FÜNFUNDZWANZIG
R I L E Y
Ich sehe mich in alle Richtungen um, ehe ich die Tür vor mir beiseite schiebe und das Arbeitszimmer von Mr Knight betrete. Er ist schon da, doch er sieht überhaupt nicht mehr aus wie noch vor ein paar Stunden, als das Barbecue begonnen hat.
Inzwischen ist es kurz vor zehn Uhr, und obwohl Mr Knight nicht alt ist, sieht er für einen kurzen Moment fast schon erschreckend müde aus. Er kippt sich ein Glas Tequila in den Mund, als wäre es Wasser, dann spürt er mit geschlossenen Augen dem Geschmack des Alkohols nach.
Es ist unsere dritte Runde, aber während ich schon leicht beschwipst bin, wirkt Mr Knight völlig unbeeindruckt vom Alkohol. Und er hat während dem Essen auch noch mit seinen Großeltern eine Weinflasche geköpft.
Ich wünschte, ich wäre so alkoholresistent. Andererseits, ich habe wenigstens einen billigen Rausch. Mir muss ein Seufzer entwichen sein, denn Mr Knight öffnet die Augen und sieht mich direkt an. Um seinem Blick nicht erwidern zu müssen, ziehe ich die Schiebetür hinter mir zu, bis sie nur noch einen spaltbreit offen ist.
»Die nächste Runde?« Bevor ich antworten kann, hat er mein Glas auch schon gefüllt. Dennoch antworte ich:»Wenn Sie bereit sind, Mr Knight.« Mr Knight winkt ab, und mir fällt auf, dass seine Bewegung nicht ganz so elegant ist wie sie es im nüchternen Zustand wäre. Also doch nicht so trinkfest. »Nennen Sie mich Daniel, Riley, mein Vater wurde Mr Knight genannt.«
»Geht klar.« Ich trete langsam näher und nehme das Glas entgegen, das mir Daniel anbietet. Ein Funkeln tritt bei meiner Erwiderung in seine Augen und seine Mundwinkel heben sich. Ich bin dagegen wütend auf mich selbst. Nur weil er mir seinen Vornamen anbietet, kann ich nicht so mit ihm sprechen, wie ich es mit Clair machen würde!
»Ich mag-«, er verstummt und dreht den Kopf in Richtung Flur, von wo zwei paar Schritte zu hören sind. Sie werden immer laute, bis sie schließlich so ziemlich direkt vor der Schiebetür zu Daniels Büro innehalten.
»Warte doch mal!«, das ist Landon, eindeutig. Er, Shane und Tony sind erst seit gut einer Stunde hier, von Evan auf den Plan gerufen, um den Abend für ihn angenehmer zu gestalten.
Ich warte auf eine Antwort, genau wie Daniel mir gegenüber. Wir beide starren auf die Tür, als würden wir dadurch besser hören, was draußen passiert.
»Gehst du mir aus dem Weg?« Wieder keine Antwort, was mich zu einer Vermutung kommen lässt, wer die andere Person ist. Auch Daniel schient diesen Schluss zu ziehen, denn er macht unwillkürlich einen Schritt in Richtung der Stimmen.
Ohne nachzudenken lege ich ihm eine Hand auf die Brust, um ihn zurückzuhalten. Vielleicht ist es der Alkohol - ganz bestimmt sogar - der mich so mutig macht, aber ich habe einfach das Gefühl, dass Landon und Hailey gerade keinen angetrunkenen, beschützerischen Bruder gebrauchen können.
»Weil du gestern fast etwas gesagt hättest?«, rät Landon. Der Inhalt seiner Worte lässt Daniel zusammenzucken - ich spüre es deutlich unter meiner Handfläche - und in seinen Augen leuchtet so etwas wie Hoffnung auf, gepaart mit einem Funken Enttäuschung und einem größeren voller Verwirrung.
»Tut mir leid, wenn dir das unangenehm ist, aber ich finde es ein bisschen unfair mich nicht einmal anzusehen und aus dem Raum zu flüchten, sobald ich ihn betrete. Vor allem, weil ich dich nur fragen wollte, ob wir uns einen Film anschauen wollen.«, es klingt wie eine Frage.
