from the very beginning.
Sayuri sieht zu mir hinab und in ihrem schönen Katzengesicht ist dieser scheußliche Ausdruck, als würde sie in mir meinem Blick all das erkennen, was sie an den Menschen verabscheut.
„Du magst in deinem Inneren ein Mensch sein, Saejin, aber, selbst wenn du deine alte Gestalt hättest, hättest du dagegen nichts ausrichten können. Du kannst die Welt und die Menschen nicht verändern, das kann niemand. So ist das heutzutage nun mal. Die Schwächeren werden getreten, ausgenutzt und schließlich entsorgt. Aber die rücksichtslosen, die, die zu jeder noch so bösen Tat bereit sind, die regieren unsere Welt."
Dann hebt sie ihre Tatze an und schlägt mir mit ausgefahrenen Krallen direkt über die Wange. Es ist ein gedämpfter Schlag, wie mit einem harten Kissen, aber ihre langen Krallen spüre ich noch, die brennenden und zischenden Zeichen, die sie bei ihrem Durchbohren meiner Haut erschaffen haben. Sie hat mich gekratzt, geschlagen. Ich bin ihr nicht mal sauer deshalb. Sie ist emotional geladen, sie hat keine Kontrolle über das, was sie tut.
Ich blinzle, teils verängstigt, teils irritiert, und habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Obwohl ich keinen großen Kraftaufwand hinter mir habe, fühle ich mich komischerweise erschöpft. „Aber ich bin nicht wie die", raune ich und mein rechtes Auge beginnt zu tränen, weil ihre Pranke es nur wenige Zentimeter verfehlt haben muss, dass ich es aus Schutz zu kneife. „Ich werde mich für die Schwachen einsetzen. Genauso wie Keisuke."
Sie knurrt auf, ihre Stimme bebt, aber die Wut darin verdunstet leicht. Macht Platz für ein Gefühl, das ich nicht kenne oder sehe. „Nimm seinen Namen nicht in den Mund!"
Offensichtlich habe ich einen noch wunderen Punkt gefunden. „Warum?"
„Weil er der einzige Mensch gewesen ist, den ich jemals vertraut habe!" Sie stützt sich von mir hinunter und setzt sich so neben mich, dass ich es wieder zwischen den bunten Flecken auf ihren Rücken erblicke. Dieses vierblättrige Kleeblatt aus zwei rotbraunen und schwarzen Punkten, die so groß sind, dass sie ihren kompletten Rücken bedenken. Sayuri hat nicht nur die Farbe einer Glückskatze, sie trägt auch ein Glückssymbol bei sich. Doch so viel Glück hat es ihr selbst wohl noch nie gebracht. Sie gibt ein Geräusch von sich, dass sich wie ein Schniefen anhört, und ihr wild peitschender Schwanz hält still. „Ich habe ihn nicht nur vertraut, ich habe ihn geliebt. Er hat mir das Gefühl gegeben, ein Teil dieser Welt zu sein – und dann kamst du!"
„Wieso? Was habe ich getan?" Es ist merkwürdig, wie ich immer noch diese Schwere auf mir liegen fühle, obwohl Sayuri nicht mehr auf mir ist. Langsam richte ich mich auf, drehe mich zuerst zur Seite und suche mir dann meine Balance auf die vier Pfoten zurück. Ich erwarte, dass sie mich nochmal anschaut, mit demselben Hass wie zuvor, bereite mich darauf vor, diesen mit starrer Kälte zu erwidern, aber sie blickt lediglich geradeaus und zur versifften Matratze.
„Du hast ihn mir weggenommen, als er sich in dich verliebt hat!", sagt sie verbittert im Flüsterton und ihre Nase muss so verstopft sein, dass sie einmal tief einatmen muss. „Ich habe mir immer vorgestellt, er würde mich irgendwann bei sich aufnehmen. Quasi für immer. Mein vorletztes Leben bei ihm, das hat sich perfekt für mich angehört."
Ich nutze ihre kurze Pause, um behutsam auf sie einzugehen. „Wieso geht das nicht mehr?"
