Kapitel 46

Dayton schiebt laut quietschend die Haustür auf. In den Armen balanciert er einen riesigen Stapel Holz, denn er gleich beim Reinkommen neben der Tür abstellt.

 “Guten Morgen", mache ich ihn mit etwas zu leiser Stimme auf mich aufmerksam.

Überrascht dreht er sich zu mir und augenblicklich zeichnet sich sein wunderschönes Lächeln in seinem Gesicht ab.

 “Na Dornröschen, wohl eher einen schönen Nachmittag. Du hast fast den ganzen Tag verschlafen.”

Mit großen Augen schaue ich Dayton über den Rand meiner Kaffeetasse hinweg an. Hier in den Wohnbereich dringt so wenig Licht von draußen herein, dass man nur schwer eine Tageszeit erahnen kann. Aber dass ich bis weit nach Mittag im Bett war, verwundert mich doch sehr.

 “Tut mir leid", nuschle ich verlegen, “Was hast du denn jetzt so alleine gemacht?”

 “Nicht viel. Ich war hier, habe Kaffee gekocht, Brot gegessen und war Holz holen. Man kann hier nicht besonders viel machen.”

Zustimmend nicke ich. In unsere Abgeschiedenheit hier in der Natur ohne Strom, gibt es kaum Ablenkung.
Kaum zu glauben, dass Dayton und ich seid wir uns kennen, weder eine DVD zusammen gesehen haben, noch ausgelassen zu lauter Musik getanzt oder uns um das Fernsehprogramm gestritten haben. Im Prinzip ganz normale Dinge, die junge Paare so machen. Wir nicht.
Aber es stört mich nicht. Wir sind eben anders.
Mit wenigen Schritten hat Dayton den Raum durchquert und steht vor mir. Schnell kämme ich mir mit den Fingern die Haare über die Schulter, bevor ich ihm einen keuschen Kuss auf die Lippen hauche.

 “Es ist noch richtig mild. Wenn du Lust hast, können wir ein Picknick am See machen oder spazieren gehen.”

 “Ein Picknick wäre fantastisch”, sage ich begeistert,”Du kannst dich duschen und ich richte uns schon mal einen Korb.”

“Perfekt”

Sobald Dayton im Bad verschwunden ist, mache ich mich daran, Brote zu schmieren und etwas Obst in eine Schüssel zu schneiden. Dann husche ich auch noch kurz unter die Dusche und bin bereit.
Als ich klein war, sind meine Mutter, meine Großeltern und ich oft Picknicken gewesen. Später war dafür leider immer öfter keine Zeit mehr. Daher freue ich mich besonders darauf mit Dayton zusammen einfach mal einen ruhigen Abend zu zweit zu verbringen und für ein paar Stunden alles zu vergessen.
 Ich genieße diese seltenen Momente, in denen wir einfach wir sein können, weit weg von Lunatöchtern, Werwölfen und Vampiren.
Gemeinsam sitzen wir auf der Decke am Hang des Hügels. Unter uns liegt völlig ruhig der See. Schon bald wird die Sonne am Horizont verschwunden sein. Doch bis dahin taucht sie uns und alles um uns herum in ein warmes, rötliches Licht.
Am liebsten würde ich meinen Kopf an Daytons Schulter lehnen, ihm ganz nahe sein, aber ich schaffe es nicht, meinen Blick von seinen klaren, grauen Augen abzuwenden. Die letzten Sonnenstrahlen verleihen seinem dunklen Haar diesen gewissen Glanz und lassen seine Haut noch etwas goldener wirken.
 Er rückt noch etwas näher zu mir, obwohl das kaum mehr möglich ist. Ich schmiege meinen Körper an seine warme Brust und schließe die Augen, als er mein Gesicht in seine großen Hände nimmt.

 “Ich liebe dich", flüstert er.

Seine Worte kribbeln auf meinen Lippen, auf meiner Haut, in meinem Bauch. Von diesen drei Worten werde ich nie genug bekommen.
Zart berühren sich unsere Lippen, wobei Daytons Finger langsam unter mein Kinn meinen Hals entlang gleiten.
Schreckhaft zucke ich zusammen. Immer noch habe ich das Geheimnis meiner neue Narbe nicht preisgegeben.
Verwundert lehnt sich Dayton nach hinten und mustert fragend mein Gesicht.

 “Was hast du denn?”

