CHAPTER SIX ─── secrets

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Hoseok Jung

This Is The Life — Amy Macdonald

TAEHYUNG FÜHLTE SICH WIE EIN gescholtenes Kind, während er von Professor McGonagalls Argusaugen regelrecht seziert wurde.

Das sonnenverwöhnte, dezente Büro fügte sich ironisch passend in die Persönlichkeit seiner Bewohnerin ein: ausgekleidet mit bis zum Bersten gefüllten, staubigen Bücherregalen, steinernen, streng dreinblickenden Ritterstatuen und altem, poliertem Eichenmobiliar, versprühte auch der achteckige Raum einen Flair, der ihn an das letzte Jahrhundert erinnerte.

Nur eine einsame Schale mit Ingwerkeksen zierte ihre akribisch freigehaltene Tischfläche.

Er wertete es als ein schlechtes Zeichen, dass sie ihnen keinen anbot.

Neben ihm starrte Jeongguk missmutige—scheinbar verpasste er das Training seiner eigenen Quidditch-Mannschaft—Löcher ins Leere, die Arme vor der Brust und einem abgetragenen Shirt-Aufdruck einer italienischen Rockband verschränkt, so weit in den Stuhl zurückgelehnt, dass Taehyung jeden Moment um die Unversehrtheit seiner Hände fürchtete. Auf Beauxbatons hätte Madame Salamanca, ihre Professorin für Manierlichkeit, dafür präzise, magische Hiebe auf seine Handrücken niederschellen lassen. Er ließ sich erst aus seiner apathischen, weltentrückten Trance der Übellaunigkeit hervorlocken, als seine Hauslehrerin ein Geräusch ausstieß, das allemal nicht menschlich klang.

„Ist Ihnen eigentlich bewusst", brauste die ergraute Professorin auf, leise und eisig, und vermutlich machte genau das die Gefahr darin aus, „dass Sie mit Ihrem monumental hirnrissigen Kräftemessen nicht nur Ihren Aufenthalt auf dieser Schule, sondern auch das Wohl Ihrer Mitschüler gefährdet haben? Ich könnte Sie rauswerfen, alle beide, und kein Professor aus dem Kollegium würde sich für Ihre Wiederaufnahme starkmachen."

Taehyung fand, dass er eine Kunst daraus machte, mit wie viel falschem, angemessenem Schuldbewusstsein er den Blick gesenkt hielt. Was er von den kurz angebundenen Instruktionen, die Hoseok ihm auf den Weg zum Büro der stellvertretenden Schulleiterin zugesteckt hatte, behalten hatte, war, dass er besser darin aufgehoben war, den Mund zu halten, als sich eine lahme Verteidigung aus den Fingern zu ziehen. Jeongguk schien als Angehöriger ihres Hauses genau denselben Anweisungen unterwiesen worden zu sein—oder er war schon ziemlich oft in das Büro seiner Hauslehrerin zitiert worden, denn die Weise, wie ungerührt er in seinem Stuhl lümmelte, hatte etwas ungemein Gemütliches.

Erbost schob die Professorin die Brille zurück vor ihre stechend grünen Augen. „Zu meinem und Professor Cezars Leidwesen liegt das allerdings nicht in meiner Hand." Ihr Augenmerk zuckte zu ihm und unter ihrem Atem fügte sie verdrießlich hinzu, während sie irgendetwas auf ihrem Pergament durchstrich: „Würden sich diese Schrumpfhirne vom Ministerium nicht überall einmischen."

„Was war das, Professor?", grinste Jeongguk, der in ihrem sarkastischen Kommentar Raum für Leichtfüßigkeit mit dem schwerwiegenden Thema zu wittern schien.

Der Blick, den Professor McGonagall auf ihn abfeuerte, war eiskalt. „Sie, Mister Jeon, haben Glück gehabt, dass Ihr Abtrennzauber nur Kleidung getroffen hat", entgegnete sie bissig. „Und nicht etwa Gliedmaßen, sonst hätten wir Mister Kim in Scheiben zum Krankenflügel transportieren können."

Taehyung schob einen Arm zurück über die Rücklehne des Stuhls. „Es war wahrlich haarscharf", pflichtete er ihr mit theatralisch aufgesetzter Düsterheit bei. Er war nicht auf den scharfen Blick vorbereitet, den Professor McGonagall prompt mit einer tödlichen Präzision auf ihn abfeuerte.

„Und Ihnen, Mister Kim, sollte gesagt sein, dass es weder raffiniert ist, noch Ehre darin liegt, ein Zaubererduell vorsätzlich mit einem demolierten Stab zu bestreiten." Ein verdrießlicher Zug umspielte ihre schmalen Lippen, als sie ihre Brille energisch richtete. „Ich gehe doch hoffentlich recht in der Annahme, dass solche niederen Tricks auch auf Beauxbatons nicht geduldet wurden."

Der strenge Nachdruck in ihrer Stimme verriet, was sie so geschickt eingefädelt hatte: sie wollte die Bestätigung ihrer längst gehegten, richtigen Annahme von ihm selbst wiederholt hören. Taehyung spürte alles in sich gegen eine verdammte Entschuldigung aufbegehren, während er sich unter Jeongguks brennendem Seitenblick langsam aufsetzte. Und oh, seine Zunge ließ sich beträchtlich müheloser um eine Ausrede winden als um die verdorbene Wahrheit.

„Mein Stab stammt aus Monsieur Acajors erlesener Handwerkskunst. Er war mit Veela-Haar besponnen-"

„Wollen Sie mir weismachen, Ihr Zauberstab hätte sich verselbstständigt und sich aus einer Laune heraus den Garaus bereitet?"

