Kapitel 20: Sweet home?
Kapitel 20:
Sweet Home?
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Die Welt drehte sich um sie, schneller, als es ihr Gehirn verarbeiten konnte. Ein Sog riss Hermine und Draco in die Dunkelheit, als der Portschlüssel sie durch Raum und Zeit schleuderte. Es war ein vertrautes Gefühl, eines, das Hermine definitiv nicht vermisst hatte. Der unerbittliche Druck, das Summen in ihren Ohren – und dann, mit einem letzten Ruck, landeten sie auf hartem, kaltem Pflaster.
Der Lärm Londons prallte auf sie ein wie eine Welle. Autohupen, eilige Schritte auf dem Gehweg, das dumpfe Poltern von Lieferwägen. Die Luft war schwer von Abgasen und Feuchtigkeit, der Himmel grau, als hätte er all die Sorgen und Erinnerungen der Stadt in sich aufgesogen.
Hermine stolperte einen Schritt zurück, ihre Hand noch auf Dracos Arm. Ihr Blick huschte hektisch über die Umgebung. Trafalgar Square. Der Ort war voller Leben, voller Menschen, die sich unbeirrt von der Geschichte, die diese Straßen durchzogen, ihrem Alltag widmeten. Doch für sie war hier nichts gewöhnlich.
Draco stand neben ihr, starr und blass wie ein Gespenst. Seine grauen Augen, sonst so kontrolliert, wanderten unruhig über die vertrauten Gebäude, die Statuen, die Straßenlaternen. Es war, als würde er nach Geistern suchen, die nur er sehen konnte.
„Granger", murmelte er schließlich, seine Stimme rau. „Wir müssen weiter. Hier stehen zu bleiben ist keine gute Idee."
Die Hexe nickte, aber ihre Füße bewegten sich nicht sofort. Sie fühlte die Last der Erinnerungen, die dieser Ort in ihr auslöste, wie eine schwere Decke. Hier, nur ein paar Straßen entfernt, hatte sie einst zusammen mit Harry und Ron geplant, wie sie sich Zugang zum Ministerium verschaffen konnten. Sie hatte Angst gehabt, ja, aber es war eine andere Angst gewesen – die Angst vor dem Versagen, nicht vor den Erinnerungen um sie herum –jedes Mal wenn sie sich traute, ihren Blick durch die vertrauten Straßen schweifen zu lassen.
Sie schluckte schwer und zwang ihre Beine in Bewegung. Draco folgte ihr, seine Schultern angespannt, die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben. Die Straßen von London schienen enger, drückender, als sie es in Erinnerung hatte.
Als sie durch eine Seitengasse gingen, holte die Vergangenheit sie ein. Ein scharfes, unangenehmes Ziehen in ihrer Brust. Sie erinnerte sich daran, wie sie einmal durch diese Gassen gehetzt waren, den Todesessern nur knapp entkommen. Harrys blutverschmierte Brille, Rons zitternde Hände. Sie spürte fast die Kälte des Pflasters, auf das sie damals gestürzt war.
„Granger." Malfoy's Stimme zog sie zurück in die Gegenwart. Er hatte angehalten, sein Blick ruhte auf ihr, scharf und beobachtend. „Alles in Ordnung?"
„Ja", log sie und zwang sich, weiterzugehen. Aber die Schatten der Vergangenheit folgten ihr, Schritt für Schritt.
Der Slytherin sprach nicht mehr, doch sein Gesicht war eine Maske aus Anspannung. Als sie in Richtung Winkelgasse gingen, hielt er plötzlich inne. Seine Augen fixierten eine unscheinbare Gasse, die an die Winkelgasse angrenzte.
Hermine wollte ihn fragen, was los war, doch bevor sie es aussprechen konnte, wusste sie es. Dieser war einer der wenigen Orte, die Draco im Krieg genutzt hatte, um seinen Auftrag ausführen zu können. Der Besitzer, hatte ihm ein unscheinbares Verschwindekarbinett verkauft. Das selbe Verschwindekarbinett, mithilfe dessen er die Todesser hinter die Mauern Hogwarts gebracht hatte. Ab diesem Miment, war es für sie, das Ende ihrer Unbeschwertheit gewesen. Nach Dumbledores Tod...
