Kapitel 16

Ich hatte mich noch nie stärker und befreiter geführt, als Cersei den Gang der Buße vollführte. Nackt und mit kurz geschorenen Haaren musste sie von der Septe bis zum Roten Bergfried laufen, zwischen dem Pöbel, der rufend, schreiend, beidigend und mit Obst werfend eine Gasse gebildet hatte. Cersei war erniedrigt und wahrscheinlich sogar gebrochen - und das zum ersten Mal in ihrem Leben.
Nach meinem Besuch bei ihr in der Zelle war ihr Onkel Kevan Lennister aus Casterlystein zurückgekehrt. Er bat mich um den Posten der Hand. Diesen verließ ich dann und die Brosche gehörte ihm.
Wenige Tage nach Cerseis Bußegang hatte ich einen Albtraum. Ein eisiger Windzug wehte ins Zimmer, küsste meine Haut und überbrachte seine grauenvolle Nachricht:
Ein Kreuz. Ein Wort. Verräter. Die eisige Kälte benebelte die Gedanken jener, die draußen standen.
Eine Junge. Er holte den neuen Lord Kommandanten und brachte ihn zu den schwarzen Brüdern. Sein Onkel sei zurückgekehrt, so hieß es, und der junge Mann drängte sich panisch durch die Wächter. Und dann sah er das Kreuz und die Schrift, und ehe er sich versah spürte er eiskalte Dolche in seiner Brust - und sterbend ließ man ihn im Schnee zurück.
Ich schreckte aus dem Schlaf. Mein Herz pochte wild. Trotz der milden Kälte im Zimmer perlte Schweiß auf meiner Stirn.
Jon.
Er war derjenige aus meinem Traum - und er war tot. So sehr ich hoffte, dass es nicht stimmte, doch hatten alle meine Träume über den Tod meiner geliebten Menschen der Wahrheit entsprochen.
Es war bereits früher Morgen. Eine Zofe kam herein, stellte eine Waschschüssel auf und machte mein Bett, als ich mich erhoben hatte. Dann half sie mir bei meinem Kleid und bei meinen Haaren.
Auf einmal öffnete sich die Tür und einer meiner Wachen trat ein. »M'lady, Ser Jaime Lennister.« Er ging zur Seite und der Bruder Cerseis betrat meine Zimmer.
»M'lady«, sagte er und verbeugte sich.
Ich nickte meiner Zofe und der Wache zu und die beiden verließen uns. Dann erhob ich mich. »Ihr seid zurückgekehrt«, meinte ich tonlos. »Habt Ihr Eure Aufgabe gemeistert?«
»Wenn Ihr mit »meistern« meint, dass meine Nichte in meinen Armen starb, ermordet von einer dornischen Frau durch Gift, dann ja.«
Ich ließ entschuldigend das Haupt sinken. »Verzeiht. Mein Beileid zu dem Tod Eurer Nichte.«
Der Mann legte den Kopf schief und sah mich mahnend an.
»Was wollt Ihr wirklich?«, fragte ich. »Sicherlich seid Ihr nicht hier, um mir Euer Leid zu klagen.«
»Nein«, sagte Jaime Lennister. »Ich wollte nach Euch sehen und mich Eurer besten Gesundheit vergewissern. Mir sind einige Dinge zu Ohren gekommen.«
Ich schmunzelte. »Wollt Ihr mich jetzt dafür verurteilen, weil ich mit Eurem Sohn geschlafen habe?«
»Er ist nicht mein -«
»Wie auch immer«, winkte ich ab. »Mir geht es gut und Ihr habt Euch dessen vergewissert. Ihr könnt nun wieder gehen.«
»M'lady ...«, begann er, doch lief einfach los.
»Wenn nicht Ihr, dann geh' ich«, meinte ich.
Ich lief an ihm vorbei und wollte das Zimmer verlassen, doch da packte er mich am Arm und hielt mich zurück.
»Lasst mich los -«
»Mir sind einige Dinge zu Ohren gekommen«, wiederholte er. »Wie Eure ... Vergewaltigung.«
Augenblicklich riss ich mich von ihm los. »Ich brauche Euer Mitleid nicht«, spie ich aus und sofort eilte ich davon.

