13.

Ich stieg die Kellertreppe hinauf und das Erste, was ich bemerkte, als ich die Tür hinter mir schloss: Stille.

Normalerweise war Riley doch nie still und er musste mich auch ständig mit seiner Anwesenheit nerven.

»Riley!« Ich drehte den Schlüssel in der Kellertür herum, damit Damian nicht entkommen konnte, selbst wenn es ihm irgendwie gelingen würde, sich zu befreien.

Keine Antwort.

Der verzweifelte Versuch, den Gedanken zu verdrängen, dass die Mafia uns gefunden und Riley mitgenommen hatte, schlug fehl.

»Riley?« Meine Schritte beschleunigten sich, als ich in die Küche eilte.

Leer.

»Riley!«

Die Treppe hinauf, in das weitläufige erste Stockwerk. Auf dem Balkon war er nicht und auch nicht im Wohnzimmer und nicht in dem Zimmer, das ich bewohnte. Welchen Raum ich auch durchsuchte, Riley blieb verschwunden.

Ich zog mein Handy aus der Tasche und rief Melissa an. Nur ein Tuten kam aus dem Hörer und niemand nahm ab. Ich versuchte es kein zweites Mal.

Die Panik stieg weiter in mir auf. Riley war weg. Vor wenigen Minuten war er noch da gewesen und nun war er einfach verschwunden, ohne mir etwas zu sagen. Und ich ... ich wusste nicht, wo ich suchen sollte, was ich tun sollte, was passiert war, wo er hin war ...

Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Panik würde mir nicht weiterhelfen. Ich musste nachdenken. Irgendwie gab es doch bestimmt einen Weg, um herauszufinden, was geschehen war.

So eine Nobel-Villa, wie Riley sie hatte, verfügte doch sicherlich über Sicherheitsvorkehrungen.

Waren da nicht Überwachungskameras am Eingangstor gewesen? Wenn es dort schon Kameras gegeben hatte, vielleicht waren dann auch innen welche? Oder ich könnte zumindest sehen, wer durch das Tor getreten war.

Nun musste ich nur noch den Raum finden, von dem aus Riley sie steuerte.

Ich ging noch einmal jedes Zimmer ab und fand einen Raum, den ich in meiner Panik zuvor übersehen hatte. Ein Arbeitszimmer mit einem großen Schreibtisch, Aktenschränken und Bücherregalen. Der Bildschirm schaltete sich ein, sobald ich die Schreibtischplatte berührte, und zeigte mir das Bild eines Kätzchens, das sich in einer flauschigen Decke einkuschelte.

Tausende Verknüpfungen verteilten sich über den Desktop. Von Videospielen, über Ordner und Dokumente.

Ich brauchte einige Augenblicke, bis ich fand, wonach ich suchte. Die Übersicht über die Überwachungskameras.

Ich klickte darauf.

Ein Raster öffnete sich mit Aufnahmen des gesamten Hauses. Ich wiederhole: Des. Gesamten. Hauses. Inklusive Keller und Schlafzimmer.

Ein Schauer kroch meinen Rücken hinab. Hatte Riley mich etwa die ganze Zeit über beobachtet? Was für ein Creep.

Ich klickte auf den einzelnen Bildern umher und fand die Kamera, die die Eingangshalle im Blick hatte. Nach einigem Spulen entdeckte ich die Aufnahmen von dem, was sich vor wenigen Minuten dort abgespielt hatte.

Riley tauchte im Bild auf und ging zur Tür. Jemand musste geklingelt haben. Kaum einen Moment, nachdem er die Tür geöffnet hatte, stolperte Riley zurück und seine Tasse fiel ihm aus der Hand.

Gestalten in Schwarz und mit Masken vor dem Gesicht traten ein. Fünf an der Zahl.

Für einen Augenblick erstarrte Riley, überlegte wahrscheinlich, ob ein Kampf sich lohnte, und entschied sich dann dagegen. Er hob die Hände und folgte den Schlägern ohne Widerworte.

Nach und nach sickerte die unumstößliche Wahrheit zu mir durch. Wir waren gefunden worden. Unsere Sache war aufgeflogen. Ich musste mit Damian hier weg.

Angst verkrallte sich in meinem Magen. Die ganze Situation war auf einmal real geworden, mit realen Konsequenzen. Riley ... Ich biss mir auf die Lippen. Er hatte so viel für mich getan und bekam nun die bittere Quittung.

Aber was konnte ich jetzt tun? Eigentlich gab es nur eine Antwort auf diese Frage. Ich würde nicht zusehen, wie Riley in den Fängen dieser Schläger verrottete. Und wenn ich dafür mit dem arbeiten musste, das mir zur Verfügung stand. Ganz buchstäblich mit demjenigen, der mir zur Verfügung stand.

