19.
»Wir werden das bestaussehende Trio des Abends sein«, bescheinigte Mark uns, als wir in seiner Limousine bei der Gala vorfuhren.
Unrecht hatte er damit nicht. Ich strich abwesend mit der Hand über den roten Seidenstoff des Kleids, das Mark mir geliehen hatte. Meinen Job machte ich lang genug, um zu wissen, wie ich mich präsentieren musste, um Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen: meine Frisur inklusive der Haarnadeln mit Betäubungsmittel saß perfekt, mein Make-up machte mich mysteriöser, als ich war. Der weite Ausschnitt des Kleides sowie seine dunkelrote Farbe würden ihr Übriges tun.
Damian bot in dem exzellent sitzenden schwarzen Anzug und dem weißen Hemd – beides ebenfalls Leihgaben von Mark – ebenfalls einen Anblick, der Blicke anziehen würde. Meinen eingeschlossen, aber diese Tatsache versuchte ich immer wieder gekonnt zu verdrängen.
Wahrscheinlich hätte ich über Mark ähnlich lobende Worte verlieren können, aber das hatte er nicht verdient. Nicht, nachdem er mich mit Blicken ausgezogen hatte, bevor er mir ein Kleid herausgesucht hatte. Nicht, nachdem er mich mehrfach scheinbar versehentlich berührt hatte, seit wir aufgebrochen waren.
Den Zugang zu dieser Gala, den er uns verschafft hatte, konnte mich nur unzureichend dafür entschädigen. Ja, hier würden Informanten anwesend sein. Ja, es war einfacher, hierher zu kommen, anstatt ein Treffen an einem anderen Ort zu vereinbaren. Dennoch. Ich hasste es, dass wir dafür zu Mark hatten kommen müssen.
Aber immerhin würden wir ein ästhetisches Ambiente haben. Die Gala fand zur Eröffnung irgendeiner Kunstgalerie statt. Der säulenumsäumte Eingang ist sanft von unten angeleuchtet und die Pflanzen, die ein Spalier dorthin bilden, sind von Lichterketten umschlungen, die wie Glühwürmchen zwischen den Blättern hervorblinkten.
»Dir gefällt das?« Unglaube zeichnete sich auf Damians Gesicht ab, als die Limousine direkt vor dem Aufgang anhielt. Natürlich fuhr Mark nicht selbst.
»Ja«, antwortete ich. Auch ich war ein Mädchen, ich mochte glitzernde Dinge. Und ich mochte solche Anlässe.
»Es ist kitschig«, urteilte Damian, bevor er die Tür öffnete und Mark folgte, der ihm damit zuvorgekommen war.
Aber er erinnerte sich immerhin noch daran, dass wir uns als Paar ausgeben wollten, und half mir auf meiner Seite aus dem Auto.
»Kannst du es mir vorwerfen, dass ich diesen Abend soweit möglich genießen möchte?«, fragte ich ihn, als ich seine Hand ergriff. »Solche Gelegenheiten häufen sich in meinem Leben nicht.«
Zu spät wurde mir klar, dass Mark schon außer Hörweite war und die Stufen emporschritt, als würde die Treppe zum Eingang ihm gehören. Ich hätte mir den persönlichen Smalltalk sparen können.
Damian ließ meine Hand dennoch nicht los, wahrscheinlich wusste er, dass Mark sich jeden Moment umdrehen konnte. »Das heißt, du möchtest mit mir tanzen?«
Bevor ich antworten musste, eilte Mark tatsächlich zu uns zurück. »Ich dachte, wir hätten es eilig?«
Im Inneren der Galerie wurden wir begrüßt von leisem Stimmengewirr, dem Klingen von Champagnergläsern und Menschentrauben in Abendgarderobe. Meine Augen huschten über die Menge. Mit Sicherheit waren mehrere der Jungs anwesend. Hätte ich doch nur eine Waffe mitnehmen können, die wirkungsvoller war als das Betäubungsmittel in meinen Haarnadeln.
