wonders are not invisible, we're just blinded by hate and pain.

Die letzten Tage bieten mir kaum eine Denkpause oder einen Moment zum Tiefausatmen, um das wirre Gestrüpp in meiner engen Brust loszuwerden. Ich werde von einem Termin zum anderen geschleppt. Sie versuchen herauszufinden, was mit mir nicht stimmt – vergeblich. Es gibt keine Medizin oder Therapie gegen den Tod. Den Prozess des Sterbens kann nicht verhindert werden. Er gehört dazu, zum herkömmlichen Leben. In jeder Sekunde stirbt ein anderer und dafür wird ein anderer geboren. Das ist der normale Verlauf der Dinge – wieso halte ich mich dann aber so daran fest, dass es nicht auf mich zu treffen wird? Dass ich womöglich ein zweites Mal sterben würde, um wenigstens ein Leben mit Keisuke zu bekommen?

Die Antwort versteckt sich. In meinem Herzen. Und ich habe Angst, was sie mir über mich selbst verraten wird, wozu ich nicht imstande bin zu verstehen. Da ist diese Lücke in meinem Kopf, die sich mit jedem weiteren Tag ausbreitet. Je länger ich keine Ahnung habe, was mit mir los ist, desto mehr fühlt es sich so an, als würde ich den Faden zu mir verlieren. Und so zu viel mehr als wichtige Erinnerungen.

Eines Nachmittags ist jemand von der Presse zu mir gekommen. Mein Dad wollte die junge Dame mit ihrem schwarzen Pferdeschwanz gleich wegschicken, aber ich bin über diese Abwechslung froh gewesen und habe ihn davon überzeugen können, dass ich es auch 30 Minuten ohne eine Vertrauensperson aushalte. Sie wechseln sich untereinander aus, um bei mir sein zu können. Man kann es besser als eine Bewachung bezeichnen, damit ich nicht nochmal auf Dummheiten komme. Wie bei einem Kleinkind. Total bescheuert. Mein Dad ist meistens morgens bei mir, am Nachmittag Chifuyu (mit dem ich einen Stapel von Manga lese, die in meiner Abwesenheit veröffentlicht worden sind, aus dem Radio plätschern verschiedene Lieder vor sich hin. Wenn ich ihm direkt in die Gletscheraugen sehen möchte, weicht er mir sofort aus... und ich weiß nicht, warum. Ich weiß nur, dass es wehtut.) und am Abend ist da Keisuke.

Bei ihm fühle ich mich nicht so unbeholfen wie bei den anderen beiden. Nicht so zerbrechlich und krank, so dass man ständig auf mich aufpassen muss. Immer flüchtig zum Notschalter sieht und schon in Panik ausbricht, wenn ich mich mal an einem Trinkpäckchen verschlucke.

Er fragt nicht im Minutentakt, ob ich etwas möchte oder ob ich Schmerzen habe. Er zwingt mir keine Geschenke auf und erzählt mir nicht jedes Mal, wie froh er ist, dass ich wieder da bin. Sie meinen es nur gut und es ist beruhigend und liebenswert, das von meinem Dad und Chifuyu zuhören, allerdings verliert es nach dem 20ten Mal einfach an Wirkung. Das ist ihnen gegenüber nicht fair. Nichtsdestotrotz schenke ich ihnen ein weiches Lächeln und drücke ihre Hand, um ihnen so verdeutlichen, dass ich da bin – und nicht wieder verschwinden werde.

Wenn Keisuke bei mir ist, setzt er sich neben mich aufs Bett. Er bringt mir keine Geschenke mit, aber den ein oder anderen Snack und Bubble Tea hat er dennoch dabei. Als hätte er es mir angesehen, dass ich das Krankenhausessen nicht ausstehen kann und kaum anrühre. Wir haben jeweils einen Stöpsel meines iPods in einem Ohr, unsere Finger ineinander geschränkt und die Köpfe eng nebeneinander gelehnt. Wir genießen die Nähe des anderen, Wörter benötigen wir nicht, um das zu verstehen, was unsere Herzen sich gegenseitig zu flüstern. Wir spüren es.

Die Welt dreht sich nur um uns und niemand anderes. Manchmal sind wir eingenickt und gemeinsam wieder aufgewacht. Aber am meisten sind wir wach, es gibt nur mich in seinen Armen und sein Gesicht in meinen Haaren. So wie es sich gehört. Er, mein gesamtes Universum, und ich, seine zusammenhaltende Schwerkraft. Als wären wir tatsächlich in unser Zuhause gekehrt. Es ist, als wäre ich auf einmal abhängig davon. Von seiner Nähe und dieser Zugehörigkeit zu ihm, bei der mich so vollkommen geborgen, sicher und geliebt fühle. Wir haben uns, und es scheint genug zu sein, um das Schlechte erstmals zu vergessen. Letztlich habe ich keine Worte dafür, wie schön diese Stunden mit ihm gewesen sind. Und wie glücklich ich bin, dass ich wir es endlich sind. Zusammen.

Die Flamme unserer Liebe hat sich festgesetzt.

In meinem Herzen.

Auch bei Keisuke. In seinen Augen.