„Ich hätte nicht zurückkommen sollen", sagte er plötzlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Er stand da wie ein Mann, der sich selbst verloren hatte, sein Blick auf die Gasse gerichtet, als könnte er durch die Zeit blicken.
„Das hier ist nicht mehr unser Zuhause, Malfoy", sagte Hermine leise. „Das ist es für keinen von uns."
Er drehte sich zu ihr um, seine Augen funkelten vor einem Gefühl, das sie nicht ganz einordnen konnte. Wut? Schmerz? Vielleicht beides. Doch er sagte nichts. Stattdessen schob er die Hände wieder in die Taschen und ging weiter.
Der Weg führte sie an der Themse entlang. Das leise Rauschen des Wassers schien die Erinnerungen in ihren Köpfen noch lauter zu machen. Hermine konnte sich nicht dagegen wehren – Bilder aus der Vergangenheit flackerten vor ihrem inneren Auge auf. Der Angriff auf die Brücke, die Schreie der Menschen, das ohrenbetäubende Krachen, als die Dunklen Mächte das Fundament zerstörten. Sie hatte damals kaum Zeit gehabt, Angst zu empfinden. Doch jetzt, in der Stille, fühlte sie sie umso stärker.
Malfoy blieb wieder stehen, diesmal an einem kleinen Park, der fast verlassen war. Er schloss die Augen und atmete tief ein. „Hier haben wir sie damals gefunden", erklärte er, seine Stimme seltsam hohl. „Ein Vater und seine Tochter. Muggel. Sie waren –" Er brach ab, die Worte blieben ihm im Hals stecken.
Hermine wusste, dass sie nicht fragen musste. Sie erinnerte sich an die Berichte, an die Gesichter der Opfer, die sie gesehen hatte, als die Todesser systematisch das Morden angefangen hatten.
„Wir tun das hier unter anderem, um sicherzustellen, dass Todesser endlich die Strafe bekommen, die ihnen zusteht", sagte sie schließlich, ihre Stimme fest. „Und das ist es wert."
Der Zauberer sah sie an, und für einen Moment war seine Maske gefallen. Sie sah die Schuld in seinen Augen, die Schwere dessen, was er trug. Doch dann nickte er, und sie gingen weiter.
~*
Das Malfoy Manor lag vor ihnen, ein unerschütterlicher Monolith, der all die Macht und den Schmerz symbolisierte, den sie beide mit sich trugen. Hermine spürte, wie ihre Hände zitterten, als sie den Eingang erreichten. Es fühlte sich an, als würden sie in den Schlund eines Monsters treten. Doch sie hatten keine Wahl.
Das Malfoy Manor war nicht mehr das gleiche wie in Hermines Erinnerung, und doch schien es, als würde jeder Stein der Fassade ihre Vergangenheit zurückrufen. Es war nicht nur ein Gebäude. Es war eine Bühne gewesen – für Folter, Verrat und Schmerz. So viel Schmerz.
Ihre Schritte wurden langsamer, als sie den langen Kiesweg hinaufgingen, die hohen, schmiedeeisernen Tore hinter sich. Der Frost in der Luft biss in ihre Haut, oder vielleicht war es die Angst, die sie frösteln ließ. Der Malfoy ging vor ihr, und sein Rücken war so angespannt, dass es schien, als könnte er unter der Last seiner eigenen Erinnerungen zusammenbrechen.
„Hermine, ich..." Draco hielt inne und wandte sich halb zu ihr um. Doch er schüttelte den Kopf und sagte nichts weiter. Vielleicht wusste er, dass es keine Worte gab, die ausreichen würden.
Die Gryffindor zwang sich weiterzugehen. Jeder Schritt fühlte sich an, als würde er ein Stück von ihr aufbrechen. Sie dachte daran, wie sie hierhergebracht worden war, gefangen, verängstigt, zu schwach, um sich zu wehren. Sie erinnerte sich an Bellatrix' Wahnsinn, an die Schreie, die sie nicht unterdrücken konnte, und an die brennenden Linien, die der Fluch in ihre Haut geschnitten hatte. Schlammblut.
