Kapitel 30

Die bedeutungsschweren Worte drohen mich zu erdrücken, auch wenn mein Verstand nicht bereit ist, ihren Sinn voll aufzunehmen.

 “Ich kann das nicht sein! Ich kann  nicht einmal meine Gestalt ändern.”

Mein Flüstern erfüllt gemeinsam mit meinem stoßhafter Atem die Hütte mit Verunsicherung, die meine tiefe Furcht widerspiegelt.

 “Lunatöchter ändern ihre Gestalt nicht”, erklärt Jakob, “Sie haben andere Fähigkeiten. Du wirst es verstehen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.”

 “Aber warum sollten mich die ... Vampire ... jagen wollen?”

Ich bekomme diese Frage kaum über die Lippen. Es wirkt zu absurd, um es auszusprechen.

 “Du bist eine Gefahr für sie, weil du alles ändern könntest”, sagt Awan ruhig, “Du bist die Moonmate. Wenn es soweit ist, wird Daytons und deine Entscheidung den Ausschlag gegen.”

Er spricht in Rätseln. Ich verstehe es einfach nicht und bin kaum imstande zu begreifen, was es mit dieser Bestimmung auf sich hat.

 “Eine Entscheidung zwischen Liebe und Tod”, wiederholt der Schamane, was mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

 “Wird Dayton etwas zustoßen?”, platzt es aus mir heraus.

Statt eine Antwort zu bekommen, blicke ich nur in gequälte Augen, die mir allerdings signalisieren, dass meine Befürchtung nur teilweise stimmt.

 “Werde ich ...?”

Plötzlich durchfährt mich ein Schmerz, ein Brennen und Reißen, dass so gewaltig ist, dass es mich auf die Knie zwingt. Wimmernd verkrampfe ich meine Muskeln. Es ist nicht mein Schmerz. Es ist Dayton.

 “Dayton!”, presse ich kraftlos hervor, “Er braucht Hilfe.”

Ich spüre, wie sich etwas Scharfes unter meine Haut schiebt. Das Brennen ist kaum zu ertragen.

 “Wo ist er?”, knurrt Jakob.

 “Ich ... Ich weiß es nicht.”

Jakob kniet bereits vor mir, nimmt meinen Kopf in beide Hände.

 “Du musst dich konzentrieren, Tala!”

Schmerzerfüllt presse ich die Lieder zusammen, versuche die Qualen auszublenden und nur an Dayton zu denken. Die Stimmen der Männer schaffen es kaum durch den dicken Nebel in meinem Kopf zu dringen und scheinen im Raum zu verhallen. Vor meinen geschlossenen Liedern flackern grelle Lichter.
Dann sehe ich ihn.

 “Er ist im Wald, ganz in der Nähe der Straße. Da ist eine Laterne und eine große Tanne", japse ich winselnd.

Jakob stürzt aus dem Haus, während Awan bei mir bleibt. Meine Umgebung verschwimmt. Ich höre die Wölfe heulen, dann droht die Pain mich völlig zu umhüllen, in jede Faser meines Körper zu dringen und mich gewaltsam zu verschlingen.

 “Lerne den Schmerz zu lieben, Tala, er ist nicht dein Feind. Lass es zu.”

Der Klang der alten Stimme dröhnt in meinen Ohren. Dann holt mich die schwarze Finsternis.

