when darkness touches the finest light.
Wer hat denn diesen Psychopathen in das Krankenhaus gelassen? Ach ja: das Mädchen an der Informationstheke. Nun wird mir wieder klarer, wieso sie nur durchschnittlich ist. Jedes vernünftige Mädchen hätte jemand mit einem offensichtlichen Tattoo wie seines am Hals und diesem komischen Ohrring eines Glöckchens nicht durchgelassen. Wen möchte er damit überhaupt imponieren? Gangster-Tinkerbell?
„Es ist nicht gerade gut durchdacht, jemand in einem Krankenhaus zu erstechen", sage ich schroff und meine Kehle fühlt sich so staubig an, als hätte er mit seinen letzten Worten jede Feuchtigkeit gestohlen. Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo es mir so schwer fällt wie gerade, jemand nicht gleich ins Gesicht zu schlagen. Unheimlich fest, dass er davon bewusstlos wird. Aber weder habe ich die enorme Kraft dafür noch liegt es in meinem Interesse, einen Kampf in Saejins Krankenzimmer anzuzetteln. Dann kann ich gleich zu ihren Eltern hinrennen und ihnen gestehen, dass wir einer Gang anhören, um sie nie wieder sehen zu dürfen.
Also muss ich auf etwas Anderes hören als die Wut und der Frust, die sich immer mehr anstapeln wie ein Turm aus mehreren Bausteinen. Er muss nur den falschen Holzklotz aus dem Turm ziehen, wie bei diesem Geschicklichkeitsspiel, bei dem immer Baji-san die Nerven verliert, weil er letztlich den Turm zum Einstürzen bringt, damit ich es stattdessen tue. Es fehlt nur eine klitzekleine Sache, um mich auf 180 zu bringen, denn in meinem aktuellen Zustand habe ich kaum Kontrolle darüber. Nicht mehr. Das macht mich verrückt.
Eigentlich bin ich nicht so. Nicht so aggressiv.
Er blickt mich verwirrt an, so kurz davor, den falschen Baustein herauszuziehen. „Wer hat gesagt, dass ich das tun werde?", entgegnet er mir ebenso kalt.
Ich deute mit dem Kinn auf das Messer in seiner Hand und versuche mir nicht ansehen zulassen, wie sehr ich mit meinem Verstand kämpfe. „Das da", meine ich vielleicht einen Tick zu ruhig, denn er muss plötzlich so grinsen, dass ich mich bei Saejin festklammern muss, um nicht aufzuspringen. Hat er mich durchschaut? Wird er eine Schlägerei provozieren?
„Das ist für ihre Eltern gedacht", grinst Gangster-Tinkerbell schamlos und neigt den Kopf leicht schräg, als glaube er so mich mit seinen gelben Augen besser lesen zu können. Das Glühen seiner Augen ist unheimlich. „Ausgenommen es stellt sich heraus, dass du ihr Freund bist und ich dich deshalb umbringen muss."
Es ist irritierend, wie es mich tatsächlich erleichtert zuhören, dass er nicht vorhat, Saejin zu töten – aber mich und ihre Eltern. Bin ich etwa der wahre Gestörte von uns beiden? „Und was bringt es dir, mich und ihre Eltern umzubringen?", frage ich nach, und eventuell bin ich zu übermutig gewesen, denn auf einmal bewegt er sich.
Sofort hetze ich mich vom Stuhl und will ihn aufhalten, da steht er schon bei den Fenstern und zieht die Vorhänge so zur Seite, dass die nächtlichen Stadtlichter den sonst dunklen Raum in ein buntes Lichtspektakel einhüllen. Ich erstarre. Mein Herz tut unvorhersehbar weh, als ich daran denke, wie sehr ihr dieser Anblick gefallen würde. Der direkte Blick auf den Tokio-Tower.
Nun blickt er mich wie der Psychopath von uns zwei an. „Baji hat ein Happy End verdient", stößt er bitter aus. Etwas vibriert in seiner Stimme, das sich davor drückt, erkannt zu werden.
Der Schmerz in meiner Brust schwillt an und mein Herz katapultiert sich meinen Rachen hoch wie auf der Flucht davor, so dass meine Stimme auf eine gefährliche Art an Sicherheit verliert. „Woher kennst du ihn?" Meine Augen nehmen nun jedes kleinste Detail von ihm wahr, um meine Frage auch ohne ihn beantworten zu können – aber über ein Gangster-Tinkerbell hat Baji noch nie ein Wort gesprochen. Aber warum ist er überhaupt mit ihm befreundet? Es ist normal, dass viele aus Toman von Sünden und Schmerz gekennzeichnet sind, ihre eigenen Dämonen zum Tanzen einladen, doch niemand ist so entschlossen, jemand umzubringen wie Gangster-Tinkerbell.
