6.
Ein Klingeln riss mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Wider Erwarten war es allerdings weder mein Wecker noch ein Anruf von Melissa, sondern eine Haustürklingel. Gähnend richtete ich mich auf und versuchte meine Orientierung wiederzufinden. Ich war in Rileys toskanisch anmutender Villa.
Und im Keller dieser Villa ...
Ich sprang auf die Beine. Im Keller dieser Villa hielt ich einen Mafiaboss gefangen. Fahrig riss ich Rileys Kleiderschrank auf. In meinem Abendkleid würde ich jedenfalls nicht bleiben. Glücklicherweise existierte die Schublade noch, die Riley mir einmal freigeräumt hatte. Jeans und ein einfaches Oberteil mit V-Ausschnitt würden genügen.
Als ich aus dem Zimmer trat, schloss Riley gerade die Haustür hinter sich. Er hielt eine braune Papiertüte in der Hand und bemühte sich um ein schiefes Lächeln.
»Ich habe Frühstück.« Unbeholfen wedelte Riley mit der Tüte.
»Ist Lansky schon wach?«, fragte ich.
»Das wirst du erst herausfinden, wenn wir gefrühstückt haben«, hielt Riley dagegen. »Weißt du, Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages. Und ich habe die Kellerschlüssel.«
Ich zögerte nur einen Moment, bevor ich die Tüte annahm. Angespanntes Verhältnis zwischen mir und Riley hin oder her, er hatte sich Mühe gegeben und vielleicht sollte ich das anerkennen.
»Also warst du noch nicht im Keller?«, stellte ich noch einmal sicher.
»Nein, war ich nicht. Aber solange er nicht schreit, wurde er noch nicht von Ratten gefressen oder ist verhungert. Bestimmt schläft er noch.« Riley fuhr sich mit einer Hand über die braunen Bartstoppeln in seinem Gesicht. »Für ihn habe ich nichts zu essen. Du kannst ihm ja später unsere Frühstücksreste mitnehmen.«
»Wie fürsorglich«, brummte ich und warf einen neugierigen Blick in die Tüte, die Riley mir hinhielt. »Denkst du, ich hätte von selbst nicht daran gedacht?«
»Du weißt, ich denke immer nur das Beste von dir.«
Mit einem Bauch voller Muffins und Rührei fühlte ich mich dem Tag schon viel besser gewachsen. Dass ich meine Augen dunkel umrahmt und Make-up aufgetragen hatte, tat sein Übriges, auch wenn Riley mich dafür mit gutmütigem Spott überzogen hatte.
»Ich mag den Ausdruck in deinen Augen nicht«, bemerkte Riley, während ich mit großen Schritten auf die Kellertür zuging.
»Das ist nur die Farbe, die du eben schon bemängelt hast«, schoss ich zurück.
»Stimmt nicht. Ich finde es nur interessant, dass du meinst, dich für dein Entführungsopfer schönmachen zu müssen.«
Die Wahrheit war, dass ich mich dazu zwang, den gedanklichen Fokus einzunehmen, der mir normalerweise erlaubte, meine Aufträge erfolgreich abzuschließen. Viel Verhörerfahrung hatte ich zwar nicht, aber so viel anders konnte es ja auch nicht sein. Auch wenn mein Gegenüber ein schlechtgelaunter Mafioso war.
Dennoch war meine Haut feucht, als ich den Schlüssel ins Schloss steckte und die Hand auf die Klinke zur Kellertür legte.
»Hast du Angst?«, kam es von Riley.
»Wenn du nicht selbst mit dem Ausdruck von eben angesehen werden willst, rate ich dir, die Klappe zu halten«, fauchte ich und schob die Tür auf.
Lansky erwartete uns bereits. Die Locken hingen ihm ins Gesicht und er ließ einiges an der Eleganz und der Autorität vermissen, die er am gestrigen Abend an den Tag gelegt hatte. Einiges, aber nicht alles. Mit dem Quietschen der Kellertür richtete er sich auf.
Der eisblaue Blick seiner Augen bohrte sich in mich wie eisige, frostige Dolche. Für einen Moment setzte mein Herz aus, aber ich fing mich schnell wieder. So also kontrollierte dieser Mann die Mafia.