»Ihr habt in den letzten Wochen vieles gelernt, M'lady«, sagte der Hohe Spatz.
Ich kniete vor ihm auf dem kalten, steinernden Boden, das Haupt gesenkt haltend.
»Ihr habt Buße getan. Ihr seid nun wieder rein im Lichte der Sieben. Erhebt Euch.«
Ich ging diesem Befehl nach. Die Finger vor dem Bauch verschränkt stand ich vor ihm, den Kopf weiterhin gesenkt haltend.
»Auch wenn Ihr gesündigt habt, werdet Ihr Eure morgendlichen Gebete in der Septe fortsetzen. Ab und an werde ich eine Septa zu Euch schicken, die mit Euch das Buch des Fremden liest und Euch im Licht der Sieben belehrt.«
»Ich danke Euch für Eure Gnade, Hoher Spatz«, sagte ich demütig.
»Nicht meine, sondern die Gnade der Götter wurde Euch zuteil«, erwiderte der Mann. »Wenn Ihr die Frage erlaubt, was wünscht Ihr Euch in diesem Augenblick?«
Ich sah auf. »Meine Familie in Sicherheit zu wissen. Sie in den Arm nehmen zu können und nie wieder loszulassen.« Aus mir sprach wahre Ehrlichkeit. Ich wünschte es mir wirklich. Vom ganzen Herzen.
Der Hohe Spatz lächelte. »Ja, die Familie. Das wohl Wichtigste auf Erden.« Er nickte. »Ihr dürft Euch nach Eurem Gebet im Roten Bergfried zurückziehen. Möge das Licht der Sieben Euch begleiten.«
Ich ließ erfürchtig den Kopf sinken und verließ den Raum. Ich wurde von einer Septa in den großen Hauptraum geführt, wo ich an einem Altar betete. Natürlich nicht wirklich - ich betete schon lange nicht mehr zu den Göttern; schon bevor der Hohe Spatz mich dazu gezwungen hatte.
Auf einmal hörte ich, wie sich die große Flügeltür öffnete. Ich blickte auf. Der König, eskortiert von seiner Leibgarde, betrat die Septe. Er wurde vom Hohen Spatzen empfangen.
Die Septa forderte mich auf, mich wieder den Gebet zu widmen und so wandte ich mich von ihm ab. Bald vernahm ich Schritte, die sich immer mehr entfernten - der König war verschwunden.
Nach einer Weile, als ich gerade gehen wollte, kam er zurück mit Margaery Tyrell. Die Königin war wie Cersei zuvor in einen grauen Lumpen gekleidet, doch die Haare waren außergewöhnlich sauber und gekämmt.
Der Gang der Buße, dachte ich nur. Jetzt müsste auch die Königin für ihre Sünden bezahlen.
»Euer Gnaden«, sagte der Hohe Spatz an den König gewandt. »Kommt heraus, sobald Ihr das Signal vernehmt.«
Dem Hohen Spatzen wurde die Tür geöffnet und er, Margaery und eine Septa traten hinaus. Meine Septa und ich taten es ihm gleich. Auf den Stufen vor der Septe hatten unzählige Spatzen eine Gasse gebildet. Ich blieb mit meiner Septa neben einigen Glaubensanhängern oben an der Seite stehen, während der Hohe Spatz und Margaery einige Stufen hinabgingen.
Kurz darauf vernahm ich die schweren Schritte von Soldaten und das Rascheln ihrer Rüstung. Jaime Lennister sowie Lord Tyrell und seine Männer postierten sich vor der Septe, und auch Lady Olenna stieg aus ihrer Sänfte und trat ins Blickfeld.
»Lord Tyrell«, sagte der Hohe Spatz und der Angesprochene, der auf einem Schimmel saß, nickte knapp. »Ser Jaime.«
»Entschuldigt bitte die Störung«, meinte der Lennister, der ebenfalls zu Pferde saß. »Wir sind hier wegen Königin Margaery und Ser Loras Tyrell. Händigt sie uns aus und wir werden wieder abziehen.«
»Ich habe nicht die Befugnis, sie auszuhändigen«, erwiderte der Mann auf den Stufen. »Und Ihr nicht die Befugnis, sie mitzunehmen.«
Auf einmal wurde das Volk, welches sie ebenfalls angesammelt hatte, unruhig. Wild sprach es durcheinander. Da gab Jaime seinem Pferd die Sporen und galoppierte zu dem Hohen Spatzen die Stufen hinauf.
»Speere bereit!«, rief der Befehlshaber der Soldaten und diese formatierten sich neu, die Speere nach vorne auf die Septe richtend.
»Ich spreche für König Tommen aus dem Hause Baratheon, erster seines Namens.«
»Die Götter erkennen in dieser Sache seine Autorität nicht an«, meinte der Hohe Spatz.
»Ihr habt schon ein großes Haus beleidigt. Das wird kein zweites Nal geschehen«, sagte Jaime. »Jeder einzelne Spatz wird sterben, bevor Margaery Tyrell durch diese Straßen läuft.«
»Im Dienste der Götter zu sterben, würde jeden einzelnen von uns verzücken. Wir verzehren uns danach.« Der Hohe Spatz schwieg kurz. Die Anspannung stieg. »Aber dazu wird es nicht kommen. Denn es wird keinen Gang der Buße geben.«
Langsam öffnete sich das Tor der Septe.
»Königin Margaery hat schon Buße getan«, verkündete das Oberhaupt der Spatzen, »indem sie jemand anderen in das wahre Licht der Sieben geführt hat.«
König Tommen, weiterhin eskortiert von seiner Leibgarde, trat heraus, und das Entsetzen stand Jaime Lennister überaus groß ins Gesicht geschrieben. Verzweifelt blickte er zu Lady Olenna, die nur den Kopf sinken ließ. Tommen trat neben seine Frau und ergriff ihre Hand.
»Zusammen verkünden wir ein neues Zeitalter des Einklangs«, sagte der Hohe Spatz. »Eine heilige Allianz zwischen der Krone und dem Glauben.«
Das Volk brach in Jubelgeschrei aus, während Jaime Lennister den Spatzen finster anstarrte.
»Die Krone«, begann Tommen, »und der Glaube sind die Zwillingssäulen, auf denen diese Welt ruht.«
Ich kannte diesen Spruch. Einst hatte auch Cersei ihn gesagt.
»Zusammen werden wir die Sieben Königslande wieder zu altem Ruhm führen.«
Und wieder jubelte das Volk, vollkommen entzückt von den Worten des Königs und des Hohen Spatzen, der den Adel und die Krone in dieser Stadt eindeutig besiegt hatte.

1386 Wörter

Danke für fast 3k Reads <3

Was sagt ihr zu Siennas Reaktion bei dem Gespräch zwischen ihr und Jaime?

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