Er presst die Brauen zusammen, als würde er nachdenken – oder, was ich nicht wirklich glauben möchte, eben wie ich eine pochende Wunde verdrängen, die wie ein Vulkan Schmerz ausspuckt. „Wir sind alte Freunde. Hanemiya." Er setzt sich auf die Fensterbank, direkt neben das Katzenplüschtier und betrachtet es mit einem Ausdruck, der einen wütenden Schatten in sich gefangen hält.
Dass er mir nur seinen Nachnamen sagt, lässt mich verstehen, dass er nicht weiter über seine Bindung zu Baji reden möchte. Aber es kann gar keine schlechte sein, er hat in dem Sinne keine schlechten Einflüsse in seinem Umfeld – außer sich und sein Dickkopf. Wenn es allerdings stimmt, was er davor gesagt hat, haben wir zumindest ein gemeinsames Ziel. „Matsuno, wir sind Schulkameraden" sage ich ihm als Gegentausch und meine Gedanken sind so rasend wie mein Puls, da ich diesen Typen und seinen kranken Kopf null einschätzen kann. „Ich bin nicht ihr Freund", kläre ich ihn noch auf, nachdem mein Name auch offenbar bei ihm nicht klingelt, „sondern ihr bester Freund."
„Halten beste Freunde Händchen?" Er hört sich irgendwie wütend an, seine Hand mit dem Messer legt er auf den gigantischen Kopf des Katzenplüschtiers ab. Seine glühenden Augen stieren mich so an, als würde er bereits in seinen Gedanken den Ablauf seines Mords an mir durchgehen.
Meine Nägel bohren sich in die Innenflächen meiner Hände, als ich den widerlichen Schauder über den Rücken verjage. „Das gibt uns beiden Sicherheit." Das ist nicht mal gelogen. Es ist genau das, was ich jedes Mal empfinde, wenn ich ihre Hand halte. Sicherheit, Rückgrat; ihre Hand zuhalten befähigt mich dazu, an eine gute Welt glauben zu können, weiterzumachen, um mit ihr noch mehr von diesem Guten zu finden. Ich schüttle den Kopf, weil es kein geeigneter Zeitpunkt ist, um in gemeinsame Erinnerungen abzudriften. „Es ist aber nicht gewöhnlich", versuche ich zurückzufinden und hebe das Kinn an, „schließlich würde ich nicht jedermanns Hand halten."
Sein Grinsen beunruhigt mich, weil da drängt sich dieser Schatten weiter in dem Glühen seiner Augen vor, und ich habe keine Ahnung, was dieser Schatten mir zeigen wird. Entweder den eiskalten Mörder in ihm, oder was völlig anderes, mit dem ich nicht rechnen kann und werde.
„Ist Normalität nicht das, was unser ganzes beschissenes Leben hält?", fragt er und ich atme leise aus, als er mit dem Blick nach draußen wandert. „Aber normal ist auch echt langweilig."
„Zum Kotzen", erwidere ich und hoffe, ihn so in ein anderes Gespräch zu verwickeln, dass er seinen eigentlichen Plan vergisst. Oder bis jemand anderes den Raum betritt, dem ich signalisieren kann, dass hier ein Psychopath sein Unwesen treibt. „Wieso möchtest du Baji helfen?" Das interessiert mich wirklich. Weil mein Körper nicht zu schlottern aufhört, setze ich mich auf die Bettkante. Doch jeder meiner Muskeln spannt sich wie eine Sprungfeder an, bereit, ihn im rechtzeitigen Augenblick aufzuhalten, sollte er einen falschen Schritt in ihre Richtung wagen.
„Ich bin es ihm schuldig." Er wendet den Kopf zurück, aber er sieht das schöne Mädchen mit der Beatmungsmaske an, und plötzlich sitzt der Schatten offensichtlich und tief in seinem glühenden Gelb. Sein Gesicht ist davon komplett eingenommen und vermutlich auch seine verkorkste Seele. Darum also Baji. O mann, hör endlich auf damit, jedem und allem helfen zu wollen, du ziehst nur noch Abfall an, Baji-san!, schnauze ich ihn telepathisch an. „Als Erstes habe ich gedacht, ich müsste sie umbringen, weil ich sie dafür verantwortlich gemacht habe, dass er sich mir gegenüber verändert hat."
