Kapitel 34
Unseren letzten Abend verbringen wir andächtig damit, unsere Kleider zu packen und Daytons kleine Hütte aufzuräumen.
Über Kanti verliert Dayton keine Silbe, jedoch brennt mir eine Frage unerlässlich auf der Seele.
“Nun sag schon. Was beschäftigt dich gerade so?”, spricht Dayton mich schließlich an.
“Was wird aus einer Wölfin ohne Mann?”
Natürlich ist ihm sofort klar, auf was ich anspiele.
“Eigentlich ist es nicht möglich, wenn man seinen Gefährten einmal gefunden hat. Außer er stirbt.
Bei Kanti ist das Alles etwas anders. Sie übertreibt. Wir waren nie aufeinander geprägt, noch wurde sie markiert. Diese Narben könnten ebenso Spuren eines Kampfes sein. Irgendwann wird auch sie ihren Partner finden.”
Es erleichtert mich das zu hören, denn obwohl ich Kanti nicht leiden kann, wünsche ich ihr auch das Glück, jemanden zu finden.
“Was ist, ... wenn ein Partner stirbt?”, spreche ich meine nächste Frage ganz vorsichtig an, da ich weiß, dass Dayton auch noch sehr leidet.
“Wenn einer der Gefährten umkommt, dann stirbt auch ein Teil im anderen. Er wird immer gefühlloser, stumpft ab, bis nur noch eine leere Hülle da ist.”
Kurz gehe ich in mich. Sein Vater macht trotz seinem Verlust so gar keinen schwachen oder leeren Eindruck. Aus Pietät schlucke ich jedoch diese Anmerkungen herunter.
“Jakob hatte Glück. Seine Verpflichtungen als Vater und Alpha des Rudels, haben ihn am Leben gehalten”, erklärt Dayton, als könne er meine Gedanken lesen.
“Das ist wirklich gut so”, murmle ich, während ich in weiteres Shirt zurück in den Seesack stopfe.
Doch heute Vormittag verschwende ich keinen weiteten Gedanken an unsere Abreise oder Kanti.
Ein letztes Mal betrachte ich mich im schmalen Spiegel.
Ein letztes Mal schiebe ich mir eine Strähne meines geflochtenen Zopfs aus dem Gesicht. Nervös streiche ich die weiße Spitze meines Kleides glatt. Das schlichte, schulterfreie Kleid, gehörte Daytons Mom. Es ist eine Ehre für mich, es tragen zu dürfen.
Meine Haut ist von der Aufregung der vergangenen Stunden noch immer gerötet aber meine Augen strahlten von innen heraus.
“Du siehst wunderschön aus”, reißt mich Yona aus meinen Gedanken, “Bist so bereit?”
Aufmunternd lächelnd reicht sie mir den dezenten Strauß Magaritten, dann öffnet sich die Tür hinaus.
Vor Aufregung beiße ich mir auf die Lippen, gehe mit zittrigen Knien den Weg entlang zur Wiese, wo sich das ganze Rudel bereits versammelt hat. Am Ende des Mittelgangs, den sie bilden, ist ein Blumenbogen aufgestellt. Alles wirkt naturverbunden, schlicht.
Mein Herz klopft wie wild. Die Nervosität in mir ist schier grenzenlos.
Doch als ich Dayton unter dem Bogen warten sehe, fällt alle Anspannung von mir ab.
Hätte man mich früher einmal gefragt, wie ich mir meine Trauung vorstellen würde, hätte ich wohl ein völlig anderes Bild gehabt. Ich wünschte mir immer eine feierliche Zeremonie und eine Feier mit Freunden und Bekannten. Ich würde ein weit ausgestelltes Tüllkleid tragen und einen Strauß mit wilden Wiesenblumen. Mein langes, brauen Haar wäre mit Perlen am Hinterkopf festgesteckt worden und hätte beim ergreifenden Eröffnungstanz sachte mitgeschwungen, während unsere Freunde ihnen mit Wunderkerzen in der Hand zusehen.
Aber das alles spielt nun keine Rolle mehr für mich.
Ich sehe nur noch ihn, versinke in seinen Augen und fühle mich plötzlich sicher und frei.
Unter dem Blumenbogen nimmt Dayton meine Hand, wobei er mir einen kaum merklichen Kuss auf die Wange hauchte. Jakob wird als Alpha die Trauung vor den Augen aller Wölfe vollziehen.
“Wir sind heute in Liebe hier zusammengekommen", beginnt er feierlich, “auf dass das Band eurer Ehe euch so unzertrennbar verbindet, dass ihr alles Schwere gemeinsam tragen könnt und die Liebe zueinander nie aus euren Herzen verliert. Wahre Liebe ist es, wenn gemeinsam kämpfen immer leichter ist als Aufgeben. Eine Ehe in Liebe und Ehrlichkeit, Verständnis und Respekt ist das schönste Geschenk, das zwei Menschen sich machen können.
Diese tiefe Verbundenheit liegt nicht in dem, was das Auge sieht, sie liegt in dem, was das Herz fühlt. Seid stark genug, um alleine bestehen zu können. Seid ihr selbst genug, um gegen alles zu kämpfen. Aber seid Weise genug, um Seite an Seite zu bleiben, wenn die Zeit gekommen ist, denn wenn man für die Liebe kämpft, spielt selbst der Tod keine Rolle.”
Nun reicht er Dayton einen Blumenkranz, den er mir wie eine Krone aufs Haar setzt.
“Tala, ich liebe dich mehr, als mein Leben. Ich bin ein Wolf und du bist mein Mond. Ich werde dich bis in alle Zeiten verehren.”
Tränen der Rührung und des Glückes füllen meine Augen.
“Nun Tala”, fährt Jakob fort, “möchtest du Dayton zu deinem Mann nehmen, in guten und in schweren Tagen zu ihm stehen? Dann antworte mit ‘Ja'.”
Mit bebender Stimme, die droht fast zu brechen, haucht ich ein “Ja, ich will”.
Nun wendet sich der Alpha seinem Sohn zu.
“Dayton, willst du Tala lieben und ehren bis euch der Tod scheidet? Dann antworte mit ‘Ja'.”
Daytons Stimme klingt gefaster.
“Ja, ich will."
Unsere Lippen berühren sich und im Hintergrund beginnt eine Gitarre wundervoll, romantisch zu spielen. Es ist wie in einem Märchen, aus dem weder Dayton noch ich erwachen wollen.
Doch dann kippt die Stimmung schlagartig.
Plötzlich liegt eine nervöse Spannung in der Luft und nur Sekunden später sehe ich selbst warum.
Wie aus dem Nichts bricht eine Horde Vampire durch das Dickicht auf die Wiese. Sofort wandeln die Männer und Frauen des Rudels ihre Gestalt, um ihnen entgegenzusetzen.
Es scheint, als würden die Vampire aus allen Richtung zu uns stürmen.
“Bring’ Tala hier weg!”, knurrt Jakob, der mit kontrollierten Schritten an uns vorbei sprintet, sich im Sprung zum mächtigen Wolf verwandelt und in die kämpfende Menge taucht.
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