Denn das war sie. Ein Schlammblut.
Doch heute konnte sie mit Stolz daraufblicken.
Ihr Magen drehte sich um, und sie musste kurz stehen bleiben, um einen tiefen Atemzug zu nehmen. Draco hielt ebenfalls an, drehte sich jedoch nicht zu ihr um. Er stand da, die Hände in den Taschen vergraben, den Blick starr auf den Eingang des Hauses gerichtet.
„Man gewöhnt sich nie an diesen Ort", flüsterte er leise, und es klang nicht wie ein Trost, sondern wie eine düstere Feststellung. „Nicht, wenn man weiß, was hier passiert ist."
Hermine nickte stumm, obwohl sie nicht sicher war, ob er ihre Angespanntheit in diesem Moment sehen konnte.
Einige Augenblicke später, klopfte sie an.
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3 Sekunden vergingen, ehe die schwere Eingangstür des Malfoy Manor lautlos aufschwang. Eine schlanke, blasse Gestalt stand im Rahmen: Narzissa Malfoy. Sie war genauso makellos gekleidet wie immer, aber ihre Haltung war steifer, ihre Augen wachsamer. Es war offensichtlich, dass der Krieg auch sie verändert hatte – vielleicht subtiler als andere, aber dennoch unübersehbar.
Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war wie gemeißelt – unerschütterlich, fast kühl. Doch ihre Augen erzählten eine andere Geschichte.
Sie musterte Draco, ihren Sohn, und für einen Moment wirkte es, als hätte sie die Luft angehalten. Es war fast ein Jahr her, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte, und obwohl er äußerlich kaum verändert war, hatte etwas in seiner Haltung sie aufhorchen lassen. Sein Blick war härter, seine Schultern trugen eine Last, die selbst sie nicht zu benennen wagte.
„Draco", sagte sie schließlich, leise, fast tonlos, doch ihre Stimme zitterte leicht. Sie trat einen Schritt nach vorn, als würde sie ihn umarmen wollen, doch dann hielt sie inne. Stattdessen hob sie nur eine Hand und ließ sie sofort wieder sinken, als hätte sie Angst, er würde zurückweichen.
Draco starrte sie an, und Hermine bemerkte den feinen Muskel, der in seinem Kiefer zuckte. „Mutter", erwiderte er, genauso leise, aber seine Stimme war kontrolliert, fast distanziert.
Die Spannung zwischen ihnen war greifbar. Narzissa trat zur Seite, um ihnen den Eintritt zu gewähren, doch ihre Augen blieben an Draco hängen, als hätte sie Angst, dass er im nächsten Moment wieder verschwinden könnte.
„Es ist lange her", murmelte sie schließlich, als sie ihre Mäntel entgegennahm.
„Ein Jahr", bestätigte Draco knapp. Seine Stimme war kühl, doch Hermine erkannte die Nuancen – die unausgesprochene Schuld, die darin lag.
„Du hättest öfter schreiben können", tadelte Narzissa, und nun war da ein Hauch von Vorwurf in ihrer Stimme.
Der Malfoy sah weg, seine Hände in die Taschen seines Mantels vergraben. „Ich...weiß."
Hermine spürte, wie die Anspannung in Narzissas Haltung wuchs. Doch statt zu antworten, musterte sie ihn erneut, als würde sie versuchen, hinter seine Maske zu blicken. Schließlich schüttelte sie leicht den Kopf, und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als sie sagte: „Mein Sohn, ich bin froh, dass du wieder hier bist. Sogar in Begleitung..."
Sie wandte sich an Hermine, die stumm zugesehen hatte, und nickte knapp. „Miss Granger."
„Mrs. Malfoy", erwiderte Hermine höflich, spürte jedoch, dass sie hier fehl am Platz war.
Narzissas Blick kehrte zu Draco zurück, und diesmal war er weicher, beinahe zerbrechlich. „Schließ doch bitte die Tür. Es ist kalt draußen."