Wie automatisch stockt mein Atem. Er wollte sie umbringen, sie, ein wehrloses und unschuldiges Mädchen im Koma. Ich spüre Wut in mir aufsteigen und habe den krassen Drang, meine Faust in sein Gesicht zu vergraben. Verdammt, ich muss ruhigbleiben!
Er schweift über mein Gesicht, als würde er beobachten wollen, wie ich mir die Zähne zusammenbeiße. Allmählich bekomme ich eine (nicht so gute) Vorahnung über ihn und worin er besser ist als ich: seinem Gegenüber zu lesen und seine Gefühle zu manipulieren. „Doch wohl nicht nur ihr bester Freund, wenn dein Kopf so rot vor Zorn wird, was?", bemerkt er an.
Gangster-Tinkerbell raubt mir wirklich den letzten Nerv meiner Fassade. Ich seufze aus und reibe mir die Schläfen. „Sie ist wie eine Schwester für mich", es fühlt sich komisch an, das einen weiteren anzuvertrauen, wie ein stumpfes Signal, dass ich damit endlich aufhören soll, mir selbst das Messer tiefer in die Brust zu rammen. „Sie ist Bajis Mädchen, keine Sorge, mann. Ich habe nicht vor, ihm dieses Glück zu ruinieren. Nicht sowie du." Das hat gutgetan. Ich merke, wie meine Schultern sich etwas lockern, während mir die Unsicherheit in seinem perplexen Blick nach meinem entwaffnenden Worten nicht entgeht.
„Das glaube ich dir nicht", entgegnet er fast schon verletzlich und schnaubt.
„Warum nicht?", frage ich mit gerunzelter Stirn.
„Dann hättest du es bereits schon getan."
Er schafft es wirklich, wieder die Seiten zu wechseln. „Was getan?"
„Ihre Eltern umgebracht." Er spricht es so gelassen aus, als wäre das seine Normalität. Immer mehr hinterfrage ich die Beziehung von ihm und Baji-san, weil das passt nicht zusammen. Er hasst Menschen wie ihn; Menschen, die das Leben anderer mit den Füßen treten. Jemand mal aufs Maul zu hauen ist noch okay. Manche von ihnen haben es echt verdient, aber gleich umbringen? Das ist absolut geisteskrank. „Wenn dir Baji genauso viel bedeutet wie mir, hättest du das auf dich genommen."
Als hätte er sich an meine Fassungslosigkeit verbrannt, sieht er zurück zum leuchtendem Tokio-Tower. In der Spiegelung der Scheibe glaube ich die grausame Fratze eines erzürnten Yokai zu sehen. „Nachdem, was er mir alles über sie erzählt hat. Vor allem, was sie ihr und ihm angetan haben..."
Kurze Pause, in dem er das Messer vor sich hält und mit dem Zeigefinger seiner anderen Hand über die scharfe Spitze streift. „Da hatte ich nur noch den Gedanken, dass sie der Feind sind. Bajis Feind." Ein Bluttropfen perlt von seiner Fingerkuppe. „Und, dass ich sie umbringen muss. Egal, wie. Für ihn und sein Mädchen. Ich weiß, dass er nicht dazu fähig ist, aber ich... Ich bin es."
Ich schlucke, aber mein Hals bleibt staubtrocken. „Es sind ihre Eltern. Es würde ihr das Herz endgültig brechen, sie zu verlieren." Inzwischen kann ich das Zittern meiner Finger nicht unterdrücken.
„Nein, das würde es nicht", widerspricht er und seine glatte Überzeugung schockiert mich, „denn Eltern sollten niemals das Leben ihres Kindes so zerstören. Ich weiß, wie sie sich fühlen muss, eingesperrt in der Gewalt ihrer Eltern, und wie sie als ihr Kind ihr Bestes versucht haben muss, um sie trotzdem glücklich zu machen. Und wie es einen zerreißt." Er hebt den blutenden Finger gegen die Scheibe und fängt an, etwas mit seinem eigenen Blut dort zu zeichnen. Da graut es mich schrecklich. „Wenn ich könnte, würde ich auch meine eigenen Eltern umbringen. Für das, was sie aus mir gemacht haben, zu welchem Monster sie mich herangezogen haben – aber es wäre zu offensichtlich, wenn ich sie töten würde. Doch, wenn ich ihre Eltern kille, dann würden sie wissen, dass es da jemand gibt. Ein Held, der falsche Eltern in diese Hölle schickt, durch die sie ihr eigenes Blut schicken. Sie würden mich fürchten, ohne zu wissen, dass ich derjenige bin."
Seine Zeichnung entpuppt sich als eine rote Spinnenlilie. Die einzigwahre Blume des Todes.