„Weil er jetzt dich hat!", fährt sie mich erneut an, nur noch aufgebrachter, steht jedoch elegant auf und tapst auf mich zu. Ihr Schwanz schlägt mit dem heulenden Wind draußen in einem Takt. „Er braucht meinen Trost nicht länger. Glaubst du, er denkt einmal daran, wo ich diesen Herbst bleibe? Nein, sonst hätte er vermutlich sein Fenster offen. Aber das hat er nicht. Und weißt du auch, warum? Deinetwegen. Du bist jetzt seine Katze. Ich habe diese Chance verpasst."
„Aber, wenn ich wieder ein Mensch bin, kannst du es doch wieder sein!", werfe ich ein und lasse mich bei dem verhassten Funkeln ihrer Augen nicht aus der Fassung bringen. Sie kommt mir so nahe, dass nur ein Schritt fehlt und unsere Stirn würden aufeinander knallen. Dieses Mal werde ich es ihr schwieriger machen, mich zu verletzen. Etwas wie ein Schutz hat sich um mein Herz gelegt, der mich daran hindert, albernde Dinge zu tun wie mich umzudrehen und wegzurennen. Aber es bewahrt auch meine Brust davor, aufzureißen.
Ihr Blick ist bohrend, ihre Worte durchschneidend. „Warum bist du dann hier, wenn du wieder ein Mensch sein möchtest?", fragt sie spitz und mein Herz sackt ein, „oder hältst du dein Leben immer noch für miserabel?" Sie ist verletzt, wirklich tief verletzt, dass sie genau weiß, womit sie mich treffen kann.
Doch so schnell gebe ich nicht nach. Vielleicht kann sie mir helfen. „Keisuke wird Toman verraten."
Sie wirkt verwirrt, ihr tiefer Hass stockt. „Warum sollte er das tun? Die Jungs sind seine Familie."
„Das weiß ich eben auch nicht", murmle ich hilflos und presse die Zähne zusammen. „Da ist dieser Kazutora, er hat ihn dazu überredet, sich seiner Gang anzuschließen, um Mikey gemeinsam zu töten."
Ihr Blick verfinstert sie schlagartig. „Das ist deine Schuld, oder? Du hast dich vor ein Auto geworfen, um eine von uns zu retten. Du hättest wegschauen müssen – wie jeder andere! Dann könntest du ihn aufhalten! Wenigstens du!"
Sie ist die erste Katze, die mir deshalb tatsächlich Vorwürfe macht, eines ihres gleichen gerettet zu haben. Für Sayuri gibt es wohl eine klare Linie zwischen ihrer und der Welt der Menschen. Ich habe ihrer Ansicht nach keinen Platz in der ihrer. Auch nicht als Mädchen. Das sollte mich nicht so besorgen – und doch ist da eine weitere Stimme in mir, die ihr zu stimmen muss. Wäre ich nicht eine Katze, könnte ich in dieser Situation deutlich mehr ausrichten. Allerdings wird diese Stimme von dem heftigen Dribbeln meines Herzens übertönt.
„Aber das kann ich doch!", sage ich deshalb stur und meine Stimme zittert wie meine Vorderbeine, meine Worte gehen in ein Flüstern über, „ich muss nur herausfinden, warum."
„Ich weiß es." Ihre Augen sind schwarz vor Wut. „Keisuke ist dabei gewesen, als Kazutora Mikeys Bruder aus Versehen umgebracht hat. Unter den Streunerkatzen erzählt man sich diese Geschichte immer wieder. Als ein Beispiel dafür, wie grausam auch die Menschen untereinander sind."
„Aus Versehen?", ist das einzige, das mir aus meiner verschnürten Kehle entweicht. Ihre Worte dringen sofort durch mich. Kazutora hat wirklich schon einen anderen umgebracht – und Keisuke ist dabei gewesen. Wie ein Mittäter. Mir wird so schnell übel, dass ich glaube, zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn sich ein Haarknoll in der Speiseröhre ansammelt. Ein Sturm weitet sich in mir aus, steigt zu einem alles vernichtenden Tornado fort, der Keisuke und alles, was ich über ihn geglaubt habe zu wissen, mit sich reißt.
Sayuri landet auf ihre Hinterbeine zurück. „Ja. Aus Versehen. Kazutora hat angeblich versucht, Keisuke zu beschützen. Sie haben nicht gewusst, dass es Mikeys Bruder ist. Mikey hasst ihn deshalb und möchte ihn umbringen. Andersherum ist das genauso. Das hat er mir erzählt. Dir etwa nicht?" In ihren Worten verbirgt sich eine provokative Hitze, die mich nicht erreichen kann.