Damian drückte meine Hand sanft und erinnerte mich damit schlagartig daran, meinen Griff zu lockern.
»Ich werde schauen, wo ich meine Freunde finde«, verkündete Mark, kaum dass wir außer Sichtweite der Tür waren. »Amüsiert euch einfach bis dahin.«
Und damit verschwand er in der Menschenmenge.
Gott. Sei. Dank.
»Damian –« Ich ergriff ihn am Arm. Wenn ich ihn jetzt nicht vor Mark warnte, könnte ich diese Gelegenheit nie wieder bekommen. »Vielleicht solltest du dein Versprechen einlösen, bevor die Gelegenheit vorbei ist.«
Die Aussage irritierte mich so sehr, dass ich meinen Satz nicht zu Ende brachte. »Versprechen?«, fragte ich stattdessen nach.
»Du hattest versprochen, mit mir zu tanzen.«
Mein Blick zuckte zu der Tanzfläche, die ich bisher nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. »Das habe ich nicht. Und das werden wir nicht.«
Damian musterte mich und ein verschlagenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Und wie planst du sonst, dich unter die Leute zu mischen?«
Ja, wie sonst? Ich hatte keine andere Wahl, oder?
Ich schnaubte und griff nach Damians Hand, um ihn mit mir zu ziehen. »Wehe, du trittst mir auf die Füße«, zischte ich, aber er lachte nur leise auf.
»Du hältst dich also für eine gute Tänzerin?«, fragte er.
»Dir ist klar, in welchem Beruf ich arbeite, oder? Es gehört sozusagen zu meinem Job, dass ich mich in verschiedenen Bereichen des Lebens auskenne. Und tanzen zu können, gehört zu den Fähigkeiten, die von Vorteil sind.«
Damian hob die Augenbrauen. »Dann hast du also noch andere Fähigkeiten?«
»Mach so weiter und du findest es noch heraus.« Im selben Moment hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen und die Worte zurückgenommen. Was ich gesagt hatte, könnte man auch ganz anders auslegen, als ich gemeint hatte.
»Dann zeig du doch erstmal, was du so kannst«, versuchte ich abzulenken. »Auf der Tanzfläche.«
Seine Hand hielt ich bereits, seit ich das Gebäude betreten hatten. Irgendwie hatte sich doch zu viel der Pärchen-Nummer eingeschlichen, aber an diesem Abend machte es wohl ohnehin keinen Unterschied mehr.
»Und ich dachte, klassische Musik wäre aus der Mode«, kommentierte ich mit einem Blick auf das kleine Orchester aus sechs Musikern.
»Nicht auf solchen Galas«, sagte Damian. »Du weißt, dass klassische Musik auch klassischen Paartanz bedeutet.« Das Eis in seinen Augen glitzerte, als wäre ein Sonnenstrahl darauf gefallen.
»Wieso sagst du das, als würdest du mir das nicht zutrauen?« Ich hob eine Augenbraue.
»Ich dachte nur, dass du es offenbar nicht bemerkt hast«, sagte er. »Oder gibt es noch einen anderen Grund, weshalb du so weit entfernt von mir stehst?«
Tausende Gründe.
Mein Blick verdunkelte sich. Ich trat an ihn heran und legte eine Hand auf seine Schulter. »Besser?«
»Besser, amore mio.« Seine Hand lag auf meiner Taille und er zog mich noch ein Stück an sich heran.
Nun standen wir enger, als ich beabsichtigt hatte, und ich musste aufsehen, um ihm weiterhin in die Augen schauen zu können.
Er wartete eine Sekunde ab und machte dann den ersten Schritt und führte mich im sanften Rhythmus der Musik. Ganz konnte ich aber die Welt um mich herum nicht vergessen. Zu präsent war mir noch die Gefahr, die von Mark ausging.