„Und Baji könnte glücklich sein. So wie früher. Und wenn es eben mit diesem Mädchen ist, werde ich alles daransetzen, es ihm zu ermöglichen."
Mir wird es richtig flaumig im Magen. Ich bin verunsichert, da ich nicht genau sagen kann, ob ich er es nicht sogar schafft, mir noch ein weiterer Faustschlag von Schuldgefühlen zu verpassen. Auch wenn mir klar ist, dass seine Worte absurd sind, kann ich es nicht verhindern, darüber nachzudenken, was ich alles für Baji getan habe und was nicht. Und besonders: wie wenig es gebracht hat. Plötzlich sind meine Finger in feste Fäuste geschlossen.
„Wenn er dir so viel über sie erzählt hat, dann hat er doch sicherlich erwähnt, dass ihre Eltern dabei sind, sich zu verbessern", finde ich meine Stimme und verfluche mich für meine Heiserkeit, aber ich muss bei Verstand bleiben, darf nicht mein angeknackstes Ich über mich regieren lassen. „Was Baji-san wirklich bestürzt, ist, dass sie in diesem fürchterlichen Zustand ist und nicht bei ihm sein kann."
Hanemiya knurrt erbittert auf. „Menschen ändern sich nicht. Sie sind nur gut darin, es zu vorzutäuschen. Deshalb verstehe ich nicht, wieso er es mir einfach nicht ins Gesicht sagen kann, dass er mich hasst. Sowie der Rest unserer Truppe."
Ich habe keine Ahnung, wovon er tatsächlich spricht, aber sein Schatten ist keiner mehr. Sein Dämon zeigt sich in seiner wahren Form, zeigt sein Leiden und seine Narbe, die er nicht weiter unterdrücken kann. Ein tiefer, schwarzer Punkt in dem Glühen seiner Augen, der sich ausbreitet und alles verschlingt, das ihn davor abhält, vollkommen den Verstand zu verlieren. Er klammert sich an etwas, das mit Lebensmüdigkeit gleichzusetzen ist. Der letzte Halt unter den Füßen.
Das ist es also, Baji-san. Du willst ihn vor dem endgültigen Sturz retten – aber kann jemand wie er überhaupt noch vor sich selbst gerettet werden?
Obgleich er noch das Messer in der Hand hält, glaube ich weniger daran, dass er dieses noch einsetzen wird. Er hat viel zu lange schon gezögert. Dennoch bleibe ich lieber vorsichtig, als ich die nächsten Worte ansetze.
„Ich glaube, wenn es eine Sache gibt, in der Baji-san und Saejin schlecht sind, dann ist es, jemand aufrichtig zu hassen", offenbare ich ihm ehrlich und muss selbst darüber lächeln, aber nur leicht, schmerzvoll. „Egal, was du getan hast, sie würden es dir einfach immer verzeihen. Nur dein eigener Selbsthass bleibt übrig..." Ich senke den Kopf und starre auf die weiße Fließen, die mir nicht so endlos erscheinen als die Zeit ohne Saejin. „Aber selbst den können sie dir nehmen, als wissen sie, welche Knöpfe gedrückt werden müssen, um die Dämonen zum Schweigen zu bringen. Du solltest mit ihm darüber reden, Hanemiya. Baji-san würde es dir nicht übelnehmen. Er würde es sogar von dir erwarten, dass du mit ihm darüber sprichst."
Vielleicht sollte ich ihm endlich davon erzählen. Von dem Jazz-Abend und meinen Fehler, denn nur meinetwegen ist es so weit gekommen, dass Saejin aufgehört hat, an ihre Gefühle für ihn festzuhalten. Zwar hat ihr Manga mir das komplette Gegenteil bewiesen, doch ich kann diesen Ausdruck von Baji nicht aus dem Kopf bekommen. Diesen verletzlichen und traurigen Ausdruck, als er mich angeschrien hat, sie wäre doch in mich verliebt und nicht in ihn. So habe ich ihn noch nie gesehen. So am Boden zerstört. Sonst bin ich immer der Schwache von uns beiden, der emotionale, angekratzte Vize-Kapitän. Sie muss mehr als nur das Mädchen sein, das er liebt. Mehr als es in Worte zu fassen ist. Nur sein Herz weiß es.
„Wie du es schon auf den Punkt gebracht: Sie ist gerade das einzige wichtige in seinem Kopf, weshalb ich ihn nicht interessiere", sagt Gangster-Tinkerbell leise, aber seine Enttäuschung ist so deutlich wie die Hilflosigkeit in seinem Gelbglühen, als er sich zu mir herum wendet. Es ist erschreckend, wie sehr mich diese gebrochene Mischung an Saejin erinnert.
Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich die schräge Illusion, sie würde dort sitzen und mir mit erstickender, melodischer Stimme erzählen, wie sehr sie sich wünscht, einfach die schweren Ketten ihrer Verpflichtungen zu zerstören, aber wie wenig sie das Ansehen ihrer Eltern in den Dreck ziehen möchte. Sie hat sich selbst immer als letztes gesehen. Leider.
Seufzend lehnt Hanemiya den Kopf so in den Nacken, dass sein schwarzes Haar mit den blonden Strähnchen direkt neben der Spinnenlilie kleben. Sein seltsames Glöckchen klimpert für einen Augenblick und holt mich zu ihm zurück. „Du kennst Baji wohl genauso gut wie ich. Wie macht er sich eigentlich in der Schule? Immer noch so beschissen wie davor?"
Diesen Umschwung des Gesprächs habe ich nicht erwartet und brauche meine Zeit, um darauf eingehen zu können. „Er hat sich verbessert, aber ein guter Schüler wird er nie sein. Dafür prügelt er lieber auf andere Hirne ein als sein eigenes anzustrengen."
Hanemiya kichert und legt die Hand mit dem Messer auf seinem Schoß ab. „Für einen eigenen Tiershop sollte das reichen", grinst er und es ist das erste Grinsen, das normal an ihm aussieht, weniger psychopathisch. Eigentlich sogar nett. Dann legt er das Messer neben sich und schnappt sich den Zeichenblock, um neugierig darin herum zu blättern. Ein bisschen Panik sickert durch die Löcher von Erleichterung, aber es gibt noch größere Klumpen, die nicht durchpassen, wie ein Teil meiner Vernunft. „Was ist mit ihr? Laut ihm ist sie unheimlich clever."
Meine Fäuste lockern sich und ich spreize meine Finger etwas, da sie sich so anfühlen, als wären sie eingeschlafen. „Das ist sie, aber nicht so typisch Streber. Eher auf eine charmante Art."
„Charmante Art?" Er sieht mich wieder so skeptisch an, als würde er mir immer noch nicht die Rolle als ihren besten Freund abkaufen. „Hätte nicht gedacht, dass er auf Good-Girls steht", damit richtet er sich zurück an ihre Zeichnungen. „Oder sich überhaupt jemals für Mädchen interessiert."
„Ich auch nicht."
„Ich hätte erwartet, er würde wie einer dieser alten Damen mit hundert Katzen in einem großen Haus wohnen und mit ihnen alt werden." Fuck ja, das klingt so nach ihm.
Unsere Blicke treffen sich, und ich muss verrückt oder zu müde sein, weil ich wirklich im Glauben bin, dass sich etwas in seinem Gesicht entspannt hat, weil der Schatten in seinem Gelbglühen nachlässt, fast schon zurückgeht. Ein kleines Irrlicht flimmert darin auf wie ein scheues Glühwürmchen.
„Also...", beginnt er und legt den Zeichenblock auf seine Oberschenkel, um wieder das Messer fest zu umgreifen, „was hast du jetzt vor, wo du weißt, was ich geplant habe?"
What the fuck, was soll denn die Frage? Soll ich mein eigenes Todesurteil aussprechen? Aber, nein, das kommt mir nicht mal im Sinn. Stattdessen bin ich so einsam und stelle mir vor, was Saejin und Baji-san in meiner Position tun würden, was sie für richtig erhalten würden. Darüber muss ich nicht lange nachdenken. Entschlossen schwinge ich mich auf meine Füße und gehe auf ihn zu.
Er zuckt und reagiert so darauf, dass er seine Waffe schützend vor sich hält, aber die Anspannung in seinem Gelbglühen flackert wie eine zittrige Flamme, die davor fürchtet, vom peitschenden Wind meiner steigenden Selbstsicherheit ausgelöscht zu werden.
Dann halte ich ihm meine Hand hin. „Ich werde dir dabei helfen", lautet meine Antwort und gewinne an Festigkeit in meiner Stimme und Haltung.
Unsicher starrt er meine Hand an. „Bei was?", fragt er aufgeregt.
„Lass uns gemeinsam Baji-san bei seinem Happy End helfen." Hingegen zu Saejin und Baji-san werde ich es nicht in einem Alleingang versuchen. Ich habe schon immer daran festgehalten, dass man gemeinsam Dinge besser erreichen kann. Aber die beiden Dickköpfe kenne ich mittlerweile so gut, dass ich ganz genau weiß, wann sie glauben, mir ihr Vorgehen verheimlichen zu können. Nach allem entgehen mir die Anzeichen ihrer Alleingänge nicht, die Anfänge und die gedankenversunkene Blicke, wenn sie wieder irgendwas Dummes durchziehen wollen – ohne mich. Das werde ich nie mehr zulassen.