Ich schüttle nur den Kopf. Mir fehlt gerade es an allem, um zu denken oder zu sprechen. Oder zu atmen.
„Aber was willst du jetzt dagegen machen? Als Katze?"
Mein Kinn neigt sich wie mechanisch höher, ich schaue sie ausdruckslos an. Mir graut es nur davor, wenn der Tornado über mich fegt und mir jene wichtige Person wegnimmt, von der ich angenommen habe, alles zu wissen. Jetzt ist mir das Gegenteil bewiesen worden.
„Genau. Nichts. Als Katze kannst du nämlich nichts dagegen machen." Sie sagt es nicht laut und schreit auch nicht. Sie klingt ruhig und gleichgültig. Und das ist das Schlimmste. Wie überzeugt sie ist. „Wir sind dafür verflucht, unsere geliebten Menschen beim Sterben zu zu schauen. Tatenlos. Wie ihr persönlicher Henker."
„Es tut mir leid", würge ich heraus und schwanke ein paar Schritte zurück. Es fühlt sich so an, als hätte mir ein schwarzes Loch die gesamte Luft aus der Lunge gesaugt. Der Sturm zwingt mich auf die Knie, aber ich gebe nicht auf. Nicht Keisuke. Nicht uns. Nicht mein Universum. Noch so allein wie ich sein mag, werde ich diesen Tornado nicht das bekommen lassen, wonach er wie ein Wahnsinniger jagt. Ich kenne die ganze Geschichte nicht, kann den Moment nicht einschätzen, indem sich die beiden befanden, aber zu wissen, dass Kazutora ihn beschützen wollte, das ist wie der letzte Fade, an dem ich mich festhalte, bevor endgültig alles aufreißt.
Sie weicht der Enttäuschung in meinem Blick aus, als könnte sie damit nicht umgehen. „Was tut dir leid?"
Ich sehe sie an, und ihr Gesicht ist unklar und verschwommen. Sie kennt mich nicht, kann nicht erkennen, wie ein neues Feuer in meinem Herzen wütet, aber die Entschlossenheit in meinem Blick entsetzt sie. „Es tut mir leid, dass ich dir dein Zuhause genommen habe. Wenn du willst, kannst du zu ihm gehen. Ich werde hierbleiben."
Sie zieht scharf die Luft ein. „Aber das kannst du nicht machen!"
„Doch! Ich werde einen Weg finden, um Keisuke aufzuhalten. Und wenn ich mich dafür mit Valhalla anlegen muss, ich werde es nicht zulassen, dass ihn jemand bricht! Aber du wirst nicht auf der Straße sterben! Du wirst bei Baji und mir ein schönes Leben haben!"
Ich spüre ihren Blick auf mir liegen, als ich mich umdrehe, aber ich hasse gerade alles, dass ich niemand meinen Zorn aufzwingen möchte. Vor allem hasse ich es, wie ich so über diesen wichtigen Teil von Keisukes Vergangenheit erfahren habe. So unüberlegt, so rasant – wie Kazutoras Tat damals. Der Heldenmechanismus muss ihn gelenkt haben, die unvorstellbare Furcht, einer seiner engsten Freunde zu verlieren. Scheiße, da gibt es nichts gutzumachen. Eine Umarmung wird nicht ausreichen. Ist das der Grund, wieso Keisuke Toman verlässt? Um Kazutora vor der endgültigen Dunkelheit zu retten? Um ihn aufzuhalten? So verwirrt bin ich schon lange nicht mehr gewesen, der Sturm verwandelt sich einen wilden Strudel.
Ein Strudel, der erst wieder zur Ruhe kommen wird, wenn ich die ganze Geschichte kenne. Aber eigentlich will ich das nicht, in alte Vergangenheits Wunden schnuppern, das ist nicht meine Art – nur möchte ich Keisuke vor diesen Fehler bewahren. Möchte ihn schützen, vor seiner eigenen Selbstlosigkeit.
„Saejin, du..." Sayuris Stimme sackt ab, eine panische Angst überflutet sie, aber es ist bereits zu spät. Für uns beide. Ich sehe für einen kurzen Moment einen Schatten aus dem Winkel. Er wird immer größer, schneller – und dann schlingt sich eine dünne Schnur um mein Hals und verengt sich ruckzuck.
