Kapitel 42
Dass ich den nächsten Tag damit verbrachte bewegungsunfähig vor Kopfschmerzen und Übelkeit im Bett zu liegen, entsprach ganz meiner Vorstellung einer angemessenen Bestrafung. Ein gerechter Preis für meine Feigheit. Ich fieberte und halluzinierte von weißen Schneeleoparden und nackten Fae, bevor ich in einen komaartigen Schlaf fiel.
Doch meine Atempause währte nicht lang. Bereits am nächsten Morgen hämmerte es ohrenbetäubend laut an meiner Tür. Runa hetzte mit eiligen Schritten durch mein Zimmer und versuchte Ordnung zu schaffen. Sie war gerade dabei das zerrissene Kleid zu verstecken, als die Tür aufschwang.
„Zieh dich lieber schnell an. Ohne Kleidung soll das Reiten auf Pferden nicht halb so viel Spaß machen." Ich schreckte hoch und zog mir die Decke nicht nur über meinen Körper, sondern auch noch über mein halbes Gesicht. „Und ich an deiner Stelle würde diese schwarze Kriegsbemalung aus meinem Gesicht entfernen." Grinsend ließ Vaughn die Tür in Schloss krachen. Runa zuckte bei meinem bösen Blick entschuldigend mit den Schultern. „Ihr habt gestern nicht den Eindruck gemacht, als wärt ihr in der Lage in eine Badewanne zu steigen."
„Wieso quält er mich nur so?", seufzte ich ohne nachzudenken und prompt bugsierte mich ein Schubs seiner Magie aus dem Bett. Ich umklammerte die Decke nur noch fester. Knurrend lief ich in den Waschraum und kämpfe gegen den Schwindel an. „Ehrlich, ich habe noch nie jemanden gesehen, der nach einer berauschenden Nacht derart im Eimer ist." Verdutzt schaute ich in Runas amüsiertes Gesicht. Und dann musste ich lachen. Derart heftig und derart ehrlich, dass ich danach erst mal einen Moment ertappt innehielt.
Mit einer Hand vor dem Mund drehte ich mich von ihr weg. Es war nicht dasselbe Lachen wie in der Ballnacht. Nicht aufgesetzt oder erzwungen. Ich schämte mich so sehr, dass mir im nächsten Moment die Tränen kamen. Nicht zum ersten Mal in den letzten Wochen dachte ich an Villain und die Frage, wieso er mich einfach hatte gehen lassen, ließ etwas in mir immer weiter zerbröckeln.
Kurze Zeit später bemerkte ich, wie Vaughn mich mit einem merkwürdigen Blick ansah, bevor er aufstieg. Es waren keine andalesischen Stallions, aber die beiden gesattelten Pferde standen ihnen in Pracht und Eleganz kaum nach. Ich bezweifelte, dass sie auch so schnell waren oder so weit springen konnten, dass es einem vorkam als würde man fliegen. Dennoch freute ich mich auf den Ritt so sehr, dass ich mich zwar fragte, was Vaughn damit bezweckte, aber nicht weiter darüber nachdachte.
Wir ritten alleine aus. Ohne Krieger, ohne Leibgarde. Ich bezweifelte, dass sie etwas ausrichten könnten. Im Vergleich zu Vaughns Kräften waren ihre vermutlich kaum eine Erwähnung wert. Meine Stute lief in vertrautem Abstand zu dem dunklen Hengst auf dem er saß. Majestätisch und in so einer natürlichen Ruhe, dass es mir schwerfiel den Blick abzuwenden. Vermutlich ist das sein Ziel, zischte es zynisch in mir. Doch selbst wenn, gerade jetzt, in diesem Moment, kam es mir unbedeutend vor. Was hatte ich schon, was er haben wollen würde. Mein Leben. Wenn überhaupt.
Als ein herunterhängender Ast aus dem nichts auftauchte und mich erwischte, war es mir nicht mehr möglich rechtzeitig auszuweichen. Ich klopfe meine Hose sauber und ging die wenigen Schritte bis zu den Pferden. Sie waren ruhig stehen geblieben und Vaughn schien sich prächtig zu amüsieren.
