magic happens to be bad.
Mein Kopf schmerzt fürchterlich. Das fällt mir gleich auf, als ich nach und nach mein Bewusstsein erlange. Als Nächstes die kahlen Wände in meinem Krankenhauszimmer. Dann die Sonde in meiner Nase, die mich zuverlässig mit Sauerstoff versorgt. Und zu guter Letzt: Chifuyu auf der Fensterbank. Seitlich schlafen, mein Katzenplüschtier hat er zwischen die Arme geklemmt, um es so als Kissen nutzen zu können. Kleine Eiskristalle flunkern auf seinen Wangen, als wäre er mitten im Weinen eingeschlafen. Nur die Tränen, die haben nicht so leicht gestoppt. Wieso? Ich bin doch da, zurück bei ihnen. Alles sollte doch in beser Ordnung sein. Warte...
Ein fieberhafter Blick durch das Fenster hinter ihm gibt mir eine bessere Einschätzung, auf die aktuelle Uhrzeit. Es muss Mitternacht sein. Was ist passiert? Ich kann mich an nichts erinnern. So überhaupt nichts. Da ist eine erschreckende Leere in meinem Schädel – bis zu den Küssen mit Keisuke. Den vielen Küssen, die mir jeden Atemzug geraubt und jeden wilden Herzschlag nur für ihn bestimmt haben. Wir haben uns so geküsst, als gäbe es kein Morgen mehr. Als würden wir die Endgültigkeit verhöhnen wollen. So kann ich mir den Geschmack von Abenteuern vorstellen. Wie der seiner Lippen auf meinen. Prickelnd, feurig, atemstehlend.
Woran ich mich wirklich bis in das kleinste Detail erinnern kann, ist er. Die besitzergreifende Art, wie er mich geküsst hat, die mir verraten hat, dass er sich beim ersten Mal zurückgehalten hat; die feste Art, wie er mich an sich gepresst hat, seine starken Hände um meine Hüften, und dieses wilde Glühen seiner Kupferfunken. Das ist ein völlig anderes Feuer gewesen. Ein dunkles, doch leidenschaftliches Feuer. Es sollte mich vor ihn vorwarnen, vor seiner Vergangenheit und der verborgenen Macht seiner Flammen, doch stattdessen hat es in mir das unwiderrufliche Bedürfnis erweckt, ihn nochmal zu küssen. Auf dieselbe Art – bis er mein brennendes Inneres zur Asche verwandelt hätte.
Blut schießt mir fürchterlich heiß in die Wangen, so heftig, dass ich ein Stechen spüre und die Augen zusammenkneifen muss.
„Du bist wach."
Sofort sehe ich zu Chifuyu, obwohl ich ihm diese quietschende Stimme nicht wirklich zuordnen kann. Das verwirrt mich. Er schläft immer noch. Wer hat dann gesprochen?
Ich stütze mich etwas auf, um mich genauer umsehen zu können. Doch ich bin mir hundertprozentig sicher, dass hier niemand anderes im Raum ist, weil ich keinen sehen kann.
„Hier bin ich, du Dummerchen." Neugierig sehe ich zu meinen Füßen, der Ursprung dieser nicht unbekannten Stimme, und glaube, den Verstand verloren zu haben, denn das macht keinen Sinn. Ich kann sie nicht verstehen. Nicht mehr. Das ist vorbei. Und trotz alle dem sitzt sie da zwischen meinen Beinen, die grüne Sichelaugen wachsam auf mich gerichtet. „Glaub mir', ich hab mir das auch anders vorgestellt." Sie spricht. Zumindest kann ich sie hören, ohne dass sie dafür ihren Mund bewegen muss. Wie ich es... gewöhnt bin.
„Wie kann das sein?", murmle ich fassungslos und darf nicht zu laut reden, um meinen blonden Freund im Raum nicht zu wecken. Mein panisches Herzrasen könnte es allerdings auch schon tun.
Sie schwingt sich auf, um sich auf meinen Schoß niederzulassen. Ihr Blick gefällt mir nicht, er ist voller Betrübnis und zerrt an ihrem unerschwinglichem Willensmut, für den ich sie so beneide. „Wir haben ein Problem, Heulsuse." Sie kommt direkt zur Sache. Klar, das wäre sonst nicht die Glückskatze wie sie mich blindlings im Versteck überfallen hat. „Deine Katze möchte keine Katze mehr sein. Sagen wir es so: Sie hat durch dich genügend Gründe gesehen, um keine von unserer Art zu werden. Und deshalb möchte sie lieber ein Mensch sein."
„Was?" Etwas zerbricht. In mir, unter mir, in diesem Universum. Als wäre ein kleines Loch in mir zu einem großen Riss geworden, aus dem sie nach und nach weichen, ohne dass ich es aufhalten kann. Die vielen, bunten Farben, die meine Sicht in diesem hoffnungsvollen Schleier eines Happy Ends festgehalten haben. Ich bin so naiv gewesen. Ein verliebtes und dummes Huhn, das einfach nicht bemerkt hat, wie es bereits von Dunkelheit umschlungen wird.
In Sayuris Augen flackert bitteres Mitleid auf, und ich mag es nicht, so von ihr angeschaut zu werden. Wie jemand, dem man eine schlechte Nachricht übermittelt, bei man sich bewusst ist, wie sie den Gegenüber niederreißen wird. „Sie möchte deinen Körper, dein Leben."
Ich kriege kaum ein Wort heraus. „Aber... ich habe die Abmachung eingehalten!"
Sie bereitet sich darauf vor – auf meinen größten Zusammenbruch. Ihre Stimme klingt ruhig und gefasst, aber, was sie mir erzählt, würfelt meine gesamte Existenz durcheinander. „Einer der mächtigsten Nekomata unserer Zeit hat auf deine Seele Anspruch erhoben. Er bestimmt darüber, welcher Mensch wieder in sein Leben darf und wer nicht. Weil es dir zuerst nicht wichtig gewesen ist, dass du gestorben bist, sondern eine von uns gerettet zu haben, hält er es für richtig, dich als Katze weiterleben zulassen. Aber nicht als Mensch. Darum hat er die Seele der Katze mit deiner verbunden. In manchen Fällen ist das möglich."