Draco nickte und schloss sie.
Dann atmete er tief ein, als würde er sich auf etwas vorbereiten, und Hermine sah, wie seine Hände sich in den Taschen zu Fäusten ballten.
Narzissa sah ihn noch lange an, auch als sie auf dem Ledersofa im Wohnzimmer –das eher einem Saal glich –Platz genommen hatten. In diesem Moment schien alles, was sie als Mutter empfand, gegen die Frau zu kämpfen, die jahrelang gelernt hatte, nichts zu zeigen.
„Kaffee? Tee?", fragte Narzissa sanft.
„Kaffee bitte", antwortete Hermine automatisch, während Draco sich für Tee entschied.
„Wie trinken sie ihren Kaffee, Miss Granger."
„Zwei Stück Zucker, ohne Milch", antwortete die Gryffindor höflich.
Narzissa lächelte sie leicht an und ließ ihren Blick dann zu ihrem Sohn gleiten.
„Interessant. Wissen sie...", fing sie an, „Draco trinkt seinen Tee ebenfalls mit zwei Stück Zucker."
Narzissas Kommentar, so beiläufig und unauffällig er auch erscheinen mochte, ließ einen Moment lang eine gespannte Stille im Raum entstehen.
Die Malfoy hob elegant die Hand, bevor Hermine oder Draco antworten konnten, und klatschte einmal kurz in die Hände. Ein leises Plopp ertönte, und ein kleiner, gebeugter Hauself erschien mit einem leisen Winseln vor ihnen. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, seine Ohren groß und aufragend spitz, doch seine Augen funkelten aufmerksam.
„Winky", sagte Narzissa ruhig, ohne ihre Haltung auch nur einen Hauch zu verändern. „Bringe uns bitte Tee und Kaffee. Zwei Stück Zucker, ohne Milch für Miss Granger. Dasselbe für Draco. Ich nehme meinen Tee wie gewohnt."
Der Hauself verbeugte sich tief. „Ja, Hausherrin. Natürlich Hausherrin." Mit einem weiteren Plopp war er verschwunden.
Die Brünette fühlte, wie die Stille, die dem Verschwinden des Hauselfen folgte, sich wie eine zähe Masse im Raum ausbreitete. Ihr Herz klopfte schneller, und sie konnte nicht verhindern, dass ihr Blick kurz zu Draco wanderte. Doch er rührte sich nicht, sein Blick war weiterhin auf den Boden gerichtet, seine Hände ruhten reglos auf den Armlehnen des Sessels.
Narzissas Blick glitt unmerklich zwischen den beiden hin und her, fast so, als würde sie die Spannung im Raum brechen wollen – oder es zumindest versuchen. Schließlich sprach sie wieder, ihre Stimme kühl und kontrolliert: „Früher hat Draco darauf bestanden, dass es genau zwei Stück Zucker sind, sonst warst du unausstehlich."
Der Slytherin hob langsam den Kopf, seine grauen Augen trafen die seiner Mutter. Sein Gesicht war undurchdringlich, eine perfekte Maske, doch Hermine konnte die feine Anspannung in seiner Haltung erkennen.
„Es sind nur Gewohnheiten, Mutter", sagte er schließlich, seine Stimme leise, aber mit einem messerscharfen Unterton. „Gewohnheiten, die man sich aneignet, um mit bestimmten Dingen fertig zu werden."
Narzissas Lächeln vertiefte sich, doch es erreichte ihre Augen nicht. „Oh, ich bin mir dessen bewusst."
Noch bevor Hermine etwas sagen konnte, tauchte der Hauself mit einem erneuten Plopp wieder auf, ein Tablett mit drei Tassen balancierend. Der Duft von frisch aufgebrühtem Tee und Kaffee breitete sich im Raum aus, als der Hauself die Getränke servierte.
„Vielen Dank, Winky",antwortete Narzissa, ohne den Block von ihren Gästen zu nehmen, und der Hauself verneigte sich erneut tief, bevor er verschwand.
