CHAPTER THREE ─── cats and constellations

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Jimin Park

Holding Out for a Hero — Bonnie Tyler

LANGSAM ABER SICHER BEGANN DIE silberne Katze ihm Angst einzujagen.

Sie saß wie eine unbewegliche Sphinx auf dem Tischchen der Oberschwester, ein Staubfänger für die in der sterilen Luft zirkulierenden Anschuldigungen mit stechenden, ungewöhnlich geduldigen Augen, denen keine seiner wenigen Regungen entging.

Taehyung wurde den Verdacht nicht los, dass ihre Ohren nicht nur deswegen gespitzt waren, weil Madame Pomfrey sie kraulte. Nur schwerlich verlagerte er seinen Fokus zurück auf die strenggesichtige Frau mit der weißen Haube auf dem ergrauten Haarschopf, aber seine Aufmerksamkeit streunte immer wieder zurück zu der stummen Zuhörerin in ihrem einseitigen Gespräch, in deren großen Augen sich all seine Gedanken zu vereinen schienen.

Sie waren braun. Katzen besaßen für gewöhnlich keine derartig dunklen, braunen Augen. Stirnrunzelnd beugte sich Taehyung zu ihr vor. Das Tier schreckte nicht zurück.

„Gibt's ein Problem?"

Vielleicht lag es an der üblich-britischen, ruppigen Sprechgewohnheit, aber Taehyung war sich sicher, dass vermeintlich therapeutisch wirkende Heilkundige nicht so barsch mit ihren Patienten umgehen sollten. Vor allem dann nicht, wenn sie sich den Aufbau eines geistig fördernden Gesprächs erhoffte.

Diese Prämisse—vor einen Tisch in die Mitte des Krankenflügels gepflanzt, türkise Schirmwände vor leeren Krankenbetten im Blickfeld, der Geruch von strengem Alkohol in der Luft—begünstigte nicht unbedingt den Vertrauensvorschuss, den es benötigte, um eine Fremde in sein Seelenleben einzuweihen. Wo sein Schweigen eisern blieb, wusste Taehyung, dass die violetten Schimmer unter seinen Augen seine Aussagen verrieten; sie geradezu bitterböse Lügen straften. Er hatte wieder schlecht geschlafen.

Alpträume mussten das einzige Andenken sein, das er aus Beauxbatons mitgenommen hatte, und sie suchten ihn jede Nacht heim. Meistens waren es dieselben Bilderstürme, die seinen Kopf durchschossen, wenn er sich zur Ruhe legte: grüne Lichtblitze, blutige Lachen auf poliertem Marmorboden, einstürzende Türme. Und diese Schreie—diese markerschütternden, gräuelerregenden, hohe Schreie, die ihn jede einzelne verdammte Nacht schweißgebadet nach seinem Zauberstab greifen, ihn auf einen Feind richten ließen, der nicht in der warmen Dunkelheit des Hogwart'schen Turmzimmers auf ihn wartete, sondern in seinem Kopf.

Taehyung würde gerne schlafen; noch lieber um einen Schlaftrank bitten. Aber sein Stolz ließ nicht zu, Schwäche durchschillern zu lassen; nicht, wenn es den anderen Schülern von Beauxbatons auch gelang, füreinander stark zu bleiben.

Er riss seinen Blick von dem weißen Fellvieh los und lehnte sich wie zur Einladung einer provokanten Diskussion zurück in den Stuhl. „Ich sehe keins", entgegnete er leichthin, die Hände schon auf die Lehnen aufgestützt, um sich zu erheben. „Wie schön, dass wir etablieren konnten, dass wir beide hier nur unsere Zeit verschwenden."

Madame Pomfrey stieß nicht zum ersten Mal an diesem Montagnachmittag ein tiefes Seufzen aus. „Mister Kim", begann sie und hätte es sich die silberne Katze nicht auf ihrem Schoß bequem gemacht, hätte sie wahrscheinlich in einem Akt der Frustration ihre Nasenwurzel massiert. Taehyung beobachtete das Tier abschätzig. „Das Ministerium für Magie hat eine Sitzung mit einer kundigen Heilkraft für alle Schüler und Schülerinnen aus unserer Nachbarschule angeordnet, um über Ihre Erlebnisse in Frankreich zu sprechen und das zu verarbeiten, was Ihnen dort widerfahren ist. Unter diese Verordnung fallen auch Sie."

„Hat das Ministerium Sie auch damit beauftragt, Ihre Schützlinge abzuhören, wenn Sie sich Ihnen im Vertrauen öffnen?"

Hör auf, Taehyung, seufzte sein Unterbewusstsein. Die alte Frau schaut schon grimmiger drein als Madame D'Aboville bei einer verpatzten La Poule in der Fledermaus-Quadrille.

Brüskiert fasste sich die Heilerin an die Brust. „Wie bitte?", platzte es verärgert aus ihrem schmallippigen Mund heraus und Taehyung deutete mit einer trägen Kopfbewegung auf die Flauschkugel in ihrem Schoß.

„Das Ding hört mit."

„Das Ding?"

„Das Fellknäuel. Die Katze."

„Nun gut, dieses Ding frequentiert zu Hunderten die Gänge dieses Schlosses-"

„Dann hat Hogwarts wohl ein ernsthaftes Streunerproblem."

Junger Mann!"

Unbeeindruckt blinzelte Taehyung zu der Frau hoch. Ihr Auftreten erinnerte ihn an die geschworenen Weberinnen im Lazarett, die zu Beginn des Jahres den Krankenflügel von Beauxbatons bewohnt hatten, bevor der Westtrakt des Schlosses im April eingestürzt war und die Krankenstation unter sich begraben hatte. Dieses weinrote Kleid in Kombination mit dem stillosen, weißen Taft... Hoffentlich hinkte die Hogwarts'sche Heilkunst nicht so weit ihrem europäischen Äquivalent auf dem Festland hinterher. So wie ihre Mode die moderne Zurückgebliebenheit der Briten beinahe zelebrierte, dürfte er mit seiner Annahme allerdings nicht gänzlich danebenliegen.

