10.Bekannte Unbekannte
Ich kauerte nun schon seit einer Weile in der einen Ecke des Raumes, während der hellhaariger Junge in der Mitte vom Zimmer saß und sich an der Wand angelehnt hatte. Der Regen hörte immer noch nicht auf und ich starrte schon einige Minuten lang aus dem kleinen verschmutzten Fenster, der sich über mich befand. Meine Motorsäge hatte ich während meinem Aufenthalt in diesen Raum auch schon wieder bei mir gehabt und umarmte sie, damit ich mich irgendwie wärmen konnte. Ich hatte mit dem fremden Jungen kein Wort mehr geredet, nachdem wir uns vorgestellt hatten.
Akira.
Je mehr ich über diesen Namen nachdachte, desto mehr wollte ich wissen, wieso er mir so bekannt vorkam. Natürlich war er höchstwahrscheinlich nicht der einzige Mann mit diesen Namen, aber trotzdem hatte ich so ein Gefühl, als hätte ich ihn schon einmal tief in meinem Herzen geschlossen. Es fühlte sich so an, als hätte ich etwas ganz wichtiges vergessen, aber einfach nicht wusste was. Ich wollte das jedoch auch nicht unbedingt versuchen herauszufinden und gab mein bestes dieses Gefühl zu ignorieren. Wahrscheinlich bedeutete es nichts. Ich wollte sowieso nicht mehr an meine Vergangenheit denken, denn es hatte sehr lange gedauert, bis ich sie endlich ausschließen und ich mich gar nicht mehr richtig daran erinnern konnte.
Auf einmal hörte ich Schritte. Mein Bauch krampfte sich zusammen und ich drückte mich immer mehr gegen die Wand. War es vielleicht Gunji? Suchte er etwa immer noch nach mir? Akira kroch lautlos auf meine Seite und starrte in die Richtung der Tür in einer Angriffsposition. Eine schlanke große Gestalt betrat auf einmal den Raum und der Hellhaariger nahm seinen Messer in seine Hand. Mit einer schnellen Bewegung griff er den Unbekannten an. Dieser fiel mit einem kurzen entsetzten Schrei auf den Holzboden. Dann hielt Akira seine Waffe gegen seinem Hals. Genau so, wie bei mir vor Kurzem. Abgesehen davon, dass sein Angriff auf mich viel hinterhältiger war als auf diesen Unbekannten.
»Du?«, hörte ich nun Akira verwundert fragen. Er entfernte seine Waffe schnell vom Typen. Ich starrte die beiden Männer verwirrt an. Was war los? Kannten sie sich?
»Keisuke?«
Ja, sie kannten sich.
Akira stand nun auf und musterte Keisuke auf dem Holzboden. »A-Akira?«, fragte dieser zögerlich und fasste sich an diese Stelle an seinem Bauch, an dem Akira ihn vor Kurzem getreten hatte. Akira steckte seine Waffe wieder zurück in deren Scheide, der an seinem Gürtel an der Hinterseite seiner Jeans befestigt gewesen war.
»Was machst du denn hier?«
Wie ich in dieser Dunkelheit erkennen konnte, besaß der Freund von Akira kurze Haare, jedoch konnte ich deren Farbe und auch seine Augenfarbe nicht identifizieren.
»Ich dachte, du könntest vielleicht hier drin sein«, murmelte Keisuke.
Ich versuchte das Gespräch von den Beiden nicht mehr zuzuhören, aber ich konnte ihre Stimmen nicht ausschließen.
»Das habe ich nicht gemeint«, meldete sich nun Akira wieder zu Wort.
»Ich habe mir eben Sorgen um dich gemacht..«
Ja, ich hatte mir genau so viel Sorgen um Rin vor ein paar Tagen gemacht.
»Also bist du mir gefolgt?« Die Stimme von Akira hörte sich wirklich ernst an.
Sein Freund bejahte und der Silberhaariger seufzte kurz. Er wollte bestimmt nicht, dass sich dieser Junge an diesem Ort aufhielt. Ich verstand ihn aber auch, denn ich hätte an seiner Stelle auch nicht gewollt, dass eine Person, die mir wichtig war, so viel Leid erfahren müsste. So wie ich. Nicht lange dauerte es, bis Akira seinem Freund vom Boden aufhalf und die beiden sich weiterhin unterhielten.
»Na wenigstens geht es dir gut«, erwähnte der Hellhaariger. Ich musste bei dem Ansehen von den Beiden irgendwie lächeln. Ich wünschte, ich hätte so jemanden auch jemals gehabt. Es fühlte sich bestimmt toll an, wenn jemand sich um einen so viel sorgte und sogar noch bis zu diesem schrecklichen Ort folgte.
»Na ja, ich bin wirklich in Schwierigkeiten geraten, aber konnte noch wegrennen und entkommen«, erzählte ihm der braunhaariger Junge. Zum Glück hatte er es geschafft!
