CHAPTER SEVEN ─── diagon alley
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Yoongi Min
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Lay All Your Love On Me — ABBA
DER SCHARLACHROTE ZUG SETZTE SICH pünktlich in Bewegung und Taehyung sah in einem abgeschotteten Vierer-Abteil ausdruckslos zu, wie Hogsmeade schon bald von pastellgrauen Dampfwölkchen verschluckt wurde und das Zaubererdorf in hügelige Landstriche abflachte.
Sie mussten die ersten und wahrscheinlich auch einzigen Passagiere des Tages sein, denn sobald sie die wahrlich eindrucksvolle Kathedralensilhouette von Hogwarts hinter sich gelassen hatten, begannen verzauberte, schäumende Schwämme und Fensterreiniger mit dem gründlichen Reinemachen der Lok. Bei voller Fahrt zogen die Wischer die äußeren Glasscheiben—beeindruckend streifenfrei—ab und Taehyung, der sich von dem seltsam intimen Überschnitt zwischen schottischem Bilderbuchpanorama und Säuberungsaktion merkwürdig behelligt fühlte, wandte sich bald von den Fenstern ab und seinem Abteil zu.
Es war eine bescheidene Sitzgelegenheit für den halben Tag, den sie hierin vertrödeln würden. Blaue, schlichte Sitzreihen waren einander gegenübergestellt, die gläsernen Türen zugezogen, das Fenster so weit aufgeklappt, dass Schaumblasen vom rauen Zugwind ins Kompartiment geweht wurden und über seinem Kopf zerplatzten.
Jeongguk hatte sich ihm in Fahrtrichtung gegenübergesetzt, einen zerfledderten, abgenutzten Rucksack als Ellbogenstütze zweckentfremdet und eine merkwürdige Apparatur über den Kopf gezogen, die seinen Ohren beidseitig wie zwei gepuffte Halbkapseln auflag und über seinen Scheitel hinweg in ihren faltbaren Haltern verbunden war. Er musste ihn zu offensichtlich angestarrt haben, denn Jeongguk fing seinen Blick beim rhythmischen Wippen seines Kopfes auf und schob kurzerhand eine der Kapseln von seiner darunter begrabenen Ohrmuschel.
Mit einer Selbstverständlichkeit, die nur ein muggelkundiger Zauberer so unverfroren aufbringen konnte, sagte er schulterzuckend: „Was? Neun Stunden Zugfahrt halte ich nicht ohne Musik aus."
Taehyung wusste nicht recht, ob er lieber die Lippen ganz schnell aufeinanderpressen sollte in der Hoffnung, damit jegliche bissigen Kommentare herunterzuschlucken, die sich beim Anblick von Jeongguk ganz eigenständig aus seinem Großhirn loslösten und auf seiner Zunge arrangierten, oder ob er die Zeit besser mit provokanten Bemerkungen ausfüllte, um sich zu beschäftigen. Eine tiefe Furche tat sich zwischen seinen Augenbrauen auf, als Jeongguk zu allem Überfluss ein kleines, eckiges Gerät aus seiner Hosentasche zu Tage förderte, das mit allerlei technischer Raffinessen ausgereift sein musste, um auf bloße Streichberührungen seines Daumens so makellos zu reagieren.
Er tippte auf der schwärzlich glänzenden Oberfläche wahllos herum—dann schaute er auf, als er Taehyungs Verwirrung auch als solche entlarvte. Nicht, dass es viel zu entlarven gab: Taehyung war sich sicher, dass es sich eigentlich nicht schickte, so schamlos zu stieren, aber eingepfercht in einem schalldichten Zugabteil hätte er früher oder später so oder so mit Jeongguk als seinen einzigen Zeitvertreib vorliebnehmen müssen.
„Mein Handy", erklärte der Junge mit den unzähmbar wild wuchernden Locken und hielt das schmale, geschmeidige Objekt dabei in seiner tätowierten Hand wie zur Ausführung seines sinnlosen Geredes in die Höhe. „Damit höre ich Musik oder schreibe mit Freunden, jetzt, wo ich die Sendeblockaden von Hogwarts verlassen habe und wieder auf das Internet zugreifen kann. Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass du noch nie ein Handy gesehen hast. Fuck." Jeongguks ohnehin schon große Augen weiteten sich. „Du weißt nicht einmal, was Internet ist?"
„Ich bin in einer reinblütigen Familie aufgewachsen, die seit dem 15. Jahrhundert ein und denselben Familiensitz bezieht", erwiderte Taehyung und fühlte sich dabei merkwürdig vor den Kopf gestoßen. Er bezweifelte doch sehr, dass Seokjin oder Dominique, die in ebenso prestigereiche und altehrwürdige Stammbäume hineingeboren waren wie er, sich unter dem technischen Schnickschnack in Jeongguks Hand etwas Dingfestes vorstellen konnten. Seine Stimme waberte zwischen Erklärung und Verteidigung, dann schüttelte er irritiert den Kopf. „Selbstverständlich kenne ich sowas nicht."
Jeongguk starrte ihn unverwandt an. „Wir leben aber auch nicht mehr im 15. Jahrhundert, sondern in 2022. Apple, Samsung, iOS, das sagt dir alles gar nichts?"
„Sollte es das?" Skeptisch zog Taehyung die Brauen zusammen. „Nein, warte, weißt du was? Es interessiert mich auch nicht. Ich will keine neunstündige Zugfahrt und eine Unterweisung in Muggelkunde über mich ergehen lassen, eines von diesen tragischen Schicksalen reicht mir wirklich völlig."
Seine Lippen kräuselten sich mit etwas, das Taehyung misstrauisch als Hohn erkannte, und das Piercing blitzte metallisch an seiner Unterlippe auf. „Sogar noch unausstehlicher als gedacht." Jeongguk zog einen Mundwinkel in die Höhe, aber es war kein Humor, der dem Zug innelag. Tief atmete er durch und richtete dabei die seltsame Musikapparatur über seinen Ohren. „Respekt, das hätte ich eigentlich nicht für möglich gehalten."