Madame Pomfrey notierte sich ärgerlich etwas auf einem äußert leer aussehenden, wie Taehyung befand, Stück Pergament, strich mit der Spitze ihrer bauschigen Feder seinen Namen auf der Anwesenheitsliste durch. Es kratzte auf dem Papier.

„Wenn Sie nicht hier sind, um sich von emotionalen Qualen freizureden, und auch nicht intendieren, in naher Zukunft unsere Organisation der Offenen Ohren in Anspruch zu nehmen", hob sie säuerlich klingend an, „dann tun Sie uns bitte beide den Gefallen und entlassen Sie sich aus Ihrer Sitzung. Ich muss noch mit zweiundvierzig anderen Schülern von Ihrer Schule dasselbe Gespräch führen und ich erhoffe mir denselben Erfolg wie aus Ihrer Konsultation. Der nächste."

Vor der gewaltigen Eichentür des Krankenflügels tummelte sich eine äußerst unförmige Schlange von Beauxbatons-Studenten. Sein Vetter stieß sich in dem Moment von der Fensterbank ab, in dem Taehyung die Klinke ins rostige Schloss einrastete, ein fragender Ausdruck in den braunen Augen.

„Und? Wie war's?", erkundigte Seokjin sich und das echoende Geschnatter auf dem Korridor verstummte, als sich ein Haufen aufmerksamer Augen auf Taehyung richtete. Der zu schnelle Lyonnaise verriet Seokjins eigentliche Unruhe vor der verbindlichen Therapiesitzung bevor seine aufgesetzte Fassade sich selbst Unrecht getan hätte.

Seine Antwort war durchwirkt von Sarkasmus. „Horizonterweiternd, was sonst."

Seokjins Schultern sanken eine Idee unter seinem grünen Bellefeuille-Pullover, verloren ihren Eindruck von starrer Gefasstheit. „Also nicht so schlimm wie angenommen?"

„Ein wenig dubios, vielleicht. Die Frau ist humorlos, scheint aber ganz kompetent zu sein. Mir kam es mehr wie eine Anhörung als eine Sprechstunde vor, aber, hey-" Taehyung hielt Seokjin am Handgelenk zurück, bevor er sich aus der Reihe der wartenden Schüler lösen und die Tür zum Flügel aufziehen könnte. Er hielt seine Stimme nicht gesenkt, damit der Rest der Schülerschaft sie im Echo des Ganges nicht verlieren würde. „Seit meiner Sitzung hält sich eine Katze in der Station auf, ich würde mit dem, was ihr sagt, vorsichtig sein. Sie war noch nicht dort, als Élise dran gewesen ist, vermutlich ist sie gerade dann in die Räumlichkeiten geschlüpft."

Taehyung wusste selbst, wie er sich anhörte, dafür musste Seokjin nicht so unbeeindruckt die Augenbrauen bis an seinen Haaransatz hinaufziehen.

„Jetzt belauschen uns schon Katzen?"

„Keine Katzen", beharrte er, „sondern Animagi im Auftrag des englischen Ministeriums."

Zugegeben, hätte er ein paar Stunden länger geschlafen, hätte Tommaso heute Morgen nicht so lange das Badezimmer ihres Schlafsaals blockiert, weil er irgendeinem Hufflepuff-Mädchen zu imponieren gedachte, und hätte sein Vertrauen nicht ein paar arge Hiebe im letzten Kampf kassiert, hätte er sich selbst lächerlich gehalten.

Oh, Tae." Die Hand seines Vetters strich blonde Locken aus seiner Stirn, ein belustigtes Funkeln in seinen Augen glitzernd. „Vielleicht solltest du doch besser meinen Platz einnehmen und dir von der Krankenschwester Verfolgungswahn diagnostizieren lassen."

Hinter ihm kaschierte Dominique amateurhaft ihr Kichern und Taehyung besann sich trotz seiner Übellaunigkeit zu einem hochgezogenen Mundwinkel. „Pass einfach damit auf, wie viel du über dich preisgeben willst", riet er Seokjin, der sich vor den Schnitzereien in der imposanten Eichentür noch einmal zu ihm umdrehte. Rückwärts trat Taehyung zurück. „Und lasst euch nichts aufschwatzen. Wer nicht mit Hogwarts' Heilenden sprechen möchte, kann immer zu uns Älteren kommen, wir hören euch zu. Ich warte in der grande entrée auf dich."

Seokjins Blick durch den offenen Türspalt in den Krankensaal erschien ihm eine Spur zu nachdenklich. „Vielleicht lasse ich mich davor lieber direkt einweisen."

„Oh, nein, du wirst genau wie ich diesem Pflegen magischer Mistviecher beiwohnen", lachte Taehyung auf. „Wir gehen gemeinsam unter, Cousin."

Hoseok müsste es als den Triumph seiner Karriere werten, für alle fünfundvierzig Gäste aus Beauxbatons Schnupperstunden in ihren entsprechenden Jahrgängen arrangiert zu haben. Die Freude seiner Division hielt sich zwar in Grenzen, aber wessen Engagement so hell strahlte wie Hoseok Jungs, den konnte vermutlich keine Enttäuschung überschatten. Taehyung nahm die Treppe ins Erdgeschoss in Angriff und schritt sie hinunter. Ihr Tag bestand aus Einblicken in die Hogwarts'sche Lehrkunst und er dankte all den quirligen Göttern, die das schottische Schloss beseelten, dass Seokjin nicht von ihm getrennt worden war. Offensichtlich gab es zu viele Überschneidungen in ihren Kursen, um seinen Vetter in den neunten Jahrgang von Hogwarts zu stecken, aber gänzlich durchblickt hatte Taehyung das System der Schule noch nicht. Was er allerdings mittlerweile verstanden hatte, war, dass sich der achte und neunte Jahrgang hier ausgewählte Fächer und Themen teilte und sie in den letzten beiden Perioden an der Schule lediglich fach- und berufsgerecht spezialisierte. Heute Morgen hatten sie Doppelstunden von Wahrsagen und Geschichte der Zauberei beigewohnt und es war Taehyung ein Rätsel, wie man die mittelalterlichen Koboldkriege so langweilig verpacken konnte wie es dem geisterartigen Professor augenscheinlich hier ganz spielerisch gelang. Er war nicht nur einmal während seiner monotonen Erzählung über die Aufstände in Warwickshire in der letzten Reihe über seinem geliehenen Buch eingedöst. Nicht, dass sein Morgen viel Raum für die Fantasie gelassen hatte, sich einen guten Start ins schottische Schulleben vorzustellen: die Professorin für Wahrsagen hatte ihm einen grauenhaften Tod hervorprophezeit und mit der Kunde hatte sich sein guter Wille, allen Unannehmlichkeiten zum Trotz dem Schulalltag in Hogwarts vorurteilsfrei zu begegnen, so gut wie von selbst verflüchtigt.

