Kapitel 42

Der Wolf fährt um und erstarrt in seiner Bewegung. Er kann nicht angreifen, weil der Vampir mich so vor sich zieht, dass ich ihm als lebendes Schutzschild diene.    
Während mein eigenes Blut vor Angst in meinen Adern gefriert, kocht es an der markierten Stelle meines Halses.
  Außer sich vor Zorn zieht der Wolf die Lefzen nach oben, zeigt seine messerscharfen Zähne, während ein bedrohliches Knurren seine Kehle hoch steigt.

 “Keinen Schritt weiter, du Flohsack, oder ich beiße deine Kleine!”, faucht der Untote, der seine Finger in meinen Haaren vergräbt und mich so zwingt, meinen Kopf zu neigen, um meinen Hals demonstrativ freizugeben.

Ich spüre seine eklige Zunge auf meiner Haut, was mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagt.
Ich bin ihm ausgeliefert.
Der Wolf steht völlig regungslos vor uns, seine grauen Augen fixieren den Vampir, beobachten jede Muskelzuckung seines Körpers.
Ich wage es kaum zu atmen.
Plötzlich schießt er in die Luft und packt den Vampir am Kopf. Ich fühle einen stechenden Schmerz, bevor ich hart zu Boden falle.
Mit weit aufgerissenen Augen sehe ich zu, wie der Wolf den Körper des Untoten über den Boden zieht, auf die Seite schleudert und ihm wie im Blutrausch den Kopf vom Leib reißt.
Schnell zerfällt der Feind zu Staub.

Während ich fassungslos auf die Stelle blicke, an der eben noch der Vampir lag, verwandelt sich Dayton in seine Menschengestalt.
Atemlos sinkt er vor mir auf die Knie und schlingt seine Arme um mich.

 “Ist dir was passiert?”

 “Nein”, keusche ich, “Alles gut.”

Reflexartig fasse ich an die Stelle, wo eben noch ein Stechen durch meine Haut ging. Als ich die Hand von meinem Hals nehme, ist sie blutig. Es ist mein Blut. Der Vampir hat mich in letzter Sekunde verletzt.

 “Dayton!”

Wie erstarrt schaut er auf das tiefe Rot an meinen Fingern, dann an meinen Hals.

 “Verdammt!”, presst Dayton zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, “Wir müssen zu Awan. Du brauchst Hilfe. Schnell!”

Im Bruchteil einer Sekunde wird Dayton wieder zum Wolf. Hektisch klettere ich auf seinen Rücken und er trägt mich in Windeseile durch den Wald.
Nur noch schemenhaft erkenne ich die Bäume an uns vorbeiziehen. Immer mehr schwindet die Kraft aus meinem Körper. Meine Arme können sich kaum mehr am dichten Fell festhalten, sodass ich fürchte jeden Augenblick herunter zu fallen.
Im letzten Moment erreichen wir das Dorf, dann wird mir schwindelig.    Meine Umgebung verschwimmt und ich kann nur noch die Stimmen der anderen wahrnehmen.

 “Awan! Awan! Tala wurde verletzt!”

 “Was ist passiert?”

 “Wir wollten Sophie, ihre Freundin retten, es war ein Hinterhalt ...”

Ich höre wie Jakob verärgert die Stimme erhebt, dann wird alles unklar.

 “Vampirgift im Körper ... Es gibt nur einen Weg ... Sie muss Werwolfblut trinken ... Das ist aber nicht ungefährlich ...”

Krampfhaft versuche ich gegen die Dunkelheit in meinem Kopf zu kämpfen, doch es will mir nicht gelingen.

