Kapitel 5

Ich versuchte, die Gläser wieder still zu halten, so dass die Flüssigkeit darin aufhörte gegen den Rand zu schwappen. Als ich mir sicher war, dass ich nichts verschütten würde, sah ich hoch und direkt in zwei schokoladebraune Augen.

„Hey, kein Problem. Ist ja nichts weiter passiert.", lächelte er und fuhr sich durch die braunen Haare, wobei mir das Rosentattoo auf seinem Handrücken auffiel. Ohne weitere Worte, nickte er mir nochmal zu und lief dann weiter. Ich seufzte und sah auf die Gläser in meiner Hand, dann erst nach Links und Rechts, bevor ich nochmal einen Anlauf nahm und es diesmal tatsächlich ohne jemanden anzurempeln zu Lottie zurück schaffte. Die Drinks stellte ich auf den kleinen Tisch und setzte mich dann ebenfalls auf das weiche Polster. Für einen Moment schwiegen wir, lauschten einfach der lauten Musik. Ich wusste, dass Lottie über meine Jobsituation reden wollte. Doch darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Genau das wollte ich heute Abend eigentlich ausblenden. Vergessen, was für ein Loser ich doch war. Ich spürte ihren Blick auf mir, welchen ich erwiderte, als ich nach meinem Drink griff und einen grossen Schluck daraus nahm. Gerade wollte sie ansetzen zu sprechen, als ich sie unterbrach.

„Und wie läuft das Geschäft?", schnitt ich ihr das Wort ab. Genau wissend, dass ich das mit Absicht gemacht hatte, grinste sie und schüttelte leicht den Kopf.

„Sehr gut. Ich versinke fast schon in Aufträgen. Aber ich liebe es!", strahlte sie und fing an mir alles zu erzählen, was sie zur Zeit erarbeitete. Sie schien wirklich sehr viel Spass zu haben und das obwohl sie eigentlich Nonstop arbeitete. Morgens stand sie um 6 Uhr auf und fuhr ins Büro. Wenn sie nicht dort war, war sie auf einer Baustelle und sorgte dafür, dass ihre Pläne richtig ausgeführt wurden oder packte gar selbst mit an. Abends kam sie dann meistens erst gegen 22 Uhr nach Hause. Essen tat sie normalerweise mit ihrem Team auf Geschäftskosten. Trotz all dem Stress redete sie voller Freude und Begeisterung von ihrem Job. Wenn ich doch auch so eine Leidenschaft für etwas haben könnte... Dann wäre das Ganze mit meiner Jobsuche auch nicht so ein Desaster! Gespannt hörte ich Ihr zu und nippte immer mal wieder an meinem Drink, doch auch sie hatte irgendwann alles erzählt und kam dann doch noch auf das Thema zurück, das ich versuchte zu verdrängen.

„Also, was willst du hier jetzt machen?", fragte sie nach einer kurzen Pause, in der auch sie mal an ihrem Drink nippte. Seufzend wandte ich den Blick ab. Warum musste man denn immer über solche Sachen sprechen? Konnte ich nicht erstmal ankommen und etwas abschalten? Mum meinte doch, ich solle eine Auszeit nehmen, warum konnte ich das denn nicht auch genau so machen? Eine Auszeit, einfach mal entspannen und runterfahren. Mich selbst finden, wie es meine Mum so schön formuliert hatte. Also entschied ich mich, ihre Frage einfach absichtlich falsch zu verstehen.

„Also jetzt gerade will ich eine rauchen gehen.", grinste ich und erhob mich von meinem Platz. Die Augen verdrehend schüttelte Lottie den Kopf und winkte mich mit einer leichten Handbewegung fort. Hoffentlich war das für heute ihr einziger Versuch, mich auf meine Situation anzusprechen. Etwas verloren sah ich mich kurz um. Ich hatte total die Orientierung verloren, als Lottie mich durch die Menge gezogen hatte. Meine Grösse machte es mir dabei nicht einfacher, über die Menschenmenge hinauszusehen, um den Ausgang zu finden. Auf Zehenspitzen sah ich mich um, bis ich das Schild auf welchem „Exit" stand, entdeckte. Zielsicher lief ich darauf zu und drückte mich zwischen den schwitzenden Menschen hindurch, bis ich bei der Tür ankam und an die frische Luft trat. Seufzend lehnte ich mich gegen die Wand und steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Mit den Händen suchte ich all meine Hosen- und Jackentaschen nach einem Feuerzeug ab, fand aber keines.