Wenn Saejin glaubt, ihre Eltern wären Saurons Auge, bin ich echt gut darin, mir nicht meine Wachsamkeit anmerken zulassen. Gosh, ich höre mich wie ein überfürsorgliches Elternteil an. Na super, was machen die zwei nur aus mir... Meine Schultern sacken ein.
Hanemiya verschränkt die Arme vor der Brust, sein Blick ist unberechenbar. Eine gute Ablenkung. „Ich dachte, du willst ihre Eltern nicht umbringen."
Dieser Kerl ist echt hartnäckig, und irgendwie gefällt mir das an ihm. So gut, dass ich unwillkürlich grinsen muss. „Es gibt da eine bessere Lösung als Mord."
„Und die lautet?"
„Seine Gefühle herauskitzeln."
Er ist kurz davor gewesen, mir seine Hand zu erreichen – bis zu diesen Worten. „Du bist doch bescheuert, alter", kommentiert er grimmig und verdreht die Augen, „und ich habe für einen Moment echt geglaubt, du würdest Baji kennen."
Jetzt ziehe ich meine Hand zurück. „Aber die Eltern seines Mädchens zu töten ist eine bessere Idee, oder was?!", schnauze ich ihn an, und mit einem Mal kommt die Wut von vorher wie ein tosender Sturm zurück.
Er hebt unberührt die Achseln an. „Die würden so wenigstens nie wieder zu einem Problem werden."
Gereizt stöhne ich heiße Luft aus. „Du würdest dadurch nur noch größere Probleme verursachen."
„Hm, vielleicht." Sein Gelbglühen mustert mich so stark, dass es mir vorkommt, als würde er mich jetzt ernstnehmen. „Und was meinst du mit „seine Gefühle herauskitzeln"? Glaubst du etwa, sein Mädchen ist Dornröschen und kann nur von ihrem Prinzen wachgeküsst werden, oder in was für einer verkackten Märchenwelt lebst du?" Sein Spott ist unausstehlich, und ich kann spüren, wie langsam ein Baustein aus meinem Holzturm gezogen wird, der alles zum Ineinanderfallen führen wird. Für eine Sekunde habe ich gedacht, ihn mögen zu können, nun ruiniert er es wieder, als würde er genau das wollen: nicht gemocht werden.
„So naiv bin ich nun auch wieder nicht!" Ich nehme mir die Zeit, um einen langen Atemzug zu nehmen. „Was ich damit ausdrücken will, ist, dass wir herausfinden müssen, was ihn noch an ihren Gefühlen zweifeln lässt. Wäre er sich nämlich sicher, hätte er schon längst die Chance genutzt, sie wieder im Krankenhaus zu besuchen. Aber das macht er einfach nicht. Das weiß ich von Miss-Ich-lasse-alle-durch-wenn-sie-mir-ihre-Handynummer-geben."
Plötzlich muss er boshaft grienen und erinnert mich damit wieder an einen durchtriebenen Yokai. „Eifersüchtig?"
Verneinend schüttle ich den Kopf. „Du kannst gerne mit ihr ausgehen, aber ich warne dich schon vorab: Sie wird dich mit den nächstbesten ersetzen."
„Und Saejin? Sie würde Baji nicht ersetzen?" Seine Stimme nimmt wieder diesen dunklen Ton eines angehenden Mörders an.
Ich bin froh, nicht der einzige sein, dem es so wichtig ist, dass sein bester Kumpel in gute Hände kommt. Wie aufgefordert blicke ich zu dem schönem, gefühlt ewig schlafendem Mädchen. Selbst in diesem kaputten Zustand schlägt sie Dornröschen mit ihrer Schönheit in den Schatten. „Wenn es jemand gibt, den sie niemals aufgeben wird, dann ist es er." Seltsamerweise raubt mir das Aussprechen dieser Worte die letzte Kraft, dass ich mich erschöpft auf die Fensterbank setzen muss, um nicht umzukippen. Meine Finger krallen sich in das dicke Holz fest. „Ich weiß, die zwei haben es noch nicht versucht, aber ich bin fest davon überzeugt, dass, sobald es so weit kommt, sie nichts mehr trennen wird. Auch nicht ihre scheiß Eltern."
