Kapitel 3




Seufzend liess ich die Schultern hängen. „Ja.", gab ich zu.

„Ach, Boo...", seufzte meine Mutter und nahm mich in den Arm. Mit den Rosen in der einen Hand legte ich die Arme um sie. „Komm, wir gehen rein und ich mach dir einen Tee.", meinte meine Mum, als sie sich von mir löste. Die Blumen nahm sie mir dankend aus der Hand und stellte sie als erstes in eine Vase. Ich liess mich einfach auf denselben Stuhl wie heute Morgen am Esstisch fallen und sah zu, wie meine Mum den Wasserkocher aufsetzte. Da sie bereits wusste, welches mein Lieblingstee war, musste sie mich gar nicht erst fragen und hängte den Teebeutel in meine Lieblingstasse. Das kochende Wasser goss sie in die beiden Tassen und stellte mir meine vor die Nase.

„Muss ich überhaupt fragen wieso?", fragte sie, wissend, dass es meine kindische Art war, die mich mal wieder den Job gekostet hatte. Ich seufzte und sah auf die Tasse in meiner Hand. Die rote Telefonzelle darauf hatte ihre Farbe schon etwas verloren, die Zeit auf der Uhr des Big Ben, war nicht mehr zu erkennen. Trotzdem war es noch meine Lieblingstasse. Sie erinnerte mich an meine grosse Schwester Lottie, die seit einigen Jahren in London lebte. Sie war mit 18 für ihr Studium weggezogen, seither arbeitete sie erfolgreich als Innenarchitektin. Die Tasse hatte ich gekauft, als ich sie das erste Mal besucht hatte.

„Vielleicht solltest du dir einfach mal eine Auszeit nehmen. Dich selbst mal finden.", brach meine Mutter das Schweigen. Ich sah von meiner Tasse auf und versuchte aus ihrem Gesicht herauszulesen, was sie damit meinte. Mich selbst finden? Ich brauchte nur in den Spiegel schauen, da war ich doch.

„Ich will jetzt einfach nur in mein Zimmer." Murmelte ich. Ich hatte gar keine Lust, irgendwas zu besprechen oder mich zu suchen. Lieber wollte ich jetzt einfach alleine sein und nicht darüber nachdenken, dass ich schon wieder einen Job verloren hatte. Ich wusste, dass ich selbst schuld war. Dass ich erwachsen werden sollte. Aber wollte ich das denn auch? Ich hatte keine Lust, so ein spiessiger Kerl mit Stock im Arsch zu werden. Doch irgendwas musste sich doch ändern. Ich konnte nicht von Job zu Job gehen, mich immer wieder feuern lassen. Ich musste mich auch mal zusammenreissen und richtig Arbeiten, nicht nur rumalbern. Ohne ein weiteres Wort zu sagen ging ich rauf in mein Zimmer wo ich mich aufs Bett fallen liess. Eine Weile lang starrte ich bloss an die Decke, in meinem Kopf kreisten tausend Gedanken umher. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Erwachsen werden... Wie denn? Ich bin verdammt nochmal 23! War das nicht erwachsen? Ich war schon kurz davor, durchzudrehen, als mein Handy klingelte und mich somit von meinen Gedanken erlöste. Es war Lottie. Sofort schlich sich mir ein Lächeln aufs Gesicht und ich nahm ihren Anruf entgegen.

„Hey Lieblingsbruder.", begrüsste sie mich mit quietschender Stimme. Ich kicherte und schüttelte den Kopf.

„Ich bin dein einziger Bruder.", lachte ich.

„Trotzdem bist du mein Liebster.", hörte ich sie ebenfalls lachen. Einen Moment hörte man nur unser Gelächter, bis dieses verstummte und sie sich räusperte. „Du fehlst mir so. Willst du nicht mal wieder ein paar Tage zu mir nach London kommen? Oder Wochen? Vielleicht Monate..."

