Ein bisschen wie betrunken
Dr. Norton hatte gut reden, denn an Schlaf war nicht zu denken. Harry war ein wenig geschwächt und so brachte ich ihn zunächst sicher nach Hause. Niall hatte ich gebeten, erst einmal nach Hause zu fahren, so wollten wir ihm nicht unter die Augen treten, denn wir wussten beide nicht, was wir sagen oder tun sollten. Der Schock saß tief.
"Wo ist Sarah?" fragte er, während wir langsam die Treppen nach oben gingen.
"Sie schläft in ihrem Bett, Zayn und Liam sind bei uns und warten, bis wir wieder da sind", antwortete ich und stockte dann, sah ihn an. "Oh Gott, was sollen wir ihnen nur sagen?!" fragte ich leise.
Harry sah mich an. "Die Wahrheit", sprach er leise. "Früher oder später erfahren sie es eh."
Ich nickte leicht und schluckte, während ich den Schlüssel hervorzog und die Tür aufschloss. Drin war es ruhig, nur der Fernseher war leise zu hören und ich atmete tief durch. Harry blickte fragend zu mir und ich lächelte schwach. "Wenn wir es aussprechen, wird es real", murmelte ich und er legte den Arm um mich und küsste mich sanft.
"Wir schaffen alles zusammen, Lou. Auch das, okay?" flüsterte er und ich nickte leicht, auch wenn ich mich innerlich fühlte, als würde ich jeden Moment zusammenbrechen. In mir tobte Angst und Panik, aber auch Wut. Wut, dass niemand einen richtigen Test gemacht hatte, als er bei unserer Hochzeit einfach so umgefallen war. Wir hatten Zeit verloren, wertvolle Zeit und ich war jetzt schon in Sorge, dass es vielleicht diese verlorene Zeit war, die Schlimmeres passieren lassen würde.
Zayn und Liam sprangen gleichermaßen schnell von der Couch auf, als wir das Wohnzimmer betraten und kamen auf uns zu.
"Wie geht es dir?" fragte Zayn und Harry nickte leicht, ließ sich in die Couchkissen sinken und sah die Beiden an. "Wir müssen mit euch reden", sprach er ganz direkt die Situation an. Es überraschte mich, doch er schien es hinter sich bringen zu wollen.
Die Beiden sahen besorgt zu mir, nickten aber und setzten sich auf die gegenüberliegenden Sessel, während ich mich neben Harry setzte und seine Hände in meine nahm.
"Leider ist es wohl doch ein bisschen schlimmer als gedacht", sagte Harry mit einem aufgesetzten Lächeln und zuckte mit den Schultern.
Zayn runzelte die Stirn. "Was bedeutet 'ein bisschen'?"
Ich schluckte und blickte auf unsere Hände, brachte keinen Ton hervor. Harry seufzte. "Die haben was in meinem Kopf gefunden. Es...einen Tumor. Er wächst", antwortete er Zayn und eine unangenehme Stille machte sich im Raum breit.
Ich blickte auf. In den Gesichtern der Beiden erkannte ich Bestürzung, blanken Schock. Sie starrten Harry an, als hätte er ihnen gerade gesagt, dass Aliens in London gelandet wären und den Buckingham Palace hochgejagt hatten.
"Mein Gott, Harry", murmelte Liam fassungslos und die Beiden standen simultan auf und kamen zu uns, setzten sich links und rechts neben uns, ehe sie uns beide in eine Gruppenumarmung zogen. Es war eine so herzliche Geste, dass ich die Tränen nur sehr schwer zurückhalten konnte.
"Es tut mir so leid, Harry", flüsterte Zayn und schluchzte leise auf.
Für eine Weile hielten wir uns einfach fest, ehe Harry sich löste und tief durchatmete, ehe er sich über die Augen wischte.
"Wie geht es...ich wage es kaum zu fragen, aber...wie geht es jetzt weiter?" fragte Zayn und ich sah zu Harry wieder.
"Morgen machen sie eine Biopsie, dann sehen sie weiter. Chemo vermutlich, eventuell eine OP. Im Moment weiß ich leider genauso viel wie ihr..." antwortete Harry ihm. In seiner Stimme konnte ich Unsicherheit hören, doch wenn er sie hatte, so ließ er es sich nicht anmerken vor den anderen. Ich kannte ihn gut, daher hörte ich es heraus.
"Das ist...ich kann das gar nicht fassen. Das ist wirklich furchtbar, wie geht es dir damit?" Zayn legte die Hand auf seinen Rücken und Harry zwang sich zu lächeln.
"Es ist...ein Schock ja, aber ich schaffe das. Ich habe noch kein Testament geschrieben und habe nicht vor, eins aufzusetzen", scherzte er.
Seine Worte versetzten mir einen Stich und ich stand auf. "Entschuldigt ihr mich einen Moment?" presste ich hervor und verschwand im Badezimmer, schloss hinter mir die Tür und lehnte mich auf das Spülbecken, presste die Kiefer zusammen. Ich wollte vor ihnen nicht weinen, schon gar nicht vor Harry. Noch stand nichts fest. Doch meine Angst überkam mich und so liefen mir die Tränen unaufhaltsam über meine Wangen, tropften auf die Spüle und zogen Spuren bis nach unten in den Abfluss. Ich schluchzte leise, presste die Hand auf meinen Mund und kniff die Augen zusammen.
Das Klopfen an der Tür ignorierte ich, konzentrierte mich darauf, kein Geräusch zu machen.