Er ist wieder er selbst, sein Feuer ist stärker und intensiver geworden und wirkt weniger gequält und verspannt. Was mich ungemein erleichtert. Das ist genau das, was ich will. So für ihn da sein wie er für mich da ist. Ihn das sichere Gefühl geben, sich bei mir fallen lassen zu können, um neue Kraft zu schöpfen. Er hat diese Tage ebenso gebraucht wie ich, wo wir beide einander fühlen und nicht loslassen können. Diese Tage, wo wir beide uns bewusstwerden, dass sich die gebrochenen Seiten unserer Seelen sich mit den des anderen perfekt ergänzen. Wie gemacht füreinander. Er gehört jetzt zu mir und ich zu ihm.

Und doch kann ich nicht aufhören, an die eine Frage der Reporterin zu denken. Sie hat mich nach draußen genommen, in meinen Rollstuhl, weil meine Knochen noch etwas brauchen, bis sie mich wieder tragen können. Das Krankenhaus besitzt einen kleinen Park, nicht größer als ein Fußballfeld. Unter einem großen Ahornbaum haben wir uns auf eine Bank gesetzt. Zuerst bot sie mir ihre Hilfe an, als sie bemerkte, dass ich es auch ohne auf die Holzbank schaffte, setzte sie sich kommentarlos hin.

Die ersten belanglosen Fragen, wie es mir geht und was ich durch diesen Unfall erlitten habe, beantwortete ich problemlos. Dann fragte sie, nach dem Verlauf meiner Therapie und wie ich mit meiner Hand zurechtkäme. Da staute sich schon etwas in mir an, das sich schmerzvoll in mir zusammenzog. Es würde eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt hätte, meine linke Hand zu belasten, aber es wäre nichts, was ich nicht schaffen würde. Mein zuversichtliches Lächeln begegnete sie mit einem Stirnrunzeln, es war wohl zu offensichtlich, dass ich es nicht vollkommen ernst meinte.

Es war ihre letzte Frage, die meine Welt in ihrem gesamten Fundament zum Erschüttern brachte.

„Du hast viel und immer gerne gezeichnet. Deine Mitschüler haben erzählt, du möchtest mal eine Künstlerin werden. Glaubst du, auch mit deiner linken Hand wird dir das möglich sein?"

Ihre Worte wiederholen sich. Je öfter sie echoen, desto mehr breitet sich dieses Dunkle über mir aus, bis es mich völlig in die Tiefe gezogen hat. Ich habe zu ihr gesagt, dass ich darauf nicht antworten könnte, weil meine Gesundheit momentan wichtiger ist als... meine Leidenschaft. Danach hat sie sich bedankt und verabschiedet. Sie hat vergessen, mich zurückzubringen. Aber ich werde nicht weglaufen. Meine Beine zittern zu sehr. Ihre Frage frisst sich kalt und schmerzhaft durch mein Mark, bis mich das Verlangen, mich auf Ewig zu verstecken, komplett überwältigt. Meine Augen brennen, während ich mit dem Blick nach oben gleite und in die purpurne Kronenpracht des Ahornbaumes über mir schaue.

Der Herbst faltet sich in Tokio immer weiter aus.

Wenn es Zeit für den Winter ist, könnte das auch für mich bedeuten, gehen zu müssen.

Ich möchte mich nicht verabschieden, oder mich von diesem Leben lösen müssen, das gerade so wundervoll und kostbar ist. Selbst wenn es nicht aufzuhalten sein wird, so fühlt es sich gerade verdammt danach an, kann ich nicht gehen. Es gibt noch etwas, was ich erledigen muss: Keisuke retten. Vor seiner Selbstlosigkeit. Er soll nicht denselben Fehler wie ich mich machen, ich könnte es mir niemals verzeihen, nichts dagegen unternommen zu haben, wenn sich mir nur als Mensch die Möglichkeit bietet, etwas dagegen ausrichten zu können.

Wenn es nicht die Liebe meiner Mutter ist, was fehlt mir dann eigentlich wirklich? Warum bin ich wieder ein Mensch – obwohl ich in wenigen Wochen zu einer Katze werden könnte? Für immer? Welches durchgeknallte und unfaire Spiel spielt das Universum mit mir?

Ich strecke meine kaputte Hand in das narzissengelbe Licht, das durch die Blätter scheint, und betrachte sie genauer. Die Narbenlinien glühen auf, meine Finger zittern zwar und ich kann sie nicht fühlen, aber da ist noch diese wohlige und kräftige Wärme. Sie bringt auch mein Herz zum Flunkern. Wie seine Hand. Die kann ich sehr wohl wahrnehmen, als hätte ich sie in den Lücken zwischen den unzähligen Narben gespeichert. Damit ich ihn immer bei mir habe und sein strahlend breites Grinsen vor mir sehen kann, das mir so viel Durchhaltevermögen schenkt. Unsere tiefe Seelenverbundenheit gleicht einem einzigartigen Wunder. Ein Wunder, das ich in diesem Moment dringend gebrauchen kann.

Jede Sekunde, in der ich mich gegen den Impuls zu weinen wehre, kommt es mir schwerer vor, es zurückzuhalten. Zwar bin ich allein und kein anderer Patient wandert herum, doch ich fühle mich zu ausgelaugt. Wie eines der vielen Blätter, die sich als Erstes von ihren Ästen trennen, weil sie schon davor angeknackst und schwach gewesen sind. Sie haben nicht genug Wasser abbekommen, nicht genug Sonnenlicht und Kraft. Es schmerzt alles.