Hermine griff vorsichtig nach ihrer Tasse und spürte, wie die Wärme des Kaffees durch ihre Finger strömte. Sie nippte daran, vielmehr, um sich eine Beschäftigung zu geben. Die Spannung zwischen Draco und seiner Mutter war fast greifbar, als die Hexe die Tasse miteinander leisen Klirren auf den Tisch vor sich abstellte. Irgendwie fühlte sich Hermine wie ein ungebetener Gast in einem Krieg, dessen Frontlinien sie nicht ganz verstand.
Der Malfoy Erbe nahm ebenfalls einen Schluck von seinem Tee, bevor er seine Mutter mit einem warmen Blick fixierte.
Die Gryffindor griff fast unbewusst erneut nach ihrer Kaffeetasse, ihre Finger zitterten leicht, als sie den Rand berührten. Sie spürte, wie ihre Kehle trocken wurde, und zwang sich, einen Schluck zu nehmen, nur um etwas zu tun. Zwei Stück Zucker. Ein Zufall. Natürlich. Aber die Art, wie Narzissa es gesagt hatte – mit einer ruhigen Präzision, fast wie eine beiläufige Feststellung, die jedoch eindeutig nicht beiläufig gemeint war – ließ Hermines Gedanken rasen.
War es eine absichtliche Geste gewesen? Ein Test? Ein Versuch, die Spannung im Raum zu lockern, oder vielleicht, sie zu erhöhen? Hermine konnte es nicht genau sagen. Doch sie fühlte sich, als würde sie gerade aus nächster Nähe beobachtet, analysiert, gewogen – und möglicherweise für zu leicht befunden.
Draco saß währenddessen völlig reglos auf seinem Platz. Seine Schultern, die bis eben noch vor Anspannung leicht nach vorne geneigt gewesen waren, wirkten jetzt steif wie Stein. Sein Blick war auf die dampfende Teetasse in seinen Händen gerichtet, als könnte er sich damit von der Situation loslösen. Aber Hermine konnte sehen, dass etwas an ihm arbeitete.
Sie kannte ihn mittlerweile lange genug, um die feinen Nuancen seiner Reaktionen zu lesen. Es war nicht bloß die Unbeholfenheit, wieder in diesem Haus zu sein. Es war etwas Tieferes. Vielleicht ein Hauch von Scham, vielleicht eine Spur Wut – oder beides, ineinander verwoben, wie so oft bei ihm.
Die Hexe musterte ihren Sohn einen Moment länger, ihre hellen Augen unnachgiebig, aber nicht kalt. Sie war sich der Wirkung ihrer Worte immer bewusst. Das war klar. Hermine hatte den Eindruck, dass sie die Anspannung in Draco ebenso spürte wie Hermine selbst.
Aber warum? Hermine fragte sich, ob Narzissa ihn bewusst herausforderte, ihn zu einer Reaktion zwingen wollte, um hinter die sorgfältig aufgebaute Mauer zu blicken, die Draco um sich gezogen hatte. Vielleicht war es ein verzweifelter Versuch, wieder Zugang zu dem Menschen zu finden, der einst ihr Sohn gewesen war.
Doch für Hermine fühlte es sich wie eine stille Konfrontation an, und sie selbst war ein stiller Beobachter – unfreiwillig, aber ebenso gefangen in der Dynamik zwischen den beiden Malfoys.
Draco hob schließlich den Blick und sah seine Mutter an, sein Gesicht eine Maske aus Gelassenheit. Aber Hermine konnte die winzigen Anzeichen dafür sehen, dass etwas in ihm brodelte: die fast unmerkliche Bewegung seines Kiefers, der Rhythmus seines Atems, der etwas schneller geworden war.
Narzissa nahm einen kleinen Schluck aus ihrer Teetasse, stellte sie ab und lehnte sich ein wenig nach vorne. Ihr Blick glitt über Draco, und für einen Moment schien jede Kälte aus ihren Zügen gewichen. Ihre Stimme war sanft, als sie sprach:
„Weißt du, Draco... ich habe dich wirklich sehr vermisst."