„Du hast nicht einmal den kleinste Schutzzauber um dich errichtet. Interessant", bemerkte er und ließ sein Pferd schneller werden, ohne darauf zu warten, dass ich aufgestiegen war. Zum Glück blieb die Stute halbwegs geduldig stehen, während ich mich auf ihren Rücken schwang. Rannte dann aber in schnellem Galopp hinter dem Hengst und Vaughn her. Ich bemerkte erstaunt, wie gut sie aufholte, obwohl Vaughn seinen Hengst in rasantem Tempo galoppieren ließ.
„Bist du schon mal so schnell geritten?", fragte er als wir ihn eingeholt und ein gemächliches Tempo eingeschlagen hatten. Mein Kopf schnellte so ruckartig hoch, dass er mir den Blick zuwandte. Eisige Schauer prickelten um mein Herz herum. Die einzige Erklärung für diese Frage war, dass er es wusste.
Er muss davon gehört haben, dass der Stall mit den andalesischen Stallions abgebrannt war und erfreute sich jetzt an dem Leid, dass ich vermutlich bei der indirekten Erwähnung dessen verbinde. Doch ich würde ihm den Gefallen nicht tun. Ich war fest überzeugt, diesen Ritt zu genießen. Das Gefühl der Freiheit, sei es noch so täuschend.
Dieser Moment war mit Abstand der schönste in den vergangenen Monaten. Ich legte meine Hand auf den warmen Hals der Stute. Nein, das hier würde ich mir nicht vermiesen lassen. Dieser Moment gehörte mir. Und ich war verdammt froh, dass er mir nicht ansehen konnte, was für einen Gefallen er mir getan hatte.
Den Rest des Ausrittes brachten wir in einem Schweigen zu, das man fast als einvernehmlich bezeichnen könnte. Wir musterten uns abwechselnd mit einem abschätzigen Blick. Ich musste einigen weiteren tief hängenden Ästen ausweichen, die aus dem Nichts zu kommen schienen. Sein Hengst hatte ihn einmal fast buckelnd abgeworfen, als meine Stute seinem Hinterteil mit ihren Zähnen zu nah kam. Und ich hatte mir nicht die Mühe gemacht meine amüsierten Ausdruck zu verbergen, als er sich stirnrunzelnd umgesehen hatte.
Als wir wieder im Schloss ankamen hatte sich etwas verändert. Die Luft war aufgeladen mit etwas, was ich nicht benennen konnte. Und mein Gefühl sagte mir, dass ich das auch nicht wollte. Vaughn war verschwunden, sobald er einen Blick auf die Wache geworfen hatte, die uns entgegen kam.
Keno wartete in meinem Zimmer und spielte mit Okku Ball, als ich eintrat. „Und wie wars?", fragte er grinsend und hüpfte fast von einem Fuß auf den anderen.
„Du bist ja aufgedreht", stellte ich fest, statt seine Frage zu beantworten.
„Ja." Er nickte bestätigend und das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht.
„Es ist zwar noch nicht so spät, aber wenn du magst kann ich Runa trotzdem bitten uns eine heißes Getränk zu bringen? Dann lesen wir heute mal etwas länger?", schlug ich vor und hoffte, dass seine Stimmung sich schnell wieder besserte.
„Okay." mit einer flinken Bewegung sprang er von der Chaiselounge und machte es sich auf dem Bett gemütlich. Ich gab unseren Wunsch an Runa weiter und setzte mich dann neben ihn ans Kopfteil. Vom Nachttisch nahm ich das Buch, was wir gerade lasen. Es waren Kurzgeschichten, die von Fae, Drachen, riesigen Bären, Prinzen und Prinzessinnen handelten. Keno liebte die Geschichten und auch wenn ich es nicht unbedingt zugeben würde, waren die Geschichten so besonders geschrieben, so voller Magie, Hoffnung und erfüllten Wünschen, dass man sie einfach mögen musste.