Es kostete Taehyung alles, um nicht aufsässig zu schnauben. „Nein, selbstverständlich nicht, Professor. Ich will damit sagen, dass mein Stab noch nicht beschädigt gewesen war, als ich das Duell angetreten hatte."

„Aber ein einfacher Diffindo soll ihn zerbrochen haben?" Professor McGonagall blinzelte ihn skeptisch, geradezu ungeduldig an, als langweilte sie die Argumentation, in die Taehyung sich immer tiefer verfranzte; als wollte sie eigentlich fragen Und das soll ich Ihnen abkaufen?, aber verbiss es sich hinter ihren fest aufeinander gepressten, zerknautschten Lippen. „Trotz verfehlter Intention des Fluchs? Dann wage ich anzumerken, dass Sie auf Acajors Zauberstabschmiede getrost verzichten können."

Es begann unter Taehyungs Haut zu kochen, und er ertappte sich dabei, in alte, verstaubte Muster zurückzufinden; in eine Verteidigung zu gleiten, die ihm so natürlich war wie seine manierlich eingetrichterte, bis zur Perfektion polierte Haltung. Er war es nicht gewohnt, für etwas zur Rechenschaft gezogen zu werden, das er in keinster Weise zu einer noch so kleinen Unze bereute. Seit der Krieg im letzten Winter auf dem Festland ausgebrochen war, hatte er sich mühselig aus den Prinzipien und Konsequenzen von Schuld und Buße herausgewunden, hatte er mit schwerem Herzen Abschied genommen von einer gerechten Welt, in der Ordnung nicht so einfach stürzen konnte wie Marmorsäulen und Glaskuppeln. Jetzt steckten sie ihn zurück in eine Schule und erwarteten von ihm... was genau? Bedingungslosen Gehorsam? Mühelose Assimilation?

Die Wahrheit war, dass er noch viel weiter gegangen wäre, als nur mit demoliertem Stab auf seinen Kontrahenten loszugehen, dem war Taehyung sich tief und ehrlich bewusst. Jeongguk war der einzige, der einen Einblick in seine absolute Tatbereitschaft erfahren hatte, und Taehyung spürte kalte Schweißperlen sich auf seiner Haut ansammeln, als er mit mahlendem Kiefer das Augenmerk auf seinen Schoß lenkte. Das hier, dieses Kreuzverhör war Jeongguks Chance, ihn vor unvollendete Tatsachen zu stellen und mit seiner inhärenten, wie es schien, Grausamkeit zu konfrontieren. Beim Gedanken an die Macht, die dem Gryffindor in den tätowierten Händen lag, lief es ihm eiskalt über den Rücken.

Wo sollte er hin, wenn Hogwarts ihn verstieß? Frankreich lag in Scherben und Trümmern, die Grenzen wurden so stark patrouilliert wie zuletzt zur Französischen Revolution, das vereitelte jegliche Fluchtmöglichkeit in die Kim'sche Sommerresidenz in Lyon. Durmstrang, vielleicht? Jetzt, wo Jimin ausgezogen war, mussten sie doch sicherlich eine Vakanz freihalten. Oder im deutschen Neuschwanstein? Würde ihn das britische Zaubereiministerium überhaupt gehen lassen, wenn es davon erführe, dass er, der impulsive Wütige, einen Engländer beinahe mit dem Cruciatus-Fluch belegt hätte?

Zaghaft warf Taehyung einen Blick zu Jeongguk, doch zu seinem unbändigen Überraschen schien der Junge mit den wilden Locken nicht ansatzweise interessiert an ihrer Unterredung. Seine braunen Augen waren unablässig auf das Fenster gerichtet, und als Taehyung sich eine Winzigkeit zurücklehnte, sah er auch, wieso.

Das Büro der stellvertretenden Schulleiterin war direkt auf das Quidditchfeld ausgerichtet. Aus dieser Perspektive konnte er die winzigen, farbigen Punkte ausmachen, die mit einem Höllentempo die gestreiften Haustürme des Spielfelds umflogen. Kein Wunder, dass eine gute Hälfte des Zimmers mit golden glänzenden Pokalen ausgestellt war—in Professor McGonagall schien ein regelrechter Quidditch-Enthusiast zu erblühen, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt war, die Haare auf ihren Zähnen zu zählen.

Kaum merklich fuhr er in sich zusammen, als die hölzernen Läden vor den Fenstern klappernd zuschlugen. Er hatte nicht gedacht, dass Professor McGonagall noch verdrossener dreinschauen konnte, als sie ihren Zauberstab manierlich wieder auf ihrer Tischfläche niederlegte und das dunkle, elegant geformte Holz dabei einheitlich der Richtung eines Buchs anglich. Vielleicht sprach das für eine von vielen Zwangsstörungen, die mit der Arbeit als stellvertretende Schulleiterin einhergingen, dachte Taehyung still bei sich.

Jeongguk ließ sich von ihrer stillen Maßregelung nicht überzeugen. Er blinzelte zwar wieder und kippte den Kopf zur Seite, aber in seinen Augen glänzte nicht mehr Interesse daran, Taehyungs Abschiedsexempel zu statuieren, als vorher.

„Professor, bei allem Respekt, können wir zum Punkt kommen?", fragte er mit einem, fast schon leidtragenden Seufzer. „Was sollen wir verrichten, Strafarbeiten, Waldgänge, Kerkerdienste mit Filch? Sagen Sie's uns, ich kenne die Formalitäten in- und auswendig, ich bring sie Mister Kim schonend bei."