„Was war das?" Entnervt lehnte Taehyung die Schläfe gegen die kühle Glasscheibe und beobachtete die Fichten und Tannen, die am Ufer des Schwarzes Sees in einer dunkelgrünen Schliere an ihnen vorbeirauschten.
Jeongguk stemmte einen Fuß auf das Polster des gegenüberliegenden Sitzes, schien für ihn nur ein verächtliches Schnauben übrig zu haben. „Deinetwegen verpasse ich die Auswahlspiele für mein Quidditch-Team. Es muss dir gerade gelegen gekommen sein, dass dein Zauberstab zersplittert ist und nur mir die Offensivzauber nachgewiesen werden konnten, sonst hätte Cezar deine zuletzt abgefeuerten Sprüche auch abgelesen und dich drankriegen können."
„Willst du mir unterstellen, ich hätte meinen eigenen Stab zerbrochen?" Taehyung lachte humorlos auf. „Das ist nicht dein Ernst."
„Keine Ahnung, sag du's mir." Eine tiefe Furche grub sich zwischen Jeongguks Augenbrauen ein, während er konzentriert die Unterlippe zwischen die Schneidezähne zog. „Seit du hier bist, führst du dich auf wie das größte Arschloch, das das westliche Europa zu bieten hat, und Engländer sind schon versiffte, ungenießbare Kreaturen, ich hatte ja keine Ahnung, dass Franzosen noch unerträglicher sein können. Du bedienst wirklich makellos euer Klischee. Finn konnte es dir nicht beibringen, die Professoren trotz ihrer unermüdlichen Arbeit für euch, offenbar auch nicht. Allmählich denke ich, du willst hier gar nicht willkommen sein."
Ein giftiger Klos verkeilte sich in seiner Kehle, genau dort, wo ihm das spöttelnde Lachen im Hals stecken geblieben war. „Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst", presste er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, nachdem er mühevoll Galle heruntergewürgt hatte.
Jeongguk hielt seinem herausfordernden Blick regungslos stand. Dann zog er betont gleichmütig eine Schulter hoch, rutschte am Polster runter und senkte sein Augenmerk geradezu demütigend gleichgültig zurück auf die Oberfläche seines Handys. „Nein, zum Glück nicht." Er legte den Kopf schief und schnalzte die Zunge; eine wohl universale Geste für beiläufige Provokationsarbeit. „Aber ich finde trotzdem nicht, dass es Bedarf dafür gegeben hat, dir diese widerliche Kaltschnäuzigkeit anzueignen, um hier über die Runden zu kommen. Wir haben es euch nämlich bemerkenswert einfach gemacht."
Er betätigte etwas auf seinem Handy und schien sich mit seiner Musik aus ihrer polemischen Konversation zu dröhnen, denn er hüllte sich in ein verurteilendes Schweigen, das die Luft in ihrem Kompartiment mit stillen Vorwürfen und Anklagen verpestete. Taehyung bearbeitete sein ausdrucksloses Gesicht mit den weichen Wangen, der prominenten Nase und den modellierten Lippen einige Augenblicke länger mit seinem verärgerten Blick, doch wandte sich dann, als er sich eingestehen musste, dass sein stummes Lodern weder Früchte noch Lorbeeren erntete, wieder dem Fenster zu, das von der magischen Putzhilfe auf Hochglanz poliert worden war.
Vielleicht, hoffte Taehyung missmutig, während er eine Hand unter sein Kinn schob. waren die verzauberten Wischer und Schwämme vom Fahrtwind mitgenommen worden. Dann gäbe es zumindest einen Umstand, über den er sich amüsieren könnte, bevor seine Laune noch steiler gen Tiefpunkt zustürzte.
Der Schwarze See, der unter der verschleierten Septembersonne so schal glänzte wie eine petrolfarbene Plane und Taehyung mit seiner enormen Ausdehnung eher vorkam wie ein nordisches Meer, verschwand schlagartig hinter den verwitterten Ziegeln eines Tunnels, und er ließ sich in der völligen Schwärze dazu hinreißen, die Augen zu schließen.
Womöglich könnte er die Stunden am sinnvollsten nutzen, indem er Genevieve Balcombes verlockendes Angebot überdachte oder versuchte, den Schlaf aufzuholen, den er in Hogwarts Nacht für Nacht versäumte. Vielleicht ließe sich ein Körper in einer gesichert harmlosen Umgebung wie in einem abgeschirmten, beweglichen Zugabteil in einen Zustand der Müdigkeit versetzen, den er seit Wochen vergebens in sich zu evozieren versuchte. Locker verschränkte Taehyung die Arme vor der Brust und manövrierte sich in eine halbwegs bequeme Position, die seinen Nacken nicht innerhalb von zwei Minuten versteifen lassen würde.
Das Rattern des Zuges über die Schienen vibrierte von seiner an der Glasscheibe lehnenden Schläfe bis hinunter in seine Knochen, doch aus irgendeinem Grund fand er die durchgängigen, sanften Erschütterungen beruhigend genug, um sich von ihnen in ein traumloses Dösen wiegen zu lassen.
Zweimal wachte er auf, weil eine plumpe Frau mit tiefer Zornesfalte und einem ironisch breiten Lächeln an ihrem Abteil gehalten hatte, um Süßigkeiten zu verkaufen; einmal kurz vor Aberdeen und beim zweiten Mal in Yorkshire, wie ihm die ältere Servicekraft auf seiner forschen Nachfrage hin freundlich mitgeteilt hatte. Taehyung verneinte für sie beide und lehnte sich dann wieder zurück, während der Kurier dumpf den Waggon herunterrollte und weidende Kühe und Schafe zwischen Steinwällen, Parzellen und endlos weiten, gewogenen Heidekrautwiesen der scharlachroten Lok beim Vorbeifahren nachschauten.