Ja, ihre Eltern sind nicht ideal, und ja, ich habe versucht, mich mit ihnen zu verstehen, da ich gedacht habe, das ist das, was sich Saejin gewünscht hat. Letztlich hat sie mir zu verstehen gegeben, dass sie genau das nicht wollte; ich habe mir viele Fehler in der Vergangenheit erlaubt. Das wird mir mit jedem weiteren Tag ohne sie bewusster. Fehler, die ihr bereits schweres Leben noch unerträglicher gestaltet haben. Eigentlich kann ich mich glücklich schätzen, dass sie mir noch nicht den Rücken gekehrt hat. Aber exakt das erschwert es mir, sie jemals loslassen zu können. Sie hat einfach über meine Fehler hinweggesehen, und das zerbricht mir das Herz. Immer und immer wieder.
„Dann muss dieses Mädchen okay sein. Sie hört sich ganz nett an, und wenn sich so ein blutiger Draufgänger wie Baji sich wirklich in sie verliebt hat, muss sie es schon faustdick hinter den Ohren haben. Sie muss für ihn jemand besonderes sein, wenn sie es schafft, ihn so durcheinander zu bringen." Seine Stimme wird ungeahnt weich, und der Schmerz in meiner Brust ist ein unersättliches Brennen, das schon meinen ganzen Oberkörper eingenommen hat.
Sie ist nicht nur besonders, sie ist ein Sternenmädchen.
Ich bemerke, wie mich Hanemiya von der Seite anstiert und widme ihn einen Blick, bei dem ich nicht mal sagen kann, was er dort finden wird. Doch er geht nicht darauf ein, vielleicht ist er doch nicht so krank, er nimmt lediglich das große Katzenplüschtier und legt es mir auf den Schoß. Dann hängt er mit seinem unlesbaren Gelbglühen erneut in ihrem Zeichenblock. Saejins Kunst kann wohl auch Yokais verzaubern. Wenigstens hat er den Anstand, endlich sein nerviges Messer wegzustecken, als ich meine Arme um das dicke, flauschige Plüschtier schlinge und mein brennendes Gesicht darin vergrabe. Scheiße, das gigantische Vieh riecht tatsächlich nach ihr. Scheiße, nicht weinen, und scheiße, ich sollte nicht daran denken, es mit mir nach Hause zu nehmen. Sowie ihre Jacke, die schon nach der zweiten Woche ihren vertrauten Duft verloren hat und somit ebenfalls die beruhigende Wirkung.
„Halt dich nicht zurück, alter", flüstert der Idiot neben mir, „du bist ja wohl darin geübt, Gefühle herauszukitzeln."
Arsch.
Eine ganze Weile lang herrscht Schweigen zwischen uns.
Doch ich weine nicht.
Ich denke nur daran, dass ich das eine Mal das richtige getan habe. Das richtige für Saejin.
„Hey, Matsuno." Der Idiot wagt es wirklich, mich aus meiner Trance zu holen, indem er mich mit seinem Fuß gegen mein Knie knickt. Und das nicht gerade sanft.
Mit mürrischen Augen entferne ich mein feuchtes Gesicht aus dem Plüschparadies und muss ein paar Fussel von den trockenen Lippen lecken, ehe ich noch an diese ersticken werde. „Was denn?"
Er zeigt mit dem Finger nach draußen, sein Glöckchen klimpert so begeistert wie die Aufregung in seinem Ton. „Die Sonne geht auf."
Sofort folge ich seinem staunenden Blick.
Niemals werde ich diese fackelnde Morgenröte an diesem Tag vergessen, wie sie ganz Tokio in ein Feuer taucht, als würde diese außergewöhnliche Stadt nichts vernichten können. Selbst die Schatten der Häuser schimmern in einem dunklen Rot, das wenig bald von einem gelben Leuchten eingenommen wird wie ein hoffnungsvolles Symbol dafür, dass sie zu uns zurückkehrt.
Und plötzlich ist da diese klare, weiße Linie am Horizont. Wie der Schweif einer einzelnen Sternschnuppe zischt sie über das flammende Farbenspiel und endet an der Spitze des Tokio-Towers, als würde sie dort landen. Sie glüht auf wie der Stern, der sie immer am Abendhimmel darstellt, als hätte er nur wieder darauf gewartet, von mir bemerkt zu werden. Ich blinzle die Tränen weg, aber es werden einfach mehr, und dann bricht der Schweif. Gänsehaut überfällt mich. Ein Sternenleuchten nimmt alles ein, das es berührt und ihm unterlegt; ein Sternleuchten, welches Baji und mich so einhüllt, als würde es uns vor dieser verdammten Welt schützen.