Wir hatten unsere Getränke fast geleert, als ein durchdringendes Dröhnen den ganzen Turm erzittern ließ. Keno umklammerte Okku, der es sich bei unseren Füßen gemütlich gemacht hatte und jetzt alarmiert aufgesprungen war. Es dauerte nur Augenblicke bis Runa die Tür aufriss. „Ihr müsst mitkommen! Alle versammeln sich im Thronsaal." Sie griff meinen Arm als ich nicht reagierte und zog mich hinter sich her. Keno und Okku blieben zurück und das seltsame Gefühl begann mich zu ersticken.
Alle. Wirklich alle würden sich im Thronsaal versammeln.
Mit jeder weiteren Ecke um die wir bogen, füllten sich die Gänge. Niedere Fae mischten sich unter adelige Fae. In jedem Gesicht stand dieselbe Frage. Aus jeder Geste war dasselbe Maß an Ungewissheit zu lesen. Erst als wir den Thronsaal betraten und fast sofort stehen bleiben mussten, weil der gesamte Saal schon voll war, begegnete ich einem Blick der absolut keine Unsicherheit ausstrahle.
Ich war vollkommen überwältigt von den ganzen Fae, die sich hier versammelt hatten. Einige besonders eitle trugen selbst hier ihre mit Gold und Diamanten verzierten Handspiegel. Sie mussten auch hier im Schloss leben und mir vorher einfach entgangen sein. Insgesamt schienen es mehr als vierhundert zu sein. Das Schloss schien viel größer zu sein, als es von außen den Anschein vermittelte. Oder ein Teil von ihm ist verbogen in den Berg gebaut.
„Uns haben Neuigkeiten erreicht. Aus dem Land des Frühlingshofs. Der dunkle König sammelt seine Truppen. Er bereitet sich auf einen Krieg vor." Sobald ihr König die Stimme erhob, erstarb jegliches Gemurmel und fragendes Getuschel. Vereinzelt war erschrockenes Keuchen oder wütendes Schnauben zu hören. Gebannt warteten sie darauf, dass er fortfuhr.
„Viele von Euch haben bereits von den Gerüchten gehört. Bisher fehlt uns aber eine Bestätigung dessen. Wir wissen nicht, ob es ihm gelungen ist, der schwarzen Magie vollständig Herr zu werden. Ich habe bereits meine besten Krieger darauf angesetzt, ebendies heraus zu finden." Eine königliche Aura umgab ihn wie ich es bisher noch nie erlebt habe. Sie trug seine Stimme zu jedem einzelnen Fae, verlieh ihr eine nahezu unermessliche Kraft.
Neben ihm standen Heela und Mina. Beide mit so einem ernsten Gesichtsausdruck, dass mir mulmig wird. Von Rouven und Oraziel fehlte jede Spur. „Ihr kennt unsere Armee. Es ist die beste im ganzen Reich der Fae. Es ist die tapferste, die es je gegeben hat. Es ist die tapferste, die es je geben wird." Applaus brannte auf.
„Zu Ehren dieser Armee geben wir in der Nacht in der die Sterne fallen ein Fest. Ein Fest, wie es die Sonne und der Mond schon lange nicht mehr gesehen haben. Wir werden unter den Sternen tanzen, den kühlen Wind auf unserer Haut genießen und unsere Magie fließen lassen!" Jubel und Aufregung erfasste jeden Winkel des Saals. Die Fae rasteten förmlich aus vor Begeisterung.
„Meine Magie ist für unseren König höchstpersönlich", verkündete eine Fae mit rosafarbenen Haaren neben mir und zwinkerte anzüglich. Ich konnte ihren amüsierten Blick nicht erwidern. Viel zu sehr war ich von dem Gedanken gelähmt, dass mein Vater mit einer Armee in den Krieg zog.
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Das ist doch ein würdiges Ende für das Kapitel, oder?😅❤️
Wie hat der Leseabend euch gefallen und soll ich Freitag nochmal einen machen?
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