An wen soll ich mich jetzt wenden? Mit wem soll ich über meine Situation reden, ohne dass man mich einweisen wird? Es gibt nur den Tierarzt, aber momentan ist es mir nicht erlaubt, das Krankenhaus zu verlassen. Sie haben schon darüber geredet, über meine Entlassung, wenn bis dahin alles gut verläuft und es keine weiteren Rückfälle mehr gibt. Anfang Oktober.

Der Monat, der so ziemlich alles entscheiden wird.

Das schimmernde Licht in meiner Hand wird greller, lebendiger. Statt, dass es wie gewohnt von den Strahlen der Herbstsonne ausgeht, wirkt es vor meinem Augenschein so, als würde dieses fackelnde Leuchten aus den Narben entgleiten. Als würde ich dort die Magie sehen, die sich dahinter verbirgt und in meinem Herzen entsteht. Und sie ist nicht schwarz und düster wie ich es mir andauernd eingeredet habe. Sie ist golden.

Es ist wunderschön, denke ich mir und lasse meinen Tränen freien Lauf, so wunderschön.

Mein Herz bricht auf. Auf eine bittersüße und erlösende Weise. Ich ziehe meinen Arm zurück, lege meine gesunde Hand um die andere und schließe sie fest darin ein, während ich sie mir an die Brust führe. Ich werde das schaffen. Muss es schaffen.

„Saejin." Mein Dad hat mich nach einer Weile gefunden.

Eilig wische ich mir dem Ärmel meines cremefarbenen Cardigans das Gesicht und lächle ihn zaghaft an. „Hi, Dad."

Er setzt sich neben mich, rückt so heran, dass er mit seiner Hand mir einzelne Strähnen hinter das Ohr streichen kann. Sein Blick ist liebevoll, aber auch besorgt. „Geht es dir gut, kleine Schildkröte?", fragt er nach.

Leicht schniefe ich. „Ja, mir geht es gut", antworte ich, um dann zu fragen: „Wie geht es Mam in Südkorea? Kommt sie bald wieder?" Mein Dad hat mir verraten, wieso sie die Nacht nicht da gewesen ist. Momentan ist sie bei ihrer eigenen Mutter in Seoul, nachdem sie es hier in Tokio nicht länger ausgehalten hat. Aber ich glaube, da steckt noch mehr dahinter. Mehr als nur Scham und Angst. Deshalb hoffe ich so sehr, dass sie mich demnächst besuchen kommt.

„Ihr geht es besser." Mein Vater verzieht das Gesicht und weicht meinem erwartungsvollen Blick aus. Als schütze er sich vor der kommenden Enttäuschung. „Sie wird noch eine Weile in Seoul bleiben."

„Ist es wegen meiner Hand? Weil ich nicht mehr genug für sie bin?" Sofort muss ich mir auf die Zunge beißen, weil ich diesen Gedanken tatsächlich ausgesprochen habe.

„Saejin." Sorgsam spricht er meinen Namen aus, seine Kaffeeaugen betrachten mich mit einer Mischung aus Schock und Verletzung. „Was sagst du denn da für Sachen? Du wirst immer genug für uns sein. Du bist unsere Tochter und unser größtes Glück."

Die ganzen Zweifel, die ich die letzten Tage mit mir herumgetragen habe, kommen plötzlich über mich. „Wieso ist sie dann nicht hier? Wieso kann sie mich nicht besuchen – wenn ich ihr so wichtig bin?"

Eine dichte Falte bildet sich zwischen seinen Brauen. „Es ist nicht gut, wenn sie sich zu sehr unter Stress setzt."

Ich blicke ihn verwirrt und aufgelöst an. „Nicht gut? Weshalb, Dad? Ist sie... krank?" Mir bläst es mit einem Mal die gesamte Luft aus den Lungen. Die Tatsache, dass etwas nicht mit ihr stimmt und ich weiß nicht wieso, schnürt mir den Brustkorb zu. Ich versuche tief und langsam ein- und auszuatmen, doch ich entkomme nicht der übermäßig großen Welle, die mich wieder unter die Tiefe der Dunkelheit in mir drängt.

Mein Dad seufzt aus. Erschwerter als gewöhnlich. So wie man eben ausseufzt, wenn man etwas auf den Schultern lasten hat, das einen selbst einengt und einschüchtert. „Ich weiß nicht, ob das der geeignete Augenblick dafür ist, meine kleine Schildkröte", sagt er verstimmt und fährt sich durch die unordentlichen Haare. „Sie sollte es dir erzählen, nicht ich. Auch wenn es unsere Familie betrifft."

Ich kann mir diese Frage nicht verkneifen, aber sie könnte auch alles zerstören, was mich zurückgeholt hat. „Trennt ihr euch etwa?", frage ich atemlos.

