my fate rests in my hands.
Keisuke ist der größte Dickkopf auf Erden. Es dauert eine Weile, bis ihn Chifuyu dazu überredet hat, den Bus nach Hause zunehmen. Mein Bild hat er schließlich auch nicht mit dem Motorrad transportieren können. Also wir sind zu dritt mit dem Bus nach Hause gefahren. Keisuke hat mich nicht losgelassen, er hält mich an sich gedrückt wie die Schwerkraft, die sein Universum zusammenhält. Ohne diese Schwerkraft würde es auseinanderfliegen. Sie ist alles, was ihn zurückhält, um nicht loszufliegen – in ein anderes, leichteres Universum. Ich kann zwar keine Hände mehr halten, dafür kann ich ihn an diese Welt festhalten, und ich finde, das ist viel schöner, intensiver als Händehalten. So fühlt es sich wenigstens für mich an. Ein warmes, beruhigendes Gefühl im Magen.
Selbst, als wir bei ihm wieder im Zimmer sind, behält er mich auf seinem Schoß, während er den Regenschauer draußen beobachtet. Er hat dabei etwas wie „Sogar der Himmel trauert um sie" gemurmelt, doch das würde er nicht sagen. Nicht, wenn er dabei so traurig-schön lächelt und sein jungenhaftes, wildes Ich in seinen Augen funkelt. Was er dort draußen wohl sieht? In dem nebelhaften, kalten Sommerregen? Vergangene Bilder? Sehnsüchte? Oder mein halb totes Ich auf dem Asphalt?
Chifuyu liegt derweil neben ihn auf dem Rücken, in der Hand Bajis Kopie von meinem Manga, die ich ihnen zu unserem ersten Weihnachten geschenkt habe. Ich bin verunsichert, ob er wirklich in der Geschichte oder nicht in seinen eigenen Gedanken versunken ist. Schon seit einer guten Weile hat er keine weitere Seite umgeblättert, atmen tut er auch nicht richtig. Er ist wie gefangen – in einem Moment, einem fesselnden Gefühl, das in der Vergangenheit liegt.
Er starrt eine einzige Seite an, genau wie mein Leben plötzlich auf einer Seite geendet hat und es geht nicht mehr weiter. Nicht die Geschichte von Saejin, dem Mädchen. Was für eine Geschichte diese hier ist, habe ich noch nicht erkannt, aber eine Liebesgeschichte auf keinen Fall. Liebesgeschichten sind nicht so herzzerreißend.
Er möchte nicht weiterblättern, und ich lieber auch nicht.
Ich bin trotz alle dem neugierig, welche Seite es ist, und mache mir Keisukes eigene Gedankenversunkenheit zur nutze, indem ich von seinem Schoß gleite. Chifuyu fällt es nicht auf, wie ich mich mit den Pfoten auf seiner Schulter abstütze, um einen besseren Blick auf die Mangaseite zu erhaschen. Ich werde wie ein Instinkt meines Verliebtsseins bei seiner Nähe nervös, ich vergesse zu atmen und versuche mich auf mein eigentliches Vorhaben zu konzentrieren, um nicht auf diesen unvergleichbaren Duft von Zuckerwatte hereinzufallen.
Es ist die erste Seite.
Auf dieser steht in meiner eigenen Schrift geschrieben: „Für Baji Keisuke. Der Held meiner Welt." Dahinter habe ich einen schwarzen Katzenkopf gemalt, mit zwei spitzen Eckzähnen und roten Hörner. „Du als Katze. Ganz schön teuflisch, was?", steht daneben in Klein geschrieben. Und noch: „PS: Ich habe dich und Chifuyu ganz tief in mein Herz geschlossen. Danke dafür, dass ihr meine Welt so vollkommen macht. In Liebe, Saejin."
Er presst sich die eigene Hand gegen den Mund und schluckt dabei etwas herunter, das schwerer wie Blei sein muss. Ein zerrendes Geräusch verlässt ihn, wie ein angeschossenes Tier, und es geht durch meinen ganzen Körper wie eine Sirene. Besorgt mustere ich ihn und beuge mich vor, um ihn sachte mit meiner feuchten Nase an der Wange zu berühren – da richtet er sich plötzlich auf und steht vom Bett auf. Ich falle zurück und rolle dabei gegen Bajis Bein. Er schaut den anderen Burschen irritiert an, hebt dabei die Hand, um mir liebevoll den Kopf zu kraulen, als könnte er spüren, wie mein kleines Herz aufgebrochen worden ist.