Ein Nekomata? Ein Katzengott hat meine Seele beansprucht? Das hört sich nicht wie eine Liebesgeschichte an, mehr wie eine dramatische Tragödie, die mit meinem Tod aufhört. Ich versuche in Gedanken beim Ein- und Ausatmen zu zählen und schwanke zwischen dem Drang, sofort in Tränen auszubrechen, oder einfach nur zu schreien. Den ganzen, plötzlichen Schmerz herauszuschreien, der mich durch diese Gewissheit innerlich aufreißt. Das Dunkle in mir ist nicht der Tod, es ist die Katze, die mir mein Leben wegnehmen möchte. Und ich bin verunsichert darüber, wieso mich das nicht wütend macht. Auf die Katze, auf diesen verdammten Nekomata.
Vielleicht weil ich es verstehen kann, wieso sie das möchte. Ein Mensch zu sein hat seine bestimmten Vorteile. Du wirst immer über alle Wesen dieser Welt stehen, jedenfalls glaubst du das, aber in Wirklichkeit sind wir genauso klein wie alle andere. Das, was wirklich über uns alle steht, ist der unberechenbare Tod.
Fest beiße ich die Zähne zusammen. Ein Zusammenbruch wäre zu voreilig, und auch mein Herz wird das vorerst nicht brechen können. Dass Sayuri extra hiergekommen ist, ist nicht zufällig oder macht sie aus schlechtem Gewissen. Sie scheint mehr zu wissen – denn für dieses Thema wirkt sie zu besonnen und geduldig. Diese Ruhe in ihren grünen Halbmondaugen ist wie der sichere Strand, den ich erkennen kann, wenn ich den Blick aus der dunklen Tiefe richte. Ich kann ihn erreichen, ich muss nicht in dem farblosen Meer aus Verlorenheit, Versagen und Sterben ertrinken.
Sie sind noch da.
Meine Farben schwirren in der Luft wie Staubflocken, die ich wieder einziehen kann, sofern ich das Atmen nicht vergesse.
Also sammle ich mich und atme tief durch, um mich für eine längere Zeit unter Wasser halten zu können. „Was meinst du in manchen Fällen, Sayuri?"
Ihre Ohren schnellen nach oben und zucken, als hätte sie auf diese Frage gewartet. „Wenn der Mensch nicht mehr leben möchte, dann kann die Katze seines dafür übernehmen. Aber eben nur für 7 Jahre – und dann wird auch dieser sterben."
„Aber ich will mein Leben, sonst wäre ich nicht hier", krächze ich und halte mich an dem Schlüsselanhänger fest, um durch sein glühendes Metall noch etwas zu spüren können. Etwas anderes als Schwärze, Angst und Taubheit, die durch den Farbverlust mich immer weiter einnehmen wie Säure unter der Haut.
Ihre Antwort ist ernüchternd. „Nicht in der Zukunft."
Es wird immer verrückter, so dass ich wirklich kurz über die Einweisung in eine Nervenanstalt nachdenke. Mit dem momentanen Zustand meines Verstandes und der furchtbaren Wendung meines Schicksals glaube ich, es wäre besser, mich in einer Zwangsjacke zu stecken als freiherum laufen zulassen. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich nicht den oder anderen Katzengott wehtun würde, und das beweist mir, wie verletzt ich bin. Dass ich tatsächlich darüber denke, einem anderen denselben Schmerz zu verpassen, bestürzt mich mehr als die Tatsache, dass ein Katzengott meine Schicksalsfäden lenkt. Schließlich sind es die letzten Jahre meine Eltern gewesen, die dasselbe versucht haben – und sie sind daran gescheitert.
Ein Blinzeln und Räuspern helfen mir dabei, nicht zu rau zu klingen. Mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren als meine zerfallende Seelenwelt. „Seit wann könnt ihr in die Zukunft sehen?"
Sie schüttelt den Kopf, die Ernsthaftigkeit in ihrem Blick und Worte bereitet mir Schwindel. „Nicht wir. Der Nekomata."
Dieser Katzengott bereitet mir immer mehr Unbehagen. Ich kann es nicht fassen. Schon wieder glaubt jemand, sich in mein Leben einmischen zu können – und dann noch eine göttliche Katze! „Was wird in der Zukunft passieren, Sayuri?", frage ich unruhig.
„Das kann ich dir nicht sagen, das ist gegen die Regeln", erklärt sie in einem schmollenden Ton und plustert etwas ihr Fell auf. Ihre Sichelaugen haben diesen flunkernden und intensiven Ausdruck, als würde sie mir so eine geheime Botschaft mitteilen wollen. Ungeduldig stützt sie sich auf meine Brust ab und blickt mich forschend an. Sie kann mir zwar nicht verraten, was in der Zukunft vorfallen wird, allerdings scheut sie auch vor dem nicht zurück. Als...
Es klingelt in mir. „Aber ich kann es verhindern, oder?", teile ich ihr nervös mit.
Sie nickt eifrig, ihre Augen strahlen so auf, dass ich die Sicherheit erhalte, den Strand erreichen zu können. Nicht unterzugehen. „Darum bin ich hier, Saejin. Ich habe gehört, was vorgefallen ist, wenn du und Keisuke... na ja, euch zu nahekommt." Eine seltsame Grimasse schneidet ihr Plüschgesicht. „Genau damit darfst du nicht aufhören."
