Kapitel 98

Louis P.o.v

Harry ging es nicht gut. Das konnte ich klar und deutlich erkennen. Doch das würde er natürlich niemals zugeben. Er wollte stark sein, er wollte so wirken, als könnte er alles schaffen. Und ich war auch davon überzeugt, dass Harry alles schaffen konnte, aber dafür brauchte er mich. Ich musste ihn daran erinnern, auf seinen Körper zu hören. Immer wieder stellte ich ihm ein Glas Wasser hin, denn ohne das, würde er definitiv nicht daran denken, was zu trinken. Ich bestellte uns Essen, damit wir während unseren langen Arbeitstagen nicht verhungerten. Die ganze Woche über kamen wir meist erst kurz vor Mitternacht aus dem Büro. Am Morgen ging es dann bereits um sechs Uhr wieder los, also hätten wir genau so gut im Büro schlafen können. Ich gab mir wirklich mühe, meine Arbeit so schnell wie nur möglich zu erledigen, und ihn dabei nur in dringenden Fällen zu stören. Ich wollte ihm nicht noch mehr Arbeit machen, nur weil ich nicht wusste, wie was ging oder wo ich etwas fand. Also griff ich ab und zu auf die Leiter der Abteilungen zurück, in der Hoffnung, die könnten mir helfen. Somit liess ich Harry seine Ruhe.

«Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?!», riss mich eine Stimme aus den Gedanken. Erschrocken zuckte ich zusammen und sah den Mann an, der gerade aus dem Aufzug gestürmt kam. Schnell stand ich auf und versperrte ihm den Weg zu Harrys Büro.

«Wer sind Sie?», fragte ich und hielt den Mann mittleren Alters an der Brust auf Abstand. Dieser aber schubste mich direkt von sich, wobei ich gegen Harrys Tür knallte.

«Sie verklagen mich?! Was erlauben Sie sich eigentlich? Sie haben keinen Grund dazu, mich auf irgendeine Art und weise anzuklagen!», schrie er mich an und schlug mir ein Blatt Papier gegen die Brust. Innerlich zitterte ich vor Angst, denn ich hatte keine Ahnung, wer dieser Typ war und wozu er im Stande war. Äusserlich zeigte ich das natürlich nicht, sondern rappelte mich wieder auf und schlug ihm sein blödes Blatt wieder zurück. Ich wollte schon anfangen, zurückzuschreien, als die Tür hinter mir mit Schwung aufgezogen wurde.

«Was zur Hölle ist hier draussen los?!», unterbrach Harry das Geschrei, des Mannes.

«Du! Du ekelhafte Schwuchtel! Was soll das hier?!», schrie der Mann nun ihn an und warf ihm seinen Zettel entgegen. Harry liess sich davon nicht beeindrucken und liess den Zettel einfach an sich abprallen, als er einen Schritt näher an den Mann trat. Die Art, wie er mit Harry sprach, liess mich vermuten, dass er der Autor des Zeitungsberichts war. Dass Harry ihm seinen Anwalt aufgehalst hatte, war mir bewusst, doch im ersten Moment hatte ich gar nicht daran gedacht, dass es der Typ sein könnte.

«Sie verschwinden besser ganz schnell aus meinem Gebäude, bevor ich die Polizei rufe.», meinte Harry ruhig aber mit bedrohlichem Ton. Sein Blick war von Oben auf den Mann hinab gerichtet.

«Du kannst mich nicht verklagen!», schrie dieser jedoch weiter auf ihn ein. «Ich habe nichts als die Wahrheit geschrieben!» Harry liess sich von dem Typen nicht beirren, starrte schweigend weiterhin auf ihn hinab, während dieser ihm Beleidigungen an den Kopf warf. Ich war beeindruckt von Harrys starkem Auftreten. Ich an seiner Stelle wäre schon lange an dem ganzen Druck zerbrochen, da hätte ich es nicht mal geschafft, hier raus zu kommen, um mich dem Arschloch zu stellen. Er blieb so lange ruhig, bis sein Gegenüber nichts mehr zu sagen, oder besser gesagt zu schreien, hatte. Erst dann richtete er sich nochmal etwas auf und ging einen Schritt näher an ihn heran.

«Jetzt hör mir mal gut zu, du rückgratloses Wiesel. Ich gebe dir fünf Sekunden, um dich umzudrehen, in diesen Aufzug zu steigen und dich zurück in dein Loch zu verkriechen. Ich an deiner Stelle würde dieses Angebot schnellstmöglich in Betracht ziehen, denn ich würde keine zweite Klage am Hals haben wollten.», sagte er ruhig. Er legte eine kurze Pause ein, ehe er kurz in meine Richtung sah, dann aber schnell wieder zurück zu seinem Gegenüber. «Also, fünf Sekunden, dann ruft mein heisser Assistent die Polizei. Fünf... Vier... Drei...», weiter musste Harry gar nicht zählen, bevor dieser Pisser sein Blatt vom Boden aufhob und schnellen Schrittes zum Aufzug rannte. Harry behielt seine Pose noch bei, bis die Türen des Aufzugs sich schlossen, dann kam er auf mich zu, schlang seine Arme um meine Hüfte und zog mich zu einem innigen Kuss heran. Es war der längste Kuss, den wir die ganze Woche hatten. Bisher waren wir beide einfach immer zu beschäftigt und abends nach der Arbeit zu erschöpft. Wir liessen uns nur ins Bett fallen, gaben einander einen kurzen Gute Nacht Kuss und dann drehten wir uns um und schliefen. Deshalb genoss ich diesen Kuss so sehr, wie schon lange nicht mehr. Er war voller Gefühle. Ich spürte, dass Harry das hier mehr denn je brauchte. Er brauchte meine Nähe und Zuneigung und die würde ich ihm auch geben. Meine Arme schlangen sich um seinen Nacken und hielten ihn nahe bei mir, um den Kuss so lange wie nur möglich anzuhalten. Nicht nur Harry brauchte das, sondern auch ich. Ich vermisste unsere Zärtlichkeiten, unsere Liebe... Mir war klar, dass das alles nicht verloren war, wir waren nur beide sehr gestresst und hatten daher keine Zeit oder Kraft mehr, all das aufzubringen. Doch ich war mir sicher, dass sich das alles bald wieder ändern würde. Spätestens wenn Liam aus seinem Urlaub zurückkehren würde.

Widerwillig lösten wir uns wieder voneinander. Bestimmt fünf Minuten hatten wir uns nun geküsst, doch wir mussten zurück an die Arbeit. Es war noch so viel zu tun.

«Ich liebe dich, Lou. Bitte vergiss das nicht.», hauchte er mir entgegen. Ich konnte sehen, wie er versuchte, einige Tränchen wegzublinzeln. Es brach mir das Herz, ihn so zu sehen. Da spürte ich direkt, wie sich auch mir die Kehle zu schnürte und mir die Tränen in die Augen stiegen.

«Ich liebe dich auch, Hazza. So sehr.», gab ich zurück, zog ihn nochmal zu einem Kuss heran. Diesmal leider nur ein ganz kurzer und doch steckte darin so viel Emotion. Seufzend drehte Harry sich wieder um und lief zurück in sein Büro. Ich folgte ihm, da ich nachschauen wollte, ob seine Wasserflasche leer war. Leider war sie nicht mal zur Hälfte leer, weshalb ich sein Glas wieder auffüllte und es ihm direkt entgegenstreckte. Erst als er es ausgetrunken hatte und ich wieder nachgefüllt hatte, verliess ich sein Büro wieder und ging meiner Arbeit nach.

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