Seit wann ist Chifuyu so unachtsam geworden? Und wieso lasse ich diesen Schmerz an mich heran? Mir ist bewusst, dass ich als Katze nicht wie sonst auffalle – aber doch so wenig? Für jemand, der immer anhält, um eine Katze zu begrüßen? Als Mensch habe ich mich schon winzig in dieser Welt gefühlt, dennoch bin ich nicht unbeachtet geblieben. Chifuyu und Keisuke haben mich immer mit diesem Blick angeschaut; als wäre ich für sie etwas ganz Großes, als könnten sie mich gar nicht übersehen. Und dann habe ich tatsächlich daran geglaubt, der Welt überlegen zu sein.
Mein Herz ist zwar kleiner, aber der Schmerz bleibt der gleiche.
„Was hast du vor?", fragt Keisuke den Blonden, als er zur Tür flüchtet, und hat sich von einer Welt lösen können, die er nicht wahrhaben möchte.
„Irgendetwas kaputt machen", antwortet er ihm und holt angestrengt Sauerstoff, als würde er in den letzten Stunden eine ungesunde Unmenge davon verbrauchen, „ich halte das nicht aus. Ich halte diesen Schmerz nicht aus, verstehst du?"
Keisuke bleibt kurz still, dann sagt er: „Was möchtest du kaputt machen?"
Er zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Am liebsten das Auto von dem Typen, der sie angefahren hat."
„Weißt du, wo die Dreckskarre steht?" Baji ist Feuer und Flamme für diese Idee und springt energisch auf.
„Nein, aber wir können das bestimmt leicht herausfinden. Sollte ja überall in den Zeitungen stehen."
Er nickt, ehe er seine Lippen zu seinem diabolischen Grinsen formt. Ein wildes Feuer entfacht in den Funken seines Kupfers. „Ich nehme meinen Baseballschläger mit, so sind wir auf der sicheren Seite und der Typ wird garantiert nicht mehr seine Dreckskarre fahren können. Er wird es nicht wiedererkennen, wenn ich damit fertig bin."
Ich könnte Chifuyu dafür ins Bein beißen, dass er Baji diese dumme Idee in den Kopf gepflanzt hat. Mein aufgebrachtes Miauen interessiert sie nicht, sie sind nicht aufzuhalten.
„Ihr Volldeppen! Hört mir doch zu!"
Chifuyu lacht begeistert auf. „Super! Wir müssen unbedingt davor unsere Motorräder von der Schule abholen."
Plötzlich fühle ich mich eigenartig verloren. Verloren auf eine Art und Weise, die mich dabei unterstützt, zu realisieren, dass es mir in dieser Gestalt versperrt bleibt, sie zurückzuhalten zu können. Nicht mal mit Worten, und doch ist da dieser Krampf in mir, der sich dagegen wehrt. Mit allem, das noch von meiner Menschlichkeit zurückgeblieben ist.
„Euer Vorhaben ist sehr gefährlich, wisst ihr das? Natürlich ist er zu schnell gefahren – aber ich hätte auch nicht vor sein Auto springen müssen."
Keisuke stimmt ihm mit einem knappen Nicken zu, bevor er zu mir hinübergeht und mir seine Hand auf den Kopf legt. In der anderen hält er schon seinen Baseballschläger. „Keine Sorge, Saejin." Seine Gesichtszüge sind wieder weich, so weich, dass es in meinem Herzen sticht, da ich darüber nachdenke, dass Saejin der Mensch ihn bestimmt aufgehalten hätte. „Ich werde bald zurück sein", verspricht er mir mit dieser Sanftmütigkeit, an die ich mich wohl nie gewöhnen werde, und lächelt mich an.
Ich sehe ihn traurig an, meine Sturheit klappt bei seiner unerwarteten Zuneigung zusammen. Einerseits möchte ich sie aufhalten, andererseits möchte ich auch, dass sie von dem Schmerz meines Verlustes befreit werden. Egal wie. „Bitte, passt auf euch auf. Besonders du, Keisuke. Du gerätst einfach viel zu schnell in dumme Sachen, die dich alles kosten können." Bei Chifuyu bin ich mir sicher, dass er noch rechtzeitig verschwinden würde, aber bei Keisuke nicht. Er hat wieder dasselbe selbstmörderische Grinsen wie heute Morgen auf dem Motorrad.