Taehyung wusste ehrlicherweise nicht, was ihn mehr verblüffte: die unleugbare Tatsache, dass Jeongguk offenbar Stammgast in Professor McGonagalls Büro war, oder die Unverfrorenheit, mit der er das Wort an seine Hauslehrerin richtete. Nein, vermutlich verschlug ihm die geradezu familiäre Abgebrühtheit, mit der Professor McGonagall hinnahm, wie er mit ihr umsprang, endgültig die Sprache.

„Davon bin ich überzeugt, Mister Jeon." Die strenggesichtige Frau lehnte sich zurück und etwas an dem berechnenden Funkeln, das in ihren Augen aufblitzte, gefiel Taehyung ganz und gar nicht. „Denn Mister Kim wird am morgigen Samstag der Winkelgasse einen Besuch abstatten, und Sie werden ihn nach London begleiten."

Was?"

Die unverhoffte Hiobsbotschaft hatte anscheinend das Leben zurück in Jeongguk eingeflößt, denn er hatte sich schlagartig in seinem Stuhl aufgerichtet und so weit vorgelehnt, dass er beinahe vornüber kippte. Taehyung konnte nicht behaupten, er wäre weniger bestürzt. Konsterniert starrte er Professor McGonagall an und suchte ihr Selbstgefälligkeit anmutendes Gesicht nach Beweisen dafür ab, dass sie sich nur einen durchtriebenen Scherz mit ihnen erlaubt hatte—vergebens. Sie hielt dem Blick ihres Schützlings regungslos stand und behielt es sich sogar vor, bei Jeongguks aufopferungsvollem Vorschlag, stattdessen alle drei regulären Strafen gleichzeitig zu verrichten, nicht mit der Wimper zu zucken.

„Professor", schob jetzt auch Taehyung mit einem Nachdruck in der Stimme ein, von dem er hoffte, dass er nicht so erschrocken klang wie er sich fühlte. „Das ist ein großzügiges Angebot, aber weder kann noch will ich einen Stab aus englischer Zauberstabschmiede erwerben. Ich werde eine Eule zum Place Cachée entsenden, um von Monsieur Acajor einen Stab aus seinem Repertoire zu erbitten..."

Professor McGonagall schien ernsthaft verdattert, wenn nicht sogar empört von seinem kläglichen Versuch, Hogwarts Hilfe abzuweisen, denn sie wandte sich ihm mit brüskierter Unbeeindrucktheit zu. Und Taehyung realisierte mit sinkendem Herzen, dass sein Vorhaben zum Scheitern verurteilt gewesen war, seitdem er den Mund zum Protest geöffnet hatte. Seine immer leiser werdende Stimme verlief sich im Sande, bis er schließlich hoffnungslos verstummte.

„Gut", entschied Professor McGonagall, offenbar zufrieden mit seiner stillen Kapitulation. „Ich werde Mister Ollivander noch heute Abend eine Eule zukommen lassen, die ihn über Ihr Gesuch informiert."

Professor", brauste Jeongguk wieder auf, dieses Mal mit echter, roher Verzweiflung in der Stimme. Taehyung wusste nicht recht, ob ihn die Heftigkeit, mit der er diese Bestrafung von sich abzuwenden versuchte wie ein drohendes, fatales Unglück, beleidigen sollte. Jeongguk leckte sich energisch über die Unterlippe, eine tiefe, irritierte Furche zwischen den Brauen. „Ich kann nicht nach London reisen, am Samstag finden die Auswahlspiele für Gryffindors Quidditch-Mannschaft statt-"

„Dann hoffe ich, dass Sie ihren stellvertretenden Kapitän mit Bedacht ausgewählt haben", fuhr ihm seine Hauslehrerin trocken über den Mund. „Und dass Miss Jung genauso viel daran gelegen ist, unser Haus zum Sieg zu führen, wie Ihnen." Sie vollführte eine nachlässige Geste, die Taehyung erst verstand, als sie ihn mit ihrem adlerscharfen Augenmerk taxierte. „Sie sind nun entlassen, Mister Kim, und dürfen zum Unterricht zurückkehren. Mister Jeon, ich will noch einen Moment mit Ihnen unter vier Augen sprechen."

Die Holztür knarzte, als Taehyung sein ganzes Gewicht darin legte, sie zuzuziehen. Dumpf fiel sie in ihr rostiges Schloss und noch dumpfer ertönten die Stimmen hinter der massiven Holzschicht, an die er sich in einem Ausdruck des Trotzes mit verschränkten Armen lehnte. Bei Malecrits treuester Schreibfeder, wie sehr vermisste er die Bequemlichkeit eines einfachen Abhörzaubers, denn trotz der absoluten Stille im Korridor zu Professor McGonagalls Büro hatte Taehyung alle Mühe, ihre Worte zu verstehen.

Erst, als er das Ohr regelrecht gegen die Tür presste, was dem Türschloss ein merkwürdig gackerndes Geräusch entlockte, meinte er, eine Besorgnis elterlicher Art aus McGonagalls Stimme lesen zu können.

„... Sie dafür, dass Mister Kim sich amüsiert, ja? Ich habe die Ahnung, dass ihm etwas Ablenkung von allem... hier guttun könnte." Vor seinen Augen hatte der grüne Blick der Professorin einen wässrigen Ausdruck angenommen. Taehyung runzelte die Stirn und hielt den Atem an, um mehr zu verstehen.

„Haben sie die Artikel im Tagespropheten gelesen?"

Das war Jeongguks Stimme; entnervt. „Die mit den Hausdurchsuchungen in den französischen Reinblüterfamilien? Ernsthaft, Ma'am, ich glaube nicht, dass ich der Richtige bin, um für diese blasierten Schönlinge zu sprechen-"

Das war Professor McGonagalls Stimme; warnend. „Mister Jeon."

