ACHTZEHN
H A I L E Y
»Hailey, es ist schön dich kennenzulernen.«, die Frau mit perfekt sitzenden hellblonden Haaren und dem weinroten Etuikleid lächelt mich an und bietet mir ihre Hand an. Ich ergreife sie und antworte ihr dann, als ich wieder beide Hände frei habe, dass es mich auch freut hier zu sein.
Wobei freuen wohl die falsche Bezeichnung ist. Unauffällig betrachte ich die größtenteils in orange gehaltene Praxis. Der dunkler Schreibtisch, auf dem einzig und allein ein schwarzer Laptop steht und eine dieser typischen Patientenkarteikarten liegt, nimmt den größten Platz im Raum ein.
Dahinter reihen sich drei bauchnabelhohe Aktenschränke nebeneinander, bei denen jeder Schubladen ein Schlüsselloch hat. Wahrscheinlich sind dort die Patientenakten von Mrs Lorraine verstaut. Vor dem Schreibtisch stehen zwei weich aussehende schneeweiße Sessel samt Armlehnen und Kopfstützen.
Der Raum wird vom Licht durchflutet und lassen diese Praxis recht offen und gemütlich erscheinen. Unter den Fenstern, von denen bereits an manchen Stellen die weiße Farbe abblättert, steht ein weißes Zweisitzer-Sofa.
»Setzt dich doch.«, Mrs Lorraine deutet auf den rechten der beiden Sessel, sie selbst setzt sich auf den linken. Das wundert mich, genauso wie die Tatsache, dass sie wenn sie mit mir spricht nicht auch die Gebärdensprache benutzt.
Ich lasse mich mit langsamen Bewegungen auf den Sessel nieder und behalte Mrs Lorraine in den Augen. Ich kann sie noch nicht recht einschätzen.
»Du kommst gerade vom Gericht, nicht wahr? Bist du zufrieden mit deiner Zeugenaussage?« Ich nicke. Ich habe alles gesagt, was zu sagen war, alles, was gesagt werden musste. Mrs Lorraine lächelt freundlich. Anscheinend lässt sie sich von meiner Wortkargheit nicht entmutigen.
Ich wende den Blick von ihr ab, weil ich keine Ahnung habe, was ich sagen oder tun soll, doch dass war keine gute Idee, denn die orange Wandfarbe an einer der Wände trifft mich wie ein Schlag in den Magen. Ich zucke zusammen, und dass muss Mrs Lorraine gesehen haben, denn sie sieht zwischen mir und der Wand hin und her.
»An was erinnert dich diese Farbe, Hailey?« Ich reiße mich zusammen und sehe Mrs Lorraine wieder in die Augen. Dann deute ich:»An einen Gefängnis-Overall.«
»Verstehe.«, Mrs Lorraine nickt verstehend. »Es wäre mir lieber gewesen, wenn wir uns schon früher kennengelernt hätten, dann hätte ich dich heute unterstützen können, es gibt da eine Menge Tricks, weißt du.« Sie legt eine kleine Pause ein. »Dein Bruder hat mir gesagt, dass du abgesehen von deinen immer wiederkehrenden Alpträumen keine Panikattacken oder Flashbacks hast, stimmt das?«
Sie muss mein Zögern bemerkt haben, denn sie legt den Kopf schief und sieht mich mit einem Blick an, der wohl zum Reden ermutigen soll. Mich schüchtert er eher ein. Auf mich wirkt Mrs Lorraine wie eine Frau, die ihr Leben im Griff hat, die stets ein Lächeln auf den Lippen hat und die ganz bestimmt keine psychischen Macken hat.
Ohne sie wirklich wahrzunehmen habe ich meine Augen auf meine Hand gerichtet. Sie ist verkrampft um die Armlehne das Sessels geklammert. Erst nachdem ich einmal tief durchgeatmet habe, kann ich meine Muskeln entspannen und wirklich über meine Antwort nachdenken.
Wenn ich jetzt lüge, dann werden alle Stunden, die ich hier verbringen werde umsonst sein, denn wie soll mir eine Therapeutin helfen, wenn ich nicht ehrlich bin? Doch die Wahrheit ist auch beschämend und peinlich und definitiv nichts, was ich einfach so preisgeben will. Doch ich muss. Ich muss reden, wenn ich will, dass diese Abgestumpftheit in mir wieder verschwindet.
Also hebe ich die Hände und beginne damit Mrs Lorraines Worte richtigzustellen. »Als ich vor ein paar Wochen durch die Programme im Fernseher geschaltet habe, da bin ich aus Versehen auf einen Krimi gekommen. Der Pistolenschuss hat mir einen kleinen Schock verpasst.«
»Kannst du mir beschreiben, was du empfunden hast?« Meine Kehle ist trocken, aber ich zwinge mich weiterzumachen:»Ich hatte Herzrasen, bekam keine Luft und mir war schwindlig. Als es wieder aufhörte lag ich in meinem Zimmer auf dem Boden.«
»Und was meintest du damit, als du sagtest, dass du aus Versehen einen Krimi hergeschaltet hast? Meidest du sonst diese Genre?« Ich atme zittrig ein und hebe wieder meinen Kopf. »Ja, ich schaue allgemein nur noch sehr wenig fern, weil...«, ich stocke. »Weil das Risiko groß ist, dass dich etwas, das du sehen könntest, an die Nacht erinnert, in der deine Eltern starben?«, beendet Mrs Lorraine behutsam, aber dennoch mit einer Direktheit, die mich zusammenzucken lässt, meinen Satz. Ich nicke.
Einige Sekunden herrscht Stille. Das einzigen Geräusch, das zu hören ist, ist das Trampeln von ein paar Kindern, vermutlich Schüler, die auf dem Gang vorbeilaufen.
Mrs Lorraine wendet zum ersten Mal ihren Blick von mir ab und sieht zur Tür, durch die ich erst vor wenigen Minuten hereingekommen bin. Als sie sich wieder an mich wendet, kann ich in ihrem Gesicht nichts erkennen, was darauf hindeutet, dass sie mich als verrückten Psycho abstempelt.
»Wie wäre es, wenn wir uns in unserer ersten Sitzung erst einmal über weniger schwierige Themen unterhalten? Wie geht es dir in der neuen Schule?«
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