Kapitel 73

Der Tag näherte sich seinem Ende, doch die Spekulationen begannen gerade erst. Wir waren alle bereits erschöpft von den Stunden, die wir mit Pläne schmieden, Informationen austauschen und diskutieren verbracht hatten.

Kleine Figuren wurden auf Karten verschiedenen Maßstabes verschoben. Dies war die erste Besprechung, bei der alle wichtigen Generäle von Vaughns Armee anwesend waren. Dementsprechend voll war der Saal und dementsprechend angespannt die Stimmung. Alle wussten, dass es jetzt ernst werden würde.

Und anstatt meine volle Konzentration auf das zu fokussieren, was vor uns lag, liefen in meine Kopf Aryas Worte in Dauerschleife. 'Ich konnte nicht hören wer es war, aber sie sagte: „Sie ist keine Prinzessin. Seit sie 12 ist wurde sie zu einer Kriegerin gemacht, zu einer Waffe, nicht zu einer Königin." Vaughns Antwort darauf stellte noch immer ungewöhnliche Dinge in meinem Kopf an. „Das heißt nicht, dass sie es nicht trotzdem ist."' Ich hielt mich an diesen Worten fest. Seinen Worten und was sie bedeuteten.

„Ich fasse zusammen." Vaughn erhob sich und alle Anwesenden verstummten umgehend. „Die Schiffe sind abfahrbereit, die Gryfe haben trainiert und können nun mit mehr Gewicht fliegen. Die Jungen der Bären sind kurz davor aufzubrechen. Sie haben ihre Anführerinnen bereits gewählt. Das heißt auch die Bären sind bereit zum Aufbruch. Die Armee ist wie immer bestens ausgebildet und auf alles vorbereitet. Von Königin Helena haben wir nichts gehört. Aus ganz Avalea erreichen uns nur sehr wenig Nachrichten. Ebenso verhält es sich mit Königin Morla in Andalesien auf dem anderen Kontinent. König Aurelions Truppen dagegen sind bereit und erwarten uns bereits auf der andren Seite des tückischen Meeres." Sein Blick war kühl und aufmerksam, während er die Anwesenden musterte.

„Prinz Coilin brachte uns eine Antwort auf dein Gesuch, Arabella." Für einen kurzen Augenblick, wurde sein Blick stechend.. „Er hat vier zusätzliche Flotten in See stechen lassen, die uns im Dreieck der Vulkaninseln treffen werden." Laute der Verwunderung und überraschte Ausrufe waren zu hören, während Vaughn mich wissend angrinste. 

„Was hast du noch für Überraschungen auf Lager, Belle?" Ich brauchte einen Moment bis ich erkannte, dass er das nicht laut geäußert hatte. Seine Stimme befand sich nur in meinem Kopf und ein wohliges Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus. 

„Wenn ich es dir sage, ist es keine Überraschung mehr, Vaughn." Der anzügliche Tonfall kam für ihn wohl genauso unerwartet wie für mich. Denn für einen ganz kurzen Augenblick wurden seine Augen dunkler und sein Grinsen anstößig.

Villain räusperte sich neben mir und bereitete unserem kurzen gedanklichen Austausch damit ein jähes Ende. Dachte ich zumindest. Bis Vaughns Stimme in meinem Kopf erneut meinen Herzschlag zum Rasen brachte. „Ich habe es ernst gemeint. Jedes Wort."

Und ich starrte ihn nur an. Wütend, verlegen, aber vor allem war ich erleichtert.

Er. 
Hatte.
Alles.
Gehört.

Jedes Wort, das Arya und ich beim Frühstück gewechselt hatten.

Als der Mond aufgegangen und die Sterne am Himmel zu funkeln begannen, kam endlich etwas Ruhe ins Schloss. Die Gänge leerten sich, nur noch vereinzelt waren Stimmen und Gelächter zu hören. Keno und Okku hatten bereits geschlafen, als ich im Turm angekommen war und ich hatte sie lediglich zugedeckt um dann auf leisen Sohlen das Zimmer zu verlassen.

Sobald ich die Tür aufstieß, funkelten mir Coilins eisblaue Augen entgegen. „Hallo Prinzessin", begrüßte er mich und ich keuchte überrascht, als ich mich in seinen Armen wiederfand. „Hübsches Schlösschen und einen noch hübscheren König hast du dir hier angelacht." Er grinste als er mich losließ und ich ihn fest auf den Arm boxte. Dies ignorierend zog er mich direkt zu einer der gläsernen Karaffen. 

„Gerade wollte ich erwidern, wie schön es ist dich zu sehen, Coilin. Und kaum machst du den Mund auf, ändert sich das auch schon wieder." Jetzt lachte er. Laut und ungehalten.

„Du bist viel cooler als die Arabella aus meinen Erinnerungen. Bei der hatte ich immer ein bisschen Angst, dass sie mich gleich erdolcht, wenn ich ihr den Rücken zudrehe."

„Wähne dich lieber nicht zu früh in Sicherheit, mein Süßer." Spielerisch pikste ich ihm den Zeigefinger gegen den unteren Bereich seiner Wirbelsäule, woraufhin er direkt in den nächsten Lachanfall ausbrach.

„Du bist echt klasse! Wenn du mir jetzt noch ein Plätzchen im Bett deines Königs frei räumst, kann ich wunschlos glücklich von dieser Welt gehen." Ich lief rot an. Die Hitze begann meinen Hals hochzuklettern und sich in meinen Wangen zu sammeln. 

„Coilin", zischte ich, nicht mehr ganz so amüsiert und zog ihn noch weiter von den anderen weg.

