she would hate me for that.

Sie sehen sich das Gemälde an.

Chifuyu mit Tränen in den Augen, die seinen Gletscher schrecklich weiß machen.

Keisuke mit harter, trockener Miene und Funken von Feuer statt Kupfer in den Augen.

„Was  soll dieser Scheiß?", brüllt er auf und dreht sich wutschnaubend zu den  anderen im Klassenzimmer herum. Schwarze, wellige Strähnen fallen ihm  dabei über das Gesicht, sein Brustkorb hebt sich ungleichmäßig auf und  ab. Er gibt ein grollendes Geräusch aus der Kehle wie ein Knurren von  sich und zieht die Augenbrauen wütend zusammen, so dass diese kleine  Falte zwischen ihnen entsteht. Wenn man sich nur auf diese Falte  konzentriert, wirkt er nicht so beängstigend. Das mache ich immer, wenn  er zornig wird.

Ich möchte keinen bösen Keisuke in meinem Kopf rumoren haben.

Mich  hat er schon auf seinen Tisch gelegt, also seinen Rucksack. Ich spähe  aus dem kleinen Schlitz, der mir nicht nur zum Atmen dient, und verfolge  mit großen Augen das Geschehnis. Allerdings bin ich auch bereit dazu  einzugreifen, sollte er seine Worte von heute Morgen wirklich  durchführen wollen.

Er  geht einen energischen Schritt auf die angesammelte Schülergruppe zu,  die Hände an der Seite zu bebenden Fäusten geballt. „Was erlaubt ihr  euch eigentlich jetzt so eklig nett zu sein? Glaubt ihr ernsthaft, das könnte  eure Taten wiedergutmachen?", schreit er sie zornig an. Zuerst krempelt  er sich den rechten Ärmel hoch, dann den linken seines weißen Hemdes.  Seine Sehnen am Unterarm sind deutlich, als er seine Fäuste verkrampft,  entkrampft. Zögernd.

„Wir...  Wir haben es doch nur gut gemeint", sagt einer von ihnen, die Hände  unschuldig in die Luft gehoben. Sie alle werden schlagartig  kreidebleich, als Keisukes Gesicht ein dunkles Grinsen ziert. Seine  spitzen Eckzähne sind beeindruckend, doch die Dunkelheit in seinen  lodernden Gebirgsaugen ist furchteinflößend.

„Ihr  seid ziemlich spät damit, ihr gegenüber nett zu sein. Jetzt, wo sie  halbwegs tot ist, bemerkt ihr auf einmal, wie falsch ihr euch benommen  habt? Ihr seid echt lächerlich, wisst ihr das?", knurrt er und streicht  sich die Strähnen aus der Sicht. Die nächsten Worte spricht er sehr  ruhig und verständlich aus, wie eine Drohung, die unbedingt bei ihnen  ankommen soll.

„Ihr  solltet euch die nächsten Tage besser von mir fernhalten. Es fällt mir  jetzt schon schwer, mich zurückzuhalten. Am liebsten würde ich jeden  Pisser von euch zusammenschlagen. Aber nicht einfach nur  zusammenschlagen. Ich würde mir jeden von euch einzeln vorknöpfen, damit  ihr denselben Schmerz wie sie verspürt. Und sobald dieser wieder  nachlässt..." Er holt lange Luft und schließt die Augen, die Falte ist so  tief wie die Einkerbung meines Verlustes. „...würde ich euch nochmal  zusammenschlagen. Die ganze restliche Schulzeit. Also, passt bloß auf,  dass ihr mich in Ruhe lässt mit eurer falschen Heuchelei. Ihr habt keine  Ahnung, wer sie wirklich ist!"

„Baji..." Chifuyu steht neben ihm und legt ihm seine Hand auf seine verspannte Schulter. „Komm, lass uns gehen."

Er  schlägt seine Hand weg, um einen großen Schritt zu machen. „Nein",  entgegnet er wütend mit zusammengepressten Zähnen, „ich werde nicht gehen. Ich werde hierbleiben und diese Pisser zu Tode starren."

Chifuyu zieht jeglichen Sauerstoff ein, der nicht von den Kupferfunken erstickt worden ist. „Aber..."

„Du verhältst dich so, als wären wir  daran schuld, Baji-san", meldet sich ein Mädchen mit kurzen, braunen  Haaren zu Wort und stellt sich vor die anderen. Kira – die Clubleitung  der Kunst-AG. Schlank, groß, den Rock immer etwas zu weit nach oben  gezogen. Sie verschränkt die Arme vor der überdimensionalen Oberweite  und kaut wild auf ihrem Kaugummi herum. Wieso muss es ausgerechnet sie  sein? Die Person, die ich am wenigsten leiden kann?

