Kapitel 58
Ein leises Grollen lässt mich allmählich aus meinem Traum erwachen. Schnell wird es lauter, holt mich aus meiner vom Schlaf verzerrten Wahrnehmung. Es dröhnt in meinen Ohren.
Panisch reiße ich meine Augen auf. Im finsteren Zimmer erkenne ich nur Daytons Schatten, der aus dem Bett schnellt. Hektisch greift er meine Hand und zerrt mich ebenfalls von der Matratze. Dann sehe ich es. Dann sehe ich sie.
Schreie dringen zu uns durch.
Die Narbe an meinem Hals pulsiert, pures Adrenalin peitscht durch unsere Adern. Trotz des Lärms, nehme ich nur noch das Rauschen meines eigenen Blutes in meinen Ohren wahr.
Durch den Spalt der Vorhänge sehe ich die Arme Vampire am Rand der Lichtung und die Wölfe an der Feuerstelle. Bereit zu kämpfen. Bereit zu töten.
Dayton drückt mir ein Fleischermesser in die Hand.
Wortlos sehen wir uns an.
Dann wandern unsere Blicke zum Fenster. Wie auf ein unsichtbares Zeichen, stürmen die Kämpfer aufeinander los.
Das Schlachten hat begonnen und wir sind mitten in der Schlacht.
“Wir müssen ihnen helfen”, kreische ich hysterisch , während Dayton angespannt und konzentriert das Szenario beobachtet.
“Wir müssen dich in Sicherheit bringen."
Seine Stimme klingt so sehr viel härter als sonst.
“Aber wie sollen wir denn hier wegkommen?”, frage ich zitternd.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen lässt Dayton den Blick prüfend durch die Hütte wandern.
“Wir müssen hinten durchs Fenster und sofort in den Wald.”
Ich weiß gar nicht, was ich darauf erwidern soll. Mein Kopf ist völlig leer und mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
“Was passiert, wenn ... wenn sie uns schnappen?”
Meine Stimme ist kaum mehr als ein ängstliches Wimmern.
“Dann töten sie uns.”
Ich fühle geradezu, wie die Luft aus meiner Lunge weicht. Solch eine Angst hatte ich noch nie zuvor gespürt.
Hastig drückt mich Dayton flacher zum Boden und schiebt mich durchs Zimmer.
“Steig durchs Fenster und lauf wie der Teufel in den Wald. Ich bin bei dir, okay?”, erst als ich nicke, spricht er weiter, “Bleib nicht stehen, egal was passiert!”
Dann reicht er mir die Hand und hilft mir dabei, aus den kleinen Fenster zu klettern.
Es ist niemand hier hinten. In meinen Ohren rauscht es. Kurz schaue ich zurück, im sicher zu sein, dass Dayton bei mir ist. Da greift er schon meine Hand und zieht mich mit sich.
Hand in Hand hechten wir in Richtung Wald.
Das Adrenalin treibt mich an. Kalter Angstschweiß steht auf meiner Stirn. Das Jaulen, Schreien und Heulen schmerzt quälend. Das Rudel im Stich lassen zu müssen, jagt mir einen grausamen Schauer über den Rücken.
Plötzlich spüre ich etwas. Meine Narbe sticht. Zudem kann ich fühlen, wie Daytons Muskeln sich zusammenziehen. Abrupt stoppt er.
“Mein Vater! Er braucht Hilfe!”
“Geh! Ich verstecke mich im Unterholz. Los!”
Für den Bruchteil einer Sekunde steht unsere Welt still. Inmitten des unerbittlichen Kampfs gibt es für einen Atemzug nur Dayton und mich. Sein Zweifel der Blick trifft meinen. Wir versinken in den Augen des Anderen. Es ist vollkommen.
“Los, rette Jacob!”
“Ich liebe dich”, haucht er.
Dann wandelt Dayton seine Gestalt, verharrt einen weiteren, kurzen Moment und läuft zurück zur Siedlung.
Wie besprochen renne so schnell mich meine Beine tragen in den Wald. Die kühle Luft brennt in meiner Kehle. Niemals zuvor war mir das Alleine sein so bewusst wie jetzt. Ich muss es schaffen zu fliehen, alleine, ohne zu wissen, wie es Dayton geht.
Aber ich werde es schaffen und ich werde in meinem Versteck auf ihn warten. Ich muss es schaffen, für mich, für Dayton ... für uns.
Hektisch sehe ich mich um, sehe Wald, nichts als Bäume und Büsche.
Ich weiß nicht wohin aber mein Impuls sagt mir, dass ich einfach immer weiterlaufen soll.
Vor mir sehe ich nur noch grün. Unter meinen Füßen zersplittern trockene Äste, während ich mich panisch und angsterfüllt in eine zweifelhafte Zuflucht stürze, wobei ich fieberhaft versuche, tiefhängendem Gestrüpp auszuweichen.
Schmerzhaft schlagen mir dünne Zweige entgegen, als würden Peitschenhiebe auf mich herab schnellen. Doch ich zügeln meine Geschwindigkeit erst, als ich das Dorf längst nicht mehr sehen kann.
Meine Beine sind so zittrig, dass ich befürchte, sie werden jede Sekunde nachgeben. Mein Mund ist schrecklich trocken und in meinem Kopf ist nur Platz für einen einzigen Gedanken, Dayton.
In mir tobt es.
Ich habe immer noch fürchterliche Angst.
Meine Gefühle vermischen sich so stark mit den Empfindungen, die ich von Dayton spüren kann, dass ich keinen Gedanken fassen kann. Eine zermalmende Menge wildem Zorns, gepaart mich Trauer, Furcht, Verzweiflung und Hoffnung strömen auf mich ein.