Nach dem Mittagessen in der Großen Halle waren sie vom Unterricht befreit worden, um an den vom Ministerium veranlassten Sitzungen teilzunehmen, und Taehyung ärgerte es, dass er wegen so einer Zeitverschwendung einen der einzigen Kurse verpasst hatte, der ihn wirklich interessierte: Verteidigung gegen die dunklen Künste. Jetzt müsste er bis Donnerstag auf die nächste Doppelstunde warten und vorher sich noch die Hände schmutzig machen, wenn sie am Nachmittag erst Pflege magischer Geschöpfe und danach Kräuterkunde besuchten. Nach dem Abendessen stand die letzte Blockeinheit des Tages an, Astronomie, und obwohl Seokjin schon am Mittagstisch lauthals über seinem Schokopudding deklariert hatte, nach dem Dinner nur noch ins Bett fallen zu wollen, war Taehyung gewogen, sich sein einstiges Lieblingsfach aus seiner Zeit an der Beauxbatons-Akademie zumindest einmal anzuschauen.

Über den verschneiten Gipfeln der Pyrenäen hatte man damals die beste Sicht auf die Konstellationen am Himmel erhascht. Er wagte zu bezweifeln, dass das schottische Hochland diesem Eindruck gerecht werden konnte, aber dann allerdings hegte Taehyung auch relativ geringe Erwartungen an diese Schule, seine Ansprüche zufriedenzustellen. Er kam immerhin von Beauxbatons, hatte die unvergleichlich anspruchsvollste Ausbildung genossen, die ein magisches Kind sich in ihrer Welt erträumen lassen konnte. Beauxbatons war nicht umsonst vom Internationalen Magischen Bildungskongress zur besten Akademie gekürt worden. Es war nahezu tragisch, dass diese Auszeichnungen schön an den Wänden des marmornen Schlosses ausgesehen hatten, es aber nicht vor Eindringlichen geschützt hatten.

Wie immer, eigentlich, war die Halle von Hogwarts auch zur Nachmittagszeit stark von Schülern und Schülerinnen frequentiert, wenn auch nicht so brechend voll wie zu den allgemeinen Speisezeiten.

Zwischen den Lerneinheiten von fleißigen Ravenclaws hatten sich vereinzelte Hufflepuffs und Gryffindors niedergelassen, die über Aufsätzen und Hausaufgaben brüteten. Einige Professoren zogen zwischen den Reihen hin und her wie Raubtiere, die darauf warteten, bis ihre Beute mit schlechten Schummeltricks und Kopierzaubern auf sich aufmerksam machen würde. Offensichtlich spielte die Häusertrennung hier nur eine Rolle, wenn Preise auf dem Spiel standen. Taehyung hielt nach einer freien Lücke an den Langtischen Ausschau, wo sich Élise und ihre Freundinnen niedergelassen haben konnten. Er kam nie so weit.

Gerade, als er die Große Halle betrat, ertönte ein ohrenbetäubend lauter, heller Schrei und jemand warf sich mit voller Wucht gegen ihn.

TAE!"

Überrumpelt stolperte Taehyung zurück, fing die Person gerade so noch auf bevor sie beide auf den harten, kalten Steinboden gestürzt wären.

Ein Bündel in einem blutrotem Gewand und unter einer viel zu großen Pelzmütze strahlte ihn in seinen Armen wie die verzauberte Sonne an der Hallendecke an und Taehyung brauchte einige Momente, um zu begreifen, wer vor ihm stand.

Jimin?!"

Aufgeregt nickte Jimin, dann fiel er ihm jaulend wieder um den Hals—mit einem Arm, denn der andere, linke steckte in einer weißen Schlinge.

Oh, es ist so toll, dich wiederzusehen, es war so furchtbar dort oben in Schweden, so kalt und eisig und überhaupt, die Leute da sind so streng und herzlos und sie wollten, dass ich mir meine Haare abschneide, meine schönen Haare kahl scheren, und ich hab euch so-"

„Was-was machst du hier?!", fiel Taehyung ihm japsend ins Wort, vor Schreck wie erstarrt seinen Freund in Augenschein nehmend, bevor er ihn mit rasendem Puls wieder an sich zog. Sein Herz stieß einen Schmerzenschrei aus, blutete, wollte vergehen, als Jimin schniefte. Er roch nach Schnee und Winter und Zuhause. Unwillkürlich presste Taehyung ihn ein wenig fester an sich und erlaubte es sich einen Moment lang, vor Überwältigung die Augen zu schließen.

Sein bester Freund war zurück; größtenteils, wie es schien, unversehrt, wohlbehalten und mit diesem ansteckenden, strahlenden Lächeln, das Taehyung sehnlichst in den kalten Schlossmauern gesucht und vermisst hatte.

Die großen Augen seines Seelenverwandten sonderten im Schein des Kerzenlichts einen glasigen Schimmer ab, den Taehyung mehr als alles andere in der Welt, die endlich wieder in ihre Fugen gerutscht war, von seinen rosigen Wangen wischen wollte.

