Kapitel 18
Den ganzen Tag verbrachte ich in meinem Zelt. Draußen standen einige Lennister-Wachen. Ich hatte darauf bestanden, sie gegen die Freys auszutauschen. Die Freys hatten meinen Bruder und meine Mutter umgebracht. Dass sie mich beschützen sollten, würde ich niemals dulden.
Auf einmal ging der Vorhang zur Seite und eine blonde riesige Frau trat ein.
»M'lady, ich bin -«
»Ich weiß, wer Ihr seid«, meinte ich. »Brienne von Tarth. Wir haben uns bereits einmal flüchtig im Lager meines Bruders getroffen, damals, vor ungefähr drei Jahren.«
»Ja, ich erinnere mich.« Sie trat einen Schritt auf mich zu. »Eure Schwester, Lady Sansa, hat mich nach Schnellwasser geschickt, um Euren Onkel zu überreden, sich ihr und der Armee Eures Bruders anzuschließen. Ich hätte nicht gedacht, Euch hier anzutreffen ...«
»Sansa?«, fragte ich. »Ich dachte, sie wird von den Boltons gefangen gehalten?« Und Jon. Er war doch am Leben - mein Traum war eben nur ein Traum gewesen.
»Sie konnte fliehen, M'lady«, erklärte die Frau. »Ich werde Euch zu ihr und Eurem Bruder bringen, wenn ich hier meine Aufgabe erledigt habe. Ich habe Eurer Mutter geschworen, Euch und Eure Schwester sicher nach Hause zu bringen -«
»Da seid Ihr nicht die einzige«, meinte ich kühl. Ich straffte meine Haltung. »Aber Euch vertraue ich mehr als dem Lennister, der da draußen das Heer befehligt.«
»Ser Jaime mag einen Eid gegenüber seinem König gebrochen haben, doch hat er sich geändert.«
Ich zog die Stirn in Falten. »Ihr vertraut ihm?«
»Er hat mir das Leben gerettet, also ja.« Demütig neigte sie den Kopf. »Ich werde nun zu Eurem Onkel gehen und in Lady Sansas Auftrag mit ihm reden. Ihr solltet mich begleiten.«
»Ich täte nichts lieber«, meinte ich. »Gebt mir einen Augenblick.«
Brienne nickte und verließ mein Zelt.
Ich seufzte. Sansa lebte und sie war bei Jon. Alles schien sich zum Guten zu wenden; ich würde endlich nach Hause zurückkehren.
Ich ging herüber zu der Kiste, die in meinem Zelt stand, öffnete diese und zog den dicken Umhang heraus. Man hatte ihn mir gegeben, als wir aufgebrochen waren. Er und das Kleid, welches ich trug, ähnelten jenen Kleidern aus meiner Heimat, doch waren sie nicht genauso dick und mit Fell überzogen wie die aus dem hohen Norden. Dennoch zog ich sie über, denn draußen war es kalt; nicht so kalt wie weiter nördlich, aber der Winter machte sie bereits etwas bemerkbar.
Ich trat aus dem Zelt, überall liefen Frey- und Lennister-Soldaten herum, polierten ihre Schwerter, bereiteten sich für den wahrscheinlich vorstehenden Kampf vor, und ich sah mich um. Meine Wölfe waren weiterhin verschwunden, und auch wenn ich mir damals dabei nichts gedacht hatte, machte ich mir allmählich Sorgen - immerhin war es Tage her, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte.
»M'lady?«, zog Brienne meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie stand mit einem jungen Mann einige Meter von mir entfernt.
Ich nickte, raffte mein Kleid aus grauer Wolle und folgte ihr. Man ließ uns die Zugbrücke hinunter, als Brienne nach dem Schwarzfisch forderte. Wir fanden den Mann auf den Zinnen und verzweifelt versuchte die Jungfrau von Tarth ihn zu überreden, den Brief zu lesen.