„Lass mich los!", krächze ich, doch diesmal überfallen uns keine anderen Katzen. Diesmal sind es Menschen.
Sofort packt mich eine Hand am Nacken und zerrt mich so schnell von den eigenen Füßen, dass ich mich überhaupt nicht wehren kann. Was passiert hier?! Ich höre das wilde Fauchen von Sayuri, wie sie flucht und darum schreit, dass man sie loslässt – aber ich kann ihr nicht mal helfen.
Mich haben sie schon in eine Box gesteckt. Überlistet, überrascht. Wie aus dem Nichts. Mein Herz hämmert vor Angst erfüllt, aber weder der Instinkt einer Katze noch der eines Mädchen lenkt mich. Alles in mir ist wie durch einen Schalter abgekapselt. Ob ich noch atme? Das weiß ich nicht mal – meine ganze Aufmerksamkeit liegt bei Sayuri und ihren unbezwingbaren Kampfgeist.
„Fasst mich nicht an, oder ich werde euch allen die Augen auskratzen!", schreit sie mit aufgestellten Haaren und streckt alle Viere von sich, „ich will nicht sterben! Ich bin noch nicht bereit dafür!" Aber plötzlich packen noch mehr Hände zu und jegliche Kraft ihrerseits scheint nur eine Verschwendung zu sein, denn im nächsten Augenblick ist auch sie in einem Gitterkäfig. Einer, der viel zu klein ist. Nur im Liegen passt sie dort hinein.
Wir werden geschwind hochgehoben, von Menschen mit schwarzen Gesichtsmasken und seltsamen, beigen Kitteln. Sie tragen uns eilig hinaus, zu einem weißen Van mit getönten Scheiben (mehr kann ich nicht erkennen, es passiert viel zu schnell) und stellen uns so unvorsichtig im Lagerraum nebeneinander ab, dass Sayuri sich beinahe überschlägt hätte, hätte ihr eigenes Gewicht sie nicht heruntergestemmt.
Wir sehen uns an, die Köpfe auf den Vorderpfoten gelegt, und der dramatische Warnschlag meines Herzens geht in einen schleichenden Trauermarsch über. Ich schlucke, um den Kloß und die salzige Flüssigkeit in meinem Hals zu bekämpfen, aber der Schock ist lähmend.
„Was sind das für Leute?", piepse ich kleinlaut, obwohl ich die Antwort bereits weiß. Doch richtig realisieren kann und will ich es einfach nicht.
Sayuris Halbmondsichel tragen eine tiefschwarze Endgültigkeit in sich. „Fänger von der Tötungsstation."
Irgendwo in der Tiefe meines Bewusstseins begreife ich die Wehrlosigkeit der Katzen. Zwar haben sie spitze Zähne und Krallen, einen eigenen Kopf und unberechenbaren Willen, aber nichts davon bringt ihnen etwas, wenn der Mensch seine Gewalt anwendet. Ein Mensch kann gegen einen anderen gewinnen, Tiere auch, aber ein Tier gegen einen Menschen endet meistens immer mit demselben Sieger, und es ist nicht das Tier.
Es ist der Mensch.
Schon immer so.
Von Anfang an der Geschichte.
Aber die wahre, unausweichliche Tatsache ist, dass ich in diesem Moment eine Katze bin.
Diese Fahrt ist nicht weitaus mehr als der Aufzug zur Hölle.
Dieser Käfig ist nicht weitaus mehr als mein Grab. Nur ohne meinen Namen auf einen Stein gemeißelt, dafür wird mein Körper mit dem von anderen Katzen verbrannt und ein letztes Mal werden wir gemeinsam als Asche ein letztes Mal diese Welt berühren. Wie Sternenstaub unseren Weg zurück in das Universum bahnen.
Ein letztes Mal kann ich an Keisuke und sein unzähmbares Feuerherz denken.
Und ein letztes Mal denke ich daran, wie ich es nicht aufhalten kann, dass dieses gebrochen wird.
Wahrscheinlich ist es besser so – wenn ich zu einem Sternenmädchen werde. Dann kann ich unbemerkt in eine Supernova aufgehen, sobald sein Feuerherz erlischt. Wir werden zusammen explodieren. Unsere letzte Gemeinsamkeit.
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