 “Nichts", schwindle ich, bevor ich versuche den Blick abzuwenden.

Doch Dayton lässt es nicht zu.
Erneut nimmt er mein Gesicht in beide Hände.

 “Du lügst", flüstert er.

Sein Daumen streicht sanft über meine Wange.

 “Du kannst mir alles sagen, Tala. Ich bin dein Mann.”

Seine Züge verschwimmen unter meinen Tränen.

 “Hey", raunt er samtig und leise, “Was ist los?”

Noch bevor ich etwas antworten kann, werde ich von Dayton in seine Arme gezogen. Ich spüre sie um meinen Körper wie einen schützenden Panzer, atme einmal tief durch und überlege, wie ich meinen Satz beginnen soll.

 “Ich ... als ich ...”

Weiter komme ich nicht.

Mit ernster Miene presst mir Dayton seinen Zeigefinger auf den Mund, wobei er seine Lippen zu einem lautlosen “Schhh ...” formt.
Sofort spüre ich Nervosität  und Angst in mir aufsteigen.
Auch Daytons Muskeln sind angespannt. Still sitzt er vor mir, hört angestrengt in den dunklen Wald, während sein scharfer Blick die Umgebung absucht. Da inzwischen auch die letzten Sonnenstrahlen hinter den Tannen untergegangen sind, kann ich außer Blättern und Zweigen kaum mehr etwas, das weiter entfernt ist, erkennen. Jedoch lässt Daytons konzentrierte Vorsicht mein Herz schneller schlagen und meine Handflächen schwitzig werden.
Je länger er das Unterholz abscannt, desto unruhiger werde auch ich, und obwohl es um uns herum völlig leise ist, wächst von Sekunde zu Sekunde das beklemmend Gefühl bedroht zu sein.
Eilig wirfst Dayton die Reste unseres Picknick in den Korb.

 “Lass uns gehen.”

Nicken krumple ich die Decke zusammen. Meine Hände sind noch etwas zittrig, als ich fragend zu Dayton aufschauen.

 “Ich hatte das Gefühl, wir wären nicht alleine", erklärt er, “aber ich glaube, es war die letzten Tage einfach zu viel.”

Dann greift er unseren Korb, nimmt mir die Decke aus der Hand, die er noch hinein stopft, und legt zum Gehen seinen Arm um mich.  

 “Ich wollte dich nicht erschrecken", fügt er hinzu, bevor er mir einen kleinen Kuss auf die Schläfe haucht.

Arm in Arm machen wir uns auf den Heimweg. Wolken sind aufgezogen und verdecken den frühen Sternenhimmel. Leichter Nebel legt sich über die Wiese.
 Obwohl Dayton bemüht ist, lasziv zu wirken, entgeht mir nicht, dass seine Wolfsinne geschärft sind. Bei jedem Schritt, den wir tun, ist er wachsam, bereit uns zu verteidigen.
 Die vergangenen Tage waren in der Tat nicht einfach für uns Beide, da ist es nicht verwunderlich, dass auch bei Dayton die Nerven blank liegen.

 “So schön wie es am See ist", durchbrechen ich die Stille, “Irgendwie ist es auch gruselig hier. Ich hatte schon das letzte Mal so ein ...”

 Plötzlich packt mich Dayton am Arm und reißt mich hinter sich. Seine Schultern sind angespannt, sein Rücken verkrampft. Ein leises, tiefes Knurren wandert bedrohlich aus seiner Kehle.

 “Komm raus, du hinterhältiges Arschloch!”

Jede Faser ist bereit die Gestalt zu wechseln.
 Mein Puls rast und ich stehe wie angewurzelt hinter Daytons breiten Schultern, während ich wie gebannt in den dunklen Wald starre.

 “Komm raus, bevor ich dir direkt die Kehle durchbeißen!”, droht Dayton erneut und wie aus dem Nichts erscheint ein Schatten zwischen den Bäumen.

Jetzt ist der Moment gekommen, dass Dayton sich verwandelt. Mächtig baut sich der graue Wolf vor dem schwarzen Umrissen der Gestalt auf, gewillt zu kämpfen und, falls nötig, zu töten.
Da tritt die Gestalt mit schnellen Bewegungen hervor.
Der Wolf setzt zum Sprung an.
Doch dann weicht die Dunkel auf dem Gesicht der Gestalt.

 “Stop! Nicht!”, schreie ich.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top