Wieder einmal seufzte Akira. »Du solltest nicht hier sein«, teilte er seinem Freund mit.
Ich fühlte mich etwas einsam.
Wieso hatte ich nie so einen guten Freund gehabt?
»Aber ich dachte, wenn ich dir irgendwie helfen könnte, dann..«
Hier konnte man keinem helfen. Wer einmal hier landete, war es egal, ob er Hilfe bekommen würde oder nicht. In Toshima war das alles egal, weil es von hier eh kein Entkommen mehr gab, wenn man sich bei der Igura schon angemeldet hatte.
»Das hier ist kein Spiel. Ich brauche deine Hilfe nicht«, verkündete Akira und war dabei sich wieder auf seinem vorherigen Platz hinzusetzen.
»Ich werde nicht gehen! Ich weiß nicht mal, wie ich zurückkomme.« Wieder kehrte Stille zwischen den Beiden ein, bis Keisuke weitersprach. »Ich gehe nicht zurück.«
Ich wäre an seiner Stelle gleich nach Hause gelaufen. Ja, ich hätte sogar genau in diesen Moment Toshima verlassen, aber ich musste unbedingt abwarten, dass die restlichen Tage vorbeigingen und ich endlich meine Geldbelohnung kriegen konnte.
»Mach was du willst.« Akira willigte letztendlich ein und lehnte sich gegen die Wand, als er sich hinhockte.
»Ehm...okay«, murmelte nun wieder mal Keisuke. Seine Antwort hörte sich wirklich unsicher an, aber er wollte anscheinend wirklich unbedingt bei seinem Kumpel bleiben. Ja, das verstand ich in irgendeiner Weise. Oder zumindest versuchte ich ihn zu verstehen. Ich selbst hatte ja keine Person, für der ich sogar an diesem grausamen Ort geblieben wäre.
»Danke, Akira«, sagte er noch, bevor wieder Stille zwischen ihnen einkehrte.
Auf einmal richtete der Kurzhaariger seine Aufmerksamkeit auf mich und gab mir einen komischen Gesichtsausdruck, welchen ich nicht identifizieren konnte. Wieso schaute er mich so an?
»Hey, ist zwar nicht wirklich wichtig, aber ich glaube ich stelle mich auch mal vor. Ich bin Hotaru.«
Der Angesprochene nickte kurz und setzte sich zögerlich neben mich, aber zum Glück nicht zu nah. Ich hatte eigentlich noch keine Ängste von dem männlichen Geschlecht, aber ich wollte trotzdem nicht, dass mir ein Mann zu nah kam. "
»Ich bin Keisuke«, stellte sich auch der Freund von Akira vor.
Ich gab mein bestes zu lächeln. Auch, wenn es mir unheimlich schwer fiel.
Keisuke und Akira.
War es etwa Zufall, dass ich wieder dieses Gefühl bekam, dass ich etwas ganz wichtiges vergessen hatte? Kannte ich die beiden etwa doch schon von irgendwo? Hatte ich sie schon mal irgendwo gesehen? Oder irrte ich mich nur wieder mal? Ich wusste es nicht und ich war mir nicht sicher, ob ich es überhaupt herausfinden wollte. Meine Vergangenheit musste unberührt bleiben, denn ich hatte mit ihr nichts mehr zu tun. Damals blieb damals und ich musste nichts mehr von Anfang an erleben. Keine Schmerzen. Keine Trauer. Keine Tränen. Auch, wenn in diesen Moment wieder durch die Hölle gehen musste. Auch, wenn ich nach diesen Vorfall mit Gunji einen Psychologen aufsuchen musste. Auch, wenn sich das ganze wegen dem Geld gar nicht gelohnt hatte. Man lebte aber nur einmal und da machte man halt zwischendurch Fehler.
Auch, wenn mich dieser Fehler zu zerstören schien.
Keisuke's Augen widerspiegelten Sorgen. Als hätte er mir noch etwas sagen wollen, aber am Ende redete er nicht und lehnte sich gegen die Wand. Wieso sah er mich denn nur so an? Und wieso war ich wieder den Tränen nahe? Am Ende stellte sich doch nur heraus, dass ich schwach war. Ich konnte nicht mal meine Gefühle unter Kontrolle halten. Aber obwohl ich schwach war, hatte ich bisher fünf Tage in Toshima überlebt. Das konnten bestimmt viele Leute nicht von sich behaupten. Wenn das noch nicht reichte, konnte ich von Gunji schon zweimal entkommen. Eine gute Sache an mir gab es doch noch, und zwar gab ich nie auf. Ich würde immer wieder aufstehen und kämpfen. Ja, ich war kein hilfloses kleines Mädchen mehr von damals.
Ich war endlich aufgewachsen.
