Kapitel 54

Mit einem Mal schaffe ich es, Aiden so kraftvoll von mir zu stoßen, dass er einige Schritte rückwärts taumelt.

 “Dayton hat dich hier nicht eingeladen!”, schnauben ich atemlos, “Und ich will auch nicht, dass du hier bist. Geh!”

 “Ja, ich bin euch nach unseren letzten Treffen heimlich gefolgt”, gibt er ohne auch nur zu versuchen etwas abzustreiten sofort zu, “Ich muss dich retten. Du und ich, wir sind gleich. Aber du hast dich für die falsche Seite entschieden.”

 “Wohl kaum"

 Eine tiefe Stimme ertönt so kraftvoll, dass sie die angespannte Luft im Raum zu zerreißen scheint.

 “Du hast hier nichts zu suchen, Aiden”, knurrt Dayton, der plötzlich im Türrahmen steht, bedrohlich, “Lass Tala in Ruhe oder ich mache dich fertig.”

 “Ach ja?”

Verächtlich schnaubend zieht Aiden eine Klinge aus seinem hinteren Hosenbund, die bislang von seinem Shirt verdeckt geblieben war. Vor Schreck entfährt mir ein schriller Aufschrei, verharre aber wie versteinert gegen die Wand gelehnt.

 “Was willst du gegen mich unternehmen, Wolf? Komm näher und du bekommst mein Silbermesser zu spüren!”

 Während ich selbst vor Furcht wie gelähmt bin, zeigt Dayton keine Spur von Angst. Äußerlich absolut ruhig steht er vor Aiden, in dessen Blick sich pure Raserei abzeichnet.

“Ich warne dich, Aiden”, knurrt Dayton, “Wage es nicht, mir zu drohen. Du könntest dafür einen hohen Preis zahlen. Ich habe immer gewusst, dass man dir nicht trauen kann.”

 Aidens Züge wurden steinern.

 “Euch Wolfspack kann man nicht trauen!”, keifte er, “Erst umgarnt ihr einen so lange, bis man alles für euch tun würde, und dann reißt ihr einem das Herz heraus,lasst einen im Stich, als hätte man nie existiert. Ich musste das lernen. Der Verlust brannte die Feuer und Tala ist jetzt mein heilendes Eis.”

 “Sie wird nie dir gehören, begreif das besser!”

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Das hilflose Gefühl, nichts machen zu können, drückt schwer auf meine Brust.
 Schlagartig stürmt Aiden mit der Klinge in seiner Hand auf Dayton zu.
 Reflexartig strecke ich die Arme aus. Meine Beine waren sich jedoch keinen Schritt.
 Dayton packt Aiden an den Handgelenken und kann ihn solange stoppen, um Kraft aufzubringen, ihn wegzustoßen. Doch Aiden greift erneut an. Wie von Sinnen stürzt er auf Dayton, der darauf nicht gefasst war, zu. Aiden schmeißt sich mit einer Wucht auf Dayton, dass er das Gleichgewicht verliert und Aiden mit sich zu Boden reißt.
  Beim Aufprall muss er jedoch seinen Griff lockern, so dass es Aiden gelingt, sich loszureißen und wieder auf die Beine zu kommen. Erst jetzt bemerke ich, dass er beim Sturz die Silberklinge verloren hatte.
Schnell setze ich an, das kleine Messer an mich zu nehmen. Allerdings ist Aiden schneller. Ich habe keine Chance.
 Die Kontrahenten umkreisen sich bedrohlich, während sie komplett aufeinander fixiert sind. Aiden ist entschlossen zu kämpfen, bereit dazu, Dayton zu töten und Dayton ist bereit, alles zu tun, um sich und mich zu verteidigen. In diesem Augenblick wird mir richtig bewusst, dass diese Szenario nicht glimpflich aussehen kann. Diese Auseinandersetzung wird seine Opfer fordern.
Kalte Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, während ich fieberhaft nachdenke, wie ich Dayton unterstützen kann.
 Mit zitternder Hand und gekrümmten Rücken, die Schultern nach vorne gezogen, hält Aiden das Messer gegen Dayton gerichtet.
Was sich in Sekunden abspielt, scheint wie in Zeitlupe vor mir abzulaufen, und die Luft im Raum scheint sich zu erhitzen, während sie rasant weniger wird. Es ist beklemmend, erstickend. Ich wage es nicht zu atmen.
 Da stürmt er noch einmal auf Dayton los.
Binnen Sekunden verwandelt sich Dayton geistesgegenwärtig zum Wolf und springt auf den Angreifer. Ich spüre Daytons Wut, das ungezügelt durch seine Adern peitschenden Adrenalin, an meinem Hals. Ich dieses Gefühl wird binnen eines Wimpernschlags von einem anderen verdrängt, Schmerz.
 Ein brennender Schmerz sticht zwischen meinen Rippen, so qualvoll, dass er mich in die Knie zwingt. Alles verschwimmt, während ich verzweifelt versuche, das Brennen niederzuringen.
 Die Dunkelheit holt mich ein. Um mich herum taucht sich alles in ein tiefes Schwarz. Ich nehme nichts mehr  wahr, außer das plötzliche, erschütternde Aufheulen des Wolfes.
 Es ist nicht mein Schmerz, der mir die Luft nimmt. Es ist Dayton, den das Messer getroffen hat. Ich kann spüren, wie die Klinge tief in die Fasern seinen Fleisches dringt und das Silber sofort beginnt, seine Muskeln zu schwächen. Ich muss ihm helfe, sonst werden wir vielleicht beide sterben.