Mit einem Mal ist meine Brust schwerelos, gelöst von all den schweren Sorgen, und ich habe das verrückte, aber warme Gefühl, Baji-san würde ihn auch gerade sehen: diesen Hoffnungsschimmer eines explodierenden Sterns. Es bringt ein heilendes Licht über die Welt auf dieselbe klare und friedliche Weise wie es sonst nur das atemstehlende Sternenleuchten ihrer Augen kann.
Es ist so kräftig und so schön.
Sowie sie.
Ein kleines und fasziniertes Gefühl zieht meine Lippen hoch, doch es legt den Schmerz in diesem Augenblick still. Als könnte ich mit dem Herzen die Flocken ihrer Existenz aufnehmen, lege ich mir die Hand darüber und bin so glücklich, dass ich es mir nicht verkneifen kann, mir ihr Gesicht vor mir zu vorzustellen. In den Scheiben spiegelnd, umgeben von einem flammendem Morgenfeuer. Sie lächelt mich an, zärtlich wie eine Kirschblüte im Frühling, und da weiß ich es schlagartig: die Welt ist wieder okay. Okay genug für uns drei.
„Abgemacht, Matsuno." Auf einmal hält mir Hanemiya seine Hand hin. „Lass uns Baji dabei helfen, sein Mädchen zu bekommen."
Ich zögere nicht und lächle bescheiden. „Ganz ohne Mord."
Er seufzt resignierend aus. „Oh man, du bist echt langweilig, Matsuno."
Wir halten unsere Hände für einen normalen Abschlag ungewöhnlich lange.
Zuerst drückt er zu, unsicher, neugierig, dann ich, ebenso neugierig und zittrig, und dann löst er sie blitzschnell wieder, als hätte ihn die Berührung doch noch einen Stromschlag verpasst.
„Ich warne dich, alter", presst er zwischen seine Zähne hervor und knirscht mit diesen, „wir werden keine Händchen halten, bloß weil du glaubst, es gibt dir Sicherheit." Ganz bestimmt nicht.
Ich weite die Augen und kann meinen beschleunigten Herzschlag nicht verleugnen. „Das hatte ich auch nicht vor, du verdammter Pisser!", krächze ich heiser und möchte das gigantische Plüschtier schon in sein Gesicht schleudern, da schlägt plötzlich jemand die Tür des Krankenzimmers auf.
Es ist das Mädchen der Informationstheke. Ihr aufgewühltes Gesicht setzt mich sofort auf Alarmbereitschaft.
Sie blickt uns mit dicken Falten auf der Stirn an und stemmt eine Hand in die Hüfte. Die Anspannung in ihren Zügen verschwindet. „Was ist das hier? Das Begrüßungskomitee?"
Begrüßungskomitee?, wiederhole ich eindeutig zu langsam in Gedanken, da steht sie schon neben dem Bett und macht sich an dem Beatmungsschlauch zu schaffen.
„Was soll das?!", fahre ich sie panisch an und springe wie von der Tarantel gestochen auf. Jetzt könnte ich Hanemiyas Messer gut gebrauchen, um ihr schnellstmöglich die Hand abzuhacken. Obwohl ich nach wie vor weiß, dass es Bullshit ist, unüberlegt mit Gewalt zu reagieren, kann ich spüren, wie die Panik ihre Fühler nach mir ausstreckt und sich wie kaltes Gift durch meine Venen frisst.
„Was wohl?" Sie klingt total ruhig für das, was sie da tut. Und dann sagt sie: „Sie wacht auf. Gerade. Vielleicht hört sie uns schon und hat euch zwei beim Knutschen belauscht."
Ich fahre zusammen, als mein Handy in der Bauchtasche meines Sweaters vibriert. Meine Hände zittern so sehr, dass ich einige Versuche brauche, um es zu entsperren. Es ist eine Nachricht von Baji-san.
„Hast du das am Himmel gesehen? Diese eine Spur wie sie geleuchtet hat? Wie eine Sternschnuppe? Es fühlt sich so an, als würde sie zurückkommen..."
Und noch eine, die die verwundbare Lücke zwischen uns mit der richtigen Präsenz füllt:
„Scheiße... Sie wacht wirklich auf!??!! Wir treffen uns im Krankenhaus. Fahr nicht zu schnell, hab keinen Bock darauf, einen weiteren Freund da liegen zu haben, verstanden?!! ;)"
Plötzlich duftet der Raum so nach Kirsche und Sicherheit.
So nach Saejin.
❀.❀.❀.❀
Extras:
Spotify-Playlist: https://open.spotify.com/playlist/79UlHOn7fcLrg8A7ygSBte?si=f1d89633370f4d7a
Baji mit Saejin die Katze:
Chifuyu mit Peke J:
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