Malfoy hob den Kopf, und für einen Augenblick schien er nicht zu wissen, wie er darauf reagieren sollte. Sein Blick ruhte auf ihr, suchend, unsicher. „Das habe ich auch Mutter. Sehr, „ erwiderte er schließlich, seine Stimme leiser, weniger scharf als zuvor.
Narzissa ließ sich davon nicht beirren. Sie legte ihre Hände in ihren Schoß, ihre Finger spielten leicht mit dem Rand ihres Seidenkleides, ein winziges Zeichen ihrer inneren Unruhe. „Ich wusste, dass du gehen musstest. Dass London für dich nicht mehr... erträglich war. Ich habe es gesehen, Draco. Ich habe gesehen, wie du dich selbst gequält hast."
Der Malfoy Spross wandte den Blick ab, und seine Kiefermuskeln spannten sich. „Es war keine Wahl, die ich leicht getroffen habe."
„Das weiß ich", antwortete Narzissa sanft. „Aber ich habe es verstanden. Es hat wehgetan, dich gehen zu sehen, aber ich wusste, dass es notwendig war. Manchmal muss man jemanden loslassen, um ihn nicht zu verlieren."
Die Stille, die sich ausbreitete, war nicht unangenehm, sondern diesmal gefüllt mit unausgesprochenen Emotionen. Narzissas Gesicht zeigte keine Härte mehr, nur die unverkennbare Zärtlichkeit einer Mutter, die ihre eigenen Fehler und die ihres Sohnes akzeptiert hatte.
„Du warst der einzige Grund, warum ich geblieben bin", gab Draco plötzlich zu, seine Stimme so leise, dass Hermine sie kaum hören konnte. „Aber irgendwann... konnte ich das hier nicht mehr ertragen."
Narzissas Lippen zuckten, als wollte sie etwas sagen, doch sie hielt inne. Stattdessen nickte sie langsam, als würde sie ihn für seinen Schmerz anerkennen.
Dann richtete sie sich ein wenig auf und wandte sich an Hermine, die bis dato stumm geblieben war. „Miss Granger", begann sie, ihre Stimme wieder gefasst, aber freundlich, „Sie und mein Sohn – Sie haben einiges miteinander durchgemacht, nicht wahr?"
Die Brünette pürte, wie ihre Wangen leicht warm wurden, doch sie nickte. „Das kann man wohl sagen", antwortete sie vorsichtig.
Narzissas Blick blieb neugierig, aber nicht unangenehm durchdringend. „Es ist... überraschend, Sie beide zusammen zu sehen. Aber zugleich auch nicht ganz unerwartet. Mein Sohn hatte immer schon eine Vorliebe für intelligente Gesellschaft."
Draco schnaubte leise, aber Hermine antwortete höflich: „Die Umstände haben uns wohl dazu gezwungen, einander besser zu verstehen."
„Das glaube ich", erwiderte Narzissa mit einem kleinen Lächeln. „Aber ich frage mich, Miss Granger... was genau hat Sie dazu gebracht, meinem Sohn zu vertrauen?"
Hermine war kurz sprachlos. Die Frage war direkt, aber nicht feindselig. Sie suchte nach den richtigen Worten, während Draco sie schweigend ansah, offensichtlich gespannt auf ihre Antwort.
„Es war nicht einfach", gab Hermine zu, ihre Stimme ruhig. „Aber... er hat mir gezeigt, dass er vertrauenswürdig ist. Er hat sich bewiesen."
Draco sah sie an, sein Blick für einen Moment weich, bevor er wieder die vertraute Maske der Gleichgültigkeit aufsetzte. Narzissa nickte langsam, als wäre sie zufrieden mit dieser Antwort, doch ihr Blick wanderte noch einmal zwischen den beiden hin und her.
„Das freut mich zu hören", erwiderte sie schließlich. „Ich hoffe, dass Sie einander weiterhin eine Stütze sind. In diesen Zeiten ist das wichtiger denn je."
Sie nahm ihre Tasse wieder in die Hand und betrachtete Hermine mit einem fast neugierigen Lächeln. „Sagen Sie, Miss Granger... was machen sie beruflich, wenn ich fragen darf?"
