Kapitel 56

Schon trete ich in die warm Herbstsonne.
Meine Beine schmerzen zwar so sehr, dass jeder schnelle Schritt Überwindung kostet, aber ich kann nicht länger warten in Daytons Augen zu sehen. Die Augen, die mich in unser ganz eigenes Universum ziehen, die in mir eine Sucht auslösen, von der ich nicht loskommen möchte. Die Augen, die etwas entfacht haben, die mich eine Bindung eingehen ließen, ohne etwas über ihn zu wissen. Und dann sehe ich ihn. Er sitzt vor der Hütte des Alpha, wirkt zwar bloss und schwach aber auch das kann seiner Perfektion nichts anhaben. Perfekt, ja, genau das ist er für mich.
 Für einen kleinen Moment schaue ich ihn einfach an.
Alleine ihn hier sitzen zu sehen, weitet mein Herz.
 Als könnte er meine Anwesenheit spüren, sieht er zu mir auf. Müde formen sich seine Lippen zu einem Lächeln.
 Ein wenig zu hastig für meine Beine laufe ich auf ihn zu und werfe mich ihm völlig aufgelöst vor die Füße, umklammerte seine Knie und lasse den Tränen freien Lauf.

 “Es tut mir so leid! Ich hätte auf die hören sollen. Man konnte Aiden nicht vertrauen!”, schluchze ich ungehalten.

Das Gefühl, Schuld daran zu sein, dass Dayton lebensgefährlich verletzt wurde, brennt in meinem Magen wie Feuer. Aber Dayton greift wortlos meine Arme und zieht mich auf seinen Schoß. Zart streicht er mir mit dem Daumen die Tränen von den Wangen, während ich schnupfend die Hände verflechte.

 “Du bist doch nicht schuld. Du hast mich gerettet”, sagt er leise mit seiner samtigen Stimme.

 “Wie fühlst du dich denn?”

 “Eigentlich geht es mir schon wieder richtig gut”, verkündet Dayton beruhigend, “Nachdem das Silber aus meinem Körper war, hat die Selbstheilung direkt begonnen. Zwar muss ich noch langsam machen und soll nicht viel Laufen aber ich hatte Glück.”

Er unterbricht, um mich zu küssen.

“Weil ich so eine tolle Frau habe.”

Auch diesen Satz besiegeln seine Lippen mit einem ausgedehnten Kuss, der mir Gänsehaut beschert.

 “Lass uns reingehen. Ich muss meinen Rücken noch ein wenig schonen.”

 “Natürlich”, stimme ich zu, wobei ich von seinem Schoß husche, um ihn stützend unter die Arme zu greifen.

 “Nein, nein, das geht schon”, winkt Dayton mit einem Grinsen, das seine Schmerzen jedoch nicht verbergen kann, ab, “Mach dann bitte einfach die Tür hinter uns ran.”

Tatsächlich schafft er es ohne Hilfe bis zum Bett. Zwar sind seine Bewegungen langsam und recht unbeholfen, doch merke ich gleich, dass sein Körper sich bereits regeneriert. Behutsam decke ich ihn zu, bevor ich mich neben ihn lege und meinen Kopf vorsichtig an seine Schulter schmiege. Müde schließe ich die Augen, atme seinen Duft und lausche dem leisen Rhythmus seines Herzens. In diesem Augenblick bin ich einfach nur froh, dass es ihn gibt, wie sehr, kann ich kaum sagen. Doch eins weiß ich ganz sicher, ohne ihn würde ich es nicht mehr ertragen und ich danke Dayton dafür, dass er mein Leben auf so außergewöhnlich Art so unglaublich wunderbar macht. Unsere Liebe kam ohne jegliche Vorwarnung, stürmisch und bedingungslos, ließ  keine Zeit etwas in Frage zu stellen und bettete sich in eine Vertrautheit, die ich niemals für möglich gehalten habe.

Kurze Zeit später war Dayton eingeschlafen.
 Da er seine Ruhe braucht, lasse ich ihn schweren Herzens alleine, und ziehe die quietschende Holztür hinter mir zu.
 Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Jacob, Awan, Yona und einige andere haben sich um das Feuer versammelt. Da es mehr wie ein einfachen Beisammensein als auf eine Art Besprechung des Rudel erscheint, setzte ich mich etwas zurückhalten dazu.

 “Schläft Dayton?”, erkundigt sich Jacob ohne den Blick von den Flammen zu nehmen.

 “Ja"

Mein Murmeln droht im Prasseln des Feuers unterzugehen.
 Still sitze ich neben Yona, die Finger verhakt, die Hände zwischen meine Oberschenkel geklemmt. Die Stimmung ist andächtig.
 Da setzt sich Awan neben mich.

 “Dieser junge Mann, er war nicht die wirkliche Bedrohung” , spricht er in gedämpftem Ton, “Er hatte keine Ehren, obwohl er den Kodex kannte.”

 “Kodex?”, wiederhole ich fragend.

 “Ja, es ist eines unserer obersten Gebote. Der Geführte, also der Seelenpartner, eines anderen ist unantastbar. Daran halten sich sogar diese gottlosen Blutsauger. Wenn ein Wolf auf jemanden geprägt wurde, dann untersteht diese Person dem Schutz des Rudel. Das zählt ebenso für die Liebe eines Vampirs.”