Deshalb diese Supernova-Momente. Er ist es mal wieder. Er ist der unüberwindliche Schutzwall meiner Selbst. Das feste und schützende Harz meiner Seele. „Mit was?", hake ich genauer nach. Mein Herz hämmert mir so gegen die Brust, dass ich kaum noch Schmerz wahrnehmen kann, als würde die Flamme meiner Gefühle ihn unter ihrem Dampf ersticken.
„Keisuke zu lieben." Sie flüstert es fast und fährt ihre Krallen so aus, dass ich fühlen kann, wie sie sich angespannt in meinem Shirt verfangen.
Mein Herz fängt stockartig zu poltern an, als sich ein eigenartiges Geschwür in meinem Bauch zusammenzieht. Ich soll nicht aufhören damit, Keisuke zu lieben? Mittlerweile habe ich es vergessen, wie es ist, ihn nicht zu lieben – und ich glaube, ich kann das auch nicht mehr. Ihn nicht zu lieben fühlt sich so falsch an, als hätte das Schicksal oder was auch immer es sein mag darüber entschieden, meine Seele und mein Herz für ihn zu bestimmen. Bis zum Untergang der Welt.
„Sag mir etwas schwieriger", betone ich entschlossen.
Ihre Stimme sackt einige Oktaven tiefer, die Angst in ihrem Blick verdreht mir den Magen, weil so habe ich sie nur einmal gesehen. Aber da hat sie um ihr eigenes Leben gefürchtet, nicht um das eines anderen. „Bitte, bleib' bei ihm. Egal, was in naher Zukunft passieren wird. Du musst bei ihm bleiben. Bitte. Ich flehe dich an." Sie ringt mit einem Schluchzen, aber sie kann nicht weinen. Und ich weiß, wie verdammt weh es tut, nicht weinen zu können; den Schmerz auf diese qualvolle Art aushalten zu müssen. Er zerreißt einen förmlich und füllt einen ab wie Gift, das in jeder Vene und jeder Muskel pocht. Das schreckliche daran ist: du kannst ihn nicht betäuben, irgendwann wird er dich betäuben und du wirst vergessen, was ihn eigentlich befürwortet hat. Es wird immer mehr, und irgendwann glaubst du, selbst dafür verantwortlich zu sein. Was leider nicht der Wahrheit entspricht, doch so funktionieren wir alle mit schwachen Herzen. Wir suchen die Schuld bei uns.
Er wird es tun. Meine Augen brennen, als die Welt um mich herum aufhört sich zu drehen und mein Herz schwer wird. Unsagbar schwer. Keisuke ist dabei sein Leben zu riskieren – und meines ebenso. Das flammende Fackeln der Sonne meines Universums wird schwächer, ein düsterer Schatten legt sich darüber wie bei einer heranrückenden Sonnenfinsternis. Mir ist schlagartig kalt, dass ich die Arme um mich schlinge und leicht zu bibbern anfange. Es sollte nicht so wehtun, schließlich befinde ich mich bereits in diesem Kampf zwischen Licht und Dunkelheit und weiß, dass nur eines von beiden gewinnen kann. Wenn Keisuke Toman verlässt, wird sich etwas Dunkles, Gefährliches anbahnen, dass mein Universum in ewige Finsternis tauchen könnte. Doch nun habe ich diese Gewissheit, dass es passieren wird, aber ebenso habe ich den sicheren Zuspruch, es verhindern zu können. Und dadurch nicht nur seines, sondern auch mein Leben retten zu können.
Jetzt weiß ich, dass ich es kann und was ich tun muss.
Plötzlich hört es sich gar nicht schlecht an im Prozess des Sterbens zu sein. Nur so kann ich ihn beschützen. Vor sich selbst und der totalen Sonnenfinsternis.
„Sayuri...", fange ich zu sprechen an und merke selbst, wie schrecklich ich klinge. Als hätte ich einen Sack von Nägeln verschluckt.
Sie sieht mich unsicher an, ihr „Bitte" ist ein zartes und angsterfülltes Wispern. Rasch drückt sie sich mit ihren Pfoten an meiner Brust hoch – bis sie mit ihrer feuchten Nase auf meine Wange stößt. „Bitte, Saejin, zeig mir, was für eine Heldin in dir steckt", sagt sie ermutigend, „zeig mir, dass du dieses Leben mit Keisuke wirklich willst." Dass sie so viel Hoffnung in mir sieht, fühlt sich wirklich wunderschön und kraftvoll an. Es ist nicht nur das warme und hoffnungsvolle Grün ihrer Halbmondaugen, das zurück in den Riss meines Universums sickert – als wäre es nur ein schwarzes Loch gewesen, das nun seine wahre Wirkung offenbart – auch all die anderen warmen und hellen Farben kehren zurück.
Die Sterne erstrahlen in einem Licht aus allen Regenbogenfarben wie kein anderes Mal zuvor. Das ist der wahre Sternenhimmel unseres Univerums. Dort sind sie alle aufzufinden. Die Seelen, die wir lieben und mit unserem Allem beschützen möchten. Wenn einer von uns geht, gibt es diesen nicht mehr. Und wenn es einen von uns nicht mehr gibt, wird es auch den anderen nicht länger geben.
Es gibt nur eine gesamte Seele – und keine Hälfte.
Keisuke ist meine Seelenhälfte. Zweifellos.
Ein warmes Lächeln formt meine Lippen auseinander. Es ist voller Liebe, Aufregung und Mut; sowie meine Gefühle für Keisuke. „Ich werde bei ihm bleiben. Immer. Für den Rest meines Lebens."
Sie beginnt zu schnurren und reibt ihre Stirn gegen meine Wange. Ein eindeutiges Zeichen ihrer Freude. „Dann wirst du es schaffen, Saejin. Ich glaube an dich", sagt sie zufrieden und aufrichtig.
Ich stutze leicht. „Wirst du mir nicht helfen?"
Besorgt schiele ich zu ihr und sehe, dass ihr Gesicht schmerzerfüllt ist. „Ich bin eine Katze", flüstert sie, „und kein Mensch sowie du."