„Iss was, okay? Ich sehe es, dass du noch nichts gegessen hast."
Mein Blick wird noch trauriger, weil er mal wieder nur an andere denkt und am wenigstens an sich selbst. Ich wünsche mir, ich könnte ihm darum beten, mehr auf sich zu achten – aber offenbar muss ich das als seine Katze für ihn übernehmen.
„Ich mag das aber nicht."
Als hätte er es aus meinem Blick gelesen hat, entgegnet er: „Du magst was Anderes? Gut, dann überlege ich mir etwas für später."
Chifuyu stöhnt hinter ihm auf. „Muss ich mir Sorgen machen, dass du den Verstand verlierst?"
Keisuke wendet sich von mir ab und verpasst dem Blonden einen warnenden Schlag auf den Hinterkopf. „Tue nicht so, als würdest du dich nicht auch mit Peke J unterhalten, du Idiot."
„Autsch." Er reibt sich den Hinterkopf und folgt ihm. „Du hast Recht. Ich rede mit ihm – aber ich flirte ihn nicht mit meinem Blick an."
Falsche Antwort. Keisuke verpasst ihn nochmal einen auf den Hinterkopf, diesmal härter. „Sie ist eben wunderschön", murmelt er leiser.
Noch leiser erwidert Chifuyu dazu: „Sie ist noch viel schöner."
Aber meine Katzenohren haben es genauestens vernommen. Mein Herzschlag überschlägt sich, vollführt einen Salto, der in dieser kleinen Hülle viel zu groß ist, dass mir für einen Moment der Atem stockt. Chifuyu findet mich schön. Ich bin schön. Ich bin wirklich schön.
Sie sind gegangen, und ich könnte sie nicht weniger missen.
Heute ist doch kein dunkler Regentag. Es ist ein schöner, strahlender Tag von Sonnenlicht.
Aber da ist noch etwas Neues, das diesen Tag unvergleichlich schönmacht.
Etwas wie der warme Funke von Kupfer.
Er umkreist die ganze Welt und landet schlussendlich in meinem Herzen.
Dort schützt er mich vor all dem Böse, das er davor in der Welt entdeckt hat.
Ich strecke mich auf der weichen Matratze aus und versinke glücklich in dem Duft von einer regennassen Wiese und warmer Milch. So könnte ich mir tatsächlich mein Zuhause als Katze vorstellen.
*
Ein unerwartetes Gewicht auf der Matratze holt mich aus meinem Schlaf. Erwartungsvoll sehe ich zur Seite und bin gespannt, was mir Keisuke zu erzählen hat. Doch da ist ein anderes, mir nicht allzu fremdes, gelbes Augenpaar und mustert mich neugierig. Er riecht genauso wie Chifuyu. Heißt das, ich rieche wie Keisuke oder er wie ich? Kurz erwische ich mich dabei, wie ich mich über diese Gemeinsamkeit mit dem schwarzhaarigen Dämon freue, dann verfliegt er wieder ganz schnell. Wie eine verbotene Verheißung. Heute hat Baji komischerweise das Fenster offengelassen, und ein mir bekannter Kater hat diese Einladung nach einer Weile entdeckt.
Peke J setzt sich neben mich. „Hier bist du. Also hat mich mein Geruchssinn nicht getäuscht."
Er kann sprechen?! Katzen können sprechen?
Erschrocken springe ich auf und ein bestimmter Instinkt bringt mich dazu, einen Buckel zu machen. Dann beruhigen sich meine Muskeln schnell wieder, weil es sogleich in mir dämmert. Ich bin ja auch eine Katze – weshalb ich ihn natürlich verstehen kann. Wir sprechen dieselbe Geheimsprache. Über mich selbst die Augen rollend richte ich mich mit zuckenden Ohren auf.
Aber wie hat er gesprochen? Er hat den Mund nicht geöffnet.
„Sowie du glaubst sprechen zu können", antwortet er mir, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Wir machen das... hm, durch Telepathie?"