„Keinen Schimmer, Professor. Ja, vielleicht, Kim vergräbt zumindest immer seine Nase in den neusten Ausgaben. Vielleicht ist er heute Morgen noch nicht dazu gekommen, weil Sie uns so früh einbestellt haben."

„Mit Absicht", sagte Professor McGonagall hart. „Den Kims steht, wie vielen anderen reinblütigen Familien, ein Inquisitionsverfahren des französischen Zaubereiministeriums bevor. Ich will Mister Kim nicht in Hogwarts mit diesen... diesen sensationslüsternen Aasgeiern wissen, wenn die Reportage über die Ergebnisse dieser Prozesse veröffentlicht wird."

„Wie?" Jeongguk musste die Augenbrauen zusammengeschoben haben und der Mund aufgeklappt sein, so exaltiert, wie er seine Nachfrage formulierte. „Soll das bedeuten, wir bleiben bis Sonntag in London?"

„Ganz recht, Mister Jeon." Krude Sorge tränkte McGonagalls mit Bedacht gewählten Worte. „Sollten die Nachrichten... wider Erwartens schlecht ausfallen, werden wir uns mit dem Kollegium und den Ministeriumsabgesandten beratschlagen, bevor wir Schlüsse über Mister Kims Erbe ziehen. Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen zwei Zimmer im Tropfenden Kessel zu reservieren, ich hoffe, das macht Ihnen nicht aus."

„Professor", seufzte Jeongguk, und Taehyung stellte sich vor, wie er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und die Füße auf dem Schreibtisch überschlug, „solange das Butterbier auf Ihren Spitzhut geht, werde ich mich nicht beschweren."

Der Türknauf stieß wieder dieses trockene, heisere Lachen aus, dann verschwammen die dumpfen Stimmen in seinen Ohren zu einer einzigen, undurchdringlichen Verflechtung aus Klängen und Tönen, und Taehyung sah sich dazu gezwungen, mit einem seltsam benommenen Gefühl in der Brust zurückzutreten.

Er hatte sowieso genug gehört.

Wie er seinen Vater, das amtierende Oberhaupt der Kim-Dynastie, kannte, würde es ihn nicht erfreuen, die Speichellecker des Ministeriums vor seiner Türschwelle warten zu sehen. Kim Hyunshik war ein barscher, kühler Mann mit eiserner Disziplin, von Kindesbeinen an gestählt auf eine Karriere im Zaubergamot, und nichts ohne die Ehre seines Familiennamens. Der unerwartete Tod seines Erben Sangook hatte auch etwas aus ihm vertrieben; ein Sanfmut, der nur in seltenen Momenten von absoluter Fragilität Zuflucht in ihm gefunden hatte. Taehyung hatte ihn zuletzt an Weihnachten gesehen, und da hatte er sich nach dem traditionellen Festessen in ihrem Salon baldig in die Bürokratie des Staates zurückgezogen.

Fieberhaft dachte er nach, während er die endlos vielen Treppenstufen zum Gemeinschaftsraum der Ravenclaws in Angriff nahm, doch ihm wollte auch bei der vierten Wendung um den Säulenturm nicht begreiflich werden, was sich das französische Zaubereiministerium aus einem Hausbesuch bei ihrem Obersten Gerichtsmeister versprach. Bei der Vorstellung, dass sie sie möglicherweise krimineller Aktivitäten verdächtigten, fühlte er eine dunkle, spitze Klaue nach seinem pochenden Herzen schnappen. Dieses Matriarchat, unter dem die Stillen Schwestern operierten, hatte den Kims schon einen Sohn gekostet. Er wollte ihnen nicht auch noch einen Vater verlieren.

Die bronzene Kuppel schwang geräuschlos zu, nachdem Taehyung in den Gemeinschaftsraum eingetreten war, und er musste sich vor einem aufsässigen Schwarm verzauberter Papierflieger hinwegducken, denen ein äußerst atemloses Mädchen hinterherrannte. Sie erstarrte zur Salzsäule und japste eine erschrockene Entschuldigung, und Taehyung fragte sich unwillkürlich, ob er tatsächlich zu einer Person geworden war, vor der man bei albernen Kindereien erblassen musste.

Selbst wenn sie deinen Vater drankriegen, gackerte eine leise, hämische Stimme in seinem Hinterkopf, stehst du ihm bald in nichts mehr nach.

„Tae!"

Eine Bewegung durchzuckte die blaue Samtsofalandschaft und Jimins erleichtertes Gesicht kristallisierte sich zwischen Stapeln von Kissen heraus. Taehyung hielt mit einer unbändigen Erleichterung auf seine Freunde zu und setzte sich halbseitig auf die Lehne des großen, gemütlichen Ohrensessels vor dem Kamin, den Seokjin und seine manierlich festgehaltenen Hausaufgaben im Fach Kräuterkunde eingenommen hatten. Sein Vetter schüttelte mit schmerzverzerrter Miene seine tintenbekleckste Hand aus, murmelte irgendwelche lateinischen Begriffe, die genauso gut Teufelsanbetungen und Geisterbeschwörungen sein könnten, und Jimin vollführte eine abweisende Handbewegung.

„Scher dich nicht um ihn. Madame Sprout hat ihm eine ganze Pergamentrolle an Strafarbeit aufgebrummt, weil er eine Alraune gegen die Wand gepfeffert hat."

„Ich wusste nicht, dass sie schreien", murrte Seokjin mit rot unterlaufenen Augen. Offensichtlich arbeitete er schon die ganze Nacht daran, sein Missgeschick auszubügeln. „Ich hab mich eben erschrocken."

