R I L E Y
Erledigt stelle ich meine Handtasche neben der Wohnungstür ab, bevor ich die Tür mit dem Fuß zukicke. Ich rutsche mit meinem Schuh leicht ab, aber die Tür fällt trotzdem mit einem befriedigenden Knall ins Schloss. Ich blicke auf meine Füße hinunter. Es sind meine bequemsten Stilettos, schwarz und mit einem Absatz, der nicht ganz so mörderisch ist wie bei anderen Frauen, die ich jeden Tag in der Arbeit sehe. Ich mag diese Schuhe, aber selbst die bequemsten High-Heels sind nach mehr als acht Stunden nicht mehr tragbar.
Ich streife mir die Stilettos ab und atme tief durch, als meine Füße nacheinander den kalten Holzboden berühren. Endlich bin ich Zuhause. Dort, wo man Barfuß und in Jogginghose herumlaufen kann, ohne einen einzigen schrägen Blick abzubekommen.
Erst ziehe ich das Haargummi vorsichtig aus meinem Haar, welches bis eben zu einen hohen Pferdeschwanz gebunden war, dann beuge ich mich nach vorne um meinen Kopf mehrere Sekunden lang wild zu schütteln. Als ich mich wieder aufrichte, stehen zwar nicht wenige Strähnen in alle Richtungen ab, aber genau das wollte ich ja.
Ich werfe meine Jacke noch über den einzelnen Garderobenhaken an der Wand, dann gehe ich an dem Wandschrank mit meiner Kleidung vorbei in die angrenzende Küche, die gleichzeitig Wohn- und Schlafzimmer ist.
Auf der linken Seite, nur einen Meter von mir entfernt, befindet sich eine schmale Küchenzeile aus hellem Holz, daneben steht an der Wand ein braunes Sofa mit einem tiefen Couchtisch, der zugleicht der Esstisch ist. Zu meiner Rechten ist mein Bett und ein kleiner Schreibtisch, auf dem mein in die Jahre gekommener Laptop steht.
Keines meiner Möbel passt zum anderen. Während die Küche auf hellem Holz ist, ist der Couchtisch weiß und das Gestell meines Bettes aus schwarzen Metall. Aber das macht nichts. Um ehrlich zu sein, gefällt mir dieser gemixte Wohnstil.
Trotz dem engen Kleid, das ich trage, werfe ich mich mit Schwung waagrecht auf das Sofa und lasse den Tag in Gedanken Revue passieren. Erst dachte ich, dass das Sortieren der Akten mich einiges an Geduld abverlangen würde, aber tatsächlich ist es das bescheidene Barbecue, dass mich heute den ganzen Tag beschäftigt hat.
Ich habe damit gerechnet, dass ich mich nur um jemanden kümmern muss, der ein paar Salate und andere Beilagen herrichtet und am Abend vor dem Grill steht, genauso wie Mr Knight es gesagt hat, aber tatsächlich ist der zweite Punkt auf meiner To-Do-Liste mit dem Namen Debney und Roy Hastings einladen und einen Flug für sie organisieren weitaus anspruchsvoller, als ich es mir hätte vorstellen können.
Ich glaubte, eine Einladung per E-Mail mit den Abflugdaten würde genügen, aber dann wollte die hochwohlgeborene Mrs Hastings unbedingt einen Fensterplatz ganz vorne in der Ersten Klasse. Und so habe ich den halben Tag damit verbracht einen Sitzplatz zu finden, der der ohne Zweifel anspruchsvollen Mrs Hastings recht ist.
Warum Mr Knight diese Frau, die mich heute am Telefon durchgehend wirklich unhöflich angemeckert hat, überhaupt zu diesem privaten Barbecue einlädt, ist mir sowieso ein Rätsel. Ich dachte, dass sollte so eine Art Abschluss sein. Eine kleine Feier, weil der gewaltsame Tod von seinen Eltern endlich mit Ross's ziemlich sicheren, langen Gefängnisstrafe gerächt wurde - Soweit man den Mord an zwei Menschen eben ausgleichen kann.