Keisuke  geht auf zu sie und baut sich vor ihr auf. Aber Kira bleibt standhaft,  blickt ihn mit finsteren, schwarzen Augen an. Sie scheint nicht daran zu  glauben, dass er tatsächlich seine Hand gegen sie erheben wird.  Schließlich ist sie eine junge Frau und jeder an der Schule weiß, dass  Keisuke keine Mädchen schlägt. Eigentlich schlägt er nur diejenigen, die  es auch wirklich verdient haben.

„Wieso  solltet ihr das nicht sein? Wer sagt, dass es nicht ein  Selbstmordversuch gewesen ist?", spricht er gestochen kalt aus,  „schließlich habt ihr alles Mögliche versucht, damit sie sich wie Dreck  fühlt."

„Witzig,  dass du erst jetzt den Mumm hast, das anzusprechen. Was hat dich davor  zurückgehalten? Deinen guten Eindruck auf sie? Wolltest du etwa nicht,  dass die Kleine sieht, was für ein Verbrecher du bist?" Kira hört sich  ziemlich angepisst an, aber ihre provokative Stimme ist wie ein  Rammbock, der Keisukes Kontrolle zerschlagen möchte.

Er  blinzelt, die Kupfertupfer verhärten sich wie sein Blick, aber seinen  Sehnen scheinen vor Anspannung zu platzen. „Hier geht es nicht um mich,  Kira, es geht um sie und dass sie euer falsches Mitleid nicht nötig hat.  Ich bin nur hier, um euch das nochmal zu verdeutlichen. Gerne mit  Gewalt. Das liebe ich."

Etwas  staut sich in seinem Zorn an, etwas Unüberlegtes, Gefährliches, denn  wenn beide seiner Eckzähne auf seiner Unterlippe sichtbar werden, ist er  kurz davor, die Kontrolle zu verlieren. Das ist wie ein rotblinkendes  Warnzeichen, weswegen ich sofort agiere und versuche, mich mit allen  Kräften aus seinem Rucksack zu befreien. Er hat den Reisverschluss  weiter zu gezogen als ich gehofft habe, weshalb ich meine Zähne zum  Einsatz bringen muss, um den Verschluss mit diesen kräftig zu umfassen.  Dann ziehe ich daran und bin zufrieden, als der Schlitz sich weit genug  öffnet und ich hinausspringen kann.

„Ach  ja? Ist es nicht dein schlechtes Gewissen? Dein Scheitern als Freund?"  Kira stemmt die Hand in die Hüfte. „Sowie ich es nämlich gehört habe,  hat sie sich mit euch verabredet. Aber ihr beide seid wohl zu spät  angetroffen, da hat das Auto sie schon erwischt gehabt. Traurig." Sie  verzieht gespielt ihr rundes Gesicht mit der zu kleinen Nase. „Da seid  ihr das wichtigste in ihrem Leben und dann schafft ihr es nicht mal,  pünktlich zu ihrem Geburtstag zu erscheinen." Sie holt aus, mit  geballter Wucht in ihren Worten – und trifft.

„Du  bist ein schlechter Freund, Baji-san." Diese Worte sind es. Sie sind  der letzte und mächtigste Schlag des Rammbocks, der es so schafft, Bajis  Kontrolle zu durchbrechen.

Er prescht nach vorne.

Ich  verstehe nicht, wieso Chifuyu bloß regungslos dasteht und seinen besten  Freund dabei beobachtet, wie er einer seiner größten Fehler begehen  wird. Keisuke hat nicht nur schlechte Schulnoten, er besitzt auch die  Gleichgültigkeit dafür, ohne Abschluss zu enden, wenn er dafür  diejenigen beschützen kann, die ihm wichtig sind. Chifuyu sollte das  eigentlich wissen.

„Tue doch was!", schreie ich ihn an und stürze mich nach vorne, „halte ihn auf, Fuyu! Bitte!"

Keisukes Faust erhebt sich zürnend.

„Chifuyu!"

Kira schreit auf.

„CHIFUYU!"

Er rührt sich plötzlich – und blickt mich mit einem geschmolzenen Gletscher an.

„Saejin?", murmelt er überrascht.