Draußen war bereits Abend eingebrochen, als der Hogwarts Express dampfend am Bahnhof in King's Cross zum Halt kam, und Taehyung hatte kein weiteres Wort mit Jeongguk gewechselt, bis er hinter ihm aus dem Zug ausstieg und sich zugegebenermaßen ein wenig orientierungslos an dem ansonsten leerstehenden Gleis umschaute.
„Komm", sagte Jeongguk, während er seine Musikhörer locker von den Ohren und um den Hals schob, und einseitig seinen Rucksack schulterte. Er schob die Hände in die Bauchtasche seines schwarzen Pullovers, der mit irgendeiner Muggelmarke bestickt worden war, und schlenderte gelassen voran. „Wenn wir uns beeilen, werden wir vielleicht heute noch in Gringotts drangenommen."
Taehyung setzte ihm mit gerunzelter Stirn nach. „Die Koboldbank Gringotts? Von Gringotts war nie die Rede."
Sein Begleiter schnaubte amüsiert. „Ollivander wird dir wohl kaum einen Stab aus reiner Großherzigkeit schenken. Die Kobolde wechseln dein Geld, und danach kümmern wir uns um deinen Stab. Gibt es in Frankreich etwa keine Zaubererbank?"
„Doch", entgegnete Taehyung ausatmend; auch, weil er die Chancen auf Erfolg bei einem eigenständigen Botengang durch London und die Winkelgasse zu schlecht einschätzte, um es sich mit Jeongguk als seinen persönlichen Führer zu verscherzen. „Le donjon de Sequana. Sequanas... Verlies. Aber den meisten ist der offizielle Name zu lang, deswegen wird sie nur Devereaux genannt. Es bedeutet so viel wie Bank am oder des Flusses, das Gebilde liegt direkt an der Seine, wo seine gallische Schutzpatronin Sequana früher die Quellen bewacht haben soll."
„Wird sie auch von Kobolden verwaltet?", ächzte Jeongguk und Taehyung hinterfragte nicht, dass er scharf links abbog und geradewegs auf eine geziegelte Backsteinmauer zuhielt. Mit eingezogenem Kopf und zusammengekniffenen Augen folgte er ihm—und verkniff sich die Überraschung darüber, geradewegs durch die verfluchte Wand in den weitaus belebteren Londoner Muggel-Bahnhof spaziert zu sein.
Faszinierend, wie nahtlos sich die Welten zwischen Non-Magiques und Zauberern aneinanderfügten. Zum Schuljahresbeginn in Beauxbatons wurden die Schüler aus den weitläufigen Versailler Gärten mit magischen Karossen abgeholt, die mit einem komplexen Erweiterungszauber belegt waren, um einen ganzen Jahrgang zu fassen. Disziplinierte, muskelbepackte Abraxaner flogen sie in Vierer- oder Sechser-Gespannen zur Akademie in den Pyrenäen, so hoch oben über den Wolken, dass Desillusionierungszauber für ihren Transport hinfällig waren.
Weil sein Ego es nicht verkraftete, positive Beeindruckung offen zur Schau zu stellen, brachte er schleunigst seine außer Fassung gerutschte Mimik wieder unter Kontrolle, und glättete seine Gesichtszüge bis zur polierten Ausdruckslosigkeit.
„Uh. Ja", machte Taehyung, noch immer ein wenig verblüfft, während er den Revers seines Mantels im Gehen umschlug. „Ja, von Kobolden und ihren Matagots."
„Ihren was?"
„Matagots. Große, katzenähnliche Mistviecher mit blauen, fluoreszierenden Taschenlampenaugen. Das Ministerium setzt sie als zuverlässige Sicherheitskräfte und Steuereintreiber in verschiedenen Abteilungen ein." Taehyung unterdrückte bei der Erinnerung an die geschmeidigen Kreaturen ein Schaudern. Bei jedem seiner Besuche ins Zaubereiministerium mit seinem Vater hatten die Wächterkatzen ihm mit ihren leeren, pupillenlosen Diamantaugen ein kaltes Unbehagen eingeflößt. „Gebraucht Gringotts etwa keine magischen Tierwesen zur Abschreckung?"
„Glaub mir", schnaubte Jeongguk zynisch. „Die englischen Kobolde brauchen zum Einschüchtern keine Maskottchen."
Das letzte Mal, als Taehyung Englands Hauptstadt einen Besuch abgestattet hatte, waren sein Vater, Sangook und er 2007 mithilfe eines Portschlüssels aus dem Eros-Springbrunnen beim Piccadilly Circus ausgespuckt worden, und die Brüder hatten ihren halben Sommer im verregneten Kensington verbracht, weil die Verhandlungen um eine strafmagische Abschiebung eines britischen Häftlings aus den Pariser Katakomben länger angedauert hatten als erwartet. Taehyung hatte damals nicht mehr von London gesehen als die gegenüberliegenden, viktorianischen Häuserfassaden hinter der beregneten Fensterscheibe in der Seitengasse, in der ein befreundeter Earl sie in seiner Domäne aufgenommen hatte.
Es juckte ihm in den Fingern, den kuppelförmigen, lichtdurchfluteten Bahnhof King's Cross und seinen altstädtischen Charme zu verlassen, und hinaus auf die geschäftige Londoner Straße zu treten. Bevor er auch nur gedenken konnte, irgendeinem der zahllos ausgeschilderten Ausgänge nachzujagen, hatte Jeongguk schon eine Richtung vorgegeben—und zwar zu seinem persönlichen und nasalen Leidwesen eine unterirdische.