Kurz muss ich seine Erklärung auf mich wirken lassen, da es schwer ist nachzuvollziehen, dass sogar Vampire diesen Ehrenkodex einhalten. Aiden wusste davon, obwohl er ein Mensch war, und ging dagegen an. Ich bin mir sicher, dass er nicht mehr am Leben ist.
 Schweigend starre ich in die Glut.
Plötzlich schießen mir die kalten Augen von Miguel wieder in den Sinn. Eine eisiger Schauer läuft mir über den Rücken.

“Awan, ich ... Ich meine, ist es möglich, dass mich jemand als Wölfin sehen kann?”

Obwohl ich ihn nicht anschaue, spüre ich Awans Blick auf mir haften.

 “Nein, das ist unmöglich. Aber warum möchtest du das denn wissen?”

Verkrampft bemühe ich mich gelassen zu wirken, zucke mit den Schultern, während ich weiter den Blickkontakt vermeide.

 “Awan, ich glaube, sie werden bald angreifen.”

 “Ich weiß"

Awan reagiert so gefasst, dass es mich schon wirklich erschreckt. Kurz sehe ich zu ihm hinüber, sehe wie er stirnrunzelnd die Flammen beobachtet.
 Sie züngeln und tanzen knisternd vor uns. Ihr warmes Licht lässt alles ein bisschen harmonischer und idyllischer erscheinen. Die Hitze der glimmenden Glut und der leichte Qualm umhüllen uns.

 “Wenn es soweit ist, will ich kämpfen können", spreche ich den Schamanen  erneut an, obwohl ich weiß, wie in sich gekehrt er gerade ist ,”Vielleicht kann ich helfen, wenn ich noch einmal etwas von Jacob Blut trinken würde.”

Der Alte scheint nicht gerade begeistert von dieser Idee zu sein. Eine Weile reagiert er überhaupt nicht, bis er die Mundwinkel verzieht.

 “Die Kraft kommt weder von dem Vampirbiss noch kann sie vom Blut kommen.”

 Verwirrt Blicke ich ihn an.

 “Aber woher ...”

 “Genau kann ich es dir auch nicht sagen. Ich habe eine Vermutung. Du trägst die neue Kraft wohl in dir. Aber ich kann nichts mit Gewissheit sagen.”

Ich werde das Gefühl nicht los, dass er mehr weiß, als er vorgibt. Und obwohl ich sogar glaube, dass er mir irgendwas sagen wollte, lasse ich es für heute auf sich beruhen. Mein Kopf ist viel zu voll.

 “Ich werde besser mal nach Dayton schauen", verabschiede ich mich, wobei ich mich schwerfällig hochquäle.

Doch gerade als ich es geschafft habe, bremst mich eine Hand auf meiner Schulter.

 “Das musst du nicht. Ich bin schon da.”

Ein wohliges Kribbeln durchströmt meinen Körper von der Stelle, an der seine Hand mich berührt, bis zur letzten Faser meiner Muskeln. Ich drehe mich um und schaue in sein Gesicht. Dayton wiegt schon um einiges erholter aus. Zum Glück ist seine Selbstheilung so stark ausgeprägt.

 “Kannst du denn schon laufen?”, höre ich Jacob rufen.

 Es liegt etwas Ermahnendes in seiner Stimme, was sein Sohn allerdings gekonnt überhört.

 “Es geht mir gut.”

Sanft schiebt er mich zurück  damit wir uns wieder an die Feuerstelle setzen. Liebevoll legt er seinen Arm um meine Schultern und zieht mich etwas enger an mich heran.
Mit einem Lächeln zieht er etwas aus seiner Hosentasche.

“Eigentlich wollte ihn ihn dir an deinem Geburtstag schenken. Er soll dich immer beschützen.”

 In seiner Hand hält er einen Anhänger in Form eines Baumes.

 “Er ist wunderschön. Vielen Dank.”

 “Nichts und Niemand kann mich lange von dir fernhalten", flüstert er nahe an meinem Ohr.

 Ich kann fühlen, dass er dabei lächelt.

“Du bist der Wahnsinn. Ich frage mich immer noch, wie du das geschafft hast.”

 Sein Blick wandert hinüber zu Awan, so als hätte er ihm eine Frage gestellt.

 “So richtig habe ich auch keine Antwort”, murmelt der Schamane etwas zu leise.

Er erscheint nachdenklich, was mich selbst natürlich beunruhigt. Ich möchte allerdings auf keinen Fall, dass Dayton dich jetzt aufregt oder sorgt. Das würde ihn nur Kraft kosten. Deshalb will ich die Unterhaltung an dieser Stelle besser abbrechen. Leicht schiebe ich Dayton von Awan fort.

 “Ich denke, es ist besser, wenn wir wieder reingehen. Du musst dich schonen und ich bin auch sehr müde.”
  

So ihr Lieben, nun näheren wir uns allmählich dem großen Finale. ❤️
Ich hoffe, dass Euch meine Geschichte bis jetzt gefällt.

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