Kapitel 44

Doch mehr als das Optische, beängstigt mich das aufsteigende Gefühl tief in mir.
  Denn immer mehr schleicht sich etwas in meine Gedanken. Etwas, das mir vermittelt, dass es richtig und stimmig ist, so wie es ist. Ich verstehe selbst nicht, was da in meinem Innern los ist. Wie kann sich etwas so offensichtlich Häßliches und Abstoßendes, zwar verstörend aber auch so richtig anfühlen.
 Von draußen höre ich Schritte. Ich kann Daytons Nähe bereits spüren.
Schnell kämme ich mir die Haare über die Schulter nach Vorne, als sich bereits die Badezimmertür öffnet.

 “Ich bin fertig”, stammle ich verlegen, “Müssen wir schon los?”

 “Nein, wir müssen uns nicht beeilen”, erklärt Dayton, ich wollte nur nach dir sehen.”

 “Ähm ... Ja, mir geht es gut.”

Zwar bemühe ich mich, schaffe es allerdings kaum, meine Nervosität zu verbergen. Dayton legt seine Hände auf meine Hüften und zieht mich näher an sich.

 “Es war bestimmt unglaublich beängstigend für dich so alleine.”

 “Ja, aber ich habe immer an dich gedacht. Dann wurde es leichter.”

 Leidenschaftlich treffen unsere Lippen aufeinander.

 “Ich bin froh, dass es dir gut geht", raunt er in unseren Kuss, während er sich noch etwas mehr an mich presst.

Die Wärme seines Körpers erfüllt mich und ich erwidere seinen Kuss ebenso lustvoll.
  Langsam fahren Daytons Finger meinen Rücken entlang und streicht mir das Haar zur Seite, um meinen Hals zu küssen. Erschrocken zucke ich zusammen. Schnell löse ich mich aus seiner Umarmung und wende mich ab.

 “Ich ... ich wollte mich noch bei Yona für die Kleidung bedanken”, stammle ich meine Ausrede, wobei mir Daytons skeptischer Blick natürlich nicht entgeht.

Ich weiß, dass er die neue Narbe früher oder später sehen wird, im Augenblick fühle ich mich jedoch einfach wohler, wenn ich sie noch eine Weile verbergen kann.    Wenigstens so lange, bis ich mein Gefühlschaos wieder im Griff habe. Also zupfe ich bemüht unauffällig meine Frisur zurecht, bevor ich Dayton ein Lächeln schenke und ihn an der Hand mit nach draußen ziehe.
  Ich fühle mich schon etwas verlogen, weil ich meinem Mann etwas verheimliche und das scheint er direkt zu spüren. Abrupt bleibt er stehen, ohne meine Hand loszulassen.

 “Tala, was ist los? Ich merke doch, wie aufgeregt du bist.”

Obwohl seine Stimme weich ist, bohrt sich sein fordernder Blick in mich. Er forscht in meinen Augen nach Antworten, die ich ihm jetzt nicht geben möchte.

 “Das kommt bestimmt noch vom Wolfsblut”, schwindel ich.

 Die Erinnerung daran, wie sehr Dayton Lügen verabscheut, lässt meinen Magen verkrampfen.

 “Gut, wenn du nicht mit mir darüber reden willst ...”

Wütend lässt er meine Hand los und kehrt mir den Rücken zu.

  “Dayton, gib mir einfach etwas Zeit für mich!”

 Ich klingel viel aufbrausende, als ich wollte, was ihn zu mir herumfahren lässt. Mit verärgerten Ausdruck schaut er mich an.

 “Ich bringe dich zur Hütte,  dann kannst du soviel Zeit für dich haben, wie du willst. Keine Sorge!”

Er klingt noch impulsiver, als ich. Seine Miene ist hart und seine Augen zornig. Er weiß, dass ich ihm nicht die Wahrheit sage.

 „Jetzt beeil dich und geh zu Yona. Ich will dann los, weil wir noch kurz nach Fountain Spring müssen, sonst reichen unsere Vorräte nur zwei Tage.”

Er verhält sich distanziert. Seine Worte sind weniger Informationen, nein, es sind kühle Anweisungen, die mir bewusst machen, dass ich ihn ziemlich gekränkt habe.
  Weil ich aber nicht bereit bin jetzt zu reden, vielleicht aus Scham oder Angst ihn die Male zu zeigen, befolge ich wortlos seine Befehle und beeile mich bei Yona, sodass wir schon wenig später auf dem Weg ins nächste Dorf sind.

Auch als wir Fountain Spring erreichen, herrscht zwischen Dayton und mir  weiterhin eisiges Schweigen. Es ist beklemmend und so habe ich das nicht gewollt. Doch statt versöhnlich zu werden, wächst eine Art Trotz in mir. Ich will nicht nachgeben und werde weiter still darauf bestehen, mir für manche Dinge die Zeit zu nehmen, die ich möchte und brauche.
  Mit durchgestreckten Rücken und sturrem Blick marschiere ich also neben Dayton her, der mich keines Blickes würdigt.
  Ich will ihn nicht bewusst verärgern oder einen Streit provozieren, nur fühle ich mich auf eine seltsame Weise in einem Verteidigungsmodus, wie ein Tier, dass sich in die Enge getrieben wird. Statt einfach mit Dayton zu sprechen, nehme ich einen Konflikt in kauf, verheimliche Tatsachen, die ich im Prinzip nicht lange verbergen kann, völlig ohne greifbaren Grund, was absolut untypisch für mich ist. Und doch stampfe ich neben Dayton den Weg entlang, bis er den Supermarkt erreichen.
 An der Stimmung ändert es allerdings nichts, was einen gemeinsamen Einkauf jetzt zusätzlich erschwert. Ohne uns zu unterhalten gehen wir durch die schmalen, zugestellten Gänge des kleinen Laden, bis uns irgendwo zwischen Brot und Milch endgültig die Frustration einholt.