»Ich sagte Nein, und das schon dreimal«, rief der Mann entzürnt, während vor uns lief.
»Ich habe einen unterzeichneten Brief von Eurer Großnichte Sansa«, wiederholte Brienne.
»Ich hab' sie zuletzt als kleines Kind gesehen. Ich kenne ihre Unterschrift nicht. Ich kenne Euch nicht. Und ich gebe die Festung nicht auf.« Der Schwarzfisch blieb stehen und wandte sich an einen seiner Soldaten. »Verdoppelt heute Nacht die Wachen.«
»Dürft' ich Euch daran erinnern, dass die Familie an oberster Stelle des Hauses Tullys steht?«, mischte ich mich ein. »Eure Großnichte bittet Euch, ihr beizustehen, und Ihr wollt dies verweigern, nur wegen einer Burg?«
»Und wer seid Ihr?«, fragte Brynden Tully mit hochgezogenen Augenbrauen.
Bevor ich antworten konnte, ging Brienne dazwischen. »Lady Sienna Stark, älteste lebende Tochter von Eddard Stark und Catelyn Stark, Eurer Nichte.«
»Familie, Pflicht, Ehre«, sagte ich die Worte des Hauses Tully. »Ich habe sie gelernt, als ich noch ein kleines Kind war. Ihr habt sie mir beigebracht.« Ernst sah ich ihn an. »Ihr habt noch Familie da draußen. Wieso steht Ihr ihr nicht bei?«
»Noch eine Großnichte, die ich nicht kenne«, bemerkte der Schwarzfisch nur. »Wieso ich Ihr nicht beistehe? Die Burg ist mein Zuhause. Die Tullys sind meine Familie und meine Familie ist tot.« Er wandte sich ab und betrat die Burg. »Der Königsmörder will uns auf die Probe stellen. Das kann ich spüren.«
»Wie ich bereits sagte«, begann Brienne und wir folgten dem Mann, »mein Name ist -«
»Brienne von Tarth«, unterbrach Brynden Tully sie sofort. »Ich kenne Euren Vater. Ein guter Mann.«
»Er sprach immer in den höchsten Tönen von Euch -«
»Und wäre er nun hier, ich würde ihm genau das Gleiche sagen. Wenn Ihr glaubt, ich gebe meinen Familiensitz für das Ehrenwort des Königsmörders auf, seid Ihr eine Närrin.«
»Schnellwasser kann nicht gegen die Lennisters und die Freys standhalten«, meinte Brienne.
»Wir können länger standhalten, als Euer einhändiger Freund sich vorstellen kann«, gab der Schwarzfisch zurück, ohne stehenzubleiben.
»Er ist nicht mein Freund«, rief die Frau neben mir.
Wir waren auf dem Hof angekommen und da blieb der Mann stehen. »Nein? Wer gab Euch die Erlaubnis, die Belagerungslinie zu überqueren? Wer gab Euch dieses Schwert mit dem goldenen Löwen auf dem Knauf?«
»Ser Jaime hielt sein Wort gegenüber seiner Nichte Catelyn Stark«, sagte Brienne ernst. »Er trug mir auf, Sansa und Sienna zu retten, so wie es Catelyns Wunsch war. Und er gab mir das Schwert, um sie zu beschützen. Das habe ich getan und das werde ich auch weiterhin tun, bis zu meinem letzten Tag.« Abrupt streckte die Frau dem Tully den Brief entgegen.
Der Schwarzfisch starrte sie verblüfft von ihren Worten an, dann blickte er auf den Brief. Er ergriff ihn zögernd, öffnete ihn und las einige Zeilen. Ein Lächeln zauberte sich in sein Gesicht.
»Sie ist genau wie ihre Mutter«, bemerkte er und faltete den Brief zusammen, als er fertig war. Er blickte uns an. »Ich habe nicht genug Männer, um mit ihr Winterfell zu erobern.«
»Aber ihr habt mehr als sie«, meinte Brienne.
