Kapitel 31
Mit Hilfe von Yona und Jakob erreiche ich die Hütte des Alpha, in der Dayton liegt.
Awan sitzt auf den Stufen zum Eingang.
“Ist er wach?”, fragt Jakob hart, worauf Awan wortlos den Kopf schüttelt.
Trotzdem kann ich ins Haus.
Langsam nähere ich mich der Tür zum Schlafbereich. Einen Moment denke ich darüber nach anzuklopfen, bevor ich diesen Gedanken verwerfe und die Falttür zögerlich einen Spalt öffne, um hinein zu Linsen.
Dann sehe ich ihn.
Dayton, der Wolf, liegt flach atmend auf der Matratze. Sein Brustkorb hebt und senkt sich stoßhaft und unregelmäßig. Langsam nähere ich mich, streiche mit den Fingerspitzen zaghaft über sein glänzendes Fell.
Es erscheint mir, als wären Tage vergangen, seit ich ihn das letzte mal gesehen habe, und nun, da ich bei ihm sein kann, verfliegt die Zeit. Ich habe das Gefühl nur einmal geklingelt zu haben, bis Jakob und Awan ebenfalls das Zimmer betreten.
“Seine Verletzungen waren sehr schmerzlich. Wir glauben, dass er sie nur in Wolfsgestalt ertragen konnte und sich deshalb noch nicht zurückverwandelt hat. Sicher ist das allerdings nicht", erklärt Awan, “In seinem menschlichen Körper könnte ich Dayton besser behandeln.”
Tränen schießen mir in die Augen. Es hart zu hören, wie sehr er leiden muss.
“Wir sollten ihn Ruhe geben", merkt Jakob an, um mich aufzufordern mit ihm zu gehen.
“Nein!”, keucht es plötzlich.
Erschrocken fahre ich um.
Dayton hat sich verwandelt, liegt auf dem Bett und streckt seine Hand nach mir aus.
“Tala”, haucht seine gequälte Stimme, sodass ich schnell zu ihm zurück eile, um seine Hand zu halten.
“Ich bin hier.”
Mit schmerzerfüllter Miene, legt er sich meine Hand auf seine nackte Brust.
“Du warst bei mir", presst er hervor, “Du warst die ganze Zeit bei mir. Ich habe es gespürt.”
“Ja, das war ich.”
Unwillkürlich laufen Tränen über meine Wangen, tropfen von meinem Kinn. Tränen der Erleichterung, vermischt mit Mitleid und Schuldgefühlen.
“Ich hole Awan”, verkündet Jakob emotionslos wie immer, doch in seiner Stimme kann er seine eigene, grenzenlose Erleichterung nicht verstecken.
“Mach dir keine Sorgen”, beginnt Dayton, kaum dass wir alleine sind, “Sie können mir nichts antun. Ich werde bald wieder richtig fit sein. Dann bin ich jederzeit für den Krieg bereit. Ich habe dich aus dieser Klinik geholt und ich werde dich beschützen, Alles für dich bekämpfen, und wenn ich selbst dafür falle.”
Seine Worte bewegen mein Herz, obgleich sie sich in meinem Inneren Schmerzen. Zärtlich lege ich ihm meine Hand auf die Wange und küsse sanft seine Lippen.
“Schhh... ruh dich aus. Du musst nun Kraft sammeln.”
Da betritt auch schon Awan die Hütte.
“Ich komme wieder, wenn du versorgt wurdest.”
Am Abend ruft Jakob das Rudel zusammen.
Dayton ist leider noch zu schwach, um an der Versammlung teilzunehmen. Also bin ich schweren Herzens gezwungen, ihn alleine zu lassen.
Den ganzen Tag saß ich neben seinem Bett, hielt seine Hand und tupfte ihm die Schweißperlen von der Stirn. Selbst als er endlich eingeschlafen war, wich ich nicht von seiner Seite. Doch jetzt war es wichtig zu den Anderen ans Feuer zu gehen und zu hören, was der Alpha verkündet.
“Erneut kam es zu einem Zwischenfall. Wie ihr wisst, wurde mein Sohn schwer verletzt. Da er über große Kraft verfügt, geht es ihm allerdings schon besser.
Wir müssen nun mehr denn je auf der Hut sein. Die Ältesten haben eine Vermutung, warum die Vampire sich in unser Terrain vorwagen. Daher ist es nötig nun Vorkehrungen zu treffen: Tägliches Training, Wachen rund um die Uhr und keine Alleingänge im Wald.”
