Kapitel 59
Bei der Besprechung am nächsten Tag war die Stimmung mehr als angespannt. Vaughn und Villain taxierten sich immer wieder. Spott und Missbilligung lag für alle sichtbar auf ihren Gesichtern. Mir blieb nichts anderes übrig, als das Wort zu ergreifen und alle von der Prophezeiung der Hexen zu erzählen. Wir gingen jede Zeile durch, stellten Mutmaßungen an und ließen uns alte Bücher aus der Bibliothek bringen. Villain war in seine eigenen Grübeleien vertieft, wahrscheinlich ging er gerade jedes Buch durch, was er auf seinen Reisen je gelesen hatte. Liora und Caylin studierten eine alte Schriftrolle und als ich zu Vaughn sah, war sein Blick auf mich gerichtet.
Ich widerstand dem Impuls auf das Buch in meinem Schoß zu schauen. Doch als er sich erhob und auf mich zukam, wünschte ich mir, ich hätte ihm doch nachgegeben. Eine seiner Brauen wanderte amüsiert in die Höhe, während ich immer noch unfähig war meinen Blick zu lösen. Vaughn trug ausnahmsweise keine Kampfmontur. Das dunkle Hemd bestand nur aus dünnem Stoff, der sich um seine Muskeln schmiegte und mehr preisgab als verdeckte. Seine Hose saß tief auf den schmalen Hüften und er bewegte sich so geschmeidig und anmutig, dass ich für einen kurzen Moment alles um uns herum vergaß. Sein Gang strotzte vor Selbstbewusstsein, in seinem Blick schimmerte es vielversprechend.
„Sag mal, Prinzessin. Was hast du den Hexen dafür gegeben, dass sie dir die Prophezeiung verraten haben?" Seine Stimme war rau und als er seine Hände rechts und links neben mich auf das Fenstersims stemmte, raste mein Herz. Ich öffnete den Mund um ihm zu antworten, hielt dann aber inne.
„Nichts." Ich funkelte ihn an. „Das funktioniert nur bei Menschen", schob ich wütend hinterher.
„Was denn?" Ein Grinsen umspielte seine vollen Lippen, dessen Perfektion ich jetzt aus nächster Nähe bewundern konnte.
„Das in den Bann ziehen." Ich fuchtelte mit den Händen vor seinem Gesicht herum.
„Sollte man meinen, oder?" Ein heißer Schauer jagte über meinen Körper als ich mich in den dunklen Funken seiner Augen verlor.
„Bella", quietschte Arya und riss mich damit aus Vaughns Bann. Dieser grinste unverhohlen und strich in einer flüchtigen Geste über die Außenseite meines Oberschenkels als er sich zum Gehen wandte. Über den bösen Blick den ich ihm hinterher schickte, lachte er nur leise. Na warte, versprach ich ihm still.
Ich verdrehte die Augen über Aryas verblüfften Blick und gab ihr mit einer kurzen Geste zu verstehen, dass wir darüber nachher sprechen würden. Denn nicht nur Rouven musterte uns neugierig, sondern auch Villain hatte den Blick gehoben und sah mich an.
Liora rettete mich, als sie neben mich trat und nach draußen wies. „Wie lange glaubst du, halten die Blumen eigentlich?" Ich war dankbar über die Ablenkung und folgte ihrem Blick zu dem Berghang. Noch immer schimmerte gelber Mondschatten neben lavendelfarbenen Trompetenblumen und hellblauen Sternblumen.
„Ich weiß es nicht", erwiderte ich und wie immer zauberte mir den Anblick der bunten Blumenwiese ein Lächeln auf die Lippen.
Als die Nacht hereinbrach und keiner von uns mehr logisch denken konnte, zogen wir uns in unsere Räume zurück. Keno lag bereits friedlich schlafend auf einem der Sofas. Ich strich über seinen dunklen Wuschelkopf und fragte mich ob Vaughn früher auch so ausgesehen hatte.
Als ich im Bett lag und mir ein kleines Licht aufleuchten ließ um zu lesen, waren meine Gedanken immer noch bei Vaughn. Der Gedanke, dass ich mehr über ihn wissen wollte, war auf seine ganz eigene Art beängstigend. Aber er war so präsent, dass es mir unmöglich war, ihn zu verdrängen. Ich las die Seite bereits zum vierten Mal, bis ich einsah, dass ich mich nicht würde konzentrieren können. Ich seufzte und erntete sofort ein vorwurfsvolles Blinzeln von Okku.