»Wen haben wir denn da?«, fragte ich. »Du erinnerst dich doch sicherlich an unser erstes Date gestern, oder?«
Er rührte sich nicht, erdolchte mich nur weiter mit seinen Eisaugen, die einen Schauer über meinen Rücken schickten, was ich aber ignorierte.
Ich trug wieder meine hohen Schuhe und genoss das leise Geräusch, das jeder meiner Schritte verursachte. »Gestern warst du doch noch so angetan davon, mit mir zu reden.« Ich blieb vor ihm stehen.
Er sah mir weiterhin in die Augen – hatte er überhaupt schon geblinzelt? – und schwieg. »Du bist ja ein ganz Gesprächiger«, meinte ich. Am Vortag hatte er zumindest ein wenig mit mir gesprochen, auch wenn alles, was in meinen Erinnerungen zurückgeblieben war, sein gerauntes ›amore mio‹ war.
Riley lehnte sich gegen die Wand und beobachtete mich. Prompt wünschte ich mir, er würde gehen. Ich brauchte seine Hilfe nicht und noch weniger den tadelnden Blick, der sich in meinen Hinterkopf bohrte.
»Gut, dann lassen wir den Smalltalk eben aus.« Ich lehnte sich nach vorne, legte eine Hand unter Lanskys Kinn und zwang ihn, mich anzusehen. Seine eisblauen Augen waren undurchdringlich.
Es geht hier nur ums Geld, sagte ich mir. Nur ums Geld.
»Die tausend Dollar, um die du mich betrogen hast. Ich will sie zurück.«
Keine Regung.
»Ich lasse mich nicht so einfach über den Tisch ziehen. Nicht mal von einem aufgeblasenen Mafioso wie dir.«
Immer noch nichts.
Ich ließ ihn los und stieß einen Frustrationslaut aus, zwang mich danach aber wieder zur Ruhe. »Ich brauche nicht viel von dir. Nur eine Telefonnummer von jemandem, bei dem ich Lösegeld für dich einfordern kann.«
Immer noch keine Reaktion.
Ich näherte mich ihm wieder. Diesmal brauchte ich ihn nicht dazu bringen, mir in die Augen zu sehen. Sein Blick war auf mich gerichtet und ich genoss es, dass er zu mir aufsehen musste.
»Du kannst das hier angenehm oder unangenehm machen.« Ich stellte eine Fußspitze auf den Stuhl, gefährlich nah zu seinen ... privateren Teilen.
Ich kippte ihn nach hinten, hielt ihn nur noch gerade so davon ab, rücklings auf den Boden zu stürzen. »Und ich habe keinerlei Hemmungen, es wirklich sehr unangenehm werden zu lassen. Ich bin kein zimperliches kleines Mädchen, das sich irgendeinen Scheiß von dir gefallen lässt.«
Er schwieg weiterhin.
»Hat man dir die Zunge rausgeschnitten?« Ich beugte mich leicht zu ihm herunter und legte eine Hand unter sein Kinn. »Soll ich nachschauen, ob sie noch da ist, oder fährst du dann deine Zähne aus?«
Mein Griff verstärkte sich. Und er blinzelte. Es war die erste Reaktion, seit ich diesen Raum betreten hatte.
Ein schmales Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich hatte die erste Runde gewonnen.
»Eins zu Null«, sagte ich und ließ seinen Stuhl los. Meine Arme hatten ohnehin schon davon gebrannt, ihn festhalten zu müssen.
Für einen Augenblick balancierte er auf den Hinterbeinen, dann stürzte er nach hinten und ich wurde mit der zweiten Reaktion des Tages belohnt. Als der Stuhl auf den unverputzten Kellerboden polterte, gab Lansky ein leises »Uff« von sich.
Mein Lächeln wurde noch eine Spur breiter. Ich würde diesen Kampf gewinnen. Ich hatte schon gewonnen, nur hielt ich die Trophäe noch nicht in meinen Händen.
Ich drehte mich um und wollte den Keller verlassen.
»Du möchtest ihn so liegen lassen?« Riley schien ernsthaft schockiert.
»Vielleicht löst die Schwerkraft seine Zunge.«
Die Tür fiel hinter uns ins Schloss, im selben Moment, in dem mein Handy klingelte.
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