„Wir müssen zur U-Bahn", erklärte er knapp angebunden, während er unverwandt auf sein Handy schaute. Taehyung schob seine Verwirrung in den Hinterkopf und beschloss mangels besserer Alternativen, ihm protestlos durch den Londoner Bahnhofsdschungel zu folgen. Jeongguk bestieg eine automatisch ansteigende Treppe (Taehyung war genauso beeindruckt wie mit 6 Jahren, als er zum ersten Mal diese revolutionäre Rolltreppe genutzt hatte) und sah erst dann zu ihm zurück. „Und die Piccadilly Line zum Leicester Square nehmen. Dann sind wir fast bei der Charing Cross Road, wo das Übertrittswirtshaus gelegen ist. Sind gute zwanzig Minuten, wenn wir die Linie nicht verpassen."
„Und warum noch gleich apparieren wir nicht einfach?", schnaufte Taehyung. Er rümpfte die Nase beim aufsteigenden, subtil muffigen Kellergeruch, der ihnen entgegenwehte, als sie eine zweite Rolltreppe betraten; dieses Mal eine, die sie eine Etage tiefer in den Bahnhofschacht beförderte.
Jeongguk zog die Kapuze über sein Haar. „Du willst in einer Millionenmetropole aus dem frequentiertesten Bahnhof der Stadt disapparieren? Nur zu. Das Ministerium wird dich schneller in Gewahrsam nehmen, als du dich irgendwo wieder materialisieren kannst."
„Ich hatte auch nicht vorgehabt, auf die Spitze des Big Ben zu apparieren."
„Egal, wo du wieder auftauchen würdest, müssten massenweise Vergessenszauber gelegt werden. Würde den Beamten zu viel Zeit und zu viele Nerven kosten, ganze Stadtteile zu obliviieren."
„Du kennst dich gut hier aus." Taehyung haderte, bevor er nach Jeongguk in eine überfüllte, rot-silberne Bahn einstieg. Verhalten ließ er sich zwischen einer lesenden Studentin und einer grauhaarigen Dame mit Barrett nieder, dann schaute er wieder zu Jeongguk, der mit gebreiteten Beinen und verschränkten Armen Platz auf der anderen Seite genommen hatte.
„Kommst du aus London?"
„Ich? Nein." Aus einem Grund, der sich Taehyung nicht erschloss, schien Jeongguk amüsiert. „Nein, aus Dover. Südküste. Wenn man seit elf Jahren jährlich hierher anreist, speichert man irgendwann das Tube-Netz im Kopf ab. Ich dachte, den Kentish würde man überall raushören."
Taehyung überlegte, dann zuckte er nachlässig die Schultern. „Für mich klingt ihr alle gleich."
„Du scherst uns alle über einen Kamm mit Namjoon Kims entsetzlichem Scots?" Jeongguk schnaubte. „Mutig, Taehyung Kim."
Sein Mundwinkel zuckte im Anflug von milder, unerwarteter Belustigung in die Höhe. Die nächste Haltestelle, die eine verzerrte, stark mit Cockney versetzte Frauenstimme als den Russell Square ankündigte, trieb Bewegung in die Passagiere, und eine Reihe von Non-Magiques drängelte sich zwischen sie auf den Gang, auf der Jagd nach einem freien Plätzchen um die gelben Haltestangen. Taehyung beobachtete sie; wie sie in regungslosen Zeitungen stöberten, die über irrelevanten Muggelbelang berichteten; wie sie ungeduldige Blicke auf ihre Handgelenkuhren warfen; wie sie aus ähnlichen, farbigen Apparaturen wie die, die Jeongguk locker um den Hals trug, Musik hörten.
Und zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich dabei, wie es wäre, ein nichtmagisches Dasein zu führen. Es war ihm immer wie eine anspruchslose Existenz vorgekommen, wie die niederste Kaste, in die man gesteckt und zu leben verdammt werden könnte. Doch die Londoner Muggel erschienen ihm erfrischend... oberflächlich. Wenn die eigenen Sorgen sich nur um Pünktlichkeit und gutes Wetter drehen konnten, nicht etwa um todbringende Sekten und Relikte, die die Strömung des Universums beeinflussen konnten, verhieß das dann nicht gleichzeitig ein unbeschwertes Leben? Wenn man sowieso nie mit Magie und ihren zahllosen Wirkweisen in Berührung gekommen war, konnte man diesen phantastischen Aspekt dann überhaupt missen?
Er sollte seine stillen Überlegungen in dem Moment revidieren, in dem sie vor dem eingesetzten Regen—immer musste es in London regnen, es war, als wäre die Stadt von inhärentem Kummer erfüllt—ins Wirtshaus in der Charing Cross Road flüchteten.
Der Tropfende Kessel war ein schäbiges, dunkel gehaltenes Lokal, das sie mit einer warm zusammengesetzten Wolke aus billigem Bier, Eintopf und Rauch in seiner Bescheidenheit willkommen hieß. Die zurückgezogenen, leisen Gestalten, die sich an den reizlosen Bänken und Rundtischen niedergelassen hatten, hatten allesamt etwas Tragisches, Absonderliches an sich. Taehyung starrte beim Eintreten durch die quietschende Tür einem narbengesichtigen Halbtroll direkt in die Augen, und schickte sich dazu an, hastig den Blick von der düsteren Miene abzuwenden. Er schüttelte sein Haar aus, kämmte es mit den Fingern zurück und sah sich dann möglichst unauffällig um.
Die Holzoptik des kleinen Verschlags zwischen Buchhandlung und Musikgeschäft schien morsch; als wäre sie schon vor langer Zeit verwahrlost oder nur aus Gründen des kulturellen Erberhalts ihrer sukzessiven Zersetzung durch Holzwürmer und Feuchtigkeit überlassen worden. Der Dielenboden quietschte unter seinen Stiefeln, als Taehyung Jeongguk unwohl an den leise gewordenen Tischen zum Tresen des Pubs folgte, hinter dem ein gekrümmter, kahlköpfiger Mann mit grobschlächtigen Bewegungen Gläser auswusch.
„Tom!", rief Jeongguk so lässig, als begrüßte er einen alten Schulfreund. Geduldig wartete er, bis der Wirt, wie Taehyung bei sich vermutete, sich seiner Gastschaft zudrehte, dann schoss er eines seiner Halbgrinsen auf ihn ab. „McGonagall hat dich wahrscheinlich schon über unser Kommen in Kenntnis gesetzt."