Am nächsten Morgen wachte ich darauf auf, dass Akira seine Jacke anzog. Ich starrte ihn dabei verschlafen an. Seine Haare waren silber und seine Augen waren blaugräulich. Ich musste zugeben, dass er ein schönes Gesicht besaß. Mein Blick schweifte auf den anderen Jungen, der auch seine braunen Augen nun offen hatte. Er hatte braune kurze Haare. Außerdem schien auch er ein schönes Gesicht zu besitzen. "
»Akira?« Der Braunhaariger klang etwas verschlafen.
»Ich muss los«, informierte uns der Silberhaariger. Nun stellte sich auch Keisuke auf seine Beine.
»Wohin willst du?«
Ich streckte mich kurz und starrte aus dem kleinen verschmutzten Fenster rechts von mir, während die beiden Jungs weiterhin redeten. Es schien nicht mehr zu regnen und ich atmete erleichtert aus. Nur noch zwei Tage.
»Zu Igura natürlich. Schließlich habe ich ein paar dieser Anhänger.«
Ich starrte nun wieder zu den beiden. Ach ja, ich wusste gar nicht, wieso Akira nach Toshima gekommen war.
»Wenn man dabei verliert, stirbt man, oder?« Keisuke schaute wirklich besorgt und traurig aus.
»Sagte ich das nicht bereits? Das ist nicht nur irgendein harmloses Spiel. Ich werde auch andere töten müssen«, teilte ihm Akira mit.
Ich hatte noch niemanden hier töten müssen. Ich kämpfte einfach nur gegen den anderen Spielern, bis sie kampfunfähig waren und nahm ihnen dann ihre Marken ab.
»Töte oder werde getötet. So lautet hier die Regel. Sollte ich den Besten hier, Il Re, nicht besiegen, werde ich auch nicht hier wegkommen.«
Il Re? Rin meinte doch auch, dass er hier wäre, weil er Il Re töten wollte. Wer war dieser Il Re überhaupt? Akira meinte, er sei der Beste hier, also war ich bestimmt noch nicht auf ihn getroffen, sonst wäre ich ja schon längst tot gewesen.
»Ich komme mit!«, verkündete Keisuke.
Keisuke schien Akira überhaupt nicht alleine lassen zu wollen.
»Auf keinen Fall. Bist du überhaupt bewaffnet?«
»Ich will hier nicht ganz alleine auf dich warten!«
Akira seufzte wieder Mal und reichte seinem Freund seine Waffe.
»Nimm das.«
Keisuke nahm das Messer zögerlich entgegen und schaute wieder einmal besorgt zu Akira. »Eh? Und du Akira? Hast du denn noch ein Messer?«
Ich stellte mich langsam auch auf. Auch ich musste mich wieder auf den Weg zur Tauschstelle machen.
»Aber was machst du da-«, setzte Keisuke an, aber wurde von Akira unterbrochen.
»Keisuke! Versprich mir etwas! Tu alles was nötig ist, um dein eigenes Leben zu schützen.«
Der Braunhaariger nickte kurz.
»Okay. Verstanden.«
Akira begann nun zur Tür zu gehen und sein Freund folgte ihm leise, bevor er wieder stehen blieb und seinen Blick auf mich richtete.
»Warte Akira!«
Der Blaugrauäugiger blieb auch stehen und schaute zu uns.
»Willst du nicht mit uns mitkommen?«, fragte mich Keisuke, aber ich schüttelte bloß meinen Kopf und versuchte so gut wie ich nur konnte zu lächeln, was mir nicht wirklich gelang.
»Nein, aber wirklich nett von dir dass du mich gefragt hast.«
Er schaute mich wieder mit diesen besorgten Gesichtsausdruck an. Und wieder schien es so, als hätte er noch etwas sagen wollen, aber er bleib wieder einmal still. Ich verstand ihn einfach nicht. Wenn er etwas zu sagen hatte, dann durfte er ja reden, also wieso machte er es dann nicht? Jedoch schien er auch schüchtern und zurückgezogen zu sein, also war ich ihm deswegen nicht wirklich böse.
Ich verabschiedete mich dann letztendlich von den beiden Jungs und machte mich auf den Weg zur Tauschstelle. Ich wollte nicht noch mehr Zeit mit ihnen verbringen, weil ich Angst hatte, dass ich deswegen nur noch mehr an meine Vergangenheit denken würde. Ich wollte nicht, dass sie wieder hochkommt und mich noch mehr belästigt, denn es war schon schwer genug sie nach all diesen Jahre tief in mir zu verbergen.
Ich holte das kleine Fläschchen mit der komischen Flüssigkeit heraus und hielt sie nach oben, damit ich sie besser sehen konnte. Ich war wirklich neugierig. Was sich wohl darin befand? Sollte ich sie trinken? Einige Zeit lang starrte ich die Flüssigkeit in dem Behälter skeptisch an, bis ich die Flasche wieder in meiner Hosentasche verschwinden ließ und meinen Weg zur Tauschstelle fortsetzte.
Vielleicht konnte ich dort jemanden fragen, was es mit dieser Flüssigkeit auf sich hatte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top