„Und dabei so mädchenhaft gekreischt wie eine Erstklässlerin", fügte Jimin mit einem jovialen Glucksen hinzu. „Es war urkomisch. Die arme Pflanze durchläuft ganze vier Stadien der Pubertät, nur um dann als unappetitlicher Fleck an einer Wand zu enden. Schon ein ziemlich tragisches Schicksal."

Taehyung stieß einen tiefen Atemzug aus. „Nicht das einzige heute Morgen", fügte er hinzu und erzählte dann seinen Freunden mit gedämpfter Stimme von den Ereignissen in Professor McGonagalls Büro.

Namjoon, der auf dem gegenüberliegenden Sessel in einem Besenpflege-Buch gestöbert hatte, klappte es beinahe bemitleidend zu, als Taehyung erschöpft die Strafe anriss, zu der sie die stellvertretende Schulleiterin verdonnert hatte. „Das ist Pech", kommentierte er mitfühlend, geübt die Hornbrille auf seiner Nase richtend. „Die Winkelgasse ist der wundervollste Ort in ganz Südengland, nur die Begleitung... lässt zu wünschen übrig."

Einzig und allein aus dem Grund, weil er das einzige Mal mit dem schwarzhaarigen Studenten übereinstimmte, fuhr Taehyung ihn nicht dafür an, sich eingemischt zu haben. Er war sowieso zu ausgelaugt von den Ergebnissen des Morgens, um noch einen Streit vom Zaun zu brechen.

Jimin hatte die Unterlippe vorgeschoben und bedachte erst Namjoon und dann Taehyung mit einem neidischen Blick. „Ich verstehe ehrlich gesagt nicht das Problem. Ich wünschte, mein Zauberstab wäre entzwei gebrochen", seufzte er und rutschte theatralisch an der Rücklehne des Sofas herab. „Ich würde alles dafür geben, die Winkelstraße besuchen zu können."

„Winkelgasse", korrigierte Namjoon ihn.

„Winkelgasse, Winkelstraße, Winkelweg, kommt doch aufs selbe hinaus. Ich war zuletzt vor einem Jahr im Place Cachée—die französische Winkelgasse, Namjoon—und wenn ich nicht bald wieder Süßwaren aus Rammelle's Verzauberung koste, fürchte ich, werde ich durchdrehen."

„Du dramatisches Stück Arbeit", scherzte Seokjin mit schwach hochgezogenen Mundwinkeln, während er das Verzeichnis seiner bemerkenswert zerfledderte Ausgabe von Magische Pflanzen des Mittelmeeres und ihre Wirkungen nach etwas absuchte. „Anstatt die Mitleidskarte zu spielen, kannst du Taehyung auch einfach darum bitten, für dich einzukaufen."

Sugarplums Süßwarenladen", warf Namjoon in den Raum hinein und blinzelte überrascht, als sich drei verwirrte Mienen ihm zeitgleich zuwandten. Er errötete in Rekordgeschwindigkeit. „Habt ihr noch nie davon gehört? Der Schuppen ist berühmt, dort findest du mitnichten alle Köstlichkeiten aus der magischen Welt, womöglich auch welche aus Frankreich. Wenn du in Jeons Begleitung die Gasse erkundest, werdet ihr sicherlich auch einen Abstecher ins Sportgeschäft, Qualität für Quidditch, und einen Schreibwarenladen, Zauberfeder & Tintenträume, machen, das Geschäft gehört seinem älteren Bruder."

„Der Quidditch-Laden?", hakte Jimin begeistert nach, und Namjoon sah von seinem Buch auf und schüttelte dann den Kopf.

„Hm? Nein, der Schreibwarenladen. Jeon Hanbin, Hufflepuff, er hat lange vor Jeongguks Raketenaufstieg an die Spitze der Beliebtheit in Hogwarts mit Bestnoten promoviert. Man kann über die Jeons sagen, was man will, aber der Ehrgeiz und die groß gesteckten Ziele sind inhärente Charaktereigenschaften." Ein bedauerlicher Zug umspielte seinen vollen, sanften Mund. „Das mit deinem Zauberstab tut mir Leid", gestand Namjoon, und Taehyung wusste es nicht besser als dieses ehrliche Mitgefühl mit einem steifen Nicken anzunehmen. „Ich bin in der Holzkunst nicht bewandert, aber vielleicht tröstet es dich, zu wissen, dass selbst Mister Ollivander, Englands Zauberstabhersteller, meine ich, ihm nicht hätte helfen können. Er arbeitet nicht mit Veela-Haar. Ich hab selbst einen Blick auf deinen Stab werfen dürfen und er ist... nun ja..."

„Ein hoffnungsloser Fall", schloss Seokjin plump und dehnte mit schmerzverzerrter Miene seine verkrampften Finger aus. „Unreparierbar. Für alle Zeiten kaputt. Was auch immer du hören musst, um dir in deinen sturen Schädel einzutrichtern, dass du dringend einen neuen Stab gebrauchen kannst. Es wird dich nicht umbringen, dir einen neuen anzuschaffen, der nicht mit Großmutter Lavernes Haar besponnen ist."

Taehyung verzog die Lippen zu einem dünnen Strich und erwiderte erst nichts, während er herunter auf seine Füße schaute. „Es geht mir gar nicht vorrangig um den Kern", gab er dann irgendwann leise zu. „Mir könnte es nicht egaler sein, ob beim nächsten Phönixfedern oder Drachenherzfasern verarbeitet sind. Ich häng an den Erinnerungen meines alten Stabs."