Umringt von Bäumen drehe ich mich panisch herum. Verzweifelt suche ich meine Umgebung ab.
Ich kann ihn spüren aber ich finde ihn nicht.
Blut, überall ist Blut, das tiefrot in die Erde sickert.
Eine endlose Sekunde lang war es totenstill.
Ein stechender Schmerz durchfährt meine Wirbelsäule. Hilflos klammere ich mich an einen der Stämme, um mich laut schreiend zu Boden zu sinken.
“Nein!”, höre ich meinen eigenen Schrei die Stille durchbrechen. Mein Gesicht ist schmerzverzerrt, zwingt mich das Gesicht in meine schweißnassen Hände zu vergraben.
Doch ich weiß, dass es nicht meine Schmerzen sind. Es sind seine und das macht mir noch mehr Angst.
“Dayton!”
Mein Hals ist so zugeschnürt, dass ich kaum einen Laut heraus kämpfen kann.
Plötzlich höre ich sein entsetzliches Heulen, drehe mich hektisch und muss mit ansehen, wie eine Kreatur seinen Hals umfasst. Ein Dämon, halb Mensch halb Monster, blass und abschreckend.
Ich will ihm helfen, kann es aber nicht. Ein Gefühl zu fallen überkommt mich, als würde ich in einen Abgrund stürzen.
Da wird diese abscheuliche Gestalt, dieser Vampir,  von hinten gepackt.
Es ist ein Wolf, größer und mächtiger, als ich es zuvor gesehen hatte.
Der Alpha.
Er hat ihn gefunden.
Das Rudel ist zur Hilfe gekommen und ich kann nur hoffen, dass sie  noch rechtzeitig gefunden haben.
Mit einem Ruck packt der Alpha das Genick der Kreatur und beißt mit seinem messerscharfen Zähnen zu.
Kurz verzieht sich das Gesicht des Vampirs zu einer gequälten Fratze, dann manövriert seine fahle Haut und zerbröselt zu weißem Staub.
Das Brennen ist grausam, schnürt mir die Kehle zu. Kraftlos sinke ich zu Boden.

Ich merke, wie eine warme Hand mich berührt. Allmählich erkenne ich Stimmen. Erst ganz leise und dumpf, dann immer klarer. Wie ein Radio, das langsam lauter gedreht wird.
Es kommt mir vor, als wäre ich nicht mit meinem Körper verbunden. Ich bin machtlos. Der Schmerz ist zu stark. Ich war selbst in meiner Ohnmacht in einem Wissen gefangen und die Qualen bleiben weiter Teil der Finsternis.

 “Tala, er wird es schaffen.”

Eine helle Stimme. Ich glaube es ist Yona, die die Worte ausspricht, die mich befreien.

 “Seine Wunden verheilen. Er wird wieder gesund werden.”

Meine Lieder flattern.

 “Dayton? Es geht ihm gut?”, flüstere ich.

 “Ja”

Ich suche in ihren Augen nach einem Anzeichen dafür, dass sie mich nur beruhigen möchte, aber Yonas Blick ist ganz klar.

 “Ich war gerade bei ihm”, ertönt Jacobs tiefe Stimme.

Ich drehe den Kopf und sehe in sein ernstes und zugleich optimistisches Gesicht.

 “Er wurde schwer verletzt, doch seine Wunden heilen schnell. Fast schon zu schnell. Der Neugeborene hätte ihn umklammert. Die meisten Knochen seiner linken Körperhälfte wurden zerschmettert.”

Ich zucke zusammen.

 “Aber wir waren noch rechtzeitig bei ihm.”

Mühsam versuche ich mich aufzurichten. Yona begreift, was ich vorhabe, und hilft mir auf die Beine.

  “Ich muss zu ihm!”

Jede Minute, in der ich darauf warten muss, Dayton zu sehen, nicht zu wissen, ob er atmet oder nicht, kommt mir vor wie fünf Leben.

  “Er ist immer noch ohne Bewusstsein”, sagt Jakob aber das ist mir egal.

Ich muss ihn sehen. Nichts kann mich davon abhalten an seiner Seite zu sein, selbst meine wackeligen Beine, mein schwindeliger Kopf und Jakobs tadelnder Blick nicht.

  “Tala, du solltest noch wissen ...", bemerkt der Alpha, “Er hatte Glück, dass du ihn sehen konntest. Seine Brüche waren bedrohlich. Er konnte noch nicht in seine menschliche Gestalt zurückkehren.”

Ich hole tief Luft, um mich zu beruhigen.

  “Bitte, bringt mich zu ihm.”

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