Zum wiederholten Male stieß ich die Kellertür auf. Zumindest versuchte ich es und prellte mir die Schulter, weil ich vergessen hatte, dass ich sie zur doppelten Sicherheit abgesperrt hatte. Hoffentlich hatte Damian den Knall nicht gehört.

Meine Hoffnungen wurden zerstört, als ich am Ende der Kellertreppe von einem skeptischen Blick gestreift wurde. Ich gab mir allerdings alle Mühe, das nicht an mich heranzulassen. Je unfähiger ich in Damians Augen war, desto peinlicher für ihn, dass er sich von mir hatte entführen lassen.

»Deine Kumpel haben meinen Freund verschleppt«, eröffnete ich das Gespräch, ohne auf meine schmerzende Schulter einzugehen.

»Den mit dem Rattengesicht?«, fragte Damian gleichgültig.

»Ja«, spuckte ich aus, obwohl ich kurz den Drang verspürte, Riley zu verteidigen. Ja, er war vielleicht nicht so gebaut wie Mr. Italienische-Marmorstatue vor mir, aber Rattengesicht war dann doch etwas, das außer mir niemand zu ihm sagen durfte. Schon gar nicht in diesem Tonfall.

»Du hättest mich freilassen sollen.« Damian musterte mich nur träge. »Dann hätte ich das vielleicht klären können und du hättest einige Sorgen weniger.«

Dann stockte er und gab seine unbeteiligte Haltung auf.

»Rattengesicht war doch in dem Restaurant bei dir, oder?«

»Ja«, bestätigte ich zögernd.

»Dann wissen meine Leute, dass ihr zusammenarbeitet. Du bist auf der falschen Spur.«

Ich starrte ihn an. Wollte ich nachfragen, was er meinte? Ein herablassendes Lächeln zuckte gerade über Damians Gesicht, als die Puzzleteile auch für mich an ihren Platz fielen.

»Sie hätten ihn nicht mitgenommen«, flüsterte ich. »Sie hätten ihn hier verhört und das Haus auf der Suche nach dir auf den Kopf gestellt.«

»Und wenn er nichts gesagt hätte, hätten sie ihn blutüberströmt an einen Stuhl gefesselt und darauf gewartet, dass du dich zeigst«, ergänzte Damian, nun wieder in gelangweilter Pose.

Ich biss mir auf die Unterlippe.

»Na, gehst du durch, wen du dir noch so alles zum Feind gemacht hast?«, spottete Damian.

Mit einem Gefühl, als hätte jemand einen Eimer voll eiskaltem Wasser über mir ausgekippt, fiel mir das Gespräch mit Melissa wieder ein. »Ich ... was weißt du über die Jungs?«, fragte ich.

Das herablassende Grinsen machte sich nun doch noch über Damians Gesicht breit. »Weißt du, Bellissima ... warum sollte ich dir helfen?«

Guter Punkt.

»Ich könnte es mir natürlich anders überlegen.« Bedeutungsschwanger ließ Damian den Satz in der Luft hängen.

Ich verdrehte die Augen. »Was willst du?«

»Kannst du dir das nicht denken?« Er blinzelte mich von unten an und wieder einmal tauchten in meinem Kopf ungebetene Gedanken auf. Wie wäre es gewesen, ihm unter anderen Umständen zu begegnen? Wenn ich mich in den eisblauen Augen hätte verlieren können?

»Nein«, schnappte ich, ebenso als Antwort wie auch, um diese Gedanken loszuwerden.

Damian verdrehte die Augen. »Ich will meine Freiheit«, sagte er. »Offensichtlich.«

»Also willst du entkommen und mir deine Leute auf den Hals hetzen.«

»Gut, hör mir zu. Du hast folgende Möglichkeiten: Du lässt mich hier, wo mich meine Leute zweifellos sehr bald finden werden. Oder du nimmst mich mit, wo du zumindest versuchen kannst, mich im Auge zu behalten. Vielleicht reicht es mir ja vorerst, aus diesem Keller herauszukommen.«

Ich zögerte. Es war ein schlechtes Geschäft in jeder Hinsicht für mich. Ich würde auf jeden Fall meine tausend Dollar verlieren. Ganz abgesehen von meinem Prestige-Anstieg.

»Dafür, dass du vorgibst, eine professionelle Attentäterin zu sein, ist dein Gesicht verdammt leicht zu lesen.«

»Klappe«, murmelte ich. Aber ich stand immer noch hier und eigentlich wusste ich auch, dass ich ausmanövriert worden war.

Ich sollte keine Zeit mehr verschwenden. Wortlos trat ich nach vorne. Die tausend kleinen Piepsstimmen in meinem Kopf, die mir verboten, genau das zu tun, ignorierte ich.

Zum zweiten Mal fielen die Seile auf den Boden.

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