Er schnappt nach meiner zitternden Hand und legt sie auf seinen Schoß. „Nein, niemals. Wir würden uns niemals trennen, Saejin", antwortet er mir mit blankem Ernst in der brummenden Stimme und sieht mich direkt an. Sein Blick verrät mir nichts über seine Gedanken, lediglich, dass er wie ich mit dem Wissen, was er besitzt, ebenso überfordert ist. „Wir werden..." Seine Kaffeeaugen werden unerwartet klarer und damit auch die Furcht, die in seinen Worten mitwirkt. „Wir werden eine große Familie, kleine Schildkröte."

Es fällt mir schwer, ihm zu folgen, wenn ich kaum richtig denken kann, ohne daraufhin gleich in Panik zu verfallen. „Was meinst du damit, Dad?"

Seine Hand drückt meine fester. Sie hat aufgehört zu zittern, als hätte er genau das gebraucht. Dieses Gespräch mit mir, um sich selbst klar zu werden, was dabei ist, sein Leben komplett zu verändern. Und dass es gar nicht so schlimm ist.

„Wir bekommen nochmal ein Kind", spricht er es aus wie um es sich genauer einzuprägen und zu versteinern. Seine Kaffeeaugen werden wässrig, die Falte zwischen seinen Brauen hat sich mit seiner Aussage geglättet, als hätte er die schweren Gedanken dahinter verabschiedet.

Überrascht und berührt zugleich reiße ich die Augen auf. Der dicke Kloß in meinem Hals verhilft meiner Stimme zu einer bestimmten Ruhe. „Ich werde Schwester?", murmle ich.

Unbefangen nickt er. „Ja, und ich... ich nochmal Vater."

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll..." Trotzdem schlinge ich meine Arme um seine Mitte und schmiege meinen Kopf gegen seinen grauen Zopfpullover. „Aber ich werde mein Bestes geben, um eine gute, große Schwester zu sein."

Als hätte er nur darauf gewartet, dass ich mich durch die Trümmer des dunklen Turms zu ihm durchkämpfe, drückt er mich an sich und hinterlässt einen langen und warmen Kuss auf meinen Scheitel. „Das wirst du. Mühelos, meine kleine Schildkröte."

Zugleich kuschle ich mich enger an ihn, weil ich ganz vergessen habe, wie es sich anfühlt, von ihm umarmt zu werden. Ich kann es gar nicht richtig in Worte fassen. Es ist, als würde sich gerade alles zusammenrücken, was vor wenigen Wochen noch zerrissen worden ist, und jetzt fügt sich alles wieder so zusammen wie es sich gehört hat. Aber es ist nicht dasselbe, was dabei entsteht. Es ist etwas Neues, etwas Standhaftes. Es sind die alten sowie die neuen Wurzeln unserer Familie.

„Wir sehen das als eine Chance, um die Fehler unserer Vergangenheit wieder gutzumachen", flüstert er mit leichterer Stimme und drückt mich an den Schultern von sich. Wir sehen uns mit Tränen in den Augen an. „Doch vor allem wünschen wir uns, dass auch du uns die Möglichkeit bietest, uns zu verbessern. Es gibt da etwas, das du wissen solltest. Du bist jetzt alt genug, um das zu verstehen." Ein tiefer Schmerz blitzt in seinen Kaffeeaugen auf, die sie dunkel und hart machen. Dieser Schmerz hat ihn niemals losgelassen, dieser Schmerz tut so sehr wie das erste Mal.

Ich blinzle die Tränen weg, während mir das nächste fast kratzend im Hals stecken bleibt. „Was ist es, Dad?"

Er hebt die Hand und wischt mir die Tränen weg, als würde er die letzten Trümmer des dunklen Turms entfernen. Sie gibt es nicht mehr. Jetzt gibt es nur uns – eine Familie.

„Wir haben schonmal ein Kind verloren", beginnt er zu erzählen und die Traurigkeit in seinem Blick zieht mich herunter, weil der Grund dafür schmerzvoll und unausweichlich ist. „Einen Jungen. Aber leider hat er die Geburt nicht überstanden. Das hat uns sehr verletzt. Wir wollten so sehr ein Kind, es ist unser größter Wunsch gewesen, etwas gemeinsam zu erschaffen, das nicht nur aus Wörtern und Arbeit besteht – sondern aus unserem eigenen Blut. Leider hat es das Schicksal nicht so gut gemeint. Deine Mutter litt am meisten darunter. Sie schloss sich ein halbes Jahr über in unserem Haus ein und wurde depressiv. Ich hatte Angst, sie zu verlieren. Dass sie mir entwich, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen kann. Und dann... wurde sie wieder schwanger. Mit dir. Ein süßes und kleines Wunder. Deine Mutter... Sie bekam schlagartig wieder ihre Lebensfreude zurück. Sie hielt sich an jeden Ratschlag, an die Tipps der Ärzte und konzentrierte sich nur noch auf dich. Sie wollte dich unbedingt zur Welt bringen. Gesund und munter, wie man es so sagt. Sie war echt hartnäckig, was ihre Schwangerschaft damals anging. Ich konnte sie nicht mal mehr zu einem Burger überzeugen." Er lacht brummend und erstickt fast an seinem folgenden Schniefen, doch da ist noch dieses Strahlen in seinen Augen. Ein zartes Strahlen von Bewunderung und Liebe. Plötzlich nimmt es alles von seinem Gesicht ein. „Ich habe diese Frau fallengesehen und es war fürchterlich, dass es mir das eigene Herz herausgerissen hat. Aber diese Frau wieder dabei beobachten zu können, wie zu sich zurückfindet und dabei gleichzeitig so etwas Schönes wie dich ermöglichte, das werde ich niemals vergessen."

