauen Eurer Schwester zu befreien.«
Ich sah, wie der Gesichtsausdruck des Mannes erstarrte. »Eure Schwester ist seit der Hochzeit des einstigen Königs Joffreys spurlos verschwunden.«
Ich fühlte, wie das Blut aus meinem Kopf wich. Mein Herz schien auszusetzen und meine Kraft auf einmal meinen Körper zu verlassen.
»Und auch wenn sie hier gewesen wäre, wie genau habt Ihr Euch vorgestellt, sie mitzunehmen? Man hätte Euch nicht mal ansatzweise aus dem Roten Bergfried und der Stadt gelassen.«
Ich antwortete nicht. Entsetzt hielt ich mir mit der Hand die Stirn und lief auf und ab.
»Ich hatte Eurer Mutter geschworen, ihre Töchter unversehrt zu ihr zurückzubringen.«
»Meine Mutter ist tot«, sagte ich. »Dafür hat Eure Familie gesorgt.«
»Das entbindet mich nicht von meinem Eid«, erwiderte der Lennister.
»Wenn meine Mutter tot und mein Zuhause niedergebrandt ist, wohin soll ich, Eurer Meinung nach, gehen?«, fragte ich.
»Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit Ihr in Sicherheit seid. Vertraut mir.«
Ich lachte. »Ich? Euch vertrauen? Ihr habt Bran von einem Turm geschubst, damit er stirbt. Könnt Ihr Euch noch an das Gespräch damals im Lager meines Bruders erinnern?«
»Ich weiß, dass ich nicht der vertrauenswürdigste Mann bin, aber ich habe einen Eid geschworen und den werd' ich einhalten«, sagte der Mann.
»Das werden wir ja sehen«, gab ich trotzig zurück.
Jaime Lennisters Haltung straffte sich. »Ich soll Euch zum Essen mit dem König geleiten.« Er öffnete die Tür und ließ mich vorangehen. Eskortiert von einigen Goldröcken und Jaime Lennister wurde ich durch das Schloss zum Gemach des Königs geführt.
»Lady Sienna, Euer Gnaden«, kündigte der Lennister an, als wir eintraten.
König Tommen, gekleidet in einer prächtigen Robe, erhob sich und lief mir entgegen. Er hielt mir seine Hand hin und zögernd ergriff ich sie. »M'lady.«
Ich erwiderte nichts, als er mir einen Kuss auf den Handrücken hauchte - dieser Knabe hatte mehr Anstand, als ihm oder mir gut tat.
Der Junge trat zur Seite und mein Blick fiel auf die Frau, die zuvor hinter ihm gestanden hatte. »Das ist Lady Margaery, meine zukünftige Frau und Königin.«
»Es freut mich, mit Euch Bekanntschaft zu machen.« Lady Margaery lief auf mich zu und ergriff ihre Hände. »Ich kannte Sansa - sie war wie eine Schwester für mich. Und ich denke, wir beide werden ebenso gute Freunde.«
Ich lächelte zögernd. »Ja ... sicherlich ...«
»Setzt Euch doch«, forderte der König auf.
Sofort eilte ein Diener herbei und zog einen Stuhl nach hinten. Ich setzte mich, und der König und Lady Margaery taten es mir gleich.
»Eure Mutter ist nicht zugegen?«, fragte ich vorsichtig.
»Ich dachte, es wäre das Beste, wenn meine Mutter und Ihr nicht in einem Zimmer seid«, sagte der Junge, der mir gegenübersaß.
»Ja, das ist ... sehr aufmerksam von Euch ... Euer Gnaden«, meinte ich und fuhr nervös mit dem Finger über das teure Besteck.
Das Essen wurde aufgetischt. Zögernd ergriff ich die Gabel und begann im Braten herumzustochern, während Lady Margaery und ihr zukünftiger Gatte ohne ein Wort aßen.
»Wenn Ihr die Frage erlaubt, M'lady«, sagte die Tyrell, »Wo ward Ihr die letzten Jahre? Man hatte Euch zwischenzeitlich für Tod gehalten.«
»Ich wollte zurück nach Winterfell reiten, nachdem mein Vater ...« Ich stockte. »Ich ... bin auf meinen Bruder gestoßen, Robb ... meine Mutter traf ich ebenfalls. Damals war Jaime Lennister ihr Gefangene gewesen.
Ich verließ das Lager meines Bruders, um nach Winterfell zu reiten. Theon hatte Bran und Rickon als Geiseln genommen, und als ich erfuhr, dass er sie ...« Ich schluckte schwer. »Sie sind tot. Alle sind tot.« Ich legte das Besteck ab und räusperte mich. »Dürfte ich mich erheben, Euer Gnaden? Ich fühle mich etwas unwohl.«
»Ja, ja, natürlich.« Tommen erhob sich und Margaery und ich taten es ihr gleich. »Geleitet Lady Sienna bitte auf Ihr Zimmer«, wies er Jaime Lennister an, der die ganze Zeit über im Raum gestanden hatte.
Ich raffte meinen Rock und schritt zur Tür. Als sie mir geöffnet wurde, blieb ich erschrocken stehen.
»Oh, Ihr geht schon? Mir kam zu Ohren, dass Ihr mit dem König speist. Ich dachte, ich statte Euch einen kleinen Besuch ab.« Cersei hackte sich bei mir ein und wandte mich um. »Ich will mich für den Zwischenfall im Thronsaal entschuldigen. Manchmal verliere ich die Kontrolle und ... Ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen.« Sie lächelte mich an, ein Scheinlächeln, nichts anderes. Ich ließ mich von ihr auf meinen Platz drücken, dann setzte sie sich neben ihren Sohn.