Da ich befürchte, die Kontrolle zu verlieren, schaue ich mich nach einem Unterschlupf um. Mein Inneres droht mich zu zerfressen. Der Druck auf meiner Brust wird unaufhörlich stärker.
Ich muss mich verdecken, um meine Wölfin zu Dayton zu schicken, nur so kann ich ihn und das Rudel nun unterstützen.
Es war ein Fehler, ohne ihn in den Wald zu flüchten. Ich gehöre zu ihm genau wie er zu mir und ich sollte gerade jetzt an seiner Seite kämpfen. Ich könnte es nicht verkraften, wenn ihm etwas zustoßen würde und wäre sofort bereit mein eigenes Leben für seines zu geben. Was auch immer diese Prophezeiung für uns vorgesehen hat, nichts wird uns jemals wieder trennen können. Dafür ist diese Verbundenheit, und sei sie noch so verhängnisvoll, viel zu stark.
Ein Knacken im Gestrüpp lässt mich zusammenzucken. Mit aufgerissenen Augen schaue ich mich um. Nichts. Alles ist still. Nur mein eigenes unkontrolliert stoßfestes Atmen durchbricht sie Ruhe. Mein Herz rast.
Panisch suche ich den Boden nach etwas, mit dem ich ich notfalls verteidigen könnte, ab und greife zitternd einen länger, dickerer Ast. Ängstlich krallen sich meine Finger um das Stück Holz, bis die Knöchel weiß werden.
“Ich hatte nicht erwartet, dass du es mir so leicht machst.”
Hinter mir ertönt eine Stimme, die so tief und bedrohlich klingt, dass sie mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Erschrocken fahre ich um, wobei ich schützend den Ast nach vorne richte.
“Ganz alleine und nur mit einem Stöckchen bewaffnet. Wolltest du um dein Leben kämpfen oder mit deinem Schoßhund spielen?”
Der große, komplett in schwarz gekleidete Schatten lacht selbstgefällig. Obwohl er seinen weit ausgestellten Umhang offen trägt, kann ich seine muskulöse Figur erkennen. Sein Gesicht ist von der Kapuze fast völlig verdeckt.
“Komm mir nicht zu nahe", keife ich, kann jedoch das zittern meiner Stimme nicht unterdrücken.
Wieder lacht er leise. Die gespenstische Kälte, die er ausstrahlt, jagt mir einen Schauer über den Rücken.
“Wie niedlich. So mutig und so dumm wie deine Mutter.”
Atemlos starre ich die große Gestellt an, versuche zu verstehen, was hier gerade passiert, doch meine Gedanken rasen. Unglaublich schüttle ich den Kopf.
Ich will etwas sagen, jedoch zieht sich meine Kehle brennend schmerzend zusammen, sodass ich beim Versuch ein Wort hervorzubringen beinahe ersticke.
“Wirf dein Stöckchen weg und knie im Dreck vor mir, dann werde ich dich gnädig sein und dich auf auf eine weniger qualvolle Art töten, Kindchen.”
Starr vor Angst verharre ich.
“Woher kennst du meine Mutter?”, stammle ich mit brüchiger Stimme.
“Du weißt wohl nicht wer vor dir steht.”
Langsam zieht der Vampir seine Kapuze ab. Seine komplett schwarzen Augen fixieren mich, halten meinen Blick so eindringlich fest, dass er eine dunkle Welt, nur für uns beide zu schaffen scheint.
“Hat dir deine Mutter nie von mir erzählt, Tala?”
Jede Faser meines Körpers verkrampft sich.
“Ich bin dein Vater.”
“Jolon", entfährt es mir.
Dieser Name brannte ich bei mir ein, obwohl ich ihn nur ein einziges mal gehört habe.
“Dieser war ich mal", lachte er höhnisch, “Vor langer Zeit habe ich erkannt, was meine wirkliche Bestimmung ist. Ich wurde nicht geboren um ein stimmiger Wolf zu sein. Ich bin der, der die Macht beider Wesen in sich trägt. Geboren als Alpha, durch den Biss verwandelt, bin ich geschaffen, um zu herrschen.”
“Das hatte Mom gemeint! Du hast dich freiwillig verwandeln lassen!”
Seine tiefschwarzen Augen mustern mich.
“Ein Mädchen, verbunden mit dem Schicksal der ganzen Welt und unser aller Ordnung", sein abwertendes Schnauben hallt zwischen den Bäumen wieder, “Ich hatte deine Mutter gebeten mit mir zu kommen, doch sie hat mich verlassen, wegen dir. Sie, so weich wie sie war, wollte dein Leben schützen, dumm, dumm und verweichlicht. Deshalb musste sie sterben. Und bald wird mir nun nichts mehr im Weg stehen.”
Hitze überzieht meinen Körper. Schmerzerfüllt lasse ich den Ast zu Boden fallen.
Mit all meiner Kraft versuche ich, meine Hände zu schwachen Fäusten zu ballen. Ich weiß nicht wie, aber ich bin überzeugt, dass Jolo mir diese Qualen bereitet und mir meine Kraft raubt. Der unaufhörliche Schmerz pulsiert in meinem Kopf, hindert mich daran, einen klaren Gedanken zu fassen. Meine Finger beginnen zu krampfen. Mein ganze Haut steht regelrecht in Flammen.
“Du musst nun auch sterben, und die Brut, die du in dir trägst”, ertönt seine furchteinflößende Stimme, “Deine Mutter hätte dich besser lehren sollen.”
Von der Pain überwältigt sinke ich wehrlos auf die Knie.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top