„Ich arbeite in der magischen Forschung, genauer gesagt bin ich auf magische Artefakte spezialisiert."
„Das ist wirklich eine Interessante Berufung...wenn auch nicht ganz ungefährlich. Aber was ist das Leben schon, ohne ein wenig Risiko, nicht wahr?"
Der jungen Hexe entkam ein ehrliches Lachen: „Da haben sie recht."
„Hermine, ist wirklich gut in dem was sie tut...neulich fand sie ein ganz besonderes Artefakt. Und es ist, wenn ich ehrlich sein darf, einer von vielen Gründen gewesen, dich zu besuchen", fing Draco an.
„Wir...", die Gryffindor sammelte sich einen Moment, ehe sie fortfuhr, „hatten gehofft, dass sie uns vielleicht weiterhelfen könnten."
„Das täte ich liebend gern, aber ich denke nicht, dass ich mich sonderlich mit alten Artefakten auskenne."
Draco presste seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, ehe er die Bombe platzen ließ: „Es gehörte unserer Familie. Ein...ein Ring. Ich behaupte, dass er einst dir gehört hat?"
Hermine holte tief Luft, griff in die Innentasche ihrer Tasche und zog den Ring hervor. Er lag in ihrer Handfläche, schlicht, aber mit einer seltsamen Präsenz, als hätte das Stück Metall ein eigenes Leben. Das Licht im Raum schien sich daran zu brechen, ein dunkler Schimmer glitt über die Oberfläche.
Narzissas Augen weiteten sich, und für einen Moment schien sie den Atem anzuhalten. Ihre Haltung blieb aufrecht, doch ihr Blick sprach Bände – Überraschung, Verwunderung, vielleicht sogar ein Hauch von Furcht. Sie trat einen Schritt näher, ihr Blick starr auf den Ring gerichtet.
„Draco..." Ihre Stimme war leise, fast zittrig, aber dennoch beherrscht. „Wie genau kam er zu euch."
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Draco's Mutter betrachtete den Ring lange, als würde sie versuchen, die Vergangenheit darin zu lesen. Ihre schmalen Finger schwebten über dem dunklen Metall, bevor sie ihn schließlich sachte auf dem Tisch ablegte.
„Dieser Ring", begann sie langsam, „wurde immer gut beschützt. Früher, als... als die Todesser aktiver denn je waren, galt er als ein Schlüssel zu einem geheimen Stützpunkt. Einem Ort, der verborgen bleiben musste, sogar vor vielen innerhalb ihrer Reihen."
Hermine runzelte die Stirn. „Ein Stützpunkt? Wozu?"
Narzissas Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie, und sie schien einen Moment zu zögern, bevor sie weitersprach. „Es gab einige unter den Todessern, die nicht direkt am Krieg teilgenommen haben. Nicht auf dem Schlachtfeld, jedenfalls. Sie arbeiteten im Verborgenen, schmiedeten Pläne, wie sie neue Anhänger gewinnen könnten. Manche von ihnen entwickelten sogar... Notfallpläne. Für den Fall, dass der Dunkle Lord fallen sollte."
Draco, der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, riss den Blick vom Ring los und starrte seine Mutter an. „Notfallpläne?" fragte er, seine Stimme schneidend.
Narzissa nickte, ihr Gesicht so undurchdringlich wie immer. „Ja. Aber ich weiß nicht viel darüber. Ich... war nie wirklich in diesen Kreisen. Lucius wusste immer mehr, doch er hat kaum etwas davon mit mir geteilt. Vielleicht, weil er mich schützen wollte. Vielleicht, weil er dachte, ich müsste es nicht wissen."
Der Zauberer lehnte sich zurück, seine Augen verengten sich leicht. „Und der Ring war der Schlüssel zu diesem Ort? Warum hast du mir nie davon erzählt?"
Seine Mutter sah ihn an, ihre Haltung fest, aber ihre Stimme war ruhig, fast sanft. „Weil du ein Kind warst, Draco", sagte sie schlicht. „Manche Dinge erzählt man Kindern nicht. Und dann, als der Krieg begann, geriet der Ring in Vergessenheit. Es gab andere Prioritäten, andere Gefahren. Als dein Vater schließlich inhaftiert wurde, kamen die Auroren. Sie beschlagnahmten eine Vielzahl dunkler Artefakte aus dem Manor."