Das laute Klopfen an meiner Tür reißt mich aus meinen Gedanken. Grummelnd stemme ich mich auf die Beine und gehe zur Wohnungstür. Gänsehaut hat sich auf meinen Armen ausgebreitet, da ich niemanden kenne, der mich besuchen würde. Das heißt, niemanden außer einen - aber der kann mich hier nicht gefunden haben! Unmöglich! Oder?
Mit zitternden Fingern schiebe ich die silberne Klappe vor dem Türspion beiseite und luge durch das kleine Loch. Es ist Clair, die breit lächelnd vor meiner Tür steht, meine 20-jährige Nachbarin. Ich habe mich ein paar Mal mit ihr unterhalten, wie man es unter Nachbarn eben so macht, aber richtig kennen tu ich sie nicht. Ich öffne die Tür, wobei es in den Angeln quietscht. Ich sollte dringend mal einen Tag einlegen, an dem ich meine Wohnung auf Vordermann bringe.
»Hey, Riley, hast du Lust mit mir und meinen Freunden zu Abend zu essen? Wir wollten uns gerade Sushi bestellen, als ich deine Wohnungstür gehört habe, und da dachte ich, ich frag dich einfach mal, bevor wir anrufen.« Erwartungsvoll blickt Clair mich an.
Überrumpelt blinzle ich. »Freunde im Sinne von Freunde aus der Uni? Bin ich da nicht ein bisschen zu alt?« Claire grinst belustigt. »So alt bist du mit deinen 22 auch wieder nicht, in meiner Wohnung sitzt gerade ein Typ, der 24 ist und immer noch studiert, also keine Sorge.«
»Na dann...«, sage ich gedehnt. »Du wirst feststellen, dass ich für Sushi alles machen würde, selbst mit blutjungen Dingern wie dir rumhängen.« Clair zieht eine Schnute, setzt aber gleich zu einer Retourkutsche an:»Dafür solltest du aber weniger aussehen wie eine dieser tussigen Geschäftsfrauen. Mit dem Ding«, sie deutet auf mein schwarz-weißes Kleid. »Bist du nicht nur ein Bisschen overdressed.«
Sie geht rückwärts zu ihrer Wohnung nebenan. »Und nur das das klar ist, Riley, in meiner Wohnung herrscht absolutes Jogginghosen-Muss!«
»Alles klar, dann mach ich mich mal zurecht, damit mein Aussehen für die Dame genehm ist.«
Clairs Freunde sind alle ziemlich cool. Grover, der 24-jährige Typ, ist mir allerdings der sympathischste. Er kann auf alles einen lustigen Kommentar abgeben und seine Witze sind nicht von schlechten Eltern, soviel ist klar. Er hat schulterlange, braune Haare, die er sich alle 30 Sekunden mit den Fingern nach hintern kämmt. Ich erfahre schon mit dem zweiten Satz, den wir miteinander wechseln, dass er stolzer Veganer ist und für sein Leben gerne mit seinem Motorrad, einer Yamaha MT-10 fährt.
Emily, das Mädchen, dass die ganze Zeit in seinen Armen liegt und mit ihm rummacht, ist - wie ich raushöre - nicht seine feste Freundin, sondern nur eine Freundin, mit der er sich sehr gut versteht. Emily ist 23 und hat lange, pink gefärbte Haare, welche laut Clair gestern noch blau waren. In zwei Wochen werden sie vermutlich grün sein.
Ich weiß nicht, was ich von ihrer Beziehung halten soll, aber Emily ist nett und hat den gleichen Humor wie Grover, was mich zu dem Entschluss kommen lässt, dass ich mir keine unnötigen Gedanken um das Sexleben anderer machen sollte.