„Arabella", echote er in genau derselben Tonlage und fand sich selbst schon wieder so irre witzig, wie es eben nur einem Fae gelang, der etwas zu viel Mondschatten zu sich genommen hatten und von Natur aus von sich selbst mehr als begeistert war.

Ich konnte nur den Kopf schütteln. „Mit dir soll ich es wochenlang ausgehalten haben? Nicht zu fassen."

„Ja, seitdem hat sich einiges geändert." Er wurde wieder ernst. „Ich bin wirklich froh, dass es dir gut geht. Und ich freue mich darauf dich wirklich kennenzulernen." Mir schnürte sich vor Rührung die Kehle zu. Ein fetter Kloß bildete sich, der einfach nicht mehr verschwinden wollte. 

„Ich bin auch froh, dass du hier bist, Coilin."

„Ahhh, hier seit ihr!" Arya quetschte sich zwischen uns und legte jedem von uns einen Arm um die Taille. „Bin ich froh, dass ich euch gefunden habe. Da war diese Fae." Sie wedelte sich Luft zu und seufzte verträumt."

„Sollen wir dir helfen sie zu suchen?", fragte ich sofort und grinste über beide Ohren.

„Ich weiß es nicht! Sie war so schön und ich wusste gar nicht." Sie stoppte und biss sich auf die Unterlippe. „Als wir uns angesehen haben, war da dieser Moment." Sie sah mich an, als sollte mir das was sagen. Und da kam die Erinnerung auch schon.

Zwei kleine Mädchen mit bunten Punkten im Gesicht, die auf einer Lichtung saßen.

„Wie glaubst du ist das so? Verliebt zu sein?" Das war Arya.

„Keinen Schimmer. Schön?", antwortete ich ohne den Blick von den Blüten in meiner Hand zu heben.

„Bevor mein Vater starb, hat er meine Mama immer ganz besonders angesehen. So ähnlich wie wenn wir etwas tolles gemacht haben und er stolz auf uns war. Nur noch mit etwas anders." Ihre Stimme wurde vom Wind in den Wald hinein getragen.

„Wie haben sie sich kennengelernt? Deine Eltern?" Meine Frage war kaum zu verstehen, so leise sprach ich.

„Auf dem Markt. Meine Oma hatte einen Stand und meine Mama hat da geholfen. Sie hat Papa bedient und Mama hat gesagt, dann gab es da diesen einen Moment. Den Moment, in dem sie es wusste." Arya seufzte und begann eine neue Blütenkette zu flechten.

„Du hattest also diesen Moment? Gerade eben?", fragte ich und Arya nickte so enthusiastisch, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor. 

Ich schüttelte den Kopf. „Warum seid ihr beide schon betrunken und ich habe noch immer kein Glas in der Hand?"

„Das lässt sich doch schnell ändern." Ich drehte mich um. Cyrus deutete eine Verbeugung an, die mich einen Moment aus dem Konzept brachte. Die gewohnten Höflichkeitsfloskeln hatten in Calea, eigentlich in ganz Arubien einen deutlich geringeren Stellenwert als in Alejandrien oder Alhambrien.

„Hallo Cyrus", begrüßte ich ihn aufmerksam und nahm das Glas an, das er mir reichte.

„Wir waren überrascht unsere totgeglaubten Soldaten zurückkehren zu sehen." Seine Stimme war neutral, weder freundlich noch respektlos, aber meine Anspannung nahm zu. Ich hatte das Gefühl mich bei ihm entschuldigen zu müssen, dabei wäre das gar nicht gerechtfertigt. Also blieb ich stumm. Beobachtete seine dunklen, braunen Augen dabei wie sie mich beobachteten. Mein Blick glitt über die schwarzen Tätowierungen, die hell hervorstachen und unter seiner dunkelgrünen Weste verschwanden.

„Belle, ich brauche dich." Arya beendete unser immer merkwürdiger werdendes Starren und zog mich davon. 

„Du bist meine Rettung", flüsterte ich ihr zu, sobald wir um eine Ecke gebogen waren und stellte mein Glas ab.

„Immer gerne. Aber ich habe eine Mission für dich. Da, da ist sie. Nicht auffällig hinsehen", zischte sie und schenkte mir ein neues Glas ein. Mein Blick wanderte über Rouven, Oraziel, Caylin und Liora. Wobei ich bei letzterer einen interessanten Blick in unsere Richtung auffing.

„Du meinst Liora", flüsterte ich ganz leise und trank dann einen Schluck.

„Hat sie deinen Blick bemerkt?" Entsetzten machte sich auf ihrer Miene breit, während ich mein Grinsen hinter dem Glas zu verstecken versuchte. 

„Gleich wirst du es bereuen mich immer so aufzuziehen", teilte ich ihr mit und wandte mich an Liora, die hinter Arya zum Stehen kam. „Möchtest du auch noch ein Glas? Arya füllt dir bestimmt nach."

„Gerne", antwortete die Prinzessin und strich sich ihr pechschwarzes Haar hinters Ohr. Als sich der Blick der beiden begegnete, hatte ich so eine Ahnung, dass sie nicht mehr viel Zeit auf der Party verbringen würde. Lioras Augen funkelten in ihrem hellsten Grün und Arya Lippen teilten sich zu einem schüchternen Lächeln.

Ich leerte mein Glas und ging mit zwei neuen Gläsern zurück zu Coilin, der es sich auf einer der Chaiselounge gemütlich gemacht hatte.

„Nachschub?", fragte ich grinsend und ließ mich neben ihm sinken.

„Dich schicken die Götter!" Wir stießen unsere Gläser klirrend aneinander und grinsten uns ans.

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