"Lou?" fragte Zayn leise auf der anderen Seite.
"Ich komme gleich", sagte ich und nahm mir Kosmetiktücher, wischte mir damit das Gesicht trocken und sah in den Spiegel für einen Moment, ehe ich zurück zu den Dreien ging. Harry sah mich an, schien es zu wissen und griff nach meiner Hand, zog mich an sich und legte die Arme um mich. "Kopf hoch, Lou, noch ist nichts sicher", flüsterte er.
Ich nickte leicht und küsste ihn zärtlich, ehe wir Liam und Zayn verabschiedeten. "Sagt bitte Niall nichts, ich rede morgen früh mit ihm", bat Harry, kam zustimmendes Nicken, ehe die zwei mit betrübten Gesichtern unsere Wohnung verließen.
Ich wusste, dass Harry und Niall sich in der letzten Zeit sehr, sehr gut angefreundet hatten. Ich verstand es also, dass er mit ihm reden wollte.
"Gehen wir schlafen?" fragte mich Harry.
Ich nickte, auch wenn ich nicht wusste, wie ich schlafen sollte. "Ich gehe noch einmal nach Sarah sehen", sagte ich, woraufhin er nickte. "Ich komme mit!"
Wir schauten noch einmal nach der Kleinen, die in ihrem Bett selig schlief, ehe wir uns in unser Bett legten und Harry mich fest an sich zog und einen Kuss auf meine Stirn hauchte. "Lou, ich liebe dich über alles, verstehst du?"
Ich nickte. "Das tue ich auch, ich liebe dich auch über alles, mein Engel..." antwortete ich leise und zog die Decke über uns. Wir versuchten zu schlafen, jeder für sich blieb still und hing seinen Gedanken nach, doch es war nicht daran zu denken. Und so lag ich die Nacht wach, geborgen in seinen Armen, den Kopf voller düsterer Gedanken, einer schlimmer wie der andere.
***
Am nächsten Tag brachten wir Sarah in die Kindertagesstätte, bevor wir gemeinsam zum Krankenhaus fuhren, um die Biopsie vornehmen zu lassen. Als Dr. Norton uns erklärte, wie dieser Test ablaufen würde, schlief mir das Gesicht ein. Sie würden Harry narkotisieren, ein Loch in seinen Kopf bohren und dann Gewebeproben nehmen. Ich fing am ganzen Körper an zu zittern, konnte nicht fassen, dass das hier gerade unsere Realität war. Ich wollte aufgeweckt werden, sofort. Doch niemand rüttelte an mir, niemand weckte mich auf und ich musste einsehen, dass das hier kein Traum war.
Ich wartete insgesamt erneut vier Stunden, bis ich endlich wieder zu ihm durfte. Er lag in dem Krankenbett, um seinen Kopf herum ein Verband und er sah mich müde an. "Na, Engel? Wie fühlt es sich an, wenn einem jemand im Kopf herumgräbt?" fragte ich ihn mit einem leisen Lachen, ein kläglicher Versuch, die Situation aufzulockern.
Und Harry, vollgepumpt mit Schmerzmitteln, lachte auf und streckte die Hände nach mir aus. Ich griff danach und setzte mich an die Bettkante, küsste seine Wange. "Wie fühlst du dich?" fragte ich ihn nun leise und deutlich ernster.
"Ein bisschen wie betrunken", murmelte er undeutlich und lächelte mich an, sah mir in die Augen. "Ich liebe dich, Lou."
Lächelnd schüttelte ich den Kopf. "Ich dich auch, Hazza."
"Leg dich zu mir", bat er mich. Ohne zu zögern legte ich mich neben ihn und legte meinen Arm um seinen Oberkörper, zog ihn sanft an mich heran und küsste seinen Nacken. Er seufzte leise auf und schien meine Berührung zu genießen. "Nochmal", wisperte er, also küsste ich erneut seinen Nacken entlang und streichelte ihm über den Bauch.
Er seufzte wieder und in dem Moment öffnete sich die Tür und Dr. Norton betrat den Raum. Ich wurde leicht rot, setzte mich wieder auf und sah ihn entschuldigend an. Er lächelte sanft und winkte ab. "Ist doch schön, wenn Sie beide sich Nähe geben", sagte er und ich nickte lächelnd, während Harry sich ebenfalls langsam aufsetzte und den Arzt ansah.
"Und? Bin ich dem Tode geweiht?" fragte er ihn.
"Haz", mahnte ich ihn und schüttelte leicht den Kopf, sah den Arzt besorgt an, der uns beide mit ernstem Ausdruck musterte.
"Das Gewebe ist leider bösartig, ich will gar nicht um den heißen Brei reden, Mister Styles", sagte er und seufzte. "Wir müssen schnell handeln. Ich habe bereits einen Behandlungsplan erstellt für sie."
In mir brach in diesem Augenblick etwas zusammen. Es fühlte sich an wie ein Hammerschlag mitten ins Gesicht und ich konnte mir nicht vorstellen, wie Harry selbst sich gerade fühlen musste. Es konnte kein schönes Gefühl sein. Seine Hände begangen zu zittern, genau wie meine, und er nickte leicht, sah dem Arzt in die Augen. Er drückte meine Hand und strich mir über den Handrücken, ehe er den Mund öffnete.
"Wenn ich es nicht behandeln lasse, wieviel Zeit bleibt mir dann noch?"
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