„Oh!", machte Tom, sichtlich erfreut darüber, Jeongguk zu sehen. Sein blauer, wässriger Blick zuckte zu Taehyung, und das zweite „Oh" entkam seinen Lippen verhaltener. Heftig begann er, zu nicken, wahrscheinlich, weil er es sich nicht leisten konnte, Kundschaft in seinem dubiosen Schuppen auszuschlagen. Seine krächzende Stimme überschlug sich geradezu vor Freundlichkeit. „Ja, ja, natürlich, die edlen Herrschaften von Hogwarts, selbstverständlich, Professor McGonagall hat mir alles erklärt, äh, soll ich euch zwei Butterbier servieren? Oder was anderes nach der langen Reise?"
Jeongguk, einen Arm auf den Tresen gelegt, winkte lässig ab. „Wir müssen erst noch rüber zur Winkelgasse, danach kommen wir drauf zurück. Du trinkst doch Butterbier, oder, Kim?"
Taehyung, der eigentlich prinzipiell nur eine Sorte Alkohol namens L'élixir de Jeanne trank, dem gemunkelten Feuerschutztrank von Frankreichs Nationalheldin Jeanne d'Arc, nickte still. Die Reaktion, die er damit im Wirt evozierte, war bezeichnend.
Der Mann warf sich mit einer Wucht in eine Verbeugung, die ihm mühelos den unförmigen Kopf an der Anrichte wie ein rohes Ei aufschlagen hätte können. Er brabbelte Dankesworte vor sich her wie ein alttestamentarisches Mantra, und Jeongguk zuckte nur beiläufig die Schultern, ehe er ihm bedeutete, ihm am Tresen vorbei in den vollgeräumten, unspektakulären Hinterhof des Gasthauses zu folgen.
„Wahrlich reizend hier", kommentierte Taehyung trocken, und Jeongguk stieß ein Schnauben aus, von dem er glauben wollte, dass es mit Amüsement gespeist war, während er seinen Zauberstab zückte.
Er tippte die Spitze gegen eine wahllos aussehende Reihe von Ziegelsteinen, und allmählich befürchtete Taehyung, dass er jetzt auch abgedreht war. Jeongguk steckte den Stab zurück in seinen Rucksack. „Der Tagesprophet hat keine Chance ausgelassen, um dich als eine Art Totem zu erklären. Ich dachte, das würdest du längst wissen, so oft wie du ihre Ausgaben liest."
Mühevoll schluckte Taehyung die schroffe Anmerkung, die Passagen über sich selbst dabei in seiner Morgenroutine konsequent auszulassen, herunter, und beobachtete stattdessen mit wachsender Neugierde, wie sich die unscheinbar aussehenden Backsteine in Bewegung setzten; sich unablässig drehten und klatternd neu arrangierten, als spielte ein Dreijähriger an ihrer Konstellation herum. „Du scheinst ja gut genug für uns beide informiert zu sein", sagte er einfach, dann ordnete sich das bröckelnde Gemäuer zu einem menschenhohen Torbogen an—und Taehyung staunte nicht schlecht, als sich die Winkelgasse vor seinen Augen auftat.
Er fühlte sich, als wäre er kopfüber in ein vergangenes, mittelalterliches Jahrhundert gestolpert—und oh, tat es gut, einen Ort zu betreten, der vor Magie übersprühte und nicht mit Sicherheitshinweisen, Fahndungsfotos und Holzbalken verbarrikadiert wurde.
Sie war nicht so strukturiert wie der Place Cachée, der auf einem Plaza von nationalgeschichtlicher Bedeutung im sechsten Arrondissement der Stadt octagonförmig um einen Wunschbrunnen aus purem Gold errichtet worden war. Hier gab es keinen Platz, damit Zirkusse kampieren konnten, wie sie oftmals auf dem Place Cachée vor der Erstürmung von Beauxbatons Halt gemacht hatten.
Im wahrsten Sinne des Wortes war die Winkelgasse vorrangig eine langgezogene, hügelige Straße aus aufgebrochenem Kopfsteinpflaster, die von schiefen Dachgiebeln oder hervorstehenden Markiesen überragt wurde. Taehyung befand ihren Charme nichtsdestotrotz von der einnehmenden Sorte.
Gerade weil sie nicht starr vor Chic war, gefiel ihm ihre lebhafte, liebevoll beordnete Wirrnis. Er stellte sich vor, dass die enge Gasse zur Hochzeit im Sommer von Zauberern und Hexen mit ihren Sprösslingen überrannt wurde—und auch die Aussicht fand Taehyung irgendwie charmant. Kreischende Eulen in Holzkäfigen riefen ihnen im Vorbeigehen nach, irgendwo spielten verzauberte Musikinstrumente einen heiteren, anziehenden Takt, der tatsächlich seine Laune aus ihrem Tagestief zu befördern vermochte.
Eine Rolle verzauberten Pergaments sauste haarscharf über seinem Kopf hinweg, eine gemeingefährlich aussehende Feder nahm die erbitterte Verfolgung durch die Lüfte auf, und Taehyung löste sich langsam vom Schaufenster eines mit bunten Sonnenschirmen dekorierten Eissalons, um zu Jeongguk aufzuschließen, der zielstrebig auf das Ende der Straße zuhielt.
Er kam sich seltsam... präsentiert vor; als würden die wenigen Hexen und Zauberer, die mit Einkaufstüten an ihnen vorbei schlenderten oder vor Lokalen Schwätzchen hielten, ihm nachschauen oder ihn tuscheln. Taehyung zog den Kopf ein. Wahrscheinlich hatte der Klatsch in Hogwarts abgefärbt, und sein Gehirn vermutete hinter jeder Ecke unverhohlenes Interesse.
„Da sind wir. Gringotts."