Da ist dieser Schmerz in seinen Worten und feuchten Augen. Er trägt einen jahrelangen Schmerz in sich, der wie Unkraut der Seele in ihm gewuchert hat. Die zugehörige Narbe hat so nie vollständig verheilen können. Aber jetzt scheint es so, als hätte das Wuchern ein Ende genommen hat. Die nebelhafte Trübung seines Blicks schwindet, macht Platz für eine Liebe, die kein böses Schicksal dieser Welt vernichten kann, denn er und meine Mam werden jede schwierige Zeit überbrücken. Gemeinsam. Eine Einheit. Sie haben das Prinzip der Liebe verstanden.

„Das tut mir so leid für euch", murmle ich schniefend.

Er fängt mit seinem Daumen jede einzelne Träne heraus, die durch seine Worte über meine Wangen eingestürzt sind. Da ist nun diese gewisse Beruhigung in seinen warmen Kaffeeaugen, die mir zugleich das Herz aufsplittert und wieder schließt. Ich verspüre keinen Schmerz. Mein Herz fühlt sich vielleicht leer an, als hätte ich gerade still vor mich hin geweint – doch fühle ich eine Zufriedenheit in mir, die einiges in mir verändert und zerschlägt. Der Nebel meiner Ungewissheit ihres bitteren Schicksals windet sich auf, und nun wird mir immer klarer, was ich ihnen tatsächlich bedeute und warum sie das alles getan haben. Sie lieben mich. Sie lieben mich so sehr, dass sie mich nicht verlieren können, ohne dabei ihr Alles zu verlieren.

Auf einmal fährt er fort und seine Augen funkeln trostlos auf. „Wir hatten solche Angst, dich zu verlieren, dass wir blind für das Offensichtliche geworden sind."

Verwundert blicke ich ihn an. „Das Offensichtliche?"

„Du wirst erwachsen – und das heißt für uns, dich ziehen zulassen. Auch wenn es uns schwerfallen wird, weil wir es so gewöhnt sind, denke ich, dass es uns jetzt leichter fallen wird. Nun wo wir wissen, dass unser Elternsein noch gebraucht wird." Seine Mimik nimmt eine verbittere Note an, als seine Lippen zittern. Seine Haut wird fleckig und rot, dass er wieder den Tränen nahe sein muss.

„Ich werde euch immer als Eltern brauchen, Dad", widerspreche ich ihm ehrlich und meine Lippen verziehen sich zu einem offenen und sanften Lächeln. „Immer. Eines Tages werde ich mein eigenes Leben führen, ja, aber trotzdem werdet ihr meine Eltern bleiben. Ich bin schließlich eure kleine Schildkröte und werde so niemals den Strand vergessen, wo ich geboren worden bin." Tröstend drücke ich seine Hand, weil ich will nicht, dass er wieder zusammenfällt. Er hat doch erst wieder durch unser Gespräch an Sicherheit gewonnen.

Er schluchzt mehr als er grinst und wuschelt mir durch die Haare. „Ich bin froh, endlich so offen mit dir reden zu können."

„Ich auch, Dad." Dann verschwindet mein Kopf wieder an seiner Brust. Seine Nähe zu spüren ist heilend. Es fühlt sich so an, als würde er gerade etwas in mir flicken, und mein Herz ist leichter und wärmer als es jemals in den letzten Jahren gewesen ist. Als wäre dort immer ein Gewicht gewesen, das ich nie richtig wahrgenommen habe, weil ich daran gewöhnt gewesen bin, und nun ist es weg und ich bin glücklich und aufgeregt. Eine Wunde in meinem Herzen ist geheilt, und das ist überwältigend und unvorstellbar, aber wahr. Endlich kann ich sie richtig wahrnehmen, die abgrundtiefe Storge meiner Eltern.

„Eine Sache musst du mir aber irgendwann mal verraten..." Seine große Hand streicht mir durch das Haar über den Rücken und wieder zurück, als würde er immer an diesen Augenblick festhalten wollen. „Wie hast du es geschafft, so einen wilden und dickköpfigen Jungen wie Keisuke zu zähmen? Das könnte mir bei deiner Mutter nämlich sehr weiterhelfen."

Ich muss lachen und entziehe mich seinen Armen, um ihn mein breites und freudiges Grinsen zu präsentieren. Wobei sich eine Mordshitze in meinen Wangen anstaut, wenn ich mich daran erinnere, dass er von meinem Kuss mit Keisuke weiß. Was er sich wohl in diesem Moment gedacht hat? Zum Glück hat er ein Händchen für Pflanzen und so nur einen Schuppen voller Gartengeräte statt Waffen.

Die nächsten Worte fallen mir wunderbar leicht, weil sie der süßen Wahrheit entsprechen, die ich nur zu gerne mit ihm teilen möchte. „Ganz einfach, Dad: Mit Liebe."