Doch ich ignoriere ihn, setze meine Hinterläufe ein und hebe mich mit einem panischen „Mach es nicht, Keisuke!"  vom Grund ab. Meine Bewegung ist blitzartig, elegant – für einen Moment  glaube ich, fliegen zu können wie Peke J in meinem Manga. Aber ich  rette nicht die große Welt, ich rette nur einen kleinen und wichtigen  Teil meines Universums, doch er ist genauso wichtig für mich wie die  Welt für Peke J. Ich schwebe nicht über die Weite des Horizonts hinfort,  ich schwebe in die regennasse Wiese und werde dort von zwei starken  Händen aufgefangen, weil Katzen können nicht fliegen. Menschen auch  nicht. Trotzdem können sie einander auffangen.

Keisukes  tiefe Gebirgsaugen sehen mich geschockt an, hier und dort brechen die  Tupfer von Kupfer auf und seine harten Gesichtszüge werden  augenblicklich weicher. „Saejin...", flüstert er samtig und hebt mich so  vor sich, dass sich unsere Blicke treffen.

„Kira erzählt bloß Blödsinn!", erkläre  ich ihm fieberhaft und mir ist es egal, ob er mich versteht oder nicht,  aber ich bin nicht wie Chifuyu und sehe nur zu. Ich lasse es nicht zu,  dass Keisuke sich das eigene Leben ruinieren wird. Mein Ziel ist es,  dass wenigstens sein Leben mit einem Happy End aufhört. „Du  hast nicht als Freund gescheitert. Das kannst du gar nicht – weil du  bist der beste Freund, den ein kleines und dummes Mädchen wie ich  überhaupt haben kann. Mein Geburtstag... Er ist einer von vielen gewesen.  Aber Freunde wie du, die habe ich nur einmal im Leben."

Er  drückt die Brauen zusammen, das Kupfer wird immer flüssiger wie ein  goldener Regenschauer über sein tiefes Gebirge. Die Flammen seines  Feuers erlöschen – wie die Panik in meinen Rippen.

„Schau mich nicht so selbstgefällig an!" Ich verenge die Augen zu Schlitze, dann strecke ich meine Pfote nach ihm aus und drücke sie gegen seine tiefe Stirnfalte. „Ich meine es ernst, Keisuke! Hör auf damit, so leichtsinnig mit deiner Zukunft zu spielen. Ich kann  dich nicht immer aufhalten – aber wenn es sein muss, werde ich dich  auch als Geisterkatze heimsuchen. Das ist meine Pflicht als gute  Freundin."

„Du bist ja ganz schön außer dich, was?", meint er mit zuckenden Mundwinkel.

„Warum auch nicht? Du gibst mir genügend Gründe dafür, um so zu reagieren!"

Jetzt  lächelt er – ehe er sich vorbeugt und seine Nasenspitze gegen meine  Stirn drückt. „Alles gut, Saejin", murmelt er aufgeregt, einen tiefen  Atemzug nehmend, „du kannst dich beruhigen. Ich werde schon niemand  wehtun."

„Gut."

Für  einen zarten Herzschlag von freudigem Schnurren und Geborgenheit blende  ich alles um mich herum aus. Ich bin froh darüber, dass das Katzensein  mich nicht daran hindert, für meine Freunde da sein zu können. So kann  ich dafür sorgen, dass Menschen wie Kira es nicht schaffen, ihnen das  Herz zu brechen. Es ist in Ordnung, wenn sie meines brechen – aber nicht  ihres. Ihre Herzen können das nicht ertragen. Sie sind von meinem  schweren Verlust zu stark angeknackst. Ihre Brust ist wie eine  Glaskugel. Es genügt ein einziger Riss, um sie gänzlich zu zerbrechen.  Aus diesem Grund muss ich sie beschützen.

Dann vernehme die aufgeregten Stimmen um uns herum.

„Was macht eine Katze hier?

„Sind Haustiere nicht verboten?"

Und Chifuyus weiche Stimme: „Wir sollten gehen. Am besten sofort."

Keisuke reagiert und nickt ihm zu, aber er macht keine Anstalten, mich loszulassen. „Nimm das Bild mit."

„Wieso?", fragt der Blonde irritiert. „Ich dachte, sie wäre für dich tot?"

Ich  blicke ihn fassungslos an. Es passiert unglaublich schnell, wie er mein  Herz dazu bringt, so fürchterlich wehzutun, dass ich mich gegen den  Impuls des Weines nicht wehren kann, wenn ich nur weinen könnte. Vielleicht ist es gar nicht schlimm, nicht weinen zu können. Dann bekommt keiner mit, wie traurig ich bin.

Bajis  Finger klammern sich fester an mein Fell. Er hält den Atem an, als wäre  die Luft auf einmal wie Gift für ihn. „Hast du es nicht gesehen? Wir  sind das, Chifuyu. Das auf dem Bild sind wir." Unerwartet zieht er die  Lippen zu einem gerissenen Grinsen hoch. „Und ich finde, es passt super  zu meinem Zimmer."