„Zu euch kommen, natürlich", lächelte Jimin in seinem vertrauten, klaren und deutlichen Parisien, mit einer Hand linkisch eine verirrte Träne von seiner pausbäckigen Wange wischend. Unter der Röte eines kühlen Septembertages konnte Taehyung die feine, rosane Narbe sehen, die Erinnerung an Beauxbatons, die seinen Wangenknochen zierte. „Ich bin schon seit heute Vormittag hier, es wurde Zeit, dass mir endlich einer von euch in die Arme—oder den Arm—läuft. Ich hab mich dort oben in Durmstrang nicht wohl gefühlt und den Professoren so lange damit in den Ohren gelegen, bis sie mir erlaubt haben, Monsieur Dumbledore zu schreiben. Sogar die Flüchtlings-Karte musste ich ausspielen, bis sie mich überhaupt angehört hatten." Jimin schniefte verdrossen und Taehyung legte beide Hände an sein Gesicht, um es einzurahmen, in seinen Fingern und in seiner Erinnerung. Sein Freund legte sanft eine Hand auf seinen Handrücken, strahlte ihn gerührt an. „Ich wusste ja nicht, dass ihr alle nicht zu uns nachkommt, und der nette Herr hat mir versichert, dass in Hogwarts immer freie Plätze auf seine französischen Freunde warten würden-"

„Was ist mit deinem Arm, haben sie dir wehgetan?", wollte Taehyung entsetzt wissen, doch Jimin schüttelte nur den Kopf.

„Disapparier-Missgeschick", lächelte er verlegen. „Hab mich zu sehr auf die Reise gefreut. Du hast mich doch immer gescholten, ich würde irgendwann noch einmal meinen Kopf vergessen, nicht? Tja, dieses Mal war es mein Arm. Aber keine Sorge!", schob er vermeintlich beschwichtigend hinterher, als Taehyung ihn irritiert anstarrte. Jimin richtete die Schlinge über seiner Schulter und glättete den blutroten, mit Pelz versetzten Umhang an seiner Brust wie einen Schild, der seine Verletzung vor den Blicken abschirmen sollte, die ihnen gerade zuhauf aus der Halle zugeworfen wurden. „Meine Reisebegleitung aus Durmstrang hat mir geholfen und die liebe Dame aus der Krankenstation hat mir versichert, dass es nur ein paar Tage dauert, bis ich meinen Arm wieder benutzen darf. Hausaufgaben musst du für mich aber mitschreiben", fügte er neckisch hinzu, ein schelmisches Glänzen in den Augen. „So sehr darf ich meinen Armen dann doch noch nicht belasten. Oh, ich bin so froh, hier sein zu dürfen, findest du dieses Schloss nicht auch liebenswürdig? Ich bin ganz hingerissen von seiner Geschichte und seinen reizenden Schülern-"

„Welche reizenden Schüler?", hakte Taehyung nebensächlich und nicht ganz unsarkastisch nach, während er die Pelzmütze von Jimins Kopf nahm und die blonden Engelslocken darunter sanft richtete. Die Pariser würden sich im Grab umdrehen, wenn sie sähen, mit was für unmodischem Tand Jimin sich schmückte.

„Alle, eigentlich." Begeistert zog Jimin ihn am Ellbogen hinter sich her und Taehyungs Blick fiel nicht sonderlich erfreut auf den Knotenpunkt von Schülern, zu dem ihn sein bester Freund indizierte.

Ihm entging nicht, dass die ganze Halle ihr überraschtes Wiedersehen verfolgt hatte. Er konnte es ihnen nicht einmal übelnehmen. Wenn alle Hausaufgaben so öde sein würden wie eine Doppelstunde Geschichte der Zauberei, würde er auch an der nächstbesten Ablenkung festhalten. Taehyung sah zwei Zweitklässlerinnen gerührt nach ihren Taschentüchern greifen. Verlegen zog er den Kopf ein und richtete sein Augenmerk wieder auf Jimin, der munter vor sich herplapperte. „Diese allerliebsten Damen hier haben mir Gesellschaft geleistet, während ich auf irgendjemanden aus unserer Division gewartet habe, und mir die Regeln vom englischen Zauberschach beigebracht. Barbarisches Spiel, ehrlich, wir sollten auch einmal eine Partie gegeneinander wagen. Merci nochmals!"

Aus schläfrig-schönen, schokoladenbraunen Augen blinzelte ihn niemand Geringeres als Marigold Aberdeen an, die mit auf dem Tisch verschränkten Armen vor einem Schachbrett saß und Jimin mit einem stummen, wenn gleich auch freundlichen Blick bedachte.

„Es war uns ein Vergnügen", kicherte eine ihrer Freundinnen hinter vorgehaltener Hand, eine der zerborstenen, wie es schien, Spielfiguren, durch ihre Finger wandern lassend. Ihr blaues Augenmerk traf Taehyungs und sie verriet sich, als sie bei ihrer vermeintlich beiläufigen Frage nervös ins Stammeln geriet. „Taehyung, richtig?"

Er nickte knapp und besann sich dann wider seines Willens seiner Aufbringung. „Danke euch", entgegnete er formvollendet, eine Hand an Jimins unterem Rücken, um ihn zum Weitergehen zu animieren.

Das blonde Mädchen mit den blauen Augen ließ nicht locker. Es war beeindruckend, wie sie sogar ohne Sprechen all ihre perlweiß glänzenden Zähne zur Schau stellen konnte. „Ich bin Francesca Camberwell. Vielleicht hast du schon von mir gehört." Sein abwartendes Blinzeln trat eine bemerkenswerte Mischung aus Enttäuschung und Panik in ihrem Gesicht los. „M-Meine Mutter hat siebenmal in Folge den Preis für das charmanteste Lächeln in der Hexenwoche gewonnen. Das ist ein Rekord."

„Herzlichen Glückwunsch", kommentierte Taehyung plump und blendete geflissentlich den empörten Blick von Jimin aus.