„Na und? Wenn du es von Herzen willst, ist es egal, was oder wer du bist." Meine Hand findet die empfindliche Stelle zwischen ihren Ohren. Achtsam kraule ich sie und lächle sie beruhigend an. „Du kannst alles erreichen, Sayuri, wenn du es unbedingt willst. Auch als Katze."
Ihr Schnurren fühlt sich warm und vertraut an, so als würde sie mich daran teilhaben lassen, wie sie dankbar zu ihrer eigenen Stärke zurückfindet. „Ich hasse es, wie du mir immer mehr Gründe gibst, dich zu mögen. Dabei hast du mir meinen Menschen genommen."
Meine Züge verziehen sich wehmütig. „Ist das wirklich so schlimm?"
Sie blinzelt und drückt ihr feuchtes Näschen in meine zittrige Handinnenfläche. „Wenn es jemand gibt, den ich ihn nach meinem Ableben anvertrauen würde, dann nur dir, Saejin Menschenmädchen. Du liebst noch ehrlich und offen. So wie wir."
„Sag so etwas nicht." Ich schlucke und starre sie wütend an. „Du wirst noch ein langes Leben haben. Bei uns."
Die Glückskatze schmiegt sich so gegen mich, als würde sie versuchen, meine Wärme mit ihrer zu mischen. Als würde ihr diese Bindung zu mir ihr vieles bedeuten, das sie mir nicht sagen kann, aber dafür auf diese Weise zeigen möchte. Wie es Katzen für üblich machen. „Das hört sich gut an. Eure Katze zu sein gefällt mir."
Jetzt kann ich mich nicht zurückhalten, schlinge meine Arme um sie und versinke seufzend mit dem Gesicht in ihrem weichen Fell. Sie duftet so süß, so nach warmer Milch mit Honig und einem Hauch von Hoffnung und Frieden. Oh, und wie ein Plüschtier aus alten Kindheitstagen! „Ich wollte schon immer so eine Katze wie dich", gestehe ich ihr geradeheraus.
Sie kichert. „Du weißt, dass wir es an eurem Puls erkennen, wenn ihr uns anlügt?"
Behutsam drücke ich sie enger an mich, worauf ihr Schnurren so laut und vibrierend wird, dass es mein Herz auf eine wundersame Art berührt und heilt. Das erlebe ich zum ersten Mal. Den unerbittlichen Trost, den sie uns mit ihrer Nähe vermitteln, als könnten sie es fühlen, wie unsere Sicht von Leid und Hoffnungslosigkeit geblendet ist. Mit ihr in meinen Armen empfinde ich keine Angst vor dem, was auf uns zukommen wird. Ich fühle mich mutig und stark genug, um diese letzte Hürde auch noch zu meistern.
Das hat sie bestimmt gefühlt. „Das war keine Lüge", berichte ich ihr so.
Die Glückskatze drückt sanft ihre Wange gegen meine. „Ich weiß, Heulsuse."
In den Wochen als weiße Sanftpfote habe ich vieles über ihre Welt gelernt und wie sie einen einzigen Menschen bis zur Selbstaufgabe lieben können. Mit meinen eigenen Gedanken und Sinnen habe ich mitbekommen, wie sie auf die Seelenwelt eines Menschen wirken und wie ein bloßes Schnurren von ihnen ausreicht, um ihnen Trost und Kraft zu geben. Ihre Anwesenheit ist komplett anders und fühlbarer als die eines Menschen. Als hätten sie wirklich was Magisches an sich. Eine wertvolle und unverdorbene Seelenmagie. Egal, wie kratzig und nervig sie manchmal erscheinen können, wenn einmal ein Mensch sich in ihr zerbrechlich kleines Herz gestohlen hat, werden sie diesen für immer lieben.
Bei mir trifft das auch zu.
Wahrscheinlich habe ich bereits den Verstand verloren, denn der Katzengott liegt in einer Sache richtig: Ich wäre wirklich die geborene Katze.
Ein Katzengott mischt sich also wirklich in mein Schicksal ein. Wäre ich nicht für eine Weile lang eine Katze gewesen, hätte ich das für albernd und einen kompletten Schwachsinn gehalten. Hätte angefangen, hysterisch zu lachen, bis mich Sayuri vermutlich gebissen hätte, damit ich ihr endlich glauben schenken würde. Doch so habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, es hat die Leere in meinem Kopf mit rückstandloser Klarheit versorgt und daran gehindert, sich weiter auszubreiten. Es ist ganz logisch, wieso ich diese Supernova-Momente mit Keisuke habe und wieso ich noch mit Katzen sprechen kann.
Der Nekomata fordert mich heraus.
Er möchte dieselbe Frage ergründen wie ich schon seit Beginn dieser Liebesgeschichte.
Kann die Liebe wirklich jemand retten?
„Hey, Sayuri", flüstere ich vorsichtig, um weder Chifuyu noch sie zu wecken, sollte sie in kurzer Zeit eingeschlafen sein. Zu meiner Erleichterung streckt sie den Kopf leicht hoch und blickt mich verdrossen an.
„Ich dachte, es ist Zeit für ein Nickerchen", schimpft sie mürrisch.
Über ihren aufsässigen Blick muss ich einfach schmunzeln, sie beherrscht den bösen Katzenblick perfekt. „Weiß Peke J davon?" Wenn nicht, wäre es eine gute Idee, ihn einzuweihen. Er könnte nicht nur Keisuke ausspionieren, auch Chifuyu. Sollte sich etwas in ihrer Gang anspannen, würde er es ihm eher erzählen als der Schwarzhaarige. Dafür hätte ich noch Sayuri in der Reserve. Für sie habe ich aber schon eine andere Aufgabe in Sicht. Die Vernetzung der Straßenkatzen untereinander wird mir weiterhelfen können, insbesondere was Gangangelegenheiten betrifft. Die beiden Jungs verheimlichen es mir weiterhin, die Frage ist nur, wie lange noch.