Als ich zu mir komme, brauche ich eine ganze Weile, um zu realisieren, wo ich bin.
Ich liege auf einer Matratze in einem sonst leeren, dunkler Zimmer. Alleine.
Meine Beine zittern fürchterlich. Egal wie sehr ich mich bemühe, ich bekomme meine bebenden Knie nicht unter Kontrolle.
Zunehmend steigt ein Gemisch von Übelkeit und nervöser Unruhe in mir auf, dass droht mich zu zerreißen.   Schluchzend vor Hilflosigkeit betrachte ich meine weißen Hände. Mein Körper ist eisig und leer. Kalter Schweiß rinnt meine Stirn herunter und auch meine Hände beginnen nun unkontrolliert zu zittern, während mein Inneres nach etwas verlangt. Ein solches Gefühl kannte ich bis zu diesem Augenblick noch nicht. Ich komme mir vor wie ein Süchtiger, der seine Droge will.
Da erst bemerke ich die Tasse, die auf dem Fußboden neben mir steht. Die dunkle Flüssigkeit riecht unwiderstehlich.
Aus einem merkwürdigen Impuls heraus, greife ich hastig nach der Tasse und trinke gierig deren dickflüssigen Inhalt, der das brennen in meiner Brust zu lindern scheint.
Doch kaum dass ich die Tasse geleert habe, verkrampft sich mein Magen. Mir wird plötzlich heiß und kalt zugleich, meine Sinne spielen verrückt und ich befürchte in diesem Chaos in mir noch den Verstand zu verlieren. Ich schreie, Tränen tropfen von meinen Wangen, während ich zu Boden sinke. Unter erbarmungslosen Krämpfen und schier unaufhaltsamen, stechenden Ziehen bäumt sich mein gepeinigter Körper immer wieder auf, bis ich erneut ohnmächtig werde.

Langsam schlage ich die Augen auf. Um mich herum ist es finster. Schweißgebadet liege ich auf dem Fußboden des leeren Zimmers. Aber es geht mir besser.
Allmählich kann ich begreifen, was mit mir geschehen ist.
Ich wurde gebissen und mein Körper wollte sich verwandeln. Durch das Wolfsblut, dass mir Awan wohl in den Raum gestellt hat, gelangte wohl etwas der Selbstheilungskraft der Werwölfe in mein Blut und kämpfte gegen das Vampirgift.
Jetzt habe ich nur einen Gedanken. Ich will hier raus, zu Dayton.
Noch etwas schwach klopfe ich gegen die Tür.

 “Hallo?”

Erst bleibt alles still, doch dann erklingt Awans Stimme.

 “Tala, mein Kind, ich bin hier.”

 “Bitte lass mich raus. Es geht mir gut.”

 “Das kann ich noch nicht. Du solltest noch die erste Nacht in Gewahrsam verbringen. Es ist nur zur Sicherheit. Ich bringe dir gleich etwas zu Essen.”

 “Nein! Bitte! Lass mich zu Dayton!”

Aber auf der anderen Seite der Tür, bleibt alles ruhig.
Nun kauere ich hier, gefangen.  Gefangen in diesem Raum mit meinen düsteren Gedanken. Gefangen in einem Loch aus Schwärze und Sehnsucht, das so tief ist, dass ich keinerlei Helligkeit sehen kann. Die Einsamkeit ist schrecklich, denn sie lässt mir zu viel Platz um über alles  was passiert ist, nachzudenken. Die Erinnerungen schmerzen und die neu gewonnenen Erkenntnisse sind zu verstörend. Alles, was mein Leben ausmachte, wurde die vergangenen Tage in Frage gestellt.
Dazu kommt, dass ich durch die Idee, Sophie zu befreien, Dayton in einen Hinterhalt gelockt habe. Ich habe den einzigen Menschen, den ich liebe, in so schreckliche Gefahr gebracht und nun muss ich warten, bis ich ihn endlich wieder sehen darf.
Regungslos sitze ich auf dem Boden und starre an die Wand. Kaum einen Sonnenstrahl durchdringen die geschlossenen Fensterläden
 Still in meine eigenen Gedanken versunken kämpfe ich mit meiner Enttäuschung, mit den tiefsitzenden Vorwürfen in meiner Brust, während die Zeit vergeht. Auch wenn es mir gerade unmöglich erscheint, da mich jede Sekunde unsagbar quält. Langsam aber unaufhaltsam schreiten die Stunden an mir vorbei.
Da höre ich Schritte, die langsam näher kommen.
Gebannt schaue ich zur Tür. Und tatsächlich öffnet sie sich langsam.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top