»Sie möchte ihre Heimstadt zurück, das verstehe ich, aber das hier ist meine Heimstadt, und wenn Jaime Lennister sie haben will, soll er versuchen, sie zu erobern wie jeder andere auch.« Er hielt der Frau den Brief vor ihr Gesicht, seine Antwort auf Sansas Bitte, und als Brienne das Pergament ergriff, ging er davon.
»Sucht den Maester«, wies die Frau den jungen Mann, der uns schon die ganze Zeit begleitete, an. »Schick einen Raben nach Norden zu Sansa.«
»Was soll ich schreiben?«
»Dass ich versagt habe.«
Wir blieben in der Burg. Die Lennisters und Freys rüsteten sich nun zum Angriff auf. Die in rotem Samt gekleideten Männern formierten sich vor dem Tor. Brienne, ihr Begleiter Podrick Payn, ein entfernter Cousin von Ilyn Payn, und ich warteten innerhalb des Gemäuers, als Brynden Tully zu uns kam.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte er und scheuchte uns mit wilden Handbewegungen los.
»Wieso? Was ist los?«, verlangte Brienne zu wissen.
»Die Lennisters haben es mit einem Trick geschafft, ihre Marionette hier einzuschleusen. Sie werden bald einmarschen, ohne dass ich etwas dagegen tun kann«, erklärte der Schwarzfisch. »Ihr müsst mir folgen. Sofort!«
Wir folgten ihm herunter zum Anleger der Boote. Die Lennisters hatten bereits die Burg betreten, doch glücklicherweise hatte uns niemand gesehen. Podrick setzte sich ins Boot und half dann mir. Als Brienne merkte, dass mein Großonkel keine Anstalten machte, sich ebenfalls ins Boot zu setzen, verharrte sie und wandte sich an ihn. »Kommt mit uns.«
»Ich bin einmal geflohen, von der roten Hochzeit. Ich fliehe nicht erneut. Das ist mein Familiensitz.«
»Eure Familie ist im Norden«, erwiderte die Jungfrau von Tarth. »Kommt mit uns.«
»Ihr werdet hier sterben, M'lord«, sagte ich. »Ihr könnt Euren Familiensitz nicht mehr zurückerobern. Es ist zu spät. Aber Ihr könnt Sansa helfen, unser Zuhause zurückzugewinnen.«
»Sterbt nicht für den Stolz, wenn Ihr Euer Blut kämpfen könnt«, meinte auch Brienne.
»Ihr werdet Sansa viel besser dienen, als ich es jemals könnte«, erwiderte der Schwarzfisch.
Da erklangen Stimmen, die immer näherkamen.
»Vorwärts. Los!«, wies der Tully uns an und zückte sein Schwert. »Ich hab' seit Jahren nicht mehr mit dem Schwert gekämpft. Ich werd' mich bestimmt zum Narren machen.«
»Lebt wohl«, sagte ich mit bedrückter Stimme.
Er nickte. »Leb wohl, mein Kind. Ich bin froh, dich wenigstens noch einmal gesehen zu haben. Was für eine hübsche junge Frau du geworden bist ...«
Mit diesen Worten verschwand er, und Brienne setzte sich zu mir und Podrick ins Boot, und der Mann begann zu rudern. Als wir uns bereits einige Meter von Schnellwasser entfernt hatten, erschien Jaime Lennister auf den Zinnen. Brienne blickte zu ihm auf. Der Mann winkte zum Abschied und auch sie hob die Hand. Ich wandte meinen Blick nach vorn. Ich würde nach Hause zurückkehren. Ich würde meine Familie wiedersehen. Die Sonne ging allmählich auf, ein neuer Tag begann. Ein neuer Tag und ein neues Leben.
1473 Wörter
Das letzte Kapitel. Was sagt ihr dazu?
Ich folgt noch eine Danksagung ;)
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