„Jede Katze in Tokio weiß davon", antwortet sie mir nach einer knappen Denkpause und hört sich dabei eigenartig verärgert an. „Es laufen schon Wetten untereinander. Ist ein wenig wie die Olympische Spiele für uns, weil so was nicht alle Tage passiert. Das Leben auf der Straße kann manchmal echt eintönig sein. Möglicherweise wirst du nach deiner Entlassung von der oder anderen Straßenkatze verfolgt und beobachtet."
Erstaunt reiße ich die Augen auf. „Bitte was? Seid ihr alle so... schadenfroh?"
Fragwürdig legt sie den Kopf schräg. „Ich würde es nicht als schadenfroh bezeichnen. Wir sind von Natur aus neugierig, das solltest du dir echt einprägen. Aber ich kann dir versichern: Nachdem, was sie alles über dich gehört haben, stehen die meisten hinter dir."
Wirklich?, hätte ich sie am liebsten gefragt – doch ich habe meine letzten Worte so unbeachtet laut ausgesprochen, dass ich Chifuyu geweckt habe. Sein Schatten richtet sich mit einem Gähnen auf. Auch Sayuri wird auf ihn aufmerksam und vergräbt ihr Gesicht gegen meinen Arm, als glaube sie so, sich tarnen zu können. Dafür ist ihr dreifarbiges Fell viel zu auffällig im Mondschein.
„Oh, du bist endlich wach." Er blickt mich aus verschlafenen Gletscheraugen an und fährt sich durch die blonden Haare, um sie nur noch mehr zu zerzausen. „Mann, du hast uns echt einen Schrecken eingejagt, Saejin", murmelt er schlafgetrunken, ehe er das Katzenplüschtier loslässt und zu mir hinüber schwankt.
„Wieso?", wundere ich mich irritiert.
Er setzt sich neben mich auf die Kante und presst die Lippen zusammen. „Du bist für drei Tage bewusstlos gewesen", erklärt er mir beklommen, „die Ärzte haben uns nicht sagen können, warum. Dein Vater ist fast ausgetickt, und Baji-san..." Er bricht plötzlich ab, sein sorgenerfüllter Blick wendet er zum Fenster.
Mein Herz sticht. Schon wieder ist mein Bewusstsein bei seinen Küssen explodiert, heftiger als beim ersten Mal. „Was ist mit ihm, Fuyu?" Diese Frage auszusprechen kostet mich einiges an Überwindung, weil ich wieder diese furchterregende Angst verspüre, ihn zu verlieren. Die eine Sache, die mich gänzlich von innen vernichten wird.
„Er macht sich Vorwürfe", sagt er leise und seine sanfte Stimme ist hart und eindringlich. Das genaue Gegenteil wie sonst. Die letzten Stunden haben ihn mitgenommen, und das lässt er mich nun bis in das tiefste Mark spüren. „Er hat es mir zwar nicht direkt gesagt." Ein Seufzer und seine Finger krallen sich bebend in meinem Bettlaken fest. „Aber ich glaube, er denkt, dass er der Auslöser für deine Rückfälle ist, weil jedes Mal, wenn er dir zu nahekommt, löst er etwas in dir aus."
Es ist wahr. Keisuke ist der Auslöser für meine Supernova-Momente – aber nur deshalb, weil sich unsere Schicksale ineinander gefädelt haben. Wir beide bestimmen, wie es enden wird. Nicht der Nekomata. Das ist unsere Geschichte. Wir werden sie schreiben und niemand anderes.
„Ist er deshalb nicht hier?", bohre ich weiter nach. Sayuris böser Blick entgeht mir nicht, als ich einen Arm von ihr löse und mit meiner linken Hand nach seiner greife, um sie festzuhalten. Er soll mich wieder ansehen. Wenn er mir schon wehtun will, soll er mir dabei in die Augen schauen. Immerhin ist er kein rückgradloser Feigling.
Er schüttelt überraschend den Kopf und seine Finger geben bei der spürbaren und festen Wärme meiner leicht nach. „Er ist die letzten zwei Nächte bei dir gewesen und hat gewartet. Aber du bist einfach nicht wachgeworden. Dann hat mich dieser Kerl einfach mitten in der Nacht angerufen." Jetzt sieht er mich an und seine Gletscheraugen sind glanzlos vor Traurigkeit. „Ich soll auf dich aufpassen, er müsse nun den Job antreten, den ihn Draken versichert hat. Ich dachte, der verarscht mich und kann mir nicht mal sagen, dass er das einfach nicht aushalten kann." Er holt tief Luft, und mit einem Mal kehrt das friedvolle Sonnenlicht in seinen Gletscher zurück. Ein schwaches Lächeln setzt seine Lippen etwas hoch. „Aber Draken hat es mir bestätigt. Der Kerl hat wirklich einen Job. Und, mann, das kriege ich einfach nicht in den Kopf. Er, Keisuke Baji, und Vernunft? Das passt nicht zusammen, verstehst du, Saejin?"
Worauf will er hinaus? Ahnungslos blicke ich ihn an.
Ich muss echt dämlich reinschauen, wenn er plötzlich so das Lachen anfängt. „Er hat nicht viel, Saejin, aber was er dir maßlos bieten kann, ist, dass er immer sein Bestes versuchen wird, um dich glücklich zu machen."
Sofort glühe ich im ganzen Gesicht auf. „Fuyu, du verwirrst mich. Was möchtest du mir sagen?"
