Kapitel 40

  “Wirklich?”

Ich wage mich kaum es auszusprechen. Mein Herz macht einen freudigen Sprung, obwohl ich weiß, dass der Versuch, Sophie aus dieser Klinik herauszuholen, schwierig und gefährlich sein wird. Trotzdem liegt mir so viel daran, meiner Freundin zu helfen.
Überschwänglich presse ich meine Lippen auf Daytons.

 “Ich liebe dich!”, quieke ich erleichtert.

Sofort schlingt er seine Arme um mich und rollt mich zurück auf die Matratze.

 “Ich liebe dich auch, Tala.”

In seinem Blick liegt Sanftheit, doch auch etwas Sorge.

 “Aber es wird nicht einfach werden. Wir müssen sehr vorsichtig an die Sache herangehen. Und ... du musst Kontakt mit ihr aufnehmen.”

Fragend schaue ich ihn an.

 “Du musst deine Gabe kontrollieren und versuchen mit deiner Freundin zu kommunizieren.”

 “Meinst du, ich schaffe das?”, frage ich verwundert.

 “Ich weiß es nicht. Es würde aber Einiges erleichtern.”

 “Dann versuche ich es solange, bis es klappt!”, verkünde ich euphorisch, werde jedoch von Dayton, der mich wieder zurück aufs Bett zieht, gebremst.

 “Jetzt sollten wir erstmal Schlafen. Wir brauchen unsere Kräfte.”

Natürlich hat er Recht, nur bin ich jetzt gedanklich voller entschlossenem Tatendrang, obwohl ich körperlich geschafft bin. Es fällt mir schwer zur Ruhe zu kommen, und während ich zwischen wach und Dämmerschlaf pendle, löst sich mein Geist wie von selbst.
Plötzlich befinde ich mich nicht wie erhofft an der Klinik, sondern in Awans Hütte.
Selbst um weit nach Mitternacht brennen hier noch die Kerzen. Ich weiß nicht, warum mich mein innerer Wolf wieder hierher geführt hat, doch es scheint, als gäbe es hier noch etwas zu erledigen.

 “Awan, warum bin ich bei dir?”, frage ich den Alten, der geistesabwesend im Schneidersitz auf seinem Teppich ruht.

 “Ich habe dich gerufen, Tala, mein Wolfsmädchen", antwortet er mir im Geiste, ohne sich auch nur einen Millimeter von der Stelle zu rühren.

 “Weswegen?”

 “Ich bin in mich gegangen und möchte mit dir über deine Herkunft sprechen, über die Geheimnisse deiner Familie.”

 Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken und lässt mich meine Nackenhaare stellen.

 “Von was sprichst du?”, fordere ich den Schamane auf, deutlicher zu werden.

 “Es gibt ein paar Dinge, die ich dir nun berichten muss, die dich vielleicht verwirren oder sogar verärgern werden. Es ist allerdings das Beste, wenn du die ganze Wahrheit kennst.”

Mit gestellten Ohren und angehaltenem Atem, warte ich auf das, was er mir jetzt offenbaren wird.

 “Du solltest erfahren, dass deine Großeltern keineswegs nur Hippies waren, sie waren ein Gestaltwandler des Lakota Stamms und eine Nachfolgerin Lykaons, dem ersten Wolf, Sohn des Linos. Sie wussten es und auch deiner Mutter war ihre Herkunft bekannt. Als Nachkömmling Lunas hatte auch sie die Gäbe des inneren Wolfes.”

Ich kann kaum glauben, dass meine Mutter, sogar meine Großeltern, die ganze Zeit über solch ein Geheimnis vor mir verborgen gehalten haben sollen.

 “Diese reine Blutlinie würde nie mit menschlichem Blut gemischt.”

 “Was! Das kann nicht sein!”, stoße ich hervor, “Das würde bedeuten, dass ...”