Aylin, Clairs beste Freundin habe ich schon vor ein paar Tagen kennengelernt. Sie ist auch erst 20 Jahre alt und kommt genau wie Clair aus einem kleinen Dorf einige hundert Meilen entfernt. Die beiden kennen sich seit dem Kindergarten, was bedeutet eine Menge Spaß für sie, eine Menge Insiderwitze, die ich nicht verstehe, für mich. Aber was solls - Ich tunke meine vorletzte Sushirolle in die Sojasoße vor mir und schiebe sie mir in den Mund. Immerhin habe ich Sushi!
»Also erzähl mal!«, Emily stupst mich in die Seite. »Was machst du dann, wenn du nicht zehn Jahre lang studierst und deinen Eltern das Geld aus den Taschen ziehst?« Ich verziehe das Gesicht. Soll ich wirklich von meinem langweiligen Job als Assistentin erzählen? Emily studiert Medizin, wie ich überraschend feststellen musste, Aylin und Clair auf Lehramt und Grover Informatik. Wie kann ich da mithalten?
»Mein Job ist nicht so spannend, viel interessanter ist dafür mein Boss!«, lenke ich geschickt ab, denn Emily, Aylin und Clair kichern sofort los. Grover verdreht die Augen, wirkt aber trotzdem neugierig.
»Erzähl! Erzähl!«, verlangt Emily und ich seufze dramatisch auf. »Es ist wirklich schlimm mit ihm in einem Raum zu sein! Ich meine, er sieht so verdammt heiß aus...«, bei meiner verzweifelten Stimme wäre ich fast selbst in das Gekicher der anderen miteingestimmt.
»Er kann nicht einmal schreiben ohne sexy auszusehen, ohne Scheiß. Diese krassen Muskeln spannen sich an und ich kann den Blick einfach nicht abwenden... Und sein Tattoo erst... Ich bin einfach ein totaler Tattoo-Freak! Dabei muss ich mich aber professionell verhalten und darf ihn nicht anstarren...« Ich streiche mir jetzt nur noch halb schauspielernd eine meiner Haarsträhnen zurück.
Clair deutet mit ihren Essstäbchen auf mich. Sie hat die Augen zusammengekniffen und mustert mich eingehend. »Wie alt ist denn dein Boss? Und sag jetzt nicht, dass du auf alte Knacker stehst und dir diese Muskeln nur einbildest!«
»Mach ich nicht.«, beruhige ich sie. »Er ist 23 und schon Boss einer milliardenschweren Firma. Schon irgendwie krass, oder?«
Grover richtet sich auf, in seinen Augen steht etwas erschrockenes. »Du redest hier aber nicht gerade von Daniel Knight, oder?«
Ich verschlucke mich beinahe an meiner letzten Sushirolle. Ouh scheiße! Ich hätte vielleicht daran denken sollen, dass es nicht übermäßig viele so junge Firmeninhaber gibt...
Meine Wangen verfärben sich rot. »Doch...«, sage ich gedehnt. »Wieso?« Am Anfang zucken nur seine Mundwinkel, dann breitet sich ein gigantisches Grinsen auf seinem Gesicht aus und zum Schluss bricht er in lautes Gelächter aus. Etwas beleidigt starre ich ihn an. Wenn er schon weiß, wie Mr Knigt aussieht, dann braucht er mich gar nicht auszulachen - er ist nun mal heiß!
»Ich-«, er räuspert sich. »Ich kenne Danny.« Oh nein, der Spitzname kling gar nicht gut. Gott, bitte, bitte, bitte lass Grover sich nicht als seinen besten Freund outen! »Wir hatten letztes Semester einen Kurs zusammen.« Mein Herz rutscht mir in die Hose. »...aber ich kenne ihn nicht wirklich gut, wir sind in absolut verschiedenen Kreisen unterwegs.« Ich bin wieder in der Lage zu atmen und mit Erleichterung im ganzen Körper nehme ich wieder Sauerstoff in meine Lunge auf.
Nur Kommilitonen und keine Freunde. Glück gehabt, würde ich mal sagen, keine weiteren Fettnäpfchen für mich.
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