„Feuer?", hörte ich eine Stimme neben mir und ich hob meinen Kopf an. Erneut sah ich in die braunen Augen, in welche ich noch vor knapp einer Stunde geschaut hatte. Er lächelte mich freundlich an und hielt mir ein Feuerzeug entgegen.

„Danke", murmelte ich, darauf bedacht, dass mir die Zigarette nicht aus den Lippen fiel. Ich nahm ihm das Feuerzeug ab und zündete meine Zigarette an, bevor ich es ihm zurückgab.

„Neu in der Stadt?", fing er eine Konversation an. Nickend starrte ich ein Loch in die Luft vor mir und nahm einen Zug von meiner Zigarette. „Dachte ich mir schon, dein Akzent ist ziemlich stark.", grinste er und meine Lippen verzogen sich automatisch zu einem kleinen Lächeln. Ich wusste, dass man mir meine Wurzeln anhörte, doch das störte mich keines Wegs. Ich war stolz auf meine Heimat.

„Ich bin aus Doncaster.", erklärte ich und mein Gegenüber nickte. „Louis.", stellte ich mich einfach vor und streckte ihm meine Hand entgegen. Ich wusste nicht wieso ich das tat. Normalerweise scherte ich mich nicht darum, neue Freunde zu finden. Doch dieser Typ schien ganz nett zu sein und wenn ich ehrlich war, sah er auch gar nicht so schlecht aus.

„Liam.", stellte auch er sich vor und schüttelte meine Hand kurz, ehe er sich neben mich an die Wand lehnte. „Was führt dich nach London?", fragte Liam nach einer kurzen Schweigepause.

„Lange Geschichte... Ich will ehrlichgesagt nicht darüber reden. Ich bin erst heute angekommen und hab mir fest vorgenommen das alles für heute erstmal zu verdrängen und nur abzuschalten. Spass zu haben.", erklärte ich. Liam nickte verstehend und schnipste den Stummel seiner Zigarette weg.

„Dann bist du hier richtig. Wir sehen uns bestimmt drinnen nochmal.", grinste er und verschwand wieder durch die Tür. Ich nickte und starrte weiterhin Löcher in die Luft während ich fertig rauchte. Meine Schwester wollte ich ja auch nicht zu lange warten lassen, also ging ich schnell wieder rein und bahnte mir meinen Weg zu ihr zurück. Anders als erwartet, sass sie aber nicht mehr am Tisch, sondern befand sich einige Meter weiter weg auf der Tanzfläche. Als sie mich entdeckte, hielt sie ihr Glas in die Höhe und winkte mich strahlend zu sich. Schmunzelnd ging ich zu ihr rüber und sie zog mich an ihre Seite. Erst jetzt fiel mir auf, dass Liam direkt vor ihr stand und sie schüchtern anlächelte.

„Liam, das ist L-", wollte sie mich gerade vorstellen, doch er fiel ihr ins Wort.

„Louis. Wir haben uns grad draussen kennengelernt.", lächelte Liam. „Lottie und ich wohnen im selben Block.", erklärte Liam mir dann. Was für ein Zufall. Aus all den Leuten die in London lebten, traf ich ausgerechnet auf einen, der im selben Block wie meine Schwester wohnte. Dann musste das wohl Schicksal sein. Ich sollte mich mit Liam anfreunden, so wollte es das Leben wohl. Gott, ich klang schon wie meine Mutter!

„Ich hol mir nochmal was zu trinken.", meinte ich und hauchte meiner Schwester einen Kuss auf die Wange, bevor ich zur Bar rüber ging.


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