Eine betretene Stille hielt Einzug über ihre Ecke des Gemeinschaftsraums, der zu einer solch frühen Uhrzeit am Freitagmorgen von äußerst wenigen Ravenclaws frequentiert wurde, und Taehyung schwelgte in ihrer süßen Verheißungslosigkeit wie auf einer schwerelosen, erstickenden Wolke. Sein Vater hatte ihm den Steineichenstab zu seinem achten Geburtstag geschenkt, sogar die damalige Zaubereiministerin Antoinette Toussaint war anwesend gewesen, als er den Stab zum ersten Mal geschwungen hatte. Er hätte ihn sein ganzes Leben lang begleiten sollen, nicht nur durch einen unsinnigen, ungerechten Krieg hindurch, der ihm so viel mehr abverlangt als einbeschert hatte. Taehyung bezweifelte stark, dass es ein Zaubererholz geben könnte, das ihn so innig verstehen würde wie sein erster Zauberstab es getan hatte. Wer so viel Glück mit seinem ersten magischen Begleiter gehabt hatte wie er, der würde garantiert nicht noch eine zweite solche Koryphäe unter den Stäben finden.

Eine Hand stahl sich auf sein Knie und Taehyung blickte in Jimins warme, schokoladenbraune Augen, die ihm mehr denn je zuvor vorkamen wie Zuhause.

„Und du wirst sie ja auch nicht verlieren, nur weil du einen neuen Zauberstab aussuchen wirst", tröstete er ihn sanft. Mit dem Zeigefinger deutete er auf seine Brust. „Sie werden für immer sicher darin aufbewahrt. Nicht in irgendeinem Holzgefäß, das reißen und zerbersten und kaputt gehen kann. Vielleicht, wenn du irgendwann soweit bist, kannst du den neuen Stab als eine Art Neuanfang betrachten. Für Sangook und Ch-Chiae und alle anderen, deren Andenken erhalten werden müssen."

Obwohl Jimins leise Stimme beim zweiten Namen knackste und brach, war es der erstgenannte, der in einer ewigen, monotonen Schleife durch Taehyungs leergefegte Gehirnwindungen wie ein einsames, uraltes Klagelied echote.

Sangook, Sangook, Sangook, Sangook.

Eine Enge verkeilte sich in seiner Kehle. Taehyung schluckte gegen den schmerzhaften Klos an, gegen das vorherrschende, tragische Wissen, dass ihr beidseitiger, so ähnlicher Verlust sie enger aneinander geschweißt hatte als harmonische Erinnerungen ihrer Freundschaft es je gekonnt hätten. Die Meilensteine, die sie überkommen waren, waren mit Blut besudelt, und Blut klebte. Er umgriff Jimins Hand und drückte sie fest mit seiner, während Jimin schniefte und ein Taschentuch aus seiner Hosentasche friemelte.

Er fühlte sich grauenhaft hilflos, denn er bewältigte es nur, heiser hervorzustoßen: „Danke, Jimin."

Jimins große Augen glänzten glasig, als er ein trauriges Lächeln auf ihn abschoss, bevor er beherzt seine Nase schnäuzte. „Ich möchte eine Handvoll, nein, zwei Handvoll escargots en caoutchouc", trug er ihm mit nasaler Stimme auf, und Namjoon, der sich bis jetzt respektvoll im Hintergrund gehalten hatte, blickte lächelnd von seinem Buch auf. „Außerdem zwei Tüten grenouilles en chocolat, eine Packung souris de glace, aber nur die mit Vanille-Geschmack, Toffee, Zauberstäbe aus Lakritz, und sonst noch alles, was dir ins Auge fällt und mir gefallen könnte."

„Das ließe sich einrichten", erwiderte Taehyung mit milder Belustigung. Er lehnte sich zurück und sah beiläufig zu, wie Seokjin seine hingebungsvolle, wissenschaftlich datierte Aufzeichnung über den verantwortungsvollen Umgang mit Dianthuskraut im Sport sortierte. „Wir verbringen nämlich eine Nacht in einem Gasthaus in der Winkelgasse. Wenn ich am Sonntag nicht zwei volle Papiertüten voll Süßkram mitbringe, erteile ich dir hiermit die Erlaubnis, mich bis in alle Ewigkeit zu deinen geliebten Tierwesen mitschleifen zu dürfen."

Jimin schien begeistert, Seokjin prustete und Namjoon schüttelte grinsend den Kopf, und Taehyung beschlich die leise Ahnung, dass dieser unscheinbare, leichte Moment zwischen ihnen zu etwas Monumentalem erblühen könnte, wenn er ihm den nötigen Raum dafür gäbe. Und zum ersten Mal bereitete ihm dieser Gedanke gar nicht so viel Furcht wie sonst.


Der Herbstnebel umwaberte das Schloss noch in dünnen, silbrigen Bänken, als Taehyung am nächsten Morgen pünktlich vor 8 Uhr sein Frühstück verspeiste und dann den spärlich besetzten Langtisch der Hufflepuffs—Hoseok hatte ihn als eine der wenigen frühen Eulen dieser Schule eingeladen, sich zu ihm zu gesellen—verließ, bevor der Ansturm von verschlafenen Schülern eine gute Stunde später die traditionell englischen Toasts, Würstchen und den süßen Porridge beanspruchen würde.

In seinen Händen hielt er ein Papierticket, das Professor McGonagall ihm am Abend zuvor nach seiner Verwandlungsstunde zugesteckt hatte, und er drehte es nachdenklich zwischen seinen Fingern, während er mit schnellen, zielstrebigen Schritten die Eingangshalle und den Nordflügel durchquerte. Der erste und einzige Expresszug heute, der im kleinen Zaubererdörfchen Hogsmeade Halt machte, würde um Punkt 9 Uhr das Gleis verlassen und auf direktem Wege dampfend runter nach London fahren.