„Wir sind eng mit der Redaktion befreundet", beteuerte das Mädchen, das jetzt nervös mit ihren goldenen Locken zu spielen begann. „Vielleicht ziert in der nächsten Auflage ja dein Lächeln die Titelseite."

Es kostete Taehyung alles an Überwindungskraft, vor Scham nicht das Gesicht zu verziehen. Er konnte sich nicht daran erinnern, in dieser Halle überhaupt schon einmal gelächelt zu haben.

Jimin hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen kommen, um den Saal mit seiner ehrlichen Großherzigkeit zu erfrischen, denn Taehyung wäre sicherlich nichts annähernd so Nettes eingefallen, wie es Jimin förmlich in flüssiger Form durch die Adern rann. „Wie außerordentlich reizend", freute er sich in seinem schweren französischen Akzent und zwei Mädchen begannen mit rotbäckigen Gesichtern zu strahlen. „Es war mir ein Vergnügen, eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Wir sehen uns bestimmt bald noch einmal, wenn es mir nach einer Revanche steht, ja? Bis dann!", rief er und Taehyung nickte einmal unbeholfen, verhakte nochmals den Blick mit der stillen Marigold Aberdeen und folgte dann schnellen Schrittes Jimin zum Kopf des Langtisches, an dem glücklicherweise keine giggelnden Schülerinnen saßen.

Seufzend wollte Taehyung sich niederlassen, da klapste Jimin ihm bestimmt gegen die Brust.

Au-Was zur-?"

Jimin hatte die Stirn in tiefe, empörte Falten gelegt. „Was ist mir hier zu Ohren gekommen?", japste er, weit zu ihm vorgelehnt. „Ihr fangt an, französisch zu sprechen, wenn ihr keine Lust habt, euch mit den Engländern zu unterhalten? Tae!", setzte er entrüstet hinterher, als Taehyung keinerlei Anstalten machte, den Vorwurf abzustreiten. „Das ist unhöflich, was ist das denn für eine Unart!"

„Du wirst es selbst noch verstehen", murrte Taehyung, „wenn alle erst einmal anfangen, über dich zu sprechen."

„Ja, und? Das ist doch schön! Ich für meinen Teil knüpfe gerne außerschulische Freundschaften, so viele wie möglich, je mehr desto besser." Jimin schüttelte den Kopf, ließ den Blick über die verzauberte Decke schweifen, an der heute graue, triste Schäfchenwolken träge von dannen zogen. Dann schmunzelte er. „Außerdem, mit so einer Jahrhundertsflappe kommst du sicherlich nicht auf das Titelbild der Wochenhexe."

„Und du mit deinem Arm nicht ins Bett, wer ist hier ärmer dran, hm?"

Crétin", stichelnd Jimin grinsend, einen Keks aus den bereitstehenden Schälchen gestohlen und munter darauf kauend. Neugierig beugte er sich vor, als Taehyung ein zerknülltes Stück Papier aus seiner Hosentasche hervorzog. „Oh, ist das ein Stundenplan?", freute er sich aufgeregt, quasselte aber schon weiter, bevor sein Freund antworten konnte. „Großartig! Direkt in den neuen Schulstoff hineintauchen! Mein Gepäck ist schon nach oben gebracht worden, du wirst mir zeigen, wo ich mich aus diesem skandalösen Echtpelz schälen kann, dann komme ich gleich mit dir mit zu... Pflege magischer... Geschöpfe? Und Kräuterkunde? Oh, das klingt spannend, lass' uns bitte sofort losgehen, ja? Trés bon!"

Der Nachmittag versprach trotz der willkommenen, Sonnenschein-ähnlichen Ergänzung in ihrer Gruppe keine Besserung. Taehyung glaubte, noch nie einem inkompetenteren Professoren untergekommen zu sein als dem Wildhüter Rubeus Hagrid, der ihnen in ihrer ersten Stunde eine Herde von Thestralen vorstellte. Taktlosigkeit musste in seinem Unterricht ganz oben bei den zu behandelnden Themen stehen, denn außer den Beauxbatons-Schülern zuckte niemand vor dem Anblick der geflügelten, schaurigen Pferde zurück.

Er hätte sich die Hand vor die Stirn schlagen können, als er herausfand, warum.

„Thestrale werd'n zu Unrecht mit schlechten Omen in Verbindung gebracht. Vollkommener Aberglaube, wenn ihr mich fragt", polterte der Halbriese vor seiner Klasse, die, wie Taehyung befand, äußerst klein war. Sieben Letztklässler schienen seinen Kurs zu besuchen und die waren beschäftigt damit, verwirrt im weiten Laubwald nach den Pferden zu suchen. „Sie sin' äußers' wertvolle Nutztiere, hm? Könn'n lange Strecken flieg'n, Professor Dumbledore höchstpersönlich vertraut auf ihre Ausdauer. Is' natürlich... hilfreicher, wenn man sie auch richtig sehen kann, äh, es stimm' schon, dass sie nur von Mensch'n geseh'n werden können, die dem Tod begegnet sind, aber-oh."

Die restliche Unterrichtsstunde war eine gelinde gesagt ziemlich unangenehme Kamikaze. Zwei Sechstklässlerinnen von Beauxbatons hatten zu weinen begonnen und Taehyung konnte während des Aufstiegs des Hügels zurück zum Schloss nicht so ganz nachvollziehen, warum sein Freund so entzückt von den fledermausähnlichen, ledernen Tieren mit den unheimlichen, pupillenlosen Augäpfeln war.

„Ich find' sie ganz nett", erklärte Jimin heiter, ein rosa Schimmer der Anstrengung auf den Wangen, während er die Anhöhe erklomm. „Und eigentlich ist es doch faszinierend, dass sie nur von denen gesehen werden können, die Menschen sterben gesehen haben, oder? Als würden sie zwischen unseren Herzen differenzieren. Irgendwie witzig."

„Oh, ja", ächzte Seokjin hinter ihm. „Urkomisch fanden Fanette und Appoline sie auch. Zum Todlachen."

