Kapitel 29

Sacht klopft Dayton an der morschen Tür zu Awans Hütte.
Sein Haus scheint eines der Ältesten hier zu sein. An den unteren Balken hat sich bereits Moos abgesetzt und das Holz ist durch die ständige Feuchtigkeit hier im Wald uneben und dunkler.
Es dauert eine Weile, bis er öffnet.

 “Tut uns leid, dass wir so spät noch stören, aber ...”, nuschle ich verlegen.

 “Tala hatten einen seltsam Alptraum”, beendet Dayton meinen Satz schließlich, “Ich glaube, du solltest davon hören.”

Wortlos tritt Awan zur Seite und gewährt uns Zutritt.
Seine Hütte ist sehr sporadisch eingerichtet. Allerdings hängen an den Wänden zahlreiche schamanische Ritual- Utensilien, wie Ziegenfell- und Hornrasseln, Trommeln und Phurbas.
Mit einer Handbewegung deutet er auf die Sitzbank, während er einen verstohlenen Blick auf die Wunde an meinem Hals wirft.

 “Gib' mir deine Hand, Kind”, fordert er mich mit weicher Stimme auf.

Wie beim ersten Mal schließt er die Augen, um aus meiner Handfläche zu lesen. Seine Lieder beginnen zu flattern, als er in Trance fällt.

 “Eine verlorene Freundin warnt dich. Sie erscheint dir im Traum, mit ihrer letzten Macht. Sie trägt kaum mehr etwas Menschliches in sich.”

Kleine Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn.
Es ist unheimlich.

 “Sie ist eine von ihnen geworden und weiß Bescheid.”

Dann schlägt er die Augen auf und erwacht. Sein Ausdruck hat sich merklich verändert.

 “Was ist?”, drängt Dayton beunruhigt, “Wie kannst du das Alles deuten?”

Awan jedoch schweigt.
Ihm ist anzumerken, dass er die Zeit braucht, um in sich zu gehen.    Allerdings steigern diese Minuten die Anspannung in mir ins Unendliche.

 “Selma, deine Freundin, für sie ist es zu spät. Sie wurde gebissen und hat sich inzwischen verwandelt”, bricht Awan endlich sein Schweigen, “Aber sie hat es geschafft, dir noch diese Botschaft zu schicken.”

 “Aber was hat das zu bedeuten? Warum sollten sie hinter Tala her sein?”, überschlägt sich Daytons Stimme, während ich wie versteinert neben ihm sitze.

 “Schon als ich das erste mal in dir gelesen habe, hatte ich eine Vermutung. Es war nur noch zu früh. Jetzt bin ich mir sicher.”

Awans Worte hängen wie dicke Wolken über uns im Raum.

 “Tala, deine Mutter schien es ebenfalls geahnt zu haben”, fährt er fort, “Der Halbblut Wolf, voll Zorn und Trauer, der immense Kräfte aus seinem Verlangen nach Vergeltung ziehen kann, und das Mädchen, rein von allem Bösen, die Auserwählte, die Mondgefährtin. Ihr Beide werdet über das Schicksal unserer Existenz entscheiden, wenn der Tag gekommen ist.”

Verständnislos und ängstlich kralle ich mich in Daytons  Arm.
Dayton wiederum scheint verstanden zu haben. Seine Muskeln spannen sich an. Sein Kiefer beginnt zu malen. In ihm beginnt sein Blut zu kochen.
Plötzlich springt er auf, reißt die Tür auf.
Ich spüre seinen Herzschlag an meinem Hals.

 “Dayton!”

Doch er verwandelt sich, ohne zurückzustehen, in den Wolf und verschwindet im Dunklen.

 “Lass ihn gehen”, dringt Awans samtige Stimme zu mir durch, “In solch Raserei wirst du ihn nie aufhalten können.”

 “Aber was hat ihn so wütend gemacht?”, frage ich völlig verstört, "Ich konnte seinen Hass spüren."

Awan legt die Hand auf meine Schulter und schiebt mich behutsam zurück ins Haus.

 “Dayton kennt bereits die Bedeutung dieser alten Prophezeiung. Ich werde Jakob zu uns holen, dann wirst du es ebenfalls erfahren.”

Ein mulmiges Gefühl überkommt mich, bei der Ernsthaftigkeit des Schamanen, der mich dann einfach in seiner Hütte alleine lässt.

Ich soll ‘die Auserwählte’ sein?
Nein, er muss sich täuschen.
An mir war noch nie etwas Besonderes. Ganz im Gegenteil.

Die Minuten, in denen ich warte, beginne mich schrecklich zu fürchten und apathisch an die Wand starre, vergehen wie Stunden. Mein Inneres ist erfüllt von meiner eigenen Angst und Daytons unbeherrschter Wut. Eine Mischung, die wie ein Fels auf meiner Brust liegt und mir die Luft zum Atmen raubt.

Endlich knarrt die Tür, ein frischer Windstoß zieht durch den Raum und Awan kommt in Begleitung von Jakob zurück.
Schnell schiebe ich meine Hände zwischen die Schenkel, um das Zittern meiner Finger zu verbergen.

 “Ich habe es Jakob bereits berichtet”, beginnt Awan, “Wir sind uns einig, dass es für dich nun wichtig ist die ganze Prophezeiung zu kennen, auch wenn sie vielleicht verstörend sein mag.”

Während der Schamane spricht, sitzt der Alpha still neben ihm. Seine Haltung ist so gefasst wie immer, sein Blick fest und undurchdringlich.

 “Es ist eine alte Geschichte, die besagt, dass eines Tages ein wilder Halbblut seine besondere Gefährtin unter den Menschen findet.
Dieses Mädchen wird eine direkte Nachfolgerin Lykaons, dem ersten Alpha, sein. Ihr Blut und ihre Seele, rein und tugendhaft. Sie ist die Tochter Linos, die Mondgefährtin.     Diese Verbindung wird alles verändern. Ihre Liebe wird schnell wachsen und reifen. Nichts auf dieser Welt vermag sie zu zerstören.”

Awan unterbricht, als er weiter spricht, verändert sich sein Ton.

 “Doch diese Liebe wird einen alten Kampf entfachen.
Die Dämonen werden nicht ohne Schlacht zulassen, dass die Mondgefährtin ihr Dasein gefährdet.   Wenn sie stirbt, ist alles verloren und der Krieg wird entfachen, härter und erbarmungsloser den je.
Das allerdings wird nicht die einzige Schlacht der Liebenden sein.
Sie werden nicht nur für ihr Volk, das Rudel, kämpfen müssen, sondern auch um ihre Liebe.
Wenn der Tag gekommen ist, muss der Halbblut eine Entscheidung treffen und Beider Schicksal erfüllen.   Eine Entscheidung für seine Frau, für ihre Liebe, die alles verändern kann. Eine Entscheidung zwischen Liebe und Tod.”

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