Jetzt muss er ebenfalls lachen. Es hört sich schön an, frei und leicht. Es sorgt dafür, dass ich in das warme Funkeln seiner Kaffeeaugen sehe. Sie sehen mich so an, so voller Liebe und Stolz, dass ich etwas beschämt den Blick neige. Das schwarz-weiße Bild, das ich von meinen Eltern angenommen habe, bekommt in diesem Moment an Farben. Es sind warme und kräftige Töne, viele orangefarbene Töne. Am ehesten: ein Sommerorange. Genauso wie sich ihre Liebe für mich wie ein warmer und unvergesslicher Sommer anfühlt. Auf einmal ist alles bunt, vertraut und vollkommen sichtbar, wenn ich ihn ansehe und an unsere Familie denke. Mir wird es ganz wohlig im Magen und im Herzen.

„Soll ich uns etwas zu trinken holen? Oder möchtest du wieder rein? Langsam wird es kälter..." Kurz wendet er den Blick ab und starrt auf seine Armbanduhr, ehe er die Augen aufreißt und sich verlegen an die eigene Nase fasst. „Wir haben die Zeit vergessen, meine kleine Schildkröte. Keisuke muss schon längst da sein, um mich abzulösen." Aber nicht wie bei den letzten Malen ist sein Blick so betrübt und traurig, vielmehr wirkt er so zufrieden und im Einklang mit allem, dass mein Herz schwer wird, weil ich mich für heute von dieser liebenswerten Version meines Dads verabschieden muss.

Er scheint mir diese Schwermut anzumerken, zögert nicht und legt mir eine pinke Strähne hinter das Ohr. Seine Lippen verformen sich zu einem tröstlich weichen Lächeln. „Hast du einen besonderen Wunsch für morgen früh? Eine geheime Stimme hat mir verraten, dass du hier kaum etwas isst." Das kann nur einer gewesen sein. Und dieser jemand nehme ich sofort wahr, als er in der Ferne erkennbar wird. Mein Herzschlag beschleunigt sich in Sekundenschnelle auf das dreifache. „Ich könnte dir diese Pancakes mitbringen, die du so gerne magst." Davon habe ich ihnen auch niemals erzählt, so weit kann ich mich zurückerinnern. Es gibt eine einzige Person, die meine Vorlieben besser kennt als meine Eltern.

Und dieser jemand sieht heute noch unausstehlicher aus, dass es schon unverschämt ist, wie er in allem, was er trägt, gut aussieht. Unter seiner Lederjacke trägt er ein lockeres Hemd, das er bis zur Mitte seiner trainierten Brust aufgeknöpft und teilweise in die Hose gestopft hat, enge, dunkle Jeans mit aufgerissenen Schlitzen an den Knien und einem Nietengürtel, und pechschwarze Dr. Martens, dieselben wie er sie jeden Herbst trägt.

Ich muss mir ein dümmliches Grinsen verkneifen, als ich mir ins Gedächtnis rufen muss, dass dieser gutaussehende, junge Mann zu mir gehört und mir sein wildes Feuerherz geschenkt hat. Das ist immer noch wie ein Traum für mich. Der unbegreiflichste von allen.

„Mhm, ja, gerne, Dad", sage ich geistig-abweisend und mein Dad folgt mit runzelnder Stirn meinem fesselnden Blick zum Ausgangspunkt meiner urplötzlichen Absenz.

„Sowie es aussieht, wird es Zeit für mich zu gehen." Sein nervöses Grinsen treibt die Hitze so zurück in meinen Körper, dass meine Finger sich um den Schlüsselanhänger an meiner Brust legen und sich verkrampfen. Es fehlen nur noch wenige Meter und dann wäre er bei mir. Jeder weitere Schritt, der ihn näherbringt, bringt mein Herz ausnahmslos zum Flattern. Einen Augenblick lang legt mein Dad liebevoll seine Hand an meinen Rücken. „Gib mir Bescheid, wenn es Zeit wird, dir von den Bienen und Blumen zu erzählen." Das hat er nicht gesagt!

„Dad!", japse ich aufgeregt und jedes Fitzelchen Wärme schießt in meine Wangen, dass ich mir die Arme davorhalte, damit es Keisuke bloß nicht zu Gesicht bekommt. Er soll mir ja nicht irgendwelche dummen Fragen dazu stellen, das wäre furchtbar peinlich. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass er der Erfahrene von uns beiden ist.

„Bis morgen, mein Schatz." Ein federleichter Abschiedskuss auf das Pony, dann erhebt sich das Gewicht neben mir auf der Bank. Kurz höre ich ein Gemurmel und nutze diese Gelegenheit, um nochmal zu meinem Dad zu sehen. Etwas hat sich in seiner vorherigen Haltung geändert. Seine Schultern sind stramm, sein Rücken ist gerader, und er strahlt eine Stärke aus, die er während unseres Gesprächs gefunden haben muss. Ich empfinde nicht nur Stolz und Freude, es sind noch viele mehr Emotionen und sie sind alle schön und verbindlich. Sowie er und seine Vaterliebe.