Jetzt blickt er schlagartig ernst drein. „Die Sache mit der Katze macht ihn fertig. Sie ist von einem Tag auf den anderen einfach spurlos verschwunden. Wir können sie nicht finden." Wieder fährt er sich durch die Haare, wie immer, wenn ihm etwas unangenehm ist oder er dabei ist, sich bis zur Selbstaufgabe den Kopf zu zerbrechen. „Du musst wissen, er hat sie bei sich aufgenommen, sich um sie gekümmert. Er hat es kaum ausgehalten, ohne sie zu sein. Auch wenn ihr bei ihm im Zimmer nichts hätte passieren können. Das macht mich echt in den Wahnsinn getrieben, wenn ich versucht habe diesen Irren mal abzulenken. Weshalb ich..." Er braucht einen Moment und beißt sich die Zähne zusammen, als er beobachten kann, wie mir die Farbe aus den Zügen weicht. „Weshalb ich dich darum bitte, sie nicht in seiner Gegenwart zu erwähnen. Kein Wort über sie, kannst du mir das versprechen, Saejin?"
Darüber muss ich nicht überlegen und nicke bekräftigend. Diese Lebensräuberin werde ich sowieso erstmal in die hinterste Ecke drängen, um mich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. „Ist es nur das, oder mehr, Chifuyu?" Vielleicht ist ihm etwas aufgefallen, das mir sowohl als Mensch und Katze entgangen ist.
Er sieht mich nachdenklich an, dann drückt er meine Hand. „Nein, er ist nur etwas in sich gekehrter."
„Wie meinst du das?", kommt es wie aus der Pistole geschossen über meinen Mund.
Mit der freien Hand presst er sich den Nasenrücken zusammen, als würde er sich für seine ehrliche Aussage bestrafen wollen. „Ich weiß nicht, was wirklich in ihm vorgeht. So überhaupt nicht. Sonst habe ich immer irgendetwas geahnt – und meistens richtig geraten. Aber aktuell... Er hat mir nicht mal sagen können, dass er bei Draken nach einem Job nachgefragt hat. Baji-san handelt gerne nach eigener Faust, aber das? Das hätte er mir doch verraten." Seine verletzten Gletscheraugen weichen meiner Fürsorge aus. Fühlt er sich etwa schlecht, weil er glaubt, mir ginge es noch schlimmer als ihm und er darf sich deshalb nicht bei mir auskotzen? Oh, Chifuyu.
„Hey, Fuyu", spreche ich sanft auf ihn ein und warte nicht, bis er mich wieder ansieht. Meine sorgsam gewählten Worte allein werden ihn schon erreichen. „Ich hänge vielleicht an einem Tropf, brauche noch einen Rollstuhl um mich anständig fortzubewegen und bin an ein Krankenbett gefesselt, aber ich bin immer noch deine Freundin. Du kannst mir alles erzählen, was dir auf dem Herzen liegt. Ich bin froh, wenn ich nicht ständig darüber nachdenken muss, wie viele Stunden und Tage ich noch warten muss, bis ich hier rauskomme und endlich wieder was Gescheites zum Kauen bekomme. Ich bin für dich da. Immer."
Ich kann es nur leicht erkennen, wie er etwas lächelt, aber das ist genug für mich. Wird es jedes Mal sein. Ein Lächeln von ihnen ist mehr wert als ein „Danke".
„Ich bin wirklich ein Idiot, Saejin." Sein Blick ist eine malträtierte Maske, während er zu mir zurückblickt. „Ich hatte echt Schiss, dass sich etwas zwischen uns verändern wird."
Es ist nicht einfach, diesem Impuls standzuhalten, ihn über die Wange zu streicheln, wenn er meine Hand so festhält und die andere von Sayuri als Kopfkissen genutzt wird. „Wieso?", kann ich nur handlungsunfähig fragen.
„Wegen Baji-san und dir", antwortet er beschämt und rutscht so weiter vor, dass unsere Gesichter wenige Millimeter voneinander getrennt sind. „Aber ich denke, was sich wirklich verändern wird, das seid ihr zwei."
Seine Nähe fühlt sich komisch an, eine unbehagliche Hitze breitet sich über mich aus. „Oh. Ist das... schlecht?"
„Ganz und gar nicht." Er beugt sich vor... und hinterlässt einen zuckersüßen und federleichten Kuss auf meine Stirn. Ich erstarre ein weiteres Mal bei dieser Art seiner Zuneigung, die sich einfach nicht in das Bild biegt, was ich von ihm habe. Was hat das zu bedeuten? Mein Herz fängt zu rasen an. „Aber ich bin schon neidisch auf ihn", rückt er errötend heraus, nachdem ich ihn bloß schweigend angeschaut habe, „aber gleichzeitig freue ich mich riesig für ihn, dass er endlich seinen inneren Schweinehund besiegt hat, um es dir zu sagen."
„Hatte... er schon viele Freundinnen?" Wenn es jemand gibt, der das weiß, dann er. Und ich fühle mich richtig dämlich, ihm diese Frage zu stellen.
Er lacht. „Baji-san?" Und wieder muss er lachen, so kräftig, dass er den Kopf in den Nacken legt und seine Gletscheraugen aufleuchten wie ein klarer Nachthimmel. „Der hat so viel Unsinn und andere Dinge im Kopf, dass er es nicht mal bemerkt, dass ein Mädchen aus der Klasse auf ihn steht, als sie ihm Schokolade geschenkt hat. Er hat sich höflich bedankt, aber am Ende die Packung mit mir geteilt. Ich werde das Gesicht des Mädchens niemals vergessen, als sie uns dabei erwischt hat. Sie ist so zornig gewesen und hat ihn am nächsten Tag einen Becher voll Wasser ins Gesicht geschüttet, aber, mann, der Idiot hat einfach nicht gecheckt, wieso."
Seine Stimme wird höher, Tränen steigen ihm vor zurückgehaltenem Lacher in die Augen, und ich werde diesen Moment nicht so schnell vergessen. Wie Chifuyu bei gemeinsamen Erinnerungen an Keisuke aufgeht und strahlt, als würde sein Licht von der Sonne in unserem Universum ausgehen. Diese ist wie wir wissen Keisuke. Und ich werde dafür kämpfen, dass er ihn nicht verlieren wird. Denn auch Chifuyu würde zerfallen.