Tommen musterte seine Mutter schweigend. Margaery sah sie ebenfalls an, doch konnte ich ein klein wenig Abscheu erkennen - sie schien die Königin Mutter nicht leiden zu können.
»Ich finde es schön, wenn ihr euch versteht«, sagte Tommen und sah mich mit einem leichten Lächeln an. War er wirklich so naiv? Oder war das nur gespielt? Er schien es tatsächlich ernst zu meinen; also hatten wir einen naiven Kindkönig.
»Ich hatte gehört, dass Ihr das Lager Eures Bruders verlassen habt, bevor er und Eure Mutter auf der Roten Hochzeit ermordet wurden«, sagte Cersei. »Das muss schrecklich für Euch sein, diese ganze Schuldlast, die auf Euch liegt.«
Ich lächelte gezwungen. »Ja, ich fühle mich schuldig. Vielleicht würden sie noch leben, wenn ich bei ihnen geblieben wär'.« Unauffällig ergriff ich das Messer und wickelte es in eine Serviette, dann ließ ich es in meinen Schoß gleiten. »Wisst Ihr, seine Familie sterben zu sehen und nichts dagegen tun zu können, es zerfrisst einen förmlich. Kennt Ihr das?«
Ich sah, wie Cerseis Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand - natürlich kannte sie das; sie hatte ihren Sohn sterben sehen.
»Warum seid Ihr hier, M'lady?", fragte die Lennister, als sie sich wieder gefasst hatte.
»Ich wollte meine Schwester holen«, sagte ich nur.
Cerseis Augenbrauen hoben sich. »Allein? Ihr wusstet doch sicherlich, dass Ihr keine Chance gehabt hättet.«
»Manchmal wird einem zu spät bewusst, dass man einen Fehler begangen hat«, meinte ich.
»Wusstet Ihr, dass Eure Schwester mit meinem Bruder verheiratet war?«
Ich blickte kurz zu Jaime, und Cersei schien den Blick zu bemerken, denn sogleich sagte sie: »Oh, nein, nicht Jaime. Er hatte das Glück, zu der Zeit der Gefangene Eurer Mutter gewesen zu sein.« Auf Cerseis Lippen erschien ein süffisantes Lächeln. »Er hat nicht gesehen, was Joffrey Eurer Schwester angetan hat. Das arme Kind.«
Ich erblasste und entsetzt starrte ich sie an.
»Sie wurde geschlagen und gedemütigt vor dem ganzen Hofe. Sie hatte es nicht einfach, Eure Schwester. Und dann noch meinen Bruder zu heiraten - Sansa ist in Schande versunken.«
Meine Hand wanderte unter die Serviette. Ich spürte den kalten Griff des Messers und umklammerte ihn.
»Ich habe alles versucht, Joffrey zur Vernunft zu bringen, aber Ihr kanntet ihn - wenn auch nur für eine kurze Zeit. Er hört auf niemanden, außer auf sich selbst. Damals, als es hieß, dass Euer Vater begnadigt würde, wenn er seine Taten gestehe, hatte er sich nicht darum geschert. Ned Stark war ein guter und ehrlicher Mann. Tragisch, dass Joffrey seinen Kopf auf einen Speer spießen und an den Zinnen stecken lassen hatte. Eure Schwester musste sich dieses Grauen ansehen. Joffrey war mein Sohn, aber das -«
»Schweigt«, flüsterte ich, den Griff des Messers weiterhin umklammert.
Cersei sah mich gespielt überrascht an. »Wie bitte?«
»Ich sagte, schweigt«, wiederholte ich lauter und nun sah ich ihr mit einem finsteren Blick in die Augen.
»Oh, verzeiht. Habe ich Euch verletzt? Ich wollte Euch nur vor Augen führen, wie es Eurer Schwester erging. Beinahe wäre sie sogar vom Pöbel vergewaltigt worden. Nur knapp konnte sie -«
»Schweigt!«, donnerte ich. Der Stuhl fiel klappernd zu Boden, als ich mich abrupt erhob. Ich stürzte mich schreiend und mit gezücktem Messer auf die Frau, doch bevor ich sie erreichen konnte, hatte man mir die Waffe entwendet und mich an den Armen gepackt.
Tommen und Margaery hatten sich ebenfalls erhoben, und mit einem siegreichen Lächeln, welches ihr Sohn nicht sehen konnte, da sie ihm den Rücken zugedreht hatte, stand auch Cersei auf.
»Ich werde Euch niemals vergeben!«, schrie ich. »Alles, was Ihr über Mitgefühl und Verständnis sagt, ist eine Lüge. Ihr habt meiner Familie Leid zugefügt. Ihr seid diejenige, die an all dem Schuld ist.«
Tommen sah seine Mutter verzweifelt an - er wusste nicht, wie er reagieren sollte.
»Sperrt sie in eine Zelle und tötet ihre Wölfe«, befahl Cersei mit ernster Stimme. »Sie wird des Anschlags auf den König beschuldigt. Darauf steht der Tod.« Die Frau sah mich an. »Willkommen zurück in Königsmund, Lady Stark.«
»Nein!«, schrie ich, während ich davongezerrt wurde. Tränen stiegen in meine Augen, mein Herz pochte wild vor Angst und Verzweiflung. »Nein!«
1507 Wörter
Was, denkt ihr, geschieht nun mit Sienna?
Wie fandet ihr das Kapi? Lasst eure Meinung da!
Meine Klausurphase ist bald vorbei. Ich hoffe, ich kann dann wieder öfter updaten. Danke für eure Geduld und eure Unterstützung <3
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