Hermine, die bis dahin aufmerksam zugehört hatte, fragte nach: „Und Sie denken, der Ring war darunter?"
„Das nehme ich an", antwortete Narzissa, ihre Augen wanderten wieder zu dem kleinen Schmuckstück auf dem Tisch. „Ich habe nie danach gesucht. Nach dem Krieg wollte ich nichts mehr mit diesen Dingen zu tun haben. Vielleicht war es naiv von mir, zu glauben, dass das Kapitel abgeschlossen war."
Draco lachte bitter. „Naiv?" wiederholte er, seine Stimme voller Ironie. „Es war nicht naiv, Mutter. Du wolltest es vergessen, und das verstehe ich, mehr als sonst irgendjemand."
Narzissas Augen wurden schmal, und für einen Moment blitzte etwas in ihnen auf – vielleicht Schmerz, vielleicht Wut. Doch sie hielt sich zurück. Stattdessen richtete sie sich noch gerader auf.
„Mag sein", sagte sie kühl. „Aber jetzt ist der Ring wieder hier. Und wenn er tatsächlich der Schlüssel zu diesem Ort ist..."
„... dann könnte er zu etwas führen, das niemand mehr finden sollte", vollendete Hermine den Gedanken. Aber sie sollten es finden. So könnten sie womöglich die Intentionen der Todesser erfahren. Was genau sie planten.
Eine schwere Stille legte sich über den Raum, und das leise Ticken einer Standuhr irgendwo im Hintergrund schien lauter, drängender zu werden.
Der Slytherin starrte den Ring an, als würde er ihn mit seinem Blick durchbohren wollen. „Hast du jemals versucht, herauszufinden, was Vater dort wirklich getan tat?" fragte er schließlich.
Narzissas Gesicht wurde einen Moment weicher, doch ihre Stimme blieb beherrscht. „Nein. Ich habe genug gesehen, um zu wissen, dass ich nicht mehr sehen wollte."
Hermine, die inzwischen ihre Gedanken ordnete, sagte nach einem Moment: „Dann müssen wir es herausfinden. Wenn es tatsächlich Pläne gibt, die noch immer in Kraft sind... oder Artefakte, die nie gefunden wurden..."
„... dann könnte das gefährlicher sein, als wir ahnen", ergänzte Draco, sein Blick nun ernst.
Narzissa nickte langsam, fast widerwillig. „Seid vorsichtig", warnte sie leise. „Dieser Ring hat nicht ohne Grund so lange überlebt. Und er hat nicht ohne Grund den Weg zurück ins Manor gefunden."
„Wie sollten diesen Stützpunkt ausfindig machen...die Situation in London ist bereits verheerend, nicht wahr Mutter? Wie viele unverurteilge Todesser sind auf freiem Fuß und streifen –während wir hier untätig rumsitzen, durch London?"
„Ihr habt davon gehört." Schock machen sich in Narzissa Malfoys Zügen bemerkbar.
„Einige sind bereits in New York auf der Suche nach Anhänger. Einen von ihnen konnten wir aufhalten, als er Hermine vor wenigen Tagen öffentlich angriffen hat."
„Ich...hatte keine Ahnung, Draco. Hier wird nur getuschelt, der Tagesprophet schreibt nicht darüber. Aber es wurden einige „Unfälle" gemeldet. Tote...Angriffe auf Askaban, beinahe täglich", berichtete Draco's Mutter besorgt.
„Mir gefällt das nicht Draco. Ihr solltest es den Auroren überlassen."
„Tut mir Leid Mutter, aber das können wir nicht...hätten die Auroren es im Griff, käme es nicht zu Angriffen. Die Todesser werden sich gegenseitig finden. Die Frage ist nicht ob, sondern wann sie es tun werden. Und ich werde alles Macht Stehende tun, damit es nicht erneut zum Krieg kommt."
tbc...
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