Jeongguk blieb vor den schiefen Säulen, die ein Erdbeben oder katastrophal missglückter Explosionszauber wahrscheinlich verrückt hatte, eines schneeweißen, dreistöckigen Gebäudekomplexes stehen, der gebogen über die restlichen Läden der Winkelgasse aufragte und seine großen, stolzen Letter in den Marmor gemeißelt präsentierte. Seine Fassaden liefen an den abzweigenden Weggabelungen in viktorianischer Manier weiter, und Taehyung zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Eure wichtigste Zaubererbank präsentiert ihr... so offensichtlich?", stellte er fest.
Jeongguk runzelte die Stirn. „Wie sonst?"
„Unterirdisch, natürlich. Um zu Fuß zur Devereaux zu gelangen, muss man eine Bootsfahrt über die Seine nehmen und unter der Pont Alexandre III abtauchen. Wenn man die Katakomben darunter durchquert, ist man fast da", erklärte Taehyung beim Besteigen des zweiten schneeweißen Plateaus zum Bronzetor.
„Ich dachte immer, die Pariser Katakomben wären nicht zugänglich", gab Jeongguk zu bedenken.
Jetzt war es Taehyung, der belustigt schnaubte. „Ja, weshalb wohl?"
Ein miesepetrig dreinblickender Kobold in scharlachroten Roben nahm ihn vor dem Bronzetor in einen unfreundlichen Empfang und lotste ihn sichtlich unzufrieden mit der Betreuung der Zaubererkundschaft hinter sich in die Bank. Ihm wurde mindestens dreimal in kunstvoll gemeißelten Inschriften des Gebäudes ein grauenhafter Tod angedroht, bevor er es durch die silberne Doppeltür schaffte und Fuß in die goldene, edle Marmorhalle des Schalterraums setzte, die mit ähnlichem Prunk protzte wie der Diamantsaal aus der Renaissance in der parisischen Bank.
Es dauerte seine Zeit, bis der Hauptkobold am Schalter mit watschelnden Schritten zu seinem Schemel zurückkehrte. Er wusste nicht wieso, aber er hegte den Verdacht, dass der Kobold schadenfroh gewesen war, als er seine Personalien anhand seiner zerbrochenen Zauberstabhälfte aufgenommen hatte. „Ah, richtig eine Überweisung", schnaufte er angestrengt beim Erklimmen seines Hockers. „An Herrn Taehyung Kim von Herr Hyunshik Kim. Wird schon länger hier aufbewahrt."
Taehyung schien nicht der erste Kunde aus Frankreich zu sein, der seine Bezants loswerden wollte, denn der Kobold murmelte ständig etwas von einer drohenden Inflation, während er den Wechselkurs berechnete. Es interessiert ihn nicht. Sein pragmatischer Vater war ihm wie immer einen Schritt voraus gewesen und hatte reichlich für ihn ausgesorgt. Der Anblick des schweren Leinensacks, der ihm aus langen, spitz zulaufenden Fingern überreicht wurde, kompensierte fast die Briefe, die er von seiner Familie trotz Grenzverbots jeden Morgen sehnsüchtig an der Decke von der Großen Halle erwartete. Es war ein makaberes Lebenszeichen, aber er stand gewiss nicht in der Position, um Ansprüche an die Weisen zu stellen, wie er Kontakt zu seinen Eltern pflegen konnte.
Fast eine halbe Stunde war ins Land gezogen, bevor Taehyung die Bank—nach zahlreichen weiteren Todesandrohungen—wieder verlassen hatte, und von Jeongguk fehlte vor den schneeweißen Stufen jegliche Spur. Er schaute sich gerade genug um, um den Zauberstabhersteller zwischen den anderen Lokalen ausfindig zu machen, da rief jemand seinen Namen.
Jeongguk stand unter dem Abdach eines moosgrün gestrichenen Ladens, der sich so schmal zwischen ein Kleidungsgeschäft und ein Café einreihte, als hätte sich die Einrichtung in die Lücke gezwängt. Ein hochgewachsener, junger Mann lehnte neben ihm an einem verdunkelten Fenster, und als Taehyung sich ihnen näherte, wurde die Ähnlichkeit unverkennbar.
Dasselbe rabenschwarze, unbändige Haar war in einen Zopf gezwängt worden und legte hübsch die markanten Gesichtszüge des Mannes frei, der Taehyung aus unverhohlen neugierigen, dunkelbraunen Rehaugen in Augenschein nahm. Er war eine ältere, reifere Erscheinung von Jeongguk, ohne die metallenen Verschandelungen im Gesicht, und reichte ihm auf einer ebenfalls sehr un-Jeongguk-haften, höflichen Art die Hand. Etwas an der Weise, wie sein Blick unkontrolliert über jeden Zentimeter seines Gesichts flackerte, verriet Taehyung, dass er ihn kannte und nur noch nicht zuzuordnen wusste, woher.
„Hanbin. Der Inhaber dieses bescheidenen Ladens. Freut mich." Seine tiefe Stimme war von der angenehmen Sorte, und er verschränkte die Arme nach ihrer formvollendeten Bekanntmachung locker vor der Brust. „Was verschlägt meinen kleinen Bruder und seinen Freund mitten in der Schulzeit in die Winkelgasse?"
„Schulkram. McGonagalls Anweisung", lautete Jeongguks vage Antwort. Taehyung beschlich der Verdacht, dass sie dieses Gespräch nur noch einmal künstlich aufzogen, weil er zu ihnen gestoßen war.
Er verkniff sich den bissigen Kommentar, dass sie strenggenommen keine Freunde waren, und blickte stattdessen zu Jeongguk, der auf sein Handy schaute und spöttelnd schnaubte, als Hanbin fragte, ob ihr Vater darüber in Kenntnis gesetzt worden sei.
„Wir sind die ganzen neun Stunden mit Zug angereist. Er kann mir also eigentlich nichts vorhalten."