Ich bringe es nicht fertig, den Gedanken zu beenden.

 “Es ist so, Tala, du bist das Kind einer Luna und eines Wolfs. Dein Vater ist nicht ...”

 “Nein!”, unterbreche ich Awan energisch.

 “Deine Mutter kannte die Prophezeiung und sie spürte, dass in dir die absolute Reinheit und Kraft steckt. Sie wollte dich beschützen, solange es ihr möglich war.”

Mein Magen verkrampft sich. Übelkeit steigt in mir auf.

 “Wie ist sie gestorben?”

 “Ich konnte es in deiner Hand lesen ... Es ...”

 “Wie ist sie gestorben?”, dränge ich den Schamanen.

 “Sie wurde getötet.”

Es zeigt mich wie ein Schlag in die Magengrube. Für einen Augenblick weicht sämtliche Luft aus meiner Lunge.

 “Sie hatte versucht ihren Mann und dich zu beschützen.”

Ich ringe um Fassung. Auch wenn es mir kaum möglich ist, muss ich meine Gefühle verdrängen, um alle Antworten zu erhalten.

 “Wer ist mein leiblicher Vater?”

Awans Augen wirken gequält.

 “Das weiß ich nicht. Da du von kraftvoller Abstammung bist, muss es ein Alphawolf sein.”

 “Und mein Dad? Ich meine, Jeffrey, hat er es ...?”

Awan schüttelt den Kopf.

 “Nein, er hatte keine Ahnung. Sonst hätte er dich nicht hierher geschickt. Er war voller Sorge um dich. Da war es leicht, ihn zu manipulieren.”

Seine Worte verwirren mich einmal mehr. Wer sollte meinen Vater manipuliert haben?

 “Der Clan ahnte wohl bereits, was wir nun wissen, und spielte Jeffrey die Broschüren der Klinik im richtigen Moment zu. Sie wollten dir nie helfen. Doch es war von Anfang an deine Bestimmung zu uns und zu Dayton zu kommen.”

Es brennt mir auf der Seele. Diese unbeantwortete Frage.

 “Wenn ich wirklich die Mondgefährtin bin, sag mir, was wird mit mir passieren, wenn sich die Prophezeiung erfüllt?”

Kurz schweigt er und es scheint, als würde er seine nächsten Worte überdenken müssen.

 “Jeder hat vom Schicksal seine Aufgabe bekommen. Es ist vorbestimmt. Doch ob du Leben oder sterben wirst, wird ein anderer entscheiden müssen, wenn der Tag gekommen ist.”

Wieder spricht er lediglich in Rätseln.
Unwillkürlich spüre ich blinden Zorn in mir heranwachsen. Ich kann es nicht länger ertragen mit Awan zu sprechen.
Es schmerzt zu tief in meinem Herzen und plötzlich wird es um mich wieder schwarz. Von einer Sekunde auf die nächste hänge ich zwischen meinem Wolf und mir selbst im Nichts, bin kaum Mensch, kaum Geist. Ich bin wie Luft, nur ein Schatten, ein Gedanke, gequält von Schmerz und unerhörter Hoffnung.
Da sehe ich sie.
Die traurigen, blauen Augen, der mageren Sophie. Sie scheinen regelrecht durch mich durch zu schauen.
 Ihre Arme schlingt sie schützend um ihre Brust, während sie mit angezogenen Knien auf dem Bett kauert.
In Gedanken nehme ich sie in den Arm, drücke sie fest an mich, um ihn Halt zu geben und flüstere ihr meine Botschaft ins Ohr, auch wenn sie mich nicht bemerkt.

 “Keine Angst. Wir kommen und holen dich hier raus. Hab’ keine Angst vor dem Wolf und lass dein Fenster angelehnt.”

Gerade als ich sie loslassen möchte, fühle ich deutlich, wie Sophie die Schultern straft, als würde sie aufhören.
Hat sie mich hören können?

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