Jimin schoss ein breites Lächeln auf ihn ab. „Wenn die beiden sich nicht in den Kurs einschreiben wollen, sind wenigstens meine Chancen höher, noch einen Platz zu ergattern."

Amüsiert prustete Taehyung, der nicht daran glaubte, dass Hagrids laienhafter Kurs einen enormen Ansturm von wissbegierigen Schülern erfahren würde. „Jimin", hob er theatralisch an, als sie oben angekommen waren, und legte einen Arm um die Schultern seines Freundes, „ich glaube, dir ist beim Disapparieren nicht nur der Arm verloren gegangen."

Kräuterkunde entpuppte sich als derselbe Reinfall wie Pflege magischer Geschöpfe, denn eine fuchsiafarbene Horntensie hätte fast Seokjins Finger durchbohrt, als er ihren Topf zurecht gerückt hatte. Verärgert saugte sein Vetter beim opulenten Abendessen an dem fiesen Schnitt in seiner Kuppe und schien sein Missfallen an der heutigen Fächerauswahl in einer großen Ladung Wackelpudding ertränken zu wollen. Jimin war einer der wenigen aus ihrer eingeschworenen Runde von Beauxbatons-Studenten, der nicht aufhören konnte, seine Faszination über die quirligen Fächer ihrer britischen Nachbarschule zum Ausdruck zu bringen. Taehyung schnitt still das Steak für ihn, während Jimin darin ausschweifte, wie überwältigend er Schottlands Flora und Fauna empfand. Falls er bemerkte, dass die Hälfte des Tisches ihm zuhörte, besaß er den Anstand, es sich nicht anmerken zu lassen. Das Dinner ging reibungslos vonstatten, vielleicht auch deswegen, weil der erste richtige Tag zurück in einem festen Schulsystem sie ermattet hatte. Taehyung spürte seine Knie stechen, als er im Zug des Ravenclaw-Hauses die erste Treppe von gefühlten Hunderten in Angriff nahm. Seufzend stellte er sich seinem Schicksal und ließ sich, nach einer Quadrillionen von Stufen oben im Gemeinschaftsraum angekommen, in einen der Sessel aus plüschigem, dunkelblauen Samt fallen.

Hätte etwas nicht so sehr in seiner hinteren Hosentasche gepikst, hätte er sich wahrscheinlich den süßen Lockungen eines gemütlichen Abends hingegeben. Taehyung zog das zerknitterte Papier hervor und seufzte, als ihm dämmerte, dass er eigentlich noch einen Abstecher in die letzte Unterrichtseinheit des Tages machen wollte. „Kommt wer mit zur Astronomie-Stunde?", fragte er lustlos und schaute von seinem Stundenplan auf.

Seokjin war auf dem Sofa in sich zusammengesunken wie ein formloser Kartoffelsack. Er warf ihm einen zweifelnden Blick zu. „Wo findet das statt?"

„In..." Taehyung überflog das Papier. „Im Astronomieturm. Siebter Stock."

Die Antwort aus ihrer gemütlichen Kamin-Runde war eindeutig. Sogar Jimin, der den ganzen Tag über nicht mit seiner Begeisterung für das schottische Schloss hinter den Berg gehalten hatte, blinzelte lediglich müde in das warme Flackerlicht des Feuers. Tommaso nahm ihn in Augenschein, bevor er sachte an Jimins rechter Schulter rüttelte. „Komm", forderte er ihn sanft auf. „Ich zeig' dir, wo du schlafen kannst. Du musst todmüde sein." Gähnend und mit hängendem Kopf schleppte Jimin sich zur Wendeltreppe in die Jungsschlafsäle hinauf und Taehyung spürte seinen guten Willen, seinem Lieblingsfach einen Besuch abzustatten, graduell in der behaglichen Gemütlichkeit des Gemeinschaftsraums schwinden.

Dominique nahm den frei gewordenen Platz auf dem Sofa ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Am Rande seiner erschöpften Wahrnehmung hörte er, wie sie verkündete, sobald wie möglich mit Manon und Lucinda dem ersten Quidditch-Spiel der Saison beiwohnen zu wollen. Ihre Mutter spielte für die Quiberon Quafflepunchers und hatte große Fußspuren für eine ehrgeizige Tochter hinterlassen, die auf Beauxbatons die einzige Quidditch-Mannschaft der Schule angeführt hatte. Ihm war bereits aufgefallen, dass Hogwarts dem Flugsport mehr Beachtung zollte als es in seiner Akademie üblich gewesen war, schien ein jeder Schüler hier doch insgeheim mit seinem Hausteam mitzufiebern.

Seokjin murmelte ein „Unzivilisierte Sportart" unter seinem Atem, bevor er einen abwartenden Blick auf seinen Freund im Sessel abschoss. „Geh' schon hin, Taehyung. Professor DuPont war immer verzückt von deinen Sternbild-Künsten, das englische Äquivalent wickelst du auch um deinen Finger."

„Ich weiß nicht einmal, wo der Astronomieturm ist."

„Nimm' die Treppen", scherzte Seokjin ironisch. „Nach oben, würde ich sagen."

„Als wenn man den Treppen in diesem Schloss trauen könnte."

Ein Buch klappte laut zu und Taehyung zuckte, so versunken im Sessel gelümmelt, zusammen, als eine freundliche Stimme ertönte.

„Ich zeig' dir, wo der Astronomieturm ist." Mit einer routinierten Bewegung richtete Namjoon die Hornbrille auf seiner Nase, ein freundliches Lächeln in seine weichen Mundwinkel eingegraben. Er ließ ein schwarzes, schlichtes Buch auf einem der vielen Tischchen zurück, die die Wandverkleidungen schmückten. ‚Der weiße Hai' stand ganz oben auf der Titelseite in hellen, serifenlosen Großbuchstaben und Taehyung fragte sich inständig, ob dieses Werk auch zum Kurs Pflege magischer Geschöpfe gehörte.