„Also bin ich die erste?", versuche ich es nochmal und kann es nicht fassen, wie ungeduldig ich werde. Wegen so einer Kleinlichkeit!
Chifuyu wischt sich mit der Hand die Tränen weg und nickt. „Das bist du, Saejin", sagt er heiser.
Oh, dafür kann er wirklich echt gut küssen.
„Ich habe hier noch etwas für dich, was ich dir von ihm geben soll." Er kramt in seiner Hosentasche herum und hält mir einen kleinen Zettel hin. „Er hat gemeint, sobald du aufwachst, solltest du den hier lesen – damit du nicht blind durch die Nacht rennst, um ihn zu suchen."
Ertappt beiße ich mir auf die Unterlippe. Er kennt mich zu gut. Um den Zettel ihm abnehmen zu können, muss ich meine Hand von seiner zu befreien, aber das hat er für mich schon übernommen. So kann ich ihn diesen eilig abnehmen und mit verrücktem Herzklopfen auseinanderfalten. Dabei stelle ich mich so ungeschickt an wie ein kleines Kind, das einer dieser besonderen Kaugummis aus einem Automaten gezogen hat. Die, bei denen immer ein Extra wie ein Anhänger oder diese eklig klebenden Schleime dabei gewesen sind.
Es ist nur ein einziger Satz, aber dieser eine Satz brennt sich direkt in mein Herz und zerfetzt meine bösen Gedanken zu rieselndem Pulverschnee.
» Ҡüʂʂҽղ ʂօӀӀ ցҽʂմղժ ʍąçհҽղ, ąӀʂօ Ӏąʂʂ մղʂ ժąʍìէ ղìçհէ ąմƒհöɾҽղ. «ɖɛıŋ Ҡҽìʂմҟҽ.
Seine Schrift ist schrecklich, doch sie nehmen seinen Worten nicht an Kraft und Schönheit. Sie untermalen sie nur nochmal. Der letzte, perfekte Feinschliff seines durchtriebenen Dickkopfs. Er wird mich nicht aufgeben. Nicht so schnell. Noch so viele Supernova-Momente wir erleben werden, noch so oft wie das Schicksal ein Eimer von eiskaltem Wasser auf uns wirft, nichts wird unsere flammende Liebe zerstören können.
Chifuyu gibt ein lautes Grunzen von sich. „Verliebte grinsen echt beschissen."
Er kann gar nicht reagieren, da habe ich ihm ein Kissen gegen den Kopf geschleudert. Geradeso schafft er es, nicht aus dem Bett zu fallen. Zu meinem Bedauern. „Du bist ein richtiger Stimmungskiller, Fuyu", murmle ich mit knallrotem Gesicht und massakriere meine Unterlippe mit meinen Zähnen, „warte ab, bis du dich in meiner Position bist. Dann werde ich dich nochmal an deine Worte erinnern!"
Grinsend hebt er das Kissen auf und richtet es wieder sorgsam hinter mir. „Keine Sorge, so schnell wird das nicht passieren, Saejin." Die Verletzlichkeit in seiner weichen Stimme lässt mich aufhorchen.
„Warum nicht?"
Er wedelt mit der Hand wie um das Thema aus der Luft zu wedeln. „Ich habe nicht so viel Glück wie du denkst."
„Hast du mich aus diesem Grund geküsst? Weil du glaubst, sonst nie ein Mädchen küssen zu können?" Die Worte sind ausgesprochen, ohne dass ich über ihren Nebeneffekt nachgedacht habe. „Chifuyu, entschuldige, dass..."
Er unterbricht mich. „Nein, ich habe es dir schon erklärt." Ein schweres Schlucken, dass seinen harten Ton etwas aufweicht. „Ich habe dich an diesem Abend geküsst, weil du schön bist, Saejin. Ich weiß, das gibt mir nicht das Recht, jemand einfach zu küssen – aber in diesem Augenblick habe ich nicht nachgedacht. Echt nicht. Das war dumm von mir gewesen." Sein Kopf senkend steht er auf. „Es tut mir leid, dass ich deinen ersten Kuss ruiniert habe. Er hätte Baji-san gehört, nicht mir."
Sayuri gibt ein gereiztes Fauchen von sich, als ich mich aufrichte und meinen Freund hektisch am Arm zurückhalte. „Chifuyu", atme ich schwer seinen Namen aus und fixiere das Zittern seiner geballten Faust, „ich muss dir etwas gestehen."
Er sollte es erfahren. Auch wenn es in den vier Wänden eines Krankenhauses sein wird, werde ich das jetzt über mich bringen. Er soll seinen ersten Kuss nicht als etwas Schlechtes sehen, nicht meinetwegen. Das wäre nicht gerecht – aber was ist schon fair, wenn das Schicksal solche falschen Spielchen mit einem treibt?
Der Blonde sieht mich nicht an, aber ich kann es daran erkennen, dass er mir zuhört, weil er still hält und sich leicht zu mir lehnt. Jetzt oder nie.
„Ich bin in dich verliebt gewesen, Chifuyu. Direkt nach unserem Kuss habe ich Gefühle für dich entwickelt." Es schmerzt fürchterlich in meinem Herzen, wenn ich daran denke, wie falsch es von mir gewesen ist, mich diese trügerische Illusion hinzugeben, als wäre es vollkommen in Ordnung, jemand nur zu lieben, weil man glaubt, er würde einen zurücklieben. Tränen sammeln sich in meinen Augen, mit erstickender Stimme rede ich fort, und jedes weitere, ehrliche Wort zieht mein Herz qualvoll zusammen. „Aber es wäre falsch gewesen, weil ich nur so versucht habe, meine wahren Gefühle für Keisuke zu verdrängen." Ich kann kaum noch atmen, dieser Schmerz zwickt und zerrt an mir, als würde er sich von meinen schlechten Gewissen ernähren wie Maden von verdorbenem Fleisch. „Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann bin ich das. Nicht du. Es ist meine Schuld, dass es so weit gekommen ist. Ich und mein verdammtes Herz."