Einen Augenblick später spricht Landon wieder, diesmal ruhiger, sanfter:»Mit uns meine ich natürlich uns alle. Evan, Shane, Tony, deine Freundin Kira, die Zwillinge, wenn sie wollen...« Gut gerettet, würde ich sagen. Ganz automatisch verziehen sich meinen Lippen. Die Blicke beim Essen, sein unterschwelliges Interesse, die tiefe, aber unglaublich sanfte Stimme... Der kleine Landon ist also verliebt, interessant.
Sobald mein Blick aber auf Daniel fällt, erstarrt mein Grinsen. Die einzelne Falte auf seiner Stirn wird immer tiefer und sein Kiefer ist unnatürlich fest zusammengepresst. Er sieht wütend aus.
Ich sollte ihn ablenken, bevor er Landon eine verpasst. Langsam nehme ich meine Hand von seiner Brust, was ihn an sich herunter sehen lässt. Sein Kiefer lockert sich ein Stück, sein Blick wirkt weniger stählern.
Ich greife nach dem Salzstreuer und halte ihn auffordernd hoch. Daniel kneift die Augenbrauen skeptisch zusammen, fährt dann aber mit der Zunge über seinen Handrücken, damit die Salzkörner nicht herunterfallen, die ich gleich darauf auf seine Haut streue. Dann drücke ich ihm noch eine Zitronenschale in die Hand, ehe ich mir selbst Salz auf den Handrücken gebe und die letzte Zitronenscheibe ergreife.
Landon und Hayley sind inzwischen wieder von vor der Bürotür verschwunden. Doch gerade als Daniel und ich unsere Gläser heben, ertönen wieder Schritte. Sie hören sich anders an, als noch gerade eben, auch wenn es wieder ein Mann und eine Frau zu sein scheinen, die - erneut - nur ein paar Meter entfernt stehen bleiben.
»Du siehst heute gut aus, Kira.« Ich stutze, als ich Evans Stimme erkenne. Von ihm hätte ich ein solch ehrliches Kompliment nicht gerade erwartet, vor allem nicht mit einer solchen Ernsthaftigkeit in der Stimme. »Was willst du, Evie?«, Kira klingt aufgebracht, fast schon verletzt oder beleidigt.
»Ich will mit dir über den letzten Sommer reden. Du weißt schon, die Party auf der wir...«, er beendet seinen Satz nicht. Ich höre ein gedämpftes Schaben, vermutlich Teppich gegen Schuhe.
»Das war vor einem halben Jahr! Komm darüber hinweg, das ist das Beste für alle!« Evan schnaubt. Ich drehe ein wenig beschämt den Kopf weg. Bei Landon und Hailey war das Gespräch nicht so persönlich, da war es interessant zu lauschen, aber jetzt komme ich mir schäbig vor, wie ein Spanner.
Daniel hat wieder die Stirn gerunzelt, allerdings eher nachdenklich. Ich glaube auch, Erkenntnis in seinem Blick zu sehen. Vielleicht hat er vermutet, dass sich Evan und Kira näher gekommen sind.
»Wir haben in den letzten Monaten keine fünf Mal miteinander gesprochen - und da war immer Hailey dabei. Erst kam ich ins Krankenhaus und dann sind wir weggezogen... Ich... Wir sollten...« Ich nicke mit dem Kopf, als könnte ich Evan damit ermutigen weiterzusprechen, doch nach seinen Halbsätzen verstummt er.
»Wir sollten«, beginnt Kira langsam und sehr deutlich »die ganze Sache ein für alle Mal vergessen und nie wieder darüber reden! Du weißt do gut wie ich, dass das ein riesiger-«, Kira bricht ab und gleich darauf ertönt Landons Stimme, sie wird während er spricht immer lauter, da er anscheinend auf Kira und Evan zugeht. »Wir wollten alle den Tisch still und heimlich verlassen und uns oben einen Film reinziehen, seid ihr dabei?«
»Klar«, Kiras Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. Evan stimmt weniger begeistert zu, doch auch er geht gleich darauf den Flur entlang in Richtung der Marmortreppe. Zurück bleiben mein nachdenklicher Chef, reichlich Tequila und ich.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top