Nur langsam kam er auf die Beine, der Wille, dankend abzulehnen und sich wieder in seinen Sessel fallen zu lassen, ein unerträglicher, als Namjoon vor der Sofarunde zum Stehen kam und bereits beflissen den blau-silbern-gestreiften Schal um seinen Hals enger zog. Er vergrub die Nasenspitze in dem Stoff, ein erwartungsvoller Ausdruck in seinen Augen. Ergeben stellte Taehyung sich seinem Schicksal. Ihm lag ein gemurmelter, halbherziger Dank auf den Lippen, als er nach dem Ravenclaw den Gemeinschaftsraum verließ und vorsichtig den Greifenkopf wieder in seiner Halterung einrastet. Es war nett—aber Taehyung hatte auf Begleitung aus seinen Reihen gehofft, nicht auf... hiesige.

Abends herrschte in den Korridoren der Schule Totentanz. Niemand kam ihnen auf ihrem einsamen Weg entgegen und Taehyung konnte nicht anders, als Namjoon für seine wetterbeständige Kleidung zu beneiden. Der frische Nachtwind blies durch die Schlossmauern, brachte ihn unter dem fliederfarbenen Ombrelune-Pullover, den er von Laurent geborgt hatte, zum Frösteln. Sein Atem kondensierte in der Luft, zirkulierte gegen die Decke und er rieb seine Hände aneinander, während Namjoons raue Stimme ihren gleichmäßigen Schritt unterhielt. „Ich bin selbst nicht in Astronomie eingeschrieben", begann er zu erzählen und nahm dabei die nächste verborgene Treppenwindung in Angriff, ohne ins Schnaufen zu geraten. Taehyung hatte Mühe, mit ihm mitzuhalten. „Aber es gibt durchaus ein paar kundige Sternenleser in unseren bescheidenen Reihen. Normalerweise besucht Hoseok die Astronomie-Stunden", hob er an und Taehyungs Herz stieß einen erleichterten Seufzer aus, als er glaubte, jemanden in der Stunde kennen zu können. „Heute hat Professor Sinistra ihn freigestellt, Schulsprecher-Kram, wenn du verstehst. Hat die Hände immer zu voll für die Fülle seines Stundenplans. Ist mir, als eingefleischter Ravenclaw, ein Rätsel, wie er die überhaupt alle überwältigen will. Und so, da wären wir schon."

Er blieb am Ende einer Wendeltreppe stehen und deutete einladend auf eine weitere Treppe, die sich metallen und gewunden zu einer Plattform hinaufschlängelte. Der Turm stand offen. Ein eiskalter Septemberwind zauste Taehyungs Locken und auf der Suche nach Wärme vergrub er seine Fingerspitzen eine Idee tiefer in der wenig Trost spendenden Bauchtasche seines Pullovers. Namjoon lehnte an der Brüstung, ließ die Finger auf dem Geländer trommeln.

„Soll ich dich nachher wieder abholen?", erkundigte er sich höflich und schob bei Taehyungs irritiertem Blick hinterher: „Falls du... nicht allein den Weg zurückfindest? Sowas kann passieren, vor allem in eurer ersten Woche hier."

Taehyung lehnte ab, zu stolz, um nach Hilfe zu fragen, und wappnete sich gegen die eisige Kälte oben auf der Aussichtsplattform, als er mit dumpf und blechern hallenden Schritten die Stufen bezwang. Ein rauer Hochlandwind zerrte an seiner Kleidung, als er auf dem Plateau angelangte, ließ den Stoff seiner Hose geräuschvoll um seine ausgelaugten Beine schlackern. Obwohl seine Muskeln Schmerzen des Protests gegen diesen unverhältnismäßig langen Tag durch seine Glieder schossen, befand Taehyung die Belohnung seiner Mühen als wettgemacht.

Die Aussichtsplattform glich einem offenen Observatorium. Dutzende Teleskope waren neben gemütlich aussehenden Liegen aufgestellt, die in den funkelnden Nachthimmel über Schottland ausgerichtet waren. Die ewige Schwärze hatte sich über das Hochland wie ein glitzerndes Tuch gelegt, das von hier oben so nah schien, als könnte man mit einem Fingerzeig seine Fasern aus Sternstaub streifen. Wider seines Willens musste Taehyung zugeben, dass die Aussicht atemberaubend war. Das gesamte Schlossportal lag ihnen zu Füßen, der finstere Wald hinter den Gründen der Schule erstreckte sich weit und düster bis in die Ferne der hügeligen Landschaft. Wie ein seltener, schwarzer Limolit glänzte der See im sichelförmigen Mondlicht. In Hagrids Hütte brannte warmes, oranges Licht, das mutig der umschlingenden Dunkelheit trotzte. Taehyung fiel auf, dass er während seiner innigen Observation der Sternwarte kein Wort von sich gegeben hatte. Röte entflammte in seinen Wangen, als er den überraschten Blick der Professorin, wie er annahm, begegnete.

„Ein Nachzügler", stellte sie mit einer verträumten, rauchigen Stimme fest. Taehyung nickte steif. Sie deutete einladend auf eine der freien Liegen, bevor sie sich wieder hinter ihrem Teleskop verkroch. „Gesell' dich gerne zu uns. Der Merkur steht heute in einem ausgezeichneten Dreißiger-Winkel im Schweif der Artemis. Schnell, sonst siehst du ihn das nächste Mal erst nach der unteren Konjunktion."

Taehyung begann zu kontemplieren, ob sein Lerneifer Überhand genommen hatte, als er sich stumm im Schneidersitz niederließ und die Hände unter den Oberschenkeln vergrub, um Restwärme zu sparen. Ein Mädchen mit grünen Augen, braunem Haar und dem gelb-schwarzen Schal der Dachse bot ihm schüchtern an, bei ihr auszuschauen, und Taehyung nahm das Angebot lieber an, bevor er selbst versuchen müsste, die östlichste Elongation am Nachthimmel ausfindig zu machen.

