Kapitel 47

Es ist Aiden, der ins Mondlicht tritt. Den Wolf aber erleichtert diese Erkenntnis nicht, angriffsbereit steht er vor ihm, zieht die Lefzen nach oben und fletscht mit den Zähnen.

 “Immer mit der Ruhe", ertönt Aidens Stimme, während er wie in Zeitlupe mit den Händen wedelt, “Ich bin nicht euer Feind. Ich war nur zufällig hier draußen."

Nun stehen sich der Wolf und Aiden unmittelbar gegenüber. Die Situation ist angespannt und geladen. Doch dann kehrt Dayton in seine menschliche Form zurück, ohne dass es zu einer Auseinandersetzung kommen musste.

 “Was hast du hier im Wald zu suchen?”, bafft Dayton argwöhnisch, worauf Aiden merklich nervös von einem Bein aufs andere tritt.

Hörbar zieht er die Luft ein und lässt seine Arme hängen.

 “Okay, ich bin nicht zufällig hier", beginnt er schließlich, “Ich komme hier öfter her, wenn ich Ruhe brauche, und da habe ich euch vor einigen Tagen schon mal am See gesehen. Im Laden habe ich Tala erst nicht erkannt, aber kaum dass ihr gegangen wart, ist der Groschen gefallen.”

 “Und warum spionierst du uns nach?”, bellt Dayton  wütend mit geballten Fäusten.

Genau dann entdecke ich es.
  Im schwachen Licht ist es kaum zu sehen, doch Aiden trägt die Male am Hals. Die Narbe eines Wolfs und die Narbe eines Vampirs, genau wie ich.

 “Dayton”, tauche ich, wobei ich seinen Arm fasse, “Schau’ auf seinen Hals.”

Zwar fallen ihm die Narben nun auch auf, allerdings blickt er nur verständnislos zwischen Aiden und mir umher.

 “Ich ... Ich wollte es dir vorhin erzählen ...”

Langsam aber entschlossen hebe ich die Haare in den Nacken und offenbare Dayton die Vampirnarbe, die ich seit Tagen vor ihm verstecke. Das eigenartige Gefühl, das in meinem Körper herrscht, droht mich zu erdrücken. Ein Gefühl, das ich wegschieben möchte. In diesem Moment fühle ich mich unglaublich verletzlich, was mit jeder Sekunde, in der Dayton schweigend auf meinen Hals sieht, noch anwächst.

 “Ist das ein Mal von diesem Blutsauger?”, fragt Dayton, obwohl er die Antwort natürlich bereits kennt, lediglich um sich selbst aus seiner Starre zu reißen.

 “Ich wollte es dir schon längst zeigen ... aber ich habe ...”, flüstere ich kleinlaut, worauf Dayton einfach meine Hand nimmt und meine Finger mit seinem Daumen streichelt, bevor er sich wieder Aiden zuwendet.

 “Woher hast du diese Narben?”

Daytons Tonfall ist nun um einiges beherrschter. Die Tatsache, dass auch etwas Wolf in Aiden zu stecken scheint, lässt ihn ruhiger werden.

 “Das ist eine lange Geschichte", antwortet Aiden, in dessen Augen ein schmerzlicher Ausdruck liegt.

 “Wir haben Zeit", nagelt Dayton ihn jedoch fest.

Gezwungenermaßen setzt Aiden zu einem Satz an, den er dann aber wieder fallen lässt. Sein Blick schweift in die Ferne, sein Mund ist leicht verkniffen. Er scheint über seine nächsten Worte gründlich nachzudenken und langsam bekomme ich das Gefühl, sie vielleicht besser nicht hören zu wollen.

 “Es war alles bevor  ich vor zwei Jahren nach Fountain Spring gezogen bin.  Da lernte ich Sikari kennen. Ich wusste gleich, dass sie etwas ganz Besonderes war. Wir trafen uns öfter und verliebten uns Hals über Kopf. Erst später erzählte sie mir, dass sie ein Wolfsmädchen war. Mir war komplett egal wer oder was Sikari war, ich wollte nur mit ihr zusammen sein und, als Zeichen meiner Liebe, habe ich mich markieren  lassen.”

 Seine Augen glänzen, als er von seiner Liebe spricht.

 “Was ist dann passiert?”, keusche ich.

 “Alles war super, bis wir angegriffen wurden”, Aidens Mund verfinstert sich, während er weiter spricht, “Wir hatten keine Chance und würden beide schwer verletzt ... Um mich zu retten ...  schnitt sich Sikari in die Adern und ließ mich ihr Blut trinken ... Die selbst würde aber so geschwächt ... dass ...”

Mein Magen zieht sich zusammen, und auch wenn Dayton weiter emotionslos vor ihm steht, spüre ich, dass Aidens Ausführungen auch ihn berühren.

 “Das tut mir sehr leid", sage ich so leise, dass ich mir nicht wirklich sicher bin, ob Aiden mich gehört hat.

 “Was aber noch nicht erklärt, warum du uns hinterher schnüffelst”, bellt Dayton recht patzig.

Abwehrend hebt Aiden die Hände. Gegenüber Daytons trainierter und braungebrannter Erscheinung wirkt seine Statur um einiges schlanker. Seine tiefschwarzen Haare schimmern im Mondlicht leicht blau, was seinen Teint noch blasser aussehen lässt.

 “Ich stalke hier niemanden! Wie gesagt, bin ich öfter am See. Ich brauche eben manchmal die Ruhe zum Nachdenken. Euch zu treffen, war ein Zufall.”

Noch immer beäugt Dayton ihn voller Misstrauen. Ich habe allerdings längst begonnen, ihm zu glauben.

 “Na, dann sollten wir es einfach bei dieser zufälligen Begegnung lassen", knurrt Dayton, “Komm Tala, lass uns gehen.”

Jedoch stocke ich. Da ist etwas, das mich aufhält. Irgendetwas in mir, ein Instinkt, Empathie oder vielleicht einfach nur Neugierig will mich nicht einfach so gehen lassen.

 “Was ... Ich meine, was bist du jetzt?”, stelle ich unsicher die Frage, die mich gerade am meisten beschäftigt.

 “Ich bin ich. Ein Mensch. Ganz normal.”

 Die Art wie Dayton Aiden mit ernstem Blick fixiert, zeigt mit, dass er ihm immer noch nicht traut.

 “Und du?”, möchte Aiden nun wissen.

Aber bevor ich überhaupt über meine Antwort Nachdenken kann, zieht mich Dayton ein Stück weiter.

 “Wir sollten jetzt gehen", brummt er nachdrücklich, wobei er mir tief in die Augen sieht.

Natürlich will er vor einem Fremden nichts von uns preisgeben und er hat Recht.
Verlegen wende ich den Blick von Aiden ab und Blicke auf den Rasen unter meinen Füßen, während ich mit Dayton loslaufen.

 “Wartet!”, versucht Aiden uns aufzuhalten, “Das ... Das war nicht ganz die Wahrheit!”

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