»Dafür, dass du unbedingt tanzen wolltest, wirkst du aber sehr unentspannt«, raunte er mir ins Ohr.
Wie sollte ich auch entspannt sein? Ich sah mich verstohlen im Raum um. Andere tanzende Pärchen wirbelten an uns vorbei, aber mein Blick wanderte weiter, in Richtung der Balustrade und der Ausgänge. Ich erwartete, dass jeden Augenblick bewaffnete Männer – Schergen Marks – auftauchen würden, die Waffen auf uns richteten, aber noch schien alles ruhig.
»Willst du mir nicht erzählen, was mit dir los ist?«, fragte Damian. »Schon seit wir bei Mark sind.«
Ich holte tief Luft. Nun hatten wir zum ersten Mal die Gelegenheit in Ruhe und ohne, dass Mark uns ständig über die Schulter sah, miteinander zu sprechen. Wenn ich es ihm jetzt nicht sagen würde, wann dann?
»Mark gehört zu den Jungs.«
Damian stockte für den Bruchteil einer Sekunde, nahm dann aber wieder die Tanzschritte auf. »Da irrst du dich«, sagte er und schien nicht im Geringsten beunruhigt zu sein.
»Tue ich nicht.« Ich schnaubte. »Ich habe ihn schon einmal getroffen, während ich einen Auftrag ausgeführt habe. Bei den Jungs.«
»Mark hat Kontakte in alle Ebenen der Unterwelt in Detroit. Da ist es nicht unwahrscheinlich, dass –«
»Ich weiß, was ich gesehen habe«, unterbrach ich ihn und funkelte ihm in die Augen, in denen sich nun leichte Wut entzündete. »Mark und ich kennen uns seit Kindertagen«, sagte Damian und sein Kiefer spannte sich an. »Er ist Familie für mich und weiß ebenso wie ich, wo seine Loyalitäten liegen.«
»Weshalb sollte ich mir das ausdenken?«, hielt ich dagegen und musste mich zwingen, meine Stimme nicht zu erheben. »Mich würde es doch nicht weiterbringen. Ich will dich nicht gegen deine Freunde aufbringen, aber –«
»Ich habe verstanden, was du mir sagen willst.« Diesmal war er es, der sie unterbrach.
Ich schluckte. Er glaubte mir nicht.
»Ich kann nicht fassen, dass wir über so etwas streiten«, sagte Damian. »Mark wird uns helfen.«
Nur leider war ich mir dabei nicht sicher, aber ich konnte nur hoffen, dass er meine Worte vielleicht zumindest im Hinterkopf behielt. »Lass uns einfach vorsichtig sein«, bat ich und Damian nickte.
Die Farben der Umwelt wurden nach und nach zu verwischten Tupfern, das Stimmengewirr ging in der Musik unter.
Wäre da nicht diese leise Stimme, die mir einflüsterte, dass wir in Gefahr waren, wäre es ein Tanz, wie ich ihn nur aus Büchern oder Filmen kannte.
Die Schritte waren federleicht und wir schwebten förmlich über das Parkett. Auf eine Art und Weise harmonierten wir miteinander, dass es kaum notwendig war, sich aktiv auf den Tanz zu konzentrieren.
Kaum bemerkte ich, dass die Musik verklang und der Tanz beendet war. Viel zu schnell war es vorbei.
Eine schmale Falte hatte sich auf Damians Stirn gebildet. »Was ist los?«
Ich musste dieses Gefühl loswerden, als wäre ich aus einem Traum erwacht. Und zwar dringend.
Widerwillig trat ich einen Schritt zurück, drehte mich um und folgte Damians Blick. Natürlich war es Mark, der uns störte. Er stand ein Stück entfernt und winkte und zu sich heran.
»Damian, es ist keine gute –«
Er verließ die Tanzfläche und wenn ich nicht allein zurückbleiben wollte, musste ich ihm folgen, auch wenn mir mein Instinkt riet, in die andere Richtung zu rennen.
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