„Das beantwortet nicht meine Frage."

„Mir  egal", brummt er und wendet sich von ihm, als würde er ihn damit  klarmachen wollen, dass das ein Thema ist, bei dem er sich über die  Antwort selbst noch nicht richtig sicher ist. Was hat ihn dazu bewegt  nochmal den gestrigen Tag zu bedenken? Das hätte ich ihn gerne gefragt.

Wenn ich könnte.

Chifuyu gibt mit einem Schulterzucken nach, packt die große Leinwand an beiden Seiten und folgt ihm hinaus auf den Schulhof.

„Ich  kann es nicht fassen", kommt es völlig aufgelöst über seine Lippen, als  hätte er zwischen der Türschwelle von Schule und Freiheit wieder zu  sich gefunden. „Du hast die Katze mit in die Schule genommen!"

„Ja,  und?", entgegnet ihm der Schwarzhaarige gleichgültig und hält mich an  sich gepresst. Seinen Rucksack hat er einfach an seinem Platz  liegengelassen wie etwas, das leicht zu ersetzen ist. Ohne Bedeutung.  Aber ich – ich habe eine für ihn. Eine sehr riskante.

„Das  kannst du nicht machen!", versucht es ihm Chifuyu zu erklären und  stolpert ihm eilig nach. „Sie könnten dich deswegen von der Schule  schmeißen."

„Und?"  Er bleibt stehen und neigt den Kopf etwas schräg, um ihn besser  anzusehen. Diese gefühlslose Leere in seinem Blick, in seiner harten,  samtenen Stimme gleicht einem durchschneidenden Messer.  „Was habe ich  schon zu verlieren?", fragt er bitter.

„Vieles", krächzt der Blonde verloren und stellt das Bild ab, indem er es gegen seine Knie lehnt.

„Zum Beispiel?", fordert Baji auf. „Und sag nicht Toman. Sie stehen mit der Schule nicht in der Verbindung."

Chifuyu  braucht einen Moment, um die richtigen Worte zu finden – und in diesem  Moment fallen mir selbst genau zwei Beispiele ein.

Einen  Abschluss: Mit diesem stehen ihm Türen offen, von denen er jetzt noch  nichts weiß, aber sie werden sein Leben formen – werden ihn formen – und  ihm ein gutes, unbeschwertes Leben ermöglichen. Er wird sich Träume  erfüllen können, an die er gerade noch nicht denkt, aber irgendwann  werden sie da sein und dann würde er es bereuen, sich diese nicht  erfüllen zu können, weil er so blind gewesen ist und nicht bemerkt hat,  dass das Leben ein Traum inmitten von vielen ist.

Und  genau das wäre das zweite Beispiel: Träume. Wie willst du träumen  können, wenn du nichts über diese Welt weiß? Wenn du nichts  zusammenzählen kannst? Wenn du die Bedeutung hinter Wörter nicht  verstehst, weil sie dir fremd sind? Wenn dir alles fremd ist, weil du  nicht gelernt hast, an dich selbst zu glauben?

Chifuyu sagt bloß: „Saejin hätte sich das gewünscht." Und dieser Satz ist übermächtig.

Keisuke  blickt mich an, Wehmut überschüttet sein bronzefarbenes Gebirge mit  dunklen Kupfertupfer. Sie dehnen sich darüber aus und offenbaren einen  gebrochenen Jungen, der schon längst aufgegeben hat zu träumen.

„Natürlich", lächelt er traurig-schön, „sie hätte mich dafür gehasst."

Sein  Blick hinterlässt eine unbeschreibliche Schwere in meinem zarten  Herzen. Eine Schwere, die ich nicht ignorieren kann. Er braucht mich –  Saejin, die Katze, um Saejin, das Mädchen, nicht aus den Augen zu  verlieren, weil sie hat etwas in ihm berührt, das ihn an Träume hat  glauben lassen. Und mit ihr scheinen diese Träume verschwunden zu sein.

Er würde nicht wegen seiner Impulsivität seine eigene Zukunft verhauen, sondern wegen seinem angeknacksten Herzen.

Meine Selbstlosigkeit würde auch ein weiteres Leben zerstören, wenn ich es nicht aufhalte.

„Wieso  hast du die Katze überhaupt mitgenommen?", fragt Chifuyu mit einem  Unterton, der mich realisieren lässt, wie einsam man in der Nähe eines  geliebten Menschen sein kann. Noch viel einsamer als ohne ihn. Warum  redet er so abwertend über mich? Er steckt die Hände in seine  Jackentasche seiner Schuluniform und blickt in den klaren Sommerhimmel.