„Telepathie heißt, du könntest meine Gedanken lesen", erkläre ich ihm und bin überrascht. Kein Miauen, kein Schnurren. Nur meine Stimme. Ich muss bloß das Gefühl haben, zu reden, dann passiert es wie von selbst. Wie es eben ist, wenn man ein Mensch ist. Man denkt nicht darüber nach, man spricht es einfach aus – und manchmal verletzt man damit und manchmal berührt man damit Herzen auf besondere Weisen.
Der schwarze Kater mit den klaren Bernsteinaugen schüttelt den Kopf. „Nein, dann ist es das nicht. Und – wie gefällt es dir eine Katze sein?" Die Frage ist zu erwarten gewesen, deshalb habe ich mir schon eine Antwort überlegt und bin dabei ziemlich ehrlich.
„Ich weiß, ein Katzenleben kann schön sein. Aber ich bin nicht als Katze geboren worden. Es ist daher sehr verwirrend. Wie schaffst du es, sie so traurig zu sehen, ohne dir dabei zu wünschen, ein Mensch zu sein?" Dumme Frage, er ist schließlich von Geburt an Kater. Durch und durch!, bemerke ich schnell und werde verlegen, aber da habe ich sie schon ausgesprochen.
Er kichert, und es ist seltsam, eine Katze kichern zu hören, ohne dass sich dabei ihr Mund bewegt. Das ähnelt mehr Bauchrednern als den Flauschbällen. „Ich weiß nicht, wie es ist, ein Mensch zu sein. Aber ich bin sehr überzeugt davon, ein guter Tröster zu sein. Gibt es denn einen Unterschied, wenn man als Katze einen geliebten Menschen tröstet?"
„Ja, den gibt es." Ich sehe zu meinem Bild, das Chifuyu neben das Bett gestellt hat, und fühle diese Schwere auf meinem Herzen, die auch in Keisukes Gebirgsaugen festsitzt. Ich denke an gestern zurück und daran, was mir alles entgangen ist, nicht zu tun, weil zwischen mir und ihnen eine neue, befremdliche Art von Barriere steht. Und ich kann diese absolut nicht ausstehen. Sie treibt mich so fern von Chifuyu, als hätte ich vergessen zu schwimmen und würde auf meiner einsamen Insel festsetzen, und das kann nicht sein. Ich bin immer noch in ihm verliebt.
„Es bleibt immer der gleiche Ausgang, ob als Mensch oder Katze: Du hast den Schmerz für sie erträglicher gemacht, ihre furchtbare Einsamkeit genommen, weil du ihnen in den Verstand gesetzt hast, dass du da bist und sie somit nicht alleine sind." Er hört mir aufmerksam zu, und ich komme mir kein Stückchen dämlich dabei vor, mich so einer Katze zu öffnen. Bei Peke J habe ich blindes Vertrauen. Schließlich ist er kein Mensch und hat nicht dieses Bedürfnis danach, einen anderen zu ruinieren. Mir fällt es wieder, ein weiterer Fakt über Katzen.
Sie wollen immer nur das Beste für uns.
„Aber, als Mensch hast du noch die Möglichkeit, sie in den Arm zunehmen. Es ist nicht viel, denkst du dir jetzt, aber eigentlich ist das sehr, sehr viel. Wenn du sie in den Armen hältst, hältst du nicht einfach ihren Körper. Du hältst ihre Welt, ihr ganzes Herz und ihren ganzen Schmerz zusammen. Sie denken nicht einfach, dass du da bist, sie spüren es – und dich in dieser schwierigen Zeit an ihrer Seite zu wissen, ist alles, was sie wirklich brauchen. Keine tröstlichen Worte oder ein standardmäßiges „Alles wird wieder gut". Nur einen anderen, der sie daran hindert, sich von dieser Welt zu lösen."
„Kann ich das als Katze nicht?", fragt Peke J bedrückt und setzt sich dicht neben mich. Seine Schwanzspitze berührt meine, flüchtig, unsicher, aber meine Worte scheinen wohl von dieser Sorte zu sein, die unüberlegt verletzen.
„Das weiß ich eben nicht", gestehe ich ihm mit Zweifel und beiße mir lieber auf die Zunge als den Wunsch auf meinem Herzen auszusprechen. Ich wünsche mir, gestorben zu sein – dann müsste ich die wichtigsten Personen meines Lebens nicht so leiden sehen. Auf einmal brechen all die Ängste und Zweifel in mich ein, die ich in den letzten Stunden in mir angesammelt habe, dass ich mir furchtbar hilflos erscheine. Ich bin wieder unter tiefem Meer, aber da ist niemand mehr, der mich vor dem Ertrinken retten kann. Ich ertrinke in diesem Leben, das ich nicht verstehe und nicht möchte.