„Unser Vater ist Muggel", klärte Hanbin Taehyung freundlich auf, der ihrem lockeren Geplänkel offenbar zu offensichtlich keinen tieferen Sinn entnehmen hatte können. „Ein beinharter Anhänger der alten Schule. Er hat mit Magie rein gar nichts am Hut. Wenn er das Wort magisch nur hört, gehen bei ihm alle Lampen aus, deswegen leben wir ein ziemlich... in Zaubererkommunen unkonventionell einfaches Dasein Zuhause."
Seinem schlagartig Geistlosigkeit anmutenden Verstand fiel nichts besseres ein als ein einzelnes, dümmliches „Oh."
Halbblüter, also. Die verächtliche Stimme in seinem Hinterkopf säuselte so laut von ihrem Blutsverrat, dass er befürchtete, jeder könnte sie hören.
Taehyung spürte Jeongguks Blick auf seiner Wange brennen; als hätte er ihn nur von seinem Handy abgelenkt, um seine Reaktion abzuwarten. Er gab sich ungerührt von der beiläufigen Information, geradezu stocksteif, doch Hanbin schien sie zu genügen.
Mit einem schiefen Lächeln blickte er von Taehyung zu seinem Bruder, und Taehyung klinkte sich gedanklich aus ihrem Gespräch aus, als sie über die neuesten Entwicklungen in der Quidditch-Europameisterschaft zu sprechen kamen. Es stach irgendwo bitter und tief. Einst hatte er auch einen Bruder gehabt, mit dem er aus der Lounge des Zaubereiministers die Quiberon Quafflepunchers angefeuert hatte. Ein signiertes Foto von ihnen mit dem weinenden Star-Sucher der französischen Nationalmannschaft, Gul Rousseau, nach dem verlorenen Match zwischen Frankreich und Eritrea in der Weltmeisterschaft von 2018 hing noch immer eingerahmt in seinem Kinderzimmer in Lyon.
Taehyung warf einen Blick über seine Schulter, dann verkündete er Jeongguk knapp, den Zauberstabhersteller aufzusuchen.
„Klar, soll ich mitkommen?", bot Jeongguk an, doch Taehyung schüttelte den Kopf.
„Nein, macht euch keine Umstände. Ich komme schnell zurück."
Er drehte auf dem Absatz seiner Stiefel und noch bevor er die Eingangstür mit den abgeblätterten, goldenen Initialen übertreten hatte, hörte er Jeongguk in seinem Rücken etwas murmeln und dann den Groschen fallen. „Ich fass es nicht", murmelte der Schreibwarenhändler entgeistert. „Das ist doch nicht etwa-"
Die Tür fiel mit einem klapprigen Laut zu und betätigte eine schrille Glocke über seinem Kopf, vor der er sich instinktiv duckte. Ein umnachtender Geruch von Pergament und alten Büchern lullte ihn ein wie eine Staubwolke, die aufschlug und lautlos zu Boden rieselte, als Taehyung vorsichtig seinen nassgeregneten Mantel über die Garderobe hängte.
Ihm blieb das „Hallo?", das der Staub aus seiner Kehle kratzte, im Halse stecken, denn hinter einer Reihe von zugewandten, überfüllten Bücherregalen, rollte eine Trittleiter geräuschvoll heran und trug mit sich einen ergrauten, wirrhaarigen Mann in altertümlichem Frack und Rüschenkragen, dessen wasserblaue Augen beim Anblick von Kundschaft einen freundlichen, geradezu verträumten Ausdruck annahmen.
„Mister Kim", begrüßte er ihn mit einer heiseren, säuselnden Stimme, die zweifellos vom Jahrhundertstaub belegt war. Taehyung trat an den Tresen heran, doch der Zauberstabhersteller verblieb oben auf der ersten Stufe seiner magischen Trittleiter, als wollte er ihn weiterhin fasziniert wie ein seltenes, unklassifiziertes Tierwesen aus erhöhtem Abstand betrachten. „Ich hatte mich schon gefragt, wann ich Sie hier begrüßen dürfte. Ah!"
Er verschwand hinter der Verwinklung seiner Regale und Taehyung lehnte sich verwirrt über den Tresen, um ihm nachzuschauen. Er hatte die kümmerlichen Überreste seines Zauberstabs noch nicht einmal behutsam auf die Anrichte gelegt, da kehrte Monsieur Ollivander bereits mit einer langgezogenen, geschmeidigen Schatulle in seinen Händen zurück, die er hochhielt wie einen heiligen Gral, dem zu beschützen er sich verschworen hatte.
„Es ist immer ein... tragischer Einschnitt in das Leben eines Zauberers, wenn man Abschied nehmen muss von seinem treusten Begleiter." Bedauernd schnalzte er mit der Zunge und nahm dann die zerbrochenen Hälften vorsichtig, regelrecht ehrfürchtig auf. „Steineiche und... Veela-Haar... 12 3/4 Zoll, nehme ich an? Doch nicht so unbiegsam, wie das Holz geschnitzt ist." Bekümmert schüttelte er den Kopf, fast so als betrachtete er eine fatale Fleischwunde. „Acajors erlesene Handwerkskunst, oh ja, unverkennbar. Er ist der einzige Zauberstabkundige in Europa, der noch Veela-Kerne in seine Werke verarbeitet."
„Es war eine Art... Familienerbstück. Äh. Sir?" Taehyung öffnete und schloss den Mund, dann schob er vorsichtig hinterher: „Nur weil... nur weil mein nächster Stab nicht mit... Veela-Haar besponnen wird, bedeutet das nicht, dass es nicht wieder zu einer... tiefen Bindung kommen kann, oder?"
Monsieur Ollivander schien überrascht von seinen Sorgen, denn er fasste sich in dramatischer Manier an die Brust und stieß heiser hervor: „Oh, nein, Mister Kim, selbstverständlich nicht. Veela-Haar ist ein äußerst eigenwilliges, unmöglich zähmbares Kerngefilde, das nur in den allerseltensten Umständen mit seinem Träger eine tiefgründige, seelische Verbindung eingeht."