„Will Mum mich loswerden, oder was hat sie dir erzählt?", fragte ich direkt. Da war doch was faul. War es das, was meine Mum mit einer Auszeit gemeint hatte? Sollte ich zu Lottie nach London und in eine komplett neue Welt eintauchen? Mich dort „finden"?

„Sie hat mir so einiges geschrieben... Aber ich denke, es würde dir wirklich gut tun, mal aus dem Alltag rauszukommen. Komm zu mir, mach eine Pause von all dem und-"

„Werd Erwachsen?", fiel ich ihr ins Wort. Einen Moment blieb es ruhig auf der anderen Seite. Vermutlich suchte sie sich gerade die richtigen Worte um mir liebevoll zu sagen, dass sie genau das meinte.

„Lou, ich hab dich wirklich lieb... Aber vielleicht schadet es dir ja nicht, ein kleines Bisschen seriöser zu werden.", meinte sie schliesslich. Ich verdrehte bloss die Augen, auch wenn ich wusste, dass sie Recht hatte. In der Arbeitswelt würde ich nie Fuss fassen, so wie ich mich jetzt benahm. Wenn ich nicht bis 50 bei meiner Mutter leben wollte und als einsame Jungfer sterben wollte, musste ich was an meiner Arbeitsweise ändern. „Ich sage ja nicht, dass du dich von Grund auf ändern musst, aber bei dir fehlt es schon etwas an Arbeitsmoral.", fuhr sie fort.

„Ist ja gut, ich hab's kapiert.", murmelte ich, damit sie mich nicht noch weiter beleidigte. „Ich bin eine Enttäuschung für die Familie, schon klar. Ich packe meinen Koffer und erleichtere Mum den Alltag. Bis dann.", fügte ich hinzu und legte auf, da ich merkte, wie sich in meinem Hals ein Kloss bildete. Das Handy schmetterte ich in die Kissen und liess mich auf den Rücken fallen. Eines der Kissen drückte ich mir ins Gesicht und schrie einmal laut hinein, bevor mich meine Emotionen überkamen und ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Als wäre heute nicht schon ein verschissener Tag, da musste ich mir auch noch von meiner Familie bestätigen lassen, was John mir an den Kopf geworfen hatte. Mein ganzer Körper bebte, als ich mich auf den Bauch rollte, das Gesicht immer noch im Kissen vergraben. Ich hasste mich in diesem Moment so sehr. Warum war ich so? Konnte ich nicht einfach wie alle andern sein und mich anpassen?

„Louis?", hörte ich die Stimme meiner Mutter dumpf zu mir durchdringen. Mein Kopf schnellte nach oben und ich sah auf die geschlossene Tür, an der sie klopfte. „Ist alles in Ordnung?" Schnell wischte ich mir die Tränen weg und räusperte mich. Meine Kehle fühlte sich so verschleimt an, dass ich kein richtiges Wort herausbringen würde.

„J-Ja", krächzte ich und räusperte mich gleich nochmal. „Alles bestens.", versicherte ich ihr. Ich liess mich zurück in meine Kissen fallen, in der Hoffnung, sie würde mich in Ruhe lassen, stattdessen kam sie aber ohne zu fragen ins Zimmer und nahm mich in den Arm.

„Ach Boo, wieso weinst du denn?", fragte sie sanft und wiegte mich leicht hin und her.

„Weil ich offensichtlich eine Belastung für dich bin. Ich kann nichts richtig machen.", schluchzte ich.

„Nein, so war das doch nicht gemeint, Boo. Ich denke wirklich, dass dir ein Tapetenwechsel gut tun würde. Und Lottie würde sich so freuen, dich wieder zu sehen. Versuch es doch einfach mal. London ist eine wunderschöne Stadt und hat so viele Möglichkeiten. Wer weiss, vielleicht findest du ja dort einen Job, der dir Freude bereitet. Vielleicht lernst du auch jemanden kennen.", redete sie auf mich ein, während sie sanft meinen Rücken auf und ab streichelte.

„Okay.", murmelte ich. So richtig von der Idee überzeugt war ich nicht, doch was hatte ich zu verlieren? Meinen Job? Der Zug war abgefahren.

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