Die Leere des Sterbens ist nichts im Vergleich zur der Leere in diesem Leben.
Peke J stupst mich aufmunternd mit der Nase an. „Fragst du dich nicht, wieso ich hier bin?"
„Sie sind nicht hier", entgegne ich monoton und lege mich so hin, dass ich meinen Kopf auf meine Vorderpfoten abstütze, den verlorenen Blick auf das nebelartige Wetter draußen gerichtet. Selbst die Welt verschließt sich mir nun. Hat das auch Keisuke gedacht, als er hinausgeblickt hat? Dieser Gedanke ist ein blödes Wunschdenken, und trotzdem ist er wie ein Stück Treibholz im Meer, an dem ich mich für eine kurze Zeit klammern kann.
„Ich bin deinetwegen hier." Lüge, denke ich mir bloß. „Du hast meiner Freundin Yukidaruma das Leben gerettet, und deshalb hat sie dir eines ihrer geschenkt." Unmöglich. „Hallo? Hörst du mir mal zu?" Er nimmt einen eingeschnappten Ton an und ist so dreist, dass er mit seiner nassen Pfote gegen den Kopf klopft, als wüsste er, dass ich gerade in einem Universum bin, zu dem ich nicht mehr gehöre, aber unbedingt zurück möchte.
„Wie soll das möglich sein?", frage ich ihn und kann nicht laut sprechen, weil meine Lungen voller salzigem Wasser sind. „Und was habe ich davon, wenn ich meine Freunde nicht in den Armen halten kann? Nicht mehr..."
Peke J sieht mich böse an und richtet sich auf. Darin sind Katzen wahre Meister. „Weil du die Chance hast, wieder ein Mensch zu sein."
Das Wasser steigt mir bis in den Hals. Ich halte inne und fühle diesen kleinen, zarten Faden wie mein Herzschlag, der noch an diesem Universum festhängt. Dieses Universum, das zu meinem menschlichen Gesicht gehört.
„Wie?"
Er seufzt tief aus wie bei einer Offenbarung, die alles wieder zum Guten wenden wird. „Du hast drei Monate Zeit."
Der Faden ist direkt vor mir. Ich greife nach ihm, halte mich an ihm fest, um nicht weiter zu sinken.
„Drei Monate? Für was?", frage ich mit stickiger Stimme nach.
„Damit dir jemand seine wahre Liebe gesteht." Er mustert mich mit großen, glühenden Bernsteinen und ist mir so nah, dass seine langen Schnurrhaare meine Ohrenspitzen kitzeln. Er hat das so ausgesprochen wie das Unmöglichste auf der Welt, doch für mich ist es das genaue Gegenteil. Schwieriger wäre es gewesen, hätte er zu mir gesagt, ich müsste den einen Ring in einen Schicksalsberg werfen und dafür eine lange Reise auf mich nehmen. Das hier ist mehr wie eine Fortsetzung meines Lebens, von dem ich geglaubt habe, es hätte geendet. Doch das hat es nicht.
Das hier ist der Weg zu meinem Happy End.
Jemand muss mir seine wahre Liebe gestehen? Wie simple.
Ich glaube, wieder das Sonnenlicht sehen zu können, wie es über das dunkle Meer tänzelt und das Finstere darin vertreibt, während in meinem Herzschlag ein einziger Name getrommelt wird. Chi-fu-yu, Chi-fu-yu, Chi-fu-yu.
„Und wenn nicht?" Alles hat einen Haken. Immer. Da, wo Licht zuhause ist, ist Dunkelheit ihr engster Nachbar.
Peke Js Augen wirken überraschend traurig, als er die nächsten Worte nach einem Seufzer herauslässt. „Dann wirst du vollständig zur Katze und dich selbst vergessen."
„Mich selbst vergessen?", wiederhole ich und blicke ihn perplex an, weil ich mir darunter nichts vorstellen kann. Was hat das zu bedeuten? Mich selbst zu vergessen?