Keisuke  sieht mich immer noch an, seine harten Konturen ganz sanft und die  Tiefen seines Gebirges erstaunlich nah. Sein Schutz ist nicht dafür  errichtet worden, um mich vor solch einem Schmerz zu schützen. Ich spüre  ihn – eklig, klebrig, wie nasses Gras, aber festklebend an meinem  Herzen. Das Gewächs ist so dicht, dass mich seine Wärme nicht erreicht.

„Hast du nicht einmal daran gedacht, Peke J mitzunehmen?"

„Nein", antwortet er ihm, „er gehört nicht in die Schule. Er gehört nach Hause."

„Mhm."  Sein wildes Lächeln stiehlt sich in seinem Antlitz. Sein rechter  Eckzahn lugt unausstehlich hervor. „Sie gehört zu mir", sagt er  plötzlich und legt seinen Finger unter mein Kinn, um mich dort leicht zu  kraulen, „und deswegen wollte ich sie bei mir haben."

Unsere  Blicke treffen sich. Mit leuchtenden Augen voller Sanftheit verharrt er  in einer Unendlichkeit, die mir leider verborgen bleibt, doch sowie sie  in seinem Blick strahlt, muss sie unvergänglich und wunderschön sein.  Ich würde sie gerne sehen, um herauszufinden, was diesem dickköpfigen,  wilden Jungen das Herz so schwer und gleichzeitig so leichtmacht, dass  ihn dieses Gefühl als einziges davor abhält, zu schweben.

Chifuyu seufzt aus. „Langsam verstehe ich es. Du bist genauso wie ich – du hältst an ihr fest, aber auf eine andere Art."

Keisuke  zuckt wie getroffen und stoppt seine Berührungen. Seine Unendlichkeit  ist zu kurz gewesen, so dass ich einen Anblick darüber erhaschen kann,  wie sie in sein Herz schlägt und all das Schöne aus seiner  Sanftmütigkeit vernichtet. Er hält den Atem an – genau wie seine  Unendlichkeit plötzlich aufgehört hat. Ich reibe schnurrend meinen Kopf  gegen seine Schulter, und ich weiß, dass mein Herz nicht das größte ist,  dennoch habe ich die bittere Hoffnung, mein warmer Puls würde seinen  wieder zum Rasen bringen.

„Vielleicht."

„Dann  hör auf, so zu tun, als wäre sie tot", murmelt Chifuyu und blinzelt  sich Tränen weg. Er nimmt wieder das Gemälde und hebt es hoch wie ein  Versuch, von seinem eigenen Kummer abzulenken. „Wenn sie für dich nicht tot ist. Das ist ihr gegenüber nicht fair. Nicht, wenn die Chance noch besteht, dass sie zu uns zurückkommt."

Baji  mustert mit verzerrten Lippen nochmal das Bild in Chifuyus Hände.  „Kannst du dich noch daran erinnern? An unsere erste Begegnung?"

„Ja", sagen Chifuyu und ich wie aus einem Mund und blicken ihn schwermütig an. „Diesen Tag werde ich niemals vergessen können."

„Sie  hatte Angst vor mir." In seiner Stimme liegt ein Schmerz, dessen  Wurzeln schon jahrelang in ihm gewuchert haben wie ein Dornengestrüpp,  welches jetzt sein Herz darstellt. Er geht entschlossen weiter, ohne  einzuknicken. Er ist zu stur, zu typisch Baji, um jetzt einfach die  Schulter hängen zu lassen. Sein Herzschlag trommelt wild; laut wie in  einer Schlacht, als ich meinen Kopf gegen seine Brust lehne und ihm  gespannt lausche. Aber gedanklich bin ich ganz woanders. „Lass uns zu  mir gehen und nochmal ihren Manga lesen."

„Du  hast ihn echt noch?", fragt Chifuyu verblüfft. „Meine Mutter hat ihn  leider letztes Jahr herausgeschmissen, weil sie geglaubt hat, ich wäre  zu alt für ihn."

„Zu alt?" Keisuke strengt sich an, um nicht zu lachen. „Niemand ist zu alt für Peke J – den Retter unserer Welt."

Ich bin in der Vergangenheit. Bei einem bestimmten Tag in meinem Leben.

Einen Tag, der mein Leben für immer verändert hat.

Einen Tag, an denen ich öfters zurückdenke, wenn sich einer dieser dunklen Regentage anhäuft.


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