 “Also ehrlich, so muss das doch nicht weitergehen, Tala", knurrt Dayton, “Ich weiß, dass etwas nicht stimmt und es ist okay, wenn du nicht reden willst.”

Auch wenn er es nicht ehrlich meint, ich spüre ganz genau, dass es nicht okay für ihn ist, bin ich sehr froh, dass Dayton einlenkt. Wir hatten noch nie eine ernsthafte Auseinandersetzung und das kann gerne so bleiben. Wenn man jemanden liebt, sollte man nicht ständig unnötig diskutieren müssen.

 “Ich schaue, wo ich Konserven finde, du könntest schon nach Zahncreme suchen”, ging Dayton zum alltäglichen über.

Das liebe ich an ihm, er besinnt sich immer wieder auf die wirklich wichtigen Dingen und lebt, trotz seiner schweren Vergangenheit, mit beiden Beinen fest im Heute.
  Ich bin froh, dass er wirklich verständnisvoll ist und Rücksicht nehmen kann, gerade weil unsere Beziehung von Anfang an schwierig war.
Erst verliebt er sich in eine Insassin einer Anstalt, dann stellt sich heraus, dass sich der Wolf nicht einfach nur auf ein Mädchen geprägt hat, sondern auf eine sagenumwobene Lunatochter. Die Erfüllung einer Art Legende sein zu wollen, ist beängstigend und erdrückend zugleich. Da ist es fast schon ein Wunder, dass die kleine, frische Flamme zwischen uns nicht sofort im Keim erlosch.

Mal wieder in meine eigenen Gedanken verstrickt, gehe ich zwischen den ungeordneten Regalen entlang und lasse meinen abwesenden Blick über die bunten Flächen Duschgel, Shampoo und Conditioner schweifen.

 “Wow, Vorsicht!"

Erschrocken zucke ich zusammen. Um ein Haar wäre ich tatsächlich auch noch mit Jemandem zusammengestoßen.

 “Oh, Ähm ... sorry", nuschle ich peinlich berührt.

Doch mein Gegenüber scheint nur belustigt zu sein.

 “Ich hoffe, es war ein schöner Tagtraum", witzelt der große Dunkelhaarige mit einem frechen Grinsen im Gesicht, dass eine geradezu ansteckende Wirkung hat.

Wie automatische ziehen sich auch meine Mundwinkel etwas nach oben, was sich jedoch sofort wieder ändert, als ich seinen Blick auf meinen Hals merke. Fast schon panisch streiche ich mir die langen Strähnen über die Schultern nach Vorne, um die Narben zu verbergen.
Da der junge Mann absolut unbeirrt versucht eine Unterhaltung zu beginnen, glaube ich nicht, dass er die Male wirklich wahrgenommen hat.

 “Du bist nicht von hier, oder?”

Zurückhaltend schüttle ich den Kopf.

 “Nein, ich besuche nur meine Tante", lüge ich gezwungenermaßen zum dritten Mal heute.

 “Das dachte ich mir. So ein hübsches Mädchen, wäre mir in Erinnerung geblieben.”

Auf Schmeicheleien wusste ich noch nie zu reagieren und wende schüchtern den Blick ab.

 “Ich bin Aiden", stellt er sich höflich vor.

 “Tala"

 “Das kommt jetzt vielleicht komisch ... aber ... Wenn du heute Abend noch keine Pläne hast ...”

 “Die hat sie schon!”, unterbricht ihn Dayton.

Sein Ton ist tief und so bestimmt, dass Aiden für eine Sekunde der Mund offen steht.

 “Hey Kumpel, immer langsam ...”, grinst er, wobei er abwehrend die Hände hebt.

 “Hau einfach ab!”, knurrt Dayton, der sich provokant neben mir aufbaut und den Arm um meine Schultern legt.

 Zwar scheint Aiden keine Angst zu haben, geht aber doch auf Distanz.

 “Es freut mich dich kennengelernt zu haben", verabschiedet er sich, wobei er jedes Wort besonders betont, bevor er mir die Hand entgegenstreckt.

Verunsichert strecke ich auch meine zur Verabschiedung aus. Doch kaum dass sich unsere Finger berühren, durchfährt mich ein kalter Schauer. Aidens Hand ist eiskalt. Erschrocken starre ich ihn an.

 “Auf Wiedersehen, Tala.”

Auch jetzt hat seine Stimme noch diesen gewissen Unterton.

 “Verpiss dich endlich!”, bellt Dayton ihm nach, was mir schon irgendwie unangenehm ist.

Um ihn zu beschwichtigen , greife ich seinen Unterarm.

 “Psst”, zische ich leise, wobei ich Dayton etwas den Gang nach hinten ziehe. Doch als ich ihn fasse, greife ich mit einer unwahrscheinlichen Geschwindigkeit und einer unerwarteten Kraft seinen Arm.

 “Tut ... tut mir leid”, stammle ich selbst fassungslos überrascht.

 Mit überrascht großen Augen steht Dayton vor mir.

 “Das ist bestimmt noch vom Wolfsblut”, sagt er schnell, um die Situation zu entschärfen.

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