Er beendet den Augenkontakt und betrachtet nun mein Gemälde. Sein Gemüt sackt ein – wie mein Glauben, noch an die Oberfläche zu kommen. „Das heißt, du wirst ausgelöscht. Von der Katze in dir. Sie wird in den nächsten 3 Monate stärker werden. Du wirst anfangen, dein Leben als Mensch zu vergessen, immer mehr Angewohnheiten einer Katze annehmen, und irgendwann wirst du vergessen haben, wer du mal gewesen bist. Deinen Namen, deine Familie, deine Freunde, deine Erinnerungen... Nichts davon bleibt übrig, wenn die Zeit vorüber ist. Es ist, als hättest du nie als Mensch gelebt."
Sterben ist doch unvorhersehbarer als leben.
„Wieso bekomme ich überhaupt diese Chance?" Ich versuche irgendwie positiv zu bleiben, wenn auch mein ganzer Körper danach schreit, los zu heulen. Stundenlang zu weinen. Tage, Wochen. Ein endloses Weinen, weil ich begriffen habe, dass ich nochmal über mein Leben bestimmen muss, und diese Macht ist erschreckend. Wenn ich gewinne, werde ich wieder zum Menschen und kann leben, aber wenn ich scheitere, verliere ich buchstäblich alles. Auch mein eigenes, menschliches Gesicht. Das Scheitern ist somit umso grausamer. Was ist, wenn meine Selbstlosigkeit mich nochmal zur selben Entscheidung zwingen wird? Wenn ich erneut mein Leben für ein anderes opfern werde, weil ich einfach so bin und es nicht ändern kann? Ich bin jämmerlich darin, mein eigenes Leben wertzuschätzen.
Das ist einer der Dinge, die mir in der Schule nicht beigebracht worden sind.
Wie soll ich mein Leben schätzen, wenn mir niemand erklärt hat, was das ist? Das Leben?
In Peke Js Antwort schwebt ein weiches Lächeln der Besänftigung. „Weil du, Saejin, das größte Opfer auf dieser Welt gebracht hast. Du hast dein Leben für das eines viel schwächeren aufgegeben. Yukidaruma wäre gestorben, hättest du dich nicht vor das Auto geworfen. Du hast sie nicht mal gekannt, du hast einfach auf dein Herz gehört."
Ist das Leben messbar? In Tage, Wochen, Stunden? Wenn nicht auch in Herzschläge?
„Ich wäre nicht die einzige, die das getan hätte."
Oder ist das Leben wie Atmen? Man kann es nicht abschalten, es ist einfach da und kann bloß durch grausame Taten angehalten werden. Ist es das? Es kommt mir ziemlich gebrechlich vor, dafür, dass die Katzen mir meines zurückgeben möchten.
Er schüttelt den Kopf, als würde ich gerade Lügen erzählen, und erhebt die Stimme. „Wir sehen es selbst, wie die Menschen sich langsam verändern, in eine Richtung gehen, in der ihr eigenes Wohl am höchstens steht. Wir haben schon längst nicht mehr denselben Stellenwert wie früher. Es gibt zu viel Hass auf dieser Welt, der uns unverständlicher Weise zu geschoben wird, weil Mythen und Aberglauben uns zu Bösen macht, die wir gar nicht sein wollen."
Plötzlich reibt er seinen Kopf an meinen und fängt an, tief und warm zu schnurren. Ich schließe die Augen und habe das Gefühl, dass sich meine Tränen in meiner Brust anstauen wie tausende Blasen voller Pein. Gleich zerplatzen sie, und ich weiß nicht, ob mein Herz das aushalten wird.
„Es gibt nur noch wenige von jenen Menschen, die wirklich verstehen, dass wir genauso wie sie empfinden. Und manchmal sogar das doppelte von ihrem Schmerz. Unsere Herzen mögen kleiner sein, doch desto höher ist die Intensität unseres Empfindens."
Das stimmt. Und wie das stimmt – denn ich kann es gerade spüren, wie die dickflüssige, schwere Konsistenz meines Schmerzens mich lückenlos einnimmt und mich zurück in die Tiefe des Meeres drückt.
„Aber du, Saejin, du hast einen Schmerz auf dich genommen, den wir dir niemals wegtrösten können. Doch dafür können wir dir eines unserer Leben geben, damit du die Chance hast, diesen selbst zu besiegen. Yukidaruma ist glücklich und ich auch, weil du es nicht zugelassen hast, dass unsere Kinder ohne ihre Mutter aufwachsen."