„Wollen Sie damit sagen, Zauberstäbe wären... Seelenwesen?" Etwas beunruhigt schaute Taehyung sich um, und plötzlich kam ihm der verdunkelte Laden nicht mehr so ausgestorben vor wie zuvor.
„Aber ja doch, Mister Kim, das ist die Philosophie eines jeden Zauberstabherstellers."
„Mit... eigenen Gedanken und einem Eigenleben?"
„Sofern ein unbelebter Gegenstand lebendig sein kann, gewiss doch. Ihrem ersten Zauberstab wurde ein künstliches Temperament eingeflößt, bevor sich selbst eine Wesensnatur mit Ihnen zusammen entwickeln konnte. Hat es je... Augenblicke, Bruchteile von Momenten gegeben, in denen sich Ihre... Ihre Köpfe unterschieden haben?"
Nach der Schlacht gegen die Schwestern, dachte Taehyung still bei sich, und auch an die Astronomie-Stunde im Observatorium erinnerte er sich, als sein Stab seinen eigenen Willen durchgesetzt und ihm seinen Dienst starköpfig verwehrt hatte; wie ein merkwürdiges Fremdkörpergefühl ihn jedes Mal befangen hatte, weil sein Stab nicht ausgeführt hatte, was sein Verstand ihm aufgetragen hatte. Nur in Momenten, in denen der Zauberstab gewollt hatte, in denen er seinen Stolz verteidigt hatte wie in dem Schauduell gegen Jeongguk, nur dann hatte er auch einwandfrei funktioniert.
Er hatte immer gedacht, die Eigensinnigkeit seines Stabs wäre auf die Traumata des Krieges zurückzuführen; wie sehr er sich doch getäuscht hatte.
Der ergraute Mann wartete seine Antwort nicht ab, sondern schien sein Schweigen als solche aufzufassen. „Ich frage mich...", sinnierte er weltentrückt und durchsuchte ein durchgehangenes Regal, schob eingerollte Pergamente hektisch beiseite, um eine petrolfarbene Schatulle behutsam auf die Anrichte zu legen.
„Nur zu." Einladend bedeutete er ihm, näherzutreten, und Taehyung blickte zu der dunkelroten Schachtel, die der Mann ihm zuerst gebracht hatte, bevor er behutsam den Deckel von der blauen abnahm.
Unter grünen Seidenvorhängen lag ein schneeweißer, eleganter Stab in Samtkissen gebettet. In das Holz waren mit größter Kunstfertigkeit rosenartige Verschläge eingeschnitzt worden, die sich in rankenartigen, abgetrennten und gewundenen Vertiefungen bis zur Halterung schlängelten und dort in einem mondän geschlossenen Blütenkopf ausliefen. Ehrfürchtig hob Taehyung den kalten Stab aus seiner Schachtel und fuhr die liebevollen Details mit den leichtesten Berührungen seiner Fingerkuppen nach.
„Silberpappel", erklärte Monsieur Ollivander mit einem breiten, siegessicheren Lächeln. „Besponnen mit dem einzigen Haar eines männlichen, goldenen Einhornfohlens. 12 Zoll. Überraschend biegsam. Sie sollten ihn schwingen."
Er fürchtete, eine der gewölbten Blumenvasen an den niedrigen Fensterbänken zu zerstören und sich so jäh von diesem edlen Kunstwerk eines Zauberstabs wieder verabschieden zu müssen, doch zu Taehyungs grenzenloser Überraschung geschah nichts dergleichen. Er vollführte eine drehende Bewegung um sein Handgelenk und ein eigenartig wohliges Gefühl rauschte sogleich durch seinen linken Unterarm; wie ein prickelnder Strom von Energie, der seine Venen kitzelte. Ein Besen, der an einem verwahrlost aussehenden, unordentlichen Bücherregal gelehnt hatte, begann mit eifrigem Wischen den Dielenboden zu fegen, und Monsieur Ollivander klatschte laut und jauchzend in seine Hände.
„Vortrefflich!", japste er gerührt. „Außergewöhnlich! Ich gratuliere Ihnen, Mister Kim, ich bin mir sicher, dass Sie mit Ihrem neuen Stab Großartiges leisten werden, ja, uns Zauberer zurück zu wahrer Größe führen werden..."
Er verließ den Zauberstabladen, nachdem er dem Zauberstabhersteller zwei Galleonen mehr als preislich vereinbart geschenkt hatte, und trat mit leichtem Herzen zurück auf das Kopfsteinpflaster. Die meisten Verkäufer in der Winkelgasse hatten sich bereits darin beschäftigt, ihre Waren und ausgestellten Tierwesen zurück in die Läden einzuladen oder Sitzgelegenheiten vor der Nacht zu sichern. Taehyung musste sich an zwei schwebenden Käfigen mit Kröten vorbeischlängeln, die bequem in der Luft platziert darauf warteten, in das Haustierkaufhaus eingeflogen zu werden.
Das Licht in Hanbins charmant aussehendem Schreibwarengeschäft Zauberfeder & Tintenträume brannte noch, und Taehyung stiefelte quer über die Straße darauf zu. Er passierte eine kleine Gassenabzweigung neben Madame Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten und stahl hinter den rollenden Kleiderstangen nur einen beiläufigen Blick die gewundene, düstere Nebenstraße herunter—dann blieb er wie vom Donner gerührt stehen.
Im Schatten eines verwitterten Aushängeschilds stand Nicholas Balcombe mit einem der ältesten Familienfreunde seines Vaters: dem Leiter der magischen französischen Strafverfolgung.
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Author's Note
und jetzt geht's richtig looos
wer's noch nicht getan hat, sollte schleunigst agustofwind s bts x hogwarts fanfiction „the shellycoat seven" lesen, sie ist absolut gRANDIOS !!
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