„Schon gut." Ich hob abwehrend die Hände und löschte grinsend das Licht. Obwohl wir heute nicht weiter gekommen waren, war heute definitiv ein guter Tag.
„Arabella!" Seine Stimme war überall. Ich spürte seine Berührung so deutlich, als wäre sie echt. Er umklammerte meine Handgelenke und hielt mich fest. „Arabella!" Die Stimme verschwamm zu einem einzigen Dröhnen. Alles, woran ich denke konnte, war Flucht. Dann fiel mir ein, dass es keinen Ort für mich gib, an den ich hätte fliehen können. Ich hörte auf mich zu wehren. Nichts was er mir antun könnte, hatte er nicht bereits getan.
Geschlagen öffnete ich die Augen. Ich blickte geradewegs in das Auge eines tosenden Sturms. Leuchtendes Dunkelgrau blitzten mich besorgt an. „Bist du wach, Belle?"
„Was machst du hier?", brach es aus mir heraus. Meine Stimme war rau und mein Hals kratzte unangenehm beim Sprechen.
„Keno hat mich geholt. Er hat gesagt, du kannst nicht aufwachen." Verwirrt schaute ich mich um, doch das Sofa war leer. Es war niemand hier. Mein Blick schnellte zu Vaughn zurück und mir stockte der Atem. Er stand noch immer über mich gebeugt. Sein nackter Oberkörper schimmerte im hereinfallenden Mondlicht. Die Versuchung über seine breiten Schultern, die ausgeprägte Brust oder die festen Bauchmuskeln zu streichen war enorm. Einzig sein Blick hielt mich davon ab. Er beobachtete mich besorgt und noch immer stand eine steile Falte zwischen seinen dunklen Brauen.
„Ich habe nur schlecht geträumt", räumte ich ein und nahm das Glas Wasser, das er mir reichte. Er setzte sich auf die Bettkante und ließ mich nicht aus den Augen. „Wirklich...", begann ich, doch er unterbrach mich.
„Keno hat mir erzählt, dass du fast jede Nacht Alpträume hast."
„Das stimmt nicht", erwiderte ich fest. Ich strich über meine Stirn, die sich kalt und feucht anfühlte. Sein intensiver Blick schien sich in mich einzubrennen. Ich wandte mich unruhig und wollte die Decke höher ziehen. Doch das funktionierte nicht, weil er sich darauf niedergelassen hatte. Ein freches Grinsen umspielte seine Mundwinkel. „Er hat außerdem gesagt, du hättest meinen Namen gesagt."
„Dann wäre es ja kein Wunder, wenn ich Alpträume hätte", spottete ich und er überraschte mich als er daraufhin leise auflachte. Ich funkelte ihn böse an und legte mich dann kurzerhand wieder hin um zu überspielen, welche Farben meine Wangen angenommen haben.
„Wenn ich deinen Namen sage, dann wohl eher in deinen Träumen", nuschelte ich und rückte mein Kissen zurecht.
„Wenn ich es mir recht überlege...", antwortete er neckisch und ich legte eine Hand an meine Wange, damit er nicht bemerkte, wie warm mir bei dem Gedanke wurde. Ich gab mich unbeeindruckt, aber innerlich hatte ich mir schon zehn Backpfeifen verpasst.
„Glaubst du nicht, dass es gut sein kann, dass du Alpträume hast?" Er lag plötzlich neben mir, ebenfalls auf der Seite. Das Gesicht so nah an meinem, dass ich mir einbildete seinen warmen Atem auf meiner Wange zu spüren.
„Doch, es kann sein. Aber ich würde es ja wohl wissen." Ich ärgerte mich über meine lahme Antwort und krallte die Finger noch tiefer in das Kissen.
„Was hat Keno dir über unsere Eltern erzählt?" Ich hob überrascht den Blick. Vaughn sah mich an und es war total komisch. Ein Teil von mir wollte die Beine in die Hand nehmen und laufen. Der andere wollte die Hand ausstrecken und über seine warme Haut streichen. Seine Augen verdunkelten sich. Ich prüfte schnell meine Schilder und schreckte zurück, als ich einen Blick auf mein Innerstes warf.
„Was ist los?" Alarmiert war Vaughn näher gekommen.
„Mein Geist. Es ist ein vollkommenes Chaos." Mühsam versuchte ich Ordnung zu schaffen, aber es war als würden er sich mir widersetzten.