Nach dem letzten Satz dreht er sich zu mir um – und sein wutverzerrtes Gesicht passt nicht zu der Sanftheit seiner Stimme.
„Ich war auch in dich verliebt." Was? Wieso ist er dann so sauer? „Aber Bewunderung und Liebe ist manchmal schwer zu unterscheiden, wenn man beides nicht kennt. Denselben Fehler habe ich auch gemacht. Im Sommer, als wir uns geküsst haben. Da habe ich gedacht, ich wäre in dich verliebt. Doch ich bewundere dich einfach nur, Saejin."
„Du... Du bewunderst mich?", stottere ich perplex und blinzle die Tränen aus der verschwommenen Sicht, aber sie hören nicht so schnell auf.
Er trennt die Distanz zwischen uns, um mir achtsam mit den Daumen die Zeichen meines Schmerzens fortzuwischen. Aber dieser bleibt hartnäckig. „Ja. Genauso wie Baji-san. Aber ich bin noch dabei mich zu verbessern und zu lernen, wie ich meine Bewunderung auf die richtige Art ausdrücken kann." Das bedeuten sie also. Die Stirnküsse dienen lediglich als Anerkennung ohne versteckte Gefühle, nun kann ich sie auch als diese aufnehmen und nicht in Panik ausbrechen. Nun, wo ich ihre wahre Bedeutung kenne und verstehe. „Wir beide haben uns wohl etwas selbstvorgemacht, was?" Als er dieses warme und aufrichtige Grinsen aufsetzt, das die Sonnenstrahlen über seinen Gletscher tänzelnd lässt wie der erste und schöne Frühlingsmorgen eines Jahres, muss ich entzückt aufsehen. Sein Strahlen schmilzt den Schmerz in meiner Brust innerhalb eines leichten Atemzugs fort.
„Du bist mir nicht sauer?", frage ich leise.
„Wieso sollte ich, wenn du dir schon selbst eingestanden hast, dass das nicht richtig gewesen ist?" Es ist gewöhnungsbedürftig für mich, ihn so reif reden zu hören, aber ich mag es, wie er diese heranwachsende Seite von ihm mit mir teilt. „Ich bin sauer auf mich selbst, wenn du es wissen willst."
„Hä? Warum?"
„Weil ich dich zu diesem Geständnis gezwungen habe."
Hastig umfasse ich sein Handgelenk, als er sie aus meinem Gesicht entfernt. „Hast du nicht, Chifuyu. Ich will nicht, dass du so etwas auf Ewig zwischen uns stehen wird. Es ist gut, dass es jetzt raus ist."
Er lächelt schräg und Sanftheit glättet seine wehleidigen Züge. „Das stimmt. Du wirst Baji-san aber nicht von unserem Kuss erzählen, oder?" Bei diesem Gedanken wird er schrecklich blass, als würde er gleich in Ohnmacht fallen.
Verschwörerisch heben sich meine Mundwinkel hoch. „Was glaubst du wird er machen, wenn er das erfährt? Dich verbrennen – oder dich erst in ein Auto stecken, um es gemeinsam mit dir abzufackeln?"
Entsetzt zieht er die Luft ein. „Keines von beidem am besten."
Beruhigend streichle ich ihm über den Handrücken. „Keine Sorge, ich verrate es ihm nicht. Aber irgendwann wäre es gut, wenn wir es ihm sagen."
Er setzt sich zurück an die Bettkante und nimmt meine Hand auf seinen Schoß, um sie festzuhalten. Als könnte er es spüren, dass ich dabei bin, mich erneut aufzulösen. Und diesmal endgültig. „Nicht jetzt, wo ihr endlich zueinander gefunden habt, Saejin. Lass uns warten", beschwichtigt er.
Aber so viel Zeit bleibt mir nicht, um zu warten.
Nicht, um den Zusammenfall unseres Universums zu verhindern.
Ich lasse meinen Kopf gegen seine Schulter fallen und schließe die schweren Lider. Gerade will ich nicht weiter nachdenken. Nur für einen Augenblick alles auszuschalten und in seinem warmen und hoffnungsgebenden Frühling schwelgen. Nur für eine klitzekleine Sekunde glauben, ein normales und junges Mädchen zu sein, das einen Autounfall überlebt hat.
„Ich bin so froh, dich zu haben, Chifuyu", flüstere ich und eigentlich will ich nicht so traurig klingen, aber ich kann mich nicht kontrollieren. Nicht in seiner Gegenwart. Bei ihm habe ich schon immer das Gefühl gehabt, er würde alle Geheimnisse dieser Welt hüten können. Mit seinem Leben. Aber leider kann ich ihm sie alle nicht erzählen, auch so sehr mein Herz danach schreit. Ich kann es nicht. Ich kann ihn nicht mit in diese Dunkelheit ziehen, da gehört er einfach nicht hin. Er ist der Frühling, nicht der Winter.
„Hey, Saejin", erwidert er und scheint das Zittern meines Körpers zu bemerken, weil er mich plötzlich in seine Arme schließt, „alles wird wieder gut. Du wirst wieder gesund, du wirst hier bald wieder herauskommen und dann wird alles so wie früher."
Nein, das wird es niemals mehr sein.
Aber das kann ich ihm unmöglich sagen.
Wird ein Monat ausreichen? Wird meine Liebe genug sein? Oder werde ich dabei zu sehen müssen, wie mein Herz immer mehr zerfallen wird – bis nur noch ein Haufen von kalter Asche übrigbleibt?
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