Sie haben also ein Kind vor mir verloren.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich das angefühlt hat und was alles in ihnen gebrochen hat, aber es bestärkt mich darin, ihnen eine zweite Chance zu geben. Sie haben wirklich nur aus Vorsicht und Furcht gehandelt, um mich zu schützen und so bei sich behalten zu können. Wenn auch nicht auf eine natürliche Art, aber sie haben es aus Liebe getan. Der Verlust eines weiteren Kindes würden sie einfach nicht verkraften. Es gibt viele Dinge, die einen brechen, doch aus denen wir auch wieder Stärke hervorgehen, weil wir aus ihnen gelernt haben. So gibt es auch leider eine einzige Sache, die einen Menschen vollständig ausrotten kann, die er niemals überwinden wird. Das ist der Verlust. Man lernt vielleicht die Zeit miteinander besser zu genießen, aber wenn jemand unerwartet stirbt, dann ist das unmöglich. Dafür gibt es keine Vorbereitungszeit oder eine Uhr, wo man das Ablaufdatum ablesen kann. Es passiert, und ebenso hässlich und brutal fühlt sich der Schmerz dazu an.

Seitdem ich wieder in meiner Menschenhülle bin, begreife ich immer mehr, welche Grausamkeiten hinter einem Verlust stecken und wie wichtig es ist, umso besser sein eigenes Leben wertzuschätzen. Ganz gleich, welche Dämonen man zu besiegen hat oder welche dunkle Wolke in einem Kopf wütet, es gibt dort ein Licht zu finden. Und manchmal kommt es völlig unerwartet.

Sowie ich in dem Leib meiner Mutter.

Sowie Keisuke und Chifuyu in mein Leben.

Sowie diese Chance nach meinem Unfall.

Es ist wie ein Wunder und gleichzeitig Magie.

Diese Welt ist voller Magie. Wir dürfen sie bloß nicht vergessen. Schon Peter Pan lernt uns von Kind auf, daran zu glauben. Selbst als Erwachsene und Jugendliche, die reifer werden und versuchen in diesem Labyrinth des Lebens ihren Weg zu finden. Nimmerland ist vielleicht unerreichbar, aber die Magie um uns herum nicht.

Wünsche können in Erfüllung gehen, wenn man sie nicht loslässt.

Gerade wünsche ich mir, eine richtige Familie bleiben zu können. Vielleicht ein wenig wie sie im Bilderbuch steht, das wäre wunderschön, aber muss nicht. Gegen ein Happy End würde ich dennoch nicht demonstrieren, und, oh Gott, ich werde Schwester. Entweder bekomme ich einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester. Es ist verrückt und unbegreiflich, doch ich kann es kaum erwarten, ihnen diese Welt voller Magie und Wunder zu zeigen. Ihnen von den Sternen und ihre wundersamen Geheimnisse zu erzählen. Und vor allem: ihnen Keisuke und Chifuyu vorzustellen.

Es kommen immer mehr Gründe dazu, warum ich nicht so leicht aufgeben und mich meinem Schicksal beugen werde. Doch das Problem ist: Mir fehlt der Startpunkt. Jetzt, wo die Storge meiner Eltern erreicht hat und ich sie nie wieder loslassen werde, weiß ich nicht, was mir noch fehlt. Bis auf eine zweite, gesunde Hand – aber das ist etwas anderes. Die habe ich davor noch gehabt. Was dann? Muss ich noch tiefer in meiner Vergangenheit graben? Davor fürchte ich mich tatsächlich. Es kommt mir so vor, als würde ich mich ständig im Kreis drehen. Ohne rettende Abbiegung. Als gäbe es nur den einen Weg, und das kann es nicht sein.

Mir ist mein Leben versprochen worden.

Und dieses will ich nicht nochmal so selbstlos aufgeben.

Außer...

„Worüber denkst du so nach, dass du um 20 Jahre gealtert bist?" Seine samtene Stimme und die perfekte Brise von Witz schlagen jede Dunkelheit zurück.

Für ihn.

Für ihn immer.

Trotzig verschränke ich die Arme vor der Brust und sehe zu ihm hinauf. „Bin ich gar nicht."

„Mhm." Verschmitzt hebt er die Brauen hoch und setzt sich neben mich. Mit seiner Hand klopf er auf knisterndes Plastik auf seinem Schoß, sein Grinsen weitet sich so, dass seine weißen Zähne mich beinahe blenden. „Wie versprochen: Yakisoba. Zum Teilen! Und zwar nur zum Teilen."

„Was, wenn ich gerade etwas anderes viel lieber möchte?" Mein Gesicht nähert sich so voreilig seinem, dass unsere Stirn aufeinander knallen. Aber keiner zuckt zurück, denn unsere Blicke haben sich schon zu tief und zu schnell ineinander verloren.

Ein mir bekannter Schmerz flimmert in seinen Kupferaugen, während ich mit meiner Hand auf seinem Knie einen Halt finden kann. „Du weißt, was beim letzten Mal passiert ist, Saejin. Ich möchte dir nicht wehtun", erwidert er rauchig und ich möchte diese Verletzlichkeit sofort aus seinem schönen Antlitz radieren. Am besten wegküssen.

Meine Worte kommen direkt aus meinem verliebten und trotteligen Herzen, das ohne ihn nicht sein kann und möchte. „Das ist mir egal. Ich würde für dich den ganzen Schmerz der Welt aushalten."