Die Vorstellung, neun Stunden lang in einem Abteil mit Jeon Jeongguk eingesperrt zu sein, befand Taehyung als umnachtend ermüdend. Nach den Ergebnissen des vertraulichen Gesprächs, das er gestern Morgen belauscht hatte, hatte er allen Grund zur Annahme, zu glauben, Professor McGonagall hätte diese... traditionelle Reisemöglichkeit nur aufgefahren, um ihn möglichst lange außerhalb von Hogwarts' Mauern zu beschäftigen.

Er wusste nicht recht, ob ihn ihre subtil verpackte, aufmerksame Geste ihrer Fürsorge rühren oder entnerven sollte. Hätte man ihm die Wahl gelassen, wäre er lieber nach London appariert, als den halben Tag in einem dämlichen Zug zu vertrödeln.

Seine Zimmernachbarn hatten noch tief geschlafen, als Taehyung aufgestanden und sich angezogen hatte, und er hätte sich an ihrer Stelle nicht für dieses Glück, wie Jimin und Tomasso seine Strafarbeit verhätschelten, beneidet. Die dunstige, klamme Kälte eines sterbenden Sommers zwickte seine Haut mit unzähligen feinen Eisnadeln, als er auf den Viadukthof trat und die steinernen Stufen heruntereilte.

Der braune, taillierte Mantel aus Wildleder, den er sich von Laurent geborgt hatte, schlackerte geräuschvoll um seine Waden. Er isolierte besser vor dem feuchtkalten Herbstwetter als seine Schuluniform, die ihn mit ihren zahllosen Löchern und Nahtrissen hoffnungslos der Willkür des schottischen Hochlandklimas ausgeliefert hätte. Gekleidet in ein verschmutztes Taubenblau, hätte er sicherlich mehr ungewollte Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als in dem schwarzem Rollkragenpullover von Seokjin und dem letzten Paar seiner eigenen dunklen Hosen. Taehyung atmete tief durch. Dann schob er die Hände in die Taschen des Mantels und machte sich auf den Weg nach Hogsmeade.

Hoseok hatte ihm freundlicherweise beim Frühstück erklärt, nur der Richtung des plattgetretenen, schlammigen Pfades folgen zu müssen, der sich entlang des Schwarzen Sees schlängelte und an dessen Rändern ein paar wenige Straßenlaternen indizierten, noch nicht vom Weg abgekommen zu sein. Er hatte in einem Nebensatz erwähnt, dass seine Familie und er in einer Gasse in Hogsmeade wohnten, und Taehyung konnte nicht leugnen, dass er beeindruckt war.

In einem reinen Zaubererdorf aufzuwachsen, musste eine gänzlich andere Erfahrung sein, als sich vorsichtig zwischen Non-Magiques und Schutzvorrichtungen den Weg ins Erwachsenenalter zu ebnen.

Hogsmeade sollte sich am anderen Ufer des dunklen, durchaus bösartig schillernden Gewässers befinden, auf der anderen Seite des Verbotenen Waldes, der sich bald schon nach Verlassen des Steinhofs hinter den sanften Hügeln und rauschenden Flussarmen auftat.

Das Schlossgelände flachte in weites, wiesenreiches Hochland und schroffe Bergfüße ab, deren Spitzen sich rau und gräsern zur verhangenen Wolkendecke emporrichteten. Die milden Septembertemperaturen wärmten ihn beim Laufen auf, trieben eine Lebendigkeit in seine Gliedmaßen, die er zwischen den uralten, kalten Gemäuern des Schlosses bereits verloren befürchtet hatte. Einige Momente lang blieb Taehyung vor dem hölzernen Schild stehen, der die kümmerliche Abzweigung des Pfads hinein in den Verbotenen Wald markierte und mit der Warnung Zutritt strengstens verboten plakatiert war. Die Signatur des Ministeriums prangte unter den weißen, fetten und mit der Zeit und Wetter verwitterten Lettern.

Etwas pflatschte, vermutlich eine Pfütze, die mit dem nächtlichen Regenfall aufgefüllt worden war, dann trat jemand an seine Seite.

„Gespenstischer Ort", bemerkte eine Schülerin mit gerümpfter Nase abschätzig, während sie ihre untere Gesichtshälfte im silber-grün-gestreiften Schal der Slytherins vergrub. Ihr pechschwarzes Haar war mit einer silbernen, filigran gearbeiteten, blumenartigen Brosche zurückgesteckt, und sie hatte sich mit Strumpfhosen, Stiefeln und einem dicken, dunkelgrünen Wollmantel gegen die Kälte gewappnet. Ihr katzenähnliches Augenmerk flackerte zu ihm, als Taehyung sich ihr zudrehte, und sie zuckte nachlässig die schmalen Schultern.

„Hin und wieder sollen ein paar abenteuerlustige Erstklässler in den Wäldern verschwinden, aber die werden eigentlich nach ein, zwei Tagen wieder ausgespuckt. Die meisten machen sich schon in die Hosen, wenn sie vor der ersten Weggabelung stehen." Sie zog eine behandschuhte Hand umständlich aus den Tiefen ihres Mantels hervor und bot sie ihm höflich an. „Genevieve Balcombe. Sehr erfreut."

Balcombe. Mit demselben Nachnamen hatte sich auch der schnöselige Leiter für internationale magische Zusammenarbeit in Monsieur Dumbledores Büro vorgestellt.

Verhalten nahm Taehyung ihre Hand an.

„Taehyung Kim. Und nicht sonderlich interessiert daran, in diesem Wald verloren zu gehen wie es den Anschein erweckt."