Das Rudel lauscht gebannt seinen Worten. Obwohl es leise ist, hängt die Aufregung förmlich in der Luft.
“Wenn Dayton seine volle Kraft wieder erreicht hat, wird er mit Tala das Dorf verlassen.”
Mir stockt der Atem, traue mich aber nicht seine Ansprache zu unterbrechen.
“Bis dahin wird jedes Mitglied des Rudels ein Auge auf sie haben. Es ist wichtig Tala in Sicherheit zu wissen.”
Ich spüre ein Augenpaar. Dieser Blick brennt regelrecht auf meiner Haut, bohrt sich feindselig in mich hinein.
Schnell merke ich, dass Kanti mich eindringlich beobachtet.
“Warum sollen wir uns für sie in Gefahr bringen?”, schnaubt sie verächtlich, “Sie ist erst ein paar Tage hier, macht allen Anschein nach nur Ärger und ist dabei noch nicht einmal eine von uns!”
Jacobs Züge verändern sich schlagartig. Plötzlich wirkt er noch größer, erhabener und bedrohlich.
“Du wagst es, deinen Alpha in Frage zu stellen?”
Sein Ton ist hart und leicht aggressiv.
“Sie ist Daytons Gefährtin und du weißt, was das bedeutet. Dayton wurde auf Tala geprägt, somit ist sie eine von uns. Niemand stellt sich gegen den Seelenpartner eines anderen! Das ist eines der obersten Gesetze!”
Reumütig wendet Kanti den Blick ab und schaut zu Boden, allerdings ist ihr ihre Wut immer noch anzusehen.
Auch ich fühle mich jetzt beschämt. Natürlich wollte ich keinen Ärger machen, schon gar nicht einen Streit provozieren, und diese Situation ist mir jetzt wirklich unangenehm. Schließlich hat Kanti in einem Punkt recht, ich bin erst seit wenigen Tagen hier und habe zu alledem noch keinerlei Ahnung vom Leben und von den Regeln im Rudel.
Alles was ich höre und was hier um mich herum geschieht, ist befremdend, sogar angsteinflößend und einschüchternd.
Das wir nun auch noch das Dorf verlassen sollen, auch wenn es nur zu unserem Schutz ist, macht es nicht besser.
Ich verstehe immer noch nicht wirklich, warum mich die Vampire jagen, noch will mein Verstand begreifen, was es mit meiner Rolle als Lunatochter eigentlich auf sich hat.
Viel Zeit zum Grübeln bleibt mir nicht. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so.
Nachdem Jacob die Versammlung aufgelöst hat, gehe ich direkt wieder zu Dayton. Durch die Medikamente, die ihm Awan gegeben hat, schläft er weiterhin tief und fest. Sein Gesicht wirkt friedlich. Seine Atmung ist gleichmäßig.
Nach einiger Zeit höre ich Jacobs schwere Boots die kleine Veranda nach oben trampeln. Schnell werden seine Schritte lauter, bis sich hinter mir leise die Tür öffnet.
“Er schläft noch?”, fragt er.
Auf mein Nicken hin, dreht er sich wieder um und ist im Begriff das Zimmer wieder zu verlassen.
“Jacob”, halte ich ihn auf, “Stört es dich, wenn ich hier bin?”
“Natürlich nicht. Wenn du möchtest, kannst du dich auch zu mir ins Wohnzimmer setzten. Du hast bestimmt den ganzen Tag noch nichts gegessen, oder?”
Kurz mustert ich Dayton.
“Wir lassen die Tür offen”, fügt Jacob verständnisvoll hinzu.
Da ich das Angebot des Alphas nicht ablehnen möchte, folge ich ihm in den Wohnbereich und setze mich zu Jacob an den Tisch.
“Darf ich dich etwas fragen?”, murmle ich zögernd.
“Natürlich”
“Du hast vorhin gesagt, dass Dayton und ich das Dorf verlassen sollen. Aber wohin?”
“Es gibt eine Hütte am anderen Ende von Centralia. Dort müsstet ihr sicher sein”, erklärt er nüchtern.
“Ich verstehe das Alles nicht. Was wollen die Vampire?”, wage ich nach einer Antwort zu forschen.
Jacobs Blick wird ernst. Seine Augen verengen sich etwas.
“Sie haben nur ein Ziel. Dich zu töten.”
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