Verkrampft versuche ich mich aufzurichten, starre auf die verzerrten, im dunklen Nebel liegenden Umrisse.  Gepuscht von Angst und Wut, fokussierte ich einfach nur Aidens Gestalt, schaffe es, ihn zu greifen und reiße an seinem Arm. Völlig unerwartet fließt eine Energie durch meinen Körper, die mich stark macht. Die gleiche Stärke, die ich bereits im Einkaufsladen in mir empfunden habe, nachdem ich das Alphablut getrunken hatte. Meine Finger krallen sich tief in Aidens Haut, während ich ihn packe und von Dayton weg gegen die Wand schleudere. Der fliegt mit einer Wucht gegen das Holz, dass die Hütte zu beben scheint.
Mein Herz schlägt heftig gegen meinen Brustkorb, meine Hände zittern, aber ich beobachte still und ohne Reue, wie Aidens Körper ohnmächtig zu Boden gleitet.

Hektisch fahre ich um, sehe Dayton vor Schmerz gekrümmt auf dem Parkett kauern. Schweißperlen haben sich auf deiner Stirn gebildet  während er qualvoll mit dem Kiefer malt. Schnell stürze ich zu ihm, um ihn zu stützen. Sein Gesicht sich blass, die Augen glasig.
 Ich muss etwas unternehmen, schnell, sehr schnell.
Panisch überschlagen sich meine Gedanken. Als Wolf Hilfe zu holen würde zu lange dauern.

 “Bleib ganz ruhig! Es wird alles wieder gut!”, versichere ich Dayton, wobei ich schützend meine Arme um ihn schlinge, wohl darauf bedacht die Tränen der Verzweiflung vor ihm zu verbergen.

 Dayton muss zu Awan. Er wird wissen, was zu tun ist.
Entschlossen wische ich mir über die Wangen, lege den Arm meines Mannes um meine Schultern und ziehe hörbar Luft in meine Brust. Dann versuche ich, unsere Körper aus meinen Knien nach oben zu stemmen. Dayton entfährt ein unterdrücktes Stöhnen. Das Silber arbeitet rasend gegen uns. Doch ich schaffe es tatsächlich, unser beider Gewicht zu halten. Die enorme Kraft des Vampirbiss oder des Alphabluts bündelt sich in meinen Beinen, meinem Rücken und den Schultern. Es überrascht mich selbst  jedoch bleibt jetzt keine Zeit, um darüber nachzudenken.
 Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Als sich mir sicher bin, dass ich es schaffe und Dayton es ertragen kann, marschiere ich los.
 Ich fokussiere nur noch mein Ziel. Meine Beine werden immer schneller, meine stützender Griff um Daytons Oberkörper immer fester. Rechts und Links verschwimmt allmählich die Umgebung, als würde ich durch einen dunklen Tunnel rennen. Meine Lunge schmerzt, doch Daytons schwacher Herzschlag treibt mich unermüdlich voran. Es kann nicht mehr weit sein.
 Weiter unterdrücke ich das Zittern meiner Knie, das Zucken meiner Waden und das Brennen in den Armen. Ich werde es schaffen. Dann sacken meine Beine weg, während ich in ein finsteres Nichts falle.
Das Flimmern vor meinen Liedern hört auf. Mein ganzes Sichtfeld schränkt sich ein. Es ist, als würde ich durch einen dunklen Tunnel schwanken. Dann wird alles schwarz.
 Mein Körper bleibt bewegungslos auf der Erde, während mein Puls rast. Ich habe Angst, unglaubliche Angst, Dayton zu verlieren.
 Ich hatte gelernt, dass alles irgendwann endet aber nicht das mit uns. Das werde ich nicht zulassen. Dayton hat mir die Sonne gezeigt, als in meinem Herz nur Sturm tobte. Er hat mich gerettet und nun rette ich ihn. Noch hat das Silber ihn nicht besiegt.
 Weit hinter den dunklen Wolken sehe ich Licht, tauche hinein und werde zur Wölfin. Schatten ziehen blitzschnell an mir vorbei. Ein Wechselspiel aus hell und dunkel. Plötzlich finde ich mich am Waldrand vor der Lichtung zum Dorf wieder. An der Feuerstelle kann ich bereits von weitem Awans Züge erkennen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top