Genevieve schnaubte amüsiert. „Wohl kaum. Wer sucht schon freiwillig mondlüsterne Werwölfe und fleischfressende Spinnen auf? Ich habe dich den Hof verlassen sehen und dachte mir, ich könnte dich genauso gut begleiten, wenn du nach Hogsmeade spazierst. Du wolltest doch nach Hogsmeade, oder?"

Ihre Augen zuckten zurück zum Torbogen aus verkümmerten Bäumen, die den Waldeingang säumten, und sie zog vielsagend die Augenbrauen in die Höhe; als täte es ihr Leid, wenn sie ihn bei verbotenen Unternehmungen erwischt hatte, und noch mehr, weil sie der Meldepflicht nachkommen müsste.

Er nickte und schickte sich dazu an, sich dem dunklen Charme des Waldes zu entsagen, auf dem Absatz umzudrehen und weiterzugehen. Genevieve hielt wie selbstverständlich mit ihm mit, der Schlamm unappetitliche Geräusche von sich gebend, wenn ihre verdreckten Absätze in ihm steckenblieben.

Taehyung gelangte schon nach wenigen zurückgelegten Metern zu der unspektakulären Erkenntnis, dass ihn ihre Gegenwart nicht so sehr behelligte wie es bei den meisten anderen Repräsentanten der schottischen Hochschule der Fall war. Vielleicht mochte das daran liegen, dass sie ihm nicht mit albernem Gekicher und rotwangiger Verlegenheit das Unwohlsein bis in die Knochen trieb. Oder auf der Plakette ihres Hauses, in dessen Farben sie sich stolz von Kopf bis Fuß gekleidet hatte, stand eine Garantie darauf, ihn nicht zu irritieren, weil er vom Wesen her dorthin untergebracht werden hätte sollen. Was es auch war, es war ungemein erfrischend, sodass Taehyung bald mit gediegener Überraschung feststellte, dass er ihre stille Gesellschaft genießen konnte.

Sie hatte die mit Pelz bestickten Ärmel in ihren Taschen vergraben und zog erst dann eine Hand zwischen dem dichten Wieselfell hervor, um sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen.

„Ich habe dich neulich kämpfen gesehen. In Professor Cezars Klasse", fügte sie bei Taehyungs abwartendem Blick hinzu. „Du warst sehr gut. Très bien."

Verblüfft hielt Taehyung inne, um nicht mitten auf der ausgestampften, verlassenen Straße anzuhalten. „Du sprichst Französisch?"

„Eingerostet", entgegnete Genevieve mit einer Bescheidenheit, die nur aufgesetzt sein konnte, denn sie sprach mit der gleichen typisch östlichen Vernachlässigung der Letter r und h wie eine Muttersprachlerin aus der Normandie. Ihr Cauchois, der vorherrschende Dialekt im Nordwesten Frankreichs, war tadellos, und Genevieve erschien ihm wie ein Wesen, das sich seiner Fähigkeiten zu hyperbewusst war, um nach Ermutigung zu heischen. „Ich pflege Kontakt zu entfernten Verwandten in Frankreich. Ist deine Kampfstrategie das Vorbild eines französischen Duellanten oder hast du die selbst akquiriert?"

Taehyung brauchte einige Momente, um sich aus seiner Überraschung wachzurütteln. Dann schüttelte er den Kopf, und ging neben ihr weiter auf das Dorf zu, deren spitze Dächer hinter Trauerweiden und leeren Feldern bereits aufblitzten.

„Nein, das ist sowas wie meine eigene Taktik."

„Beeindruckend. Ich kenne nur wenige Menschen, die in unserem Alter lautlose Zauberspruchkunst mit so einem Kontrollbewusstsein draufhaben." Genevieve bog an der ersten Weggabelung ab und Taehyung folgte ihr. „Du solltest dich für den Duellierclub einschreiben, hast du darüber schon einmal nachgedacht?"

„Den was?"

„An jedem letzten Samstag des Monats versammelt sich eine Vereinigung der talentiertesten Stäbekünstler hier in Hogsmeade, um magische Wettstreits auszutragen. Duelle, meine ich damit. Nicht jeder schafft es überhaupt in die Auswahl, der Club ist streng geheim, es werden eben nur die besten der besten eingeladen. Dem Gewinner winken nicht zu verachtende Preise." Vor ihrem vollen Mund stiegen beim Sprechen kleine Wölkchen auf.

Taehyung zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ach ja?", fragte er mit schroffer Unbeeindrucktheit. In der Ferne konnte er schon das Wegeschild ausmachen, auf dem der Bahnhof verzeichnet war und sich ihre Wege augenscheinlich trennen würden. „Krimskrams und Lakritzzauberstäbe aus einem Süßwarengeschäft etwa?"

„Ich spreche nicht von Krimskrams und Lakritzzauberstäben." Genevieve kam zu einem abrupten Halt und taxierte ihn verheißungsvoll aus ihren katzenartigen, dunklen Augen. „Sondern von verbotenen Substanzen. Solchen, die ein Schüler auf eigene Faust weder finden noch herstellen könnte. Das Preiskomitee ist in der Hinsicht recht spendabel: nenn ihnen deinen Gewinn, und sie werden ihn für dich auftreiben. Ein hochklassiger Trank oder ein wasserfestes Alibi, um entlegenere Orte des Schlosses und seines Geländes zu erkunden... überleg's dir. Für jemanden wie dich sind Schauduelle doch nur Kinderkram."

Sie hielt mit wehendem Mantel und gegen die Kälte eingezogenen Schultern geradewegs auf das Zaubererdorf an, und Taehyung schaute ihr einige Momente verblüfft hinterher. Dann löste auch er sich, unterdrückte ein Schaudern, als ein rauer Windzug über ihn hinwegfegte, und stapfte auf den Bahnhof von Hogsmeade zu.

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