„Lass mich dir helfen", bat Vaughn und sah mich eindringlich an. Ich wusste, dass ich das normalerweise nie zulassen würde. Meine Vernunft riet mir laut kreischend davon ab. Mein Fluchtinstinkt präsentierte mir alle Wege, mit denen ich innerhalb von Augenblicken aus diesem Zimmer verschwinden konnte. Aber ich blieb. Mein Brustkorb hob und senkte sich und Vaughns Blick fiel einen Moment auf das schwarze Spitzennachthemd.
„Okay." Ich musste es nicht aussprechen. Er wusste genau, dass er keine Grenze überschreiten dürfte.
„Lass mich ein", raunte er mir zu und baute sich gleichzeitig über mir auf. Ich presste mein Rücken tiefer in die Matratze. Erinnerungen aus ähnlichen Situationen prasselten auf mich ein. Fae, dessen Namen ich nicht mehr kannte, die sich über mir aufbauten. Hände, dessen Existenz ich vergessen wollte, die über meinen Körper strichen.
Ich hob meine Hände um Vaughn wegzustoßen, doch er drehte uns herum. Ich lag plötzlich in ganzer Länge auf ihm. Ich keuchte und stützte mich hoch. „Du hast die Kontrolle." Vaughns Augen glühten förmlich. Er legte seine Hände auf meine Taille und zog mich ein Stück höher. „Wir können jederzeit aufhören. Konzentrier dich auf mich. Ich räume auf. Nichts anderes, versprochen." Ein Fae Versprechen. Ich spürte den Anflug eines Lächelns auf meinen Lippen.
Dann nickte ich. Meine Hände waren auf seiner Brust aufgestützt und ich spürte die Anspannung seiner Muskeln als er meine Taille losließ und seine Hände rechts und links auf das Bett legte.
„Gut, dann entspann dich", forderte er leise. „Du musst mich einlassen."
„Wie denn?", fragte ich leise und wunderte mich über seinen überraschten Blick.
„Es ist eine bewusste Entscheidung. Du musst wollen, dass ich rein komme." Ich schloss die Augen. Die Wand aus anthrazitfarbenem Stein war unüberwindbar. „Versuch es einfach."
„Komm mit", hauchte ich leise und richtete mich unwillkürlich auf, als er sich unter mir bewegte. Doch nichts tat sich. Ich versuchte es nochmal. Dann noch einmal.
Als ich seine Hand auf meiner spürte, verspannte ich mich zunehmend. „Lenk deine Aufmerksamkeit auf mich." Er führte meine Hand über seine Schulter zu seinem Hals. Ich beugte mich weiter nach vorne und folgte damit seiner Bewegung. Er legte meinen Unterarm neben seinem Kopf ab. Meine andere Hand schien sich wie von allein zu bewegen. Sie wanderte über seine Brust zu seinen Bauchmuskeln, folgten den Umrissen und bemerkten mit Genugtuung die Anspannung die sie hinterließen. Wieder drehte er uns, sodass ich unter ihm lag. Mein Blick fiel auf seinen zusammen gepressten Kiefer. Einem plötzlichen Impuls folgend wanderte meine Hand über seine Wange. Mein Nagel strich über seinen Hals. Eine schmale rote Spur zeichnete meinen Weg. Als er schluckte und sein Kehlkopf sich unter meinen Fingern bewegte, spürte ich die Erschütterung bis in meinen Geist.
„Mach weiter." Er sprach die Worte nicht. Ich hörte seine Stimme in meinem Geist. „Belle, alles gut", versuchte er mich zu besänftigen, aber die Panik war schon ausgelöst. Mein Kopf drohte im Chaos zu versinken, doch dann spürte ich seine Hände an meiner Taille. Wie sie höher wanderten. Er lehnte seine Stirn an meine und ich konnte fühlen, wie schnell sich sein Brustkorb bewegte. Alles, was ich jetzt spürte, war Hitze. Sie brannte in mir und ließ es unmöglich erscheinen ihn nicht zu berühren. Er keuchte, als meine Finger über seinen Rücken fuhren. Der Druck seiner Finger nahm zu, als ich mich ihm entgegen bog.
Noch bevor ich wusste, was ich tat, tasteten meine Lippen nach seinen. Und als sie sie erreicht hatten, fror die Flamme in meinem Inneren für einen Moment ein. Sie schmolz dahin, nur um einen Augenblick später noch höher, noch heller aufzuleuchten.
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