Er sollte schnell lernen, dass Hogwarts seine Studien auf diejenigen Rauchbilder erbaute, die Professor Sinistra, wie ihm das hilfsbereite Mädchen zuwisperte, augenscheinlich aus den Gestirnen am Himmel ablas. Der Unterricht schien stark auf die europäische Mythologie gestützt zu sein. Als ein Gryffindor-Junge sich meldete und einen Stern nahe des Andromedanebels fälschlicherweise als Sirius betitelte und dem Sternbild des Großen Hundes zuwies, schoss Taehyungs Hand umgehend in die Höhe. Professor Sinistra schien ihn mit Verlaub dranzunehmen, schwang doch etwas Irritiertes in ihrem Gesichtsausdruck mit, als sie ihn aufforderte, sich mitzuteilen.

Kurz haderte Taehyung, dann entgegnete er nach einem probehaltigen Blick ins Buch: „Der Stern gehört zur Konstellation der Carina, der Große Hund liegt mit einer... negativ-sechzig Grad Deklination, schätze ich, zu weit südlich zum Pol, um ihn von hier aus zu betrachten. Außerdem hat Sirius doppelten Sonnenradius", schob er ein wenig zaghafter hinterher, weil der Gryffindor-Junge ihn derartig verwirrt anblinzelte als hätte Taehyung ihn gerade zu einer Rangelei provoziert. Scheu nahm Taehyung die Hand wieder runter. Er hüstelte einmal. „Was... bedeutet, dass er heller leuchtet als Canopus. Das... da oben ist nämlich... Canopus."

Seinen sozialen Untergang besiegelte er wahrscheinlich durch seinen Einschub über die Ungebräuchlichkeit des französischen Messier-Katalogs, der lediglich die Sternbilder der Nordhalbkugel auflistete und damit gänzlich ungeeignet für einen allumfassenden Unterricht sei. Die dunkelhäutige Frau starrte ihn aus tellergroßen Augen an als sähe sie einen Schüler, der das Wort Magnitude gebrauchte, zum ersten Mal durch die Gläser ihrer sternförmigen, blauen Brille. Behelligt von den Blicken seiner Mitschüler, die sich dem Anschein nach nur in die Kunst der Astronomie zum Lückenfüllen ihrer Stundenpläne eingeschrieben hatten, sank Taehyung zurück in die Schatten der Teilnahmslosigkeit. Wenigstens schien seine Sitznachbarin Daphne, wie sie sich bei ihm vorstellte, als sie zusammen den Sternenhimmel nach dem Quadrat der Pegasus-Konstellation absuchten, erfreut über sein astronomisches Interesse. Sie hielt sich im Unterricht zurück, aber Taehyung sah aus dem Augenwinkel, dass sie fleißig mitschrieb und komplizierte, mathematisch aussehende Gleichungen über die Rektaszensionen der Himmelskörper auf den engen Seitenrändern festhielt.

„Normalerweise können wir in den beiden Montagsstunden anspruchsvollere Logarithmen behandeln", erklärte Daphne ihm, während sie ihr Buch einpackte. Taehyung bemerkte mit einem Schwall von Schuldgefühlen, dass die Sprache darin noch immer die italienische war. Er hatte eine Seite ins Französische zu übersetzen versucht und sein angeknackster Zauberstab hatte rote Funken gesprüht und ihm dann, vermutlich aus Trotz, seinen Dienst verweigert. Daphne schulterte ihren Rucksack und wischte sich vom Wind zerzauste Haarsträhnen aus der Stirn. „Mit diesem Haufen kann man keine Magnituden berechnen. Der Rest unserer Runde besteht zumeist aus den ganz hellen Köpfen, aber oftmals fehlen die Stundenträger in der ersten Schulwoche. Der erste Tag zurück in Hogwarts ist sogar für Ravenclaws manchmal zu anstrengend, besonders jetzt in den letzten beiden Jahren—Murphy, lass den Quatsch und gib es mir wieder."

Der astronomisch äußerst unbegabte Gryffindor hatte sich hinter ihnen auf der letzten Stufe der metallenen Wendeltreppe aufgebaut und hielt mit einem verschmitzten Grinsen Daphnes Ausgabe von Sternschauer und Kometengucker für Fortgeschrittene, Band 2 in den Händen. Dunkelblonde Strähnen fielen ihm in einer verwegenen Manier vor die blauen Augen, die er mit einer Kopfbewegung aus seinem Sichtfeld bannte. Er schien sich besonders witzig vorzukommen, als Daphne entnervt die Hand nach dem Buch ausstreckte—und ins Leere griff.

„Alles klar?", warf er Taehyung mit einem schiefen Grinsen zu, bevor er das Buch hinter seinen Rücken und außerhalb der Reichweite der resigniert ausschauenden Hufflepuff hielt. Taehyung gefiel sein spitzbübischer Tonfall nicht. „Ich hab' mich immer gefragt, ob es stimmt. Jetzt hab' ich wenigstens 'ne Antwort drauf."

„Worauf?", hakte Daphne schroff nach.

„Ob ihr Beauxbatons-Bratzen die Nasen deswegen so weit oben tragt, weil ihr euch für etwas Besseres haltet. Dein Nacken muss ganz schön wehtun, oder? Kein Wunder, dass du alle Sternbilder auswendig kennst. Viel mehr gibt's da oben ja auch gar nicht zu sehen." Murphy grinste, zwei seiner Freunde brachen dümmlich in Gelächter aus und Daphne schnitt eine Grimasse, während sie Taehyungs Handgelenk ergriff.

„Hör nicht auf sie", murmelte sie kopfschüttelnd. „Die wollen nur Ärger. Keiner in Hogwarts denkt wirklich so."

„Genau", spottete Murphy amüsiert, deutete eine überzogene Verbeugung an. „Entschuldigt den niederen Pulk, wir wollten Euch nicht auf Euren schönen, blauen Seidenschlips treten. Glaubt bloß weiterhin, Hogwarts wäre Euer Schloss und Ihr seine Prinzessin. So habt Ihr es ja offensichtlich auch Zuhause in Frankreich gehandhabt."

Taehyung schüttelte Daphne von sich ab, drehte sich um und schlug dem Jungen direkt ins Gesicht.

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Author's Note

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