Sein Kopf wird so rot wie sein loderndes Seelenfeuer, seine spitzen Eckzähne kommen zum Vorschein, als er den Mund etwas öffnet. „Ich hoffe, du bist dir bewusst, was du gerade mit mir anstellst." Er schließt die Augen wie ein Versuch, meinen eindringlichen Blick entkommen zu können, aber ich bleibe stur und drücke meine Nasenspitze gegen seine.

Kurz ist es still zwischen uns. Nur das wilde Trommeln unserer Herzen rauscht in meinen Ohren. Ein warmer Herbstwind weht über unsere Gesichter und bringt unsere Haarsträhnen zusammen; sowie sich der Sternenstaub unserer Seelen zu einer zusammengeschlossen hat. Ich kann es kitzeln spüren, und er wohl auch – denn er öffnet wieder die Augen, um mich direkt anzusehen.

In seinen Kupferfunken schimmern sie. Die Partikel unserer Seelenverbundenheit. Sie sind wie die Sterne unseres eigenen, kleinen Sternenhimmels. Jede einzelne von ihnen ist einzigartig und imperfekt genauso wie wir. Manche davon scheinen heller, andere wiederum schwächer, aber wir sehen sie alle und werden sie immer sehen. Kein schwaches Funkeln bleibt vor unserem Blick verborgen, kein Makel wird von uns ausgeschlossen und verhasst. Nein, wir lernen sie mit jeder weiteren Sekunde nur noch mehr zu lieben. Wir sind noch ganz am Anfang unserer Liebe, aber schon jetzt bedeutet sie mir alles.

Ein atemloses Lächeln stiehlt sich um meine Mundwinkel bei diesem Anblick. „Also?"

Anstelle einer Antwort nimmt er sich die Packung Yakisoba vom Schoß und stellt sie zur Seite. Sein Blick verrät mir nichts über sein Vorhaben. Dann passiert es. Diesmal ist er nicht so stürmisch wie beim ersten Mal. Sanft umfasst er mit beiden Händen mein Gesicht, schiebt die übrig gebliebenen Strähnen aus dem Sichtfeld – und küsst mich.

Ich warte auf den Schmerz. Auf das vernichtende Brennen und wie es mich erneut zerreißen wird.

Aber es kommt nicht.

Irritiert öffne ich die Lider und stelle fest, dass er bereits einen Abstand zwischen unseren Lippen gebracht hat.

„Und?", fragt er mich rau, seine Kupferfunken sind dunkel und besorgt. Zu Unrecht.

Ich küsse ihn. Einfach so. Wie ein neuer Reflex von mir.

„Ich hab's dir doch gesagt", flüstere ich aufgeregt gegen seine Lippen, die wirklich an Weichheit nicht zu übertreffen sind, „bei dir gibt es keinen Schmerz."

Sein verstohlenes Grinsen macht mich wahnsinnig in diesem Augenblick. „Dann machen wir es jetzt richtig, Prinzessin." Ruckartig zieht er mich auf seinen Schoß. Danach spüre ich nur noch seinen Mund auf meinen. Er ist achtsam und süß, schmeckt nach warmer Milch mit Honig, und vermutlich hat er wie bei jedem seiner Besuche eine Kanne davon dabei. Wir küssen uns, und es ist wie ein Rausch, der jede Pore von mir mit Kribbeln füllt. Und mit ihm und seinem wilden Feuer und seiner Leidenschaft.

Es fühlt sich aufregend an, ihn zu küssen und auf diese Weise berühren zu können. Ohne Angst und Schmerz. Besser als in meinen Träumen und Vorstellungen. Seine Finger wandern über meine Schulter, mein Schlüsselbein und meine Hüften. In seinen Berührungen liegt eine Sorge, die mir nicht entgeht. Er hält mich an sich gepresst, so, als befürchtet er, mich endgültig verlieren zu können. Aber ich weiß, dass ich das nicht zulassen werde, und gebe ihm meine ganze aufopferungsvolle Hingabe zu spüren. Ich senke die Lider, als seine Küsse sinnlicher werden und er mich gänzlich erobert. Es scheint, als könne ich den süßen Geschmack eines neuen Lebensabschnittes auf seinen Lippen kosten.

Sein Herz poltert gegen meines, sein Atem jagt den meinen, und irgendwann ist es so dunkel draußen, dass wir von der Nachtwache in das Krankenhaus getrieben werden. Aber wir küssen uns dort weiter, und ich weiß nicht wie, doch es ist nichts Schlechtes. So wie es sich anfühlt kann es gar nicht schlecht sein. Es ist besser als die Zerschmelzung von Sternen, das hier ist die wahre und ungebändigte Entfachung der Flamme unserer Liebe.

Das hier sind nur er und ich.

Und dann Filmriss.

Klaffende Dunkelheit.

Piepsende Geräte.

Verständnisloses Gemurmel.

⨯ . ⁺ ✦ ⊹ ꙳ ⁺ ‧ ⁺ ✦ ⊹ . * ꙳ ✦ ⊹ ⨯ . ⁺ ✦ ⊹ ꙳ ⁺ ‧ ⨯. ⁺ ✦ ⊹ . * ꙳ ✦ ⊹

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