Ich blinzle. Seine Worte sind so mit Herzenswärme und Dankbarkeit erfüllt, dass ich gar nichts dagegen unternehmen kann, dass diese Wärme in meine Brust wandert und dort mit einem klareren, leichten Wasser all das Üble hinfort spült, wovor ich mich selbst nicht retten kann, weil ich genau das dafür gebraucht habe.
Hoffnung.
Eine Liebe, nach der ich mich auch sehne.
Und einen Freund, von dem ich bis jetzt noch nichts gewusst habe.
„Weiß Chifuyu davon?", frage ich leise und höre mich wundersamerweise so an, als hätte ich tatsächlich geweint. Die Nase verstopft, die Stimme leer und krächzend.
Er lacht. „Natürlich weiß er nichts von mir und Yukidaruma. Es ist ein Teil meiner Welt, die ihm aufgrund seiner Menschlichkeit verborgen bleibt."
Etwas wie ein Schniefen verlässt meine Nase, und mein Herz fühlt sich genauso klebrig und erschöpft an wie der Rest meines Körpers. Als hätte ich während dem Ertrinken in meinen eigenen Tränen geschwommen, und jetzt sickern sie langsam ab, weil da überall Löcher in meiner Brust sind, durch die sie hinausgespült werden. Und nicht nur das: Auch meine Ängste und Sorgen gleiten mit ihnen fort. Diese Löcher werden sich irgendwann schließen, sobald mein Herz dazu bereit ist. Sobald ich dazu bereit bin, mein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.
Ich gebe es zu. Vieles weiß ich nicht über das Leben, aber ich weiß vieles über Ängste und Leid, und das beide Gefühle zusammen meistens kommen und meistens zusammen verschwinden.
Wie in diesem Augenblick.
„Wieso?", frage ich dann Peke J und richte mich neugierig auf.
Wir sehen uns an, und da ist ein Funkeln in seinen Bernsteinen, das mich an die bindungslose Liebe einer Katze erinnert.
„Weil auch wir Katzen unsere Geheimnisse haben, die wir unseren Menschen nicht erzählen können, weil wir sie nicht verletzen möchten."
„Ich glaube nicht, dass es ihn verletzen würde. Er liebt dich doch, Peke J."
„Ja, aber es würde ihn verletzen, weil er glaubt, mich dann gehen lassen zu müssen – damit ich glücklich sein kann."
Das überrascht mich. „Bist du etwa nicht glücklich?"
Er steht auf und geht in anmutigen Schritten zur Fensterbank. „Doch, ich bin sehr glücklich, ein Teil seines Lebens zu sein. Aber ich wäre noch glücklicher, würde es auch Yukidaruma sein können. Doch, wie sagt ihr Menschen noch so schön: Wir alle haben unsere Päckchen zu tragen. Auch Katzen. Aber unsere Menschen werden für uns immer an erster Stelle stehen."
Hastig folge ich ihm, bevor er aus dem Fenster verschwindet. „Peke J, warte bitte!"
„Was denn?", entgegnet er mit schiefen Köpfchen.
„Chifuyu... er..." Ich senke den Blick, in meiner Brust stolpert mein Herz über den Verbindungsfaden zum Universum, weil es sich so sehr danach sehnt, in dem Gletscher von hundert Sternen zu zerbrechen. Es würde waghalsige Dinge wie diese auf sich nehmen, bloß um dorthin zurückkehren zu können. Zurück zu Chifuyu und unserer vollkommenen Welt. „Vermisst er mich sehr? Ist mein Verlust sehr schmerzhaft für ihn?"
Er kichert entzückt. „Natürlich, Saejin. Du bist schließlich der Juwel seines Universums."
Drei Monate bleiben mir also.
Drei Monate, um ihm doch noch meine Gefühle zu gestehen.
Möglicherweise bin ich verrückt und möglicherweise bin ich so benommen von den Erinnerungen an Chifuyus Berührungen, dass ich nicht daran denke, dass meine Gefühle nicht erwidern werden könnten.
Er wird mich retten.
Ganz sicher.
Ich bin bereit dafür, mein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen – als Katze. Und wie ich das bin!
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