Vampirgeflüster

Flattergeräusche erfüllten den halbdunklen Raum. Im Schein des Kerzenlichts, was von einer einsamen Kerze auf einem kleinen Tischchen ausging, ließen sich schwarze, kleine Schatten ausmachen, die sich abartig schnell bewegten. Sie wirkten wie ein schwarzer Wirbelsturm, der nur Unordnung hinterließ. 

Eine große Gestalt saß in einer Ecke des Zimmers. Sie hatte die Augen leicht geschlossen und schien zu schlafen. 

Maurice Laurent schlief nicht. Er lauschte. Lauschte auf die Geräusche der Insekten in den dicken Wänden des Gebäudes, lauschte auf die Schwingbewegungen seiner Fledermäuse um ihn herum. In der Ferne ertönte der Schrei eines Uhus. Ansonsten war es still. 

Sanft fiel das Mondlicht durch das offene Fenster und fiel auf sein Gesicht. Langsam schlug er die Augen auf und blinzelte. Er galt als eine Schönheit in Vampirkreisen und doch hatte er noch nicht das richtige Mädchen gefunden. Seine blasse Haut wurde von dem Mondlicht ungewöhnlich in Szene gesetzt. Sie strahlte und reflektierte das Licht etwas. Maurice besaß leicht hervorstehende Wangenknochen und ein markantes Kinn, was sein Gesicht noch schöner wirken ließen. Eine schwarze Haarsträhne fiel in seine Stirn und bedeckte seine blauen Augen. 

Plötzlich schreckte Maurice hoch. Ein ungekannter Duft stieg ihm in die Nase. Eine süße Note von Erdbeeren in Kombination mit Minze. Sich dem Duft entgegenwendend, reckte Maurice den Hals. Langsam stand er auf. Er bewegte sich auf das Fenster zu, kletterte auf den Sims. Der schwarze Umhang wehte ihm hinterher, als er sich nach draußen stieß und nach oben flog. Alles war egal. Die einzige Priorität, die er hatte, war, die Quelle dieses Duftes ausfindig zu machen. 

Er flog in die Nacht. Unter ihm nichts als Wald und über ihm Sterne.

Der Wind heulte in seinen Ohren. Es schien, als versuche er ihm etwas mitzuteilen, doch niemand sprach seine Sprache. Die schwarzen Haare wehten ihm ins Gesicht. Er hatte seine Arme wie Flügel ausgebreitet. Schwerelos glitt er durch die Nacht - nur eine schwarze Silhouette am dunkelblauen Nachthimmel.

Er legte den Kopf in den Nacken und atmet tief ein. Die angenehm kühle Luft strömte in seine Lunge. Genießerisch schloss er die Augen. Der Wind strich über seine blasse Wange. Das Gefühl von Freiheit durchströmte ihn wie Adrenalin. Es berauschte ihn und ließ ihn schneller schweben, immer dem unbekannten Geruch entgegen. Woher mag er stammen? So etwas starkes, mächtiges und zugleich köstliches hatte er noch nie gerochen.
Seine Nase leitete ihn. Sie führte ihn dorthin, wo sich sein Ziel befand.

Unter ihm war der dunkle Wald. Hohe Tannen ragten in den Himmel- wie knorrige Finger aus der Erde. Sie reckten sich ihm entgegen. Ihre Spitzen wiegten sich hin und her, wenn der Wind durch sie hindurch wehte. In der Ferne, auf einem hohen Berg, steht die Burg. Sein Zuhause. Sie war schon in weite Ferne gerückt. In der Nacht war sie ein einziger Schatten. Der Mond ging hinter ihr unter und die Sonne ging vor ihr auf. Sie war das Zentrum seines Lebens. Seine Vergangenheit, Gegenwart und auch seine Zukunft spielten sich in und um ihr ab, da war Maurice sich ganz sicher.

Er dreht eine Schleife. Die Nacht war kühl. Und doch irgendwie wärmer als sonst.

Tief atmet er ein. Der Geruch war immer noch da, vielleicht sogar präsenter und stärker als zuvor.  
Maurice änderte die Richtung. Seine Nase leitete ihn in Richtung Stadt. Normalerweise wagte er sich nie auch nur in die Nähe der Menschen.

Er und seine Vorfahren hatten das Geheimnis um die Vampire lange gehütet. Er wollte nicht, dass es zerstört werden würde. Was der Mensch nicht kannte, sah er direkt als  Bedrohung an. Menschen, die sich fürchteten, taten schreckliche Dinge.
Doch sein Verstand wurde von dem Duft benebelt. Er konnte nicht anders. Maurice musste ihm folgen, konnte ihn nicht vergessen.

Etwas in ihm wehrte sich dagegen. Er konnte sich nicht dazu bewegen, anzuhalten. Selbst wenn er dafür zu den Menschen musste.

Mittlerweile konnte er die großen Bauten aus Glas, Stahl, Holz und Stein erahnen. Sie ragten vor ihm empor, um sie herum spielte ein grelles Licht. Es war auf die nervtötende Beleuchtung der Stadt bei Nacht zurückzuführen. Noch konnte Maurice dem Licht standhalten, doch er ahnte, dass es ihn blenden werde. Er hoffte, dass sein Geruchssinn ausreichte, um den Wirt des Duftes auszumachen.

Je näher er kam, desto lauter und heller wurde alles. Er hörte die Blechgefährte, die den Menschen als Bewegungsmittel dienten. Erstaunt blickte er hinab.
Tatsächlich hatten die Lichter sein Sehvermögen verschont, sodass er das rege Treiben auf den Straßen erkennen konnte.

Er fragte sich, wann die Menschen denn schliefen, wenn sie doch tagsüber und auch nachts auf waren. Leider beschränkte sich sein Wissen der anderen Spezies auf ein Minimum. Die Basics konnte er sich noch aus seiner Schulzeit zusammenreimen. Doch dort stand nirgendwo, dass sie keinen Schlaf benötigten.

Er riss sich von der Straße los und folgte wieder der Duftlinie. Sie führte ihn zu einer Straße im Westen der Stadt. Die Häuser dort waren kleiner und heimlicher. Manche der Menschen dort besaßen einen kleinen Garten. Viele der Häuser schienen unbewohnt oder alt. An vielen bröckelte die Farbe ab.

Maurice flog bis ans Ende der Straße. Mit jedem Haus verstärkte sich der Geruch. Er schmeckte schon die Erdbeeren auf der Zunge. Für einen Moment schloss der Vampir genießerisch die Augen. Dann fokussierte er sich wieder auf das Haus am Ende der Straße. Im Hintergrund schlug eine Kirchturmuhr elf Mal.

In einem der Fenster brannte noch Licht. Dem Geruch folgend steuerte Maurice das Fenster an. Sanft landete er auf dem kleinen Balkon davor. Das Licht von drinnen schien in sein blasses Gesicht.

Mit langsamen Schritten trat Maurice näher an das Fenster. Er hoffte, dass man ihn nicht sehen würde. Seine Hand berührte die kalte Glasscheibe des Fensters.

Er betrachtete das Zimmer. Es war anders, als seines. Nahe des Fensters stand ein Schreibtisch, der nur so überquoll von Papier, Ordnern, Stiften und was sonst noch alles darauf lag. Daneben stand ein großes Bücherregal. Es war vollgestopft mit diversen Büchern. Dicke und dünne, große und kleine, in allen Farben standen und türmten sie sich.
Ein großer Kleiderschrank stand in der anderen Ecke des Zimmers, doch worauf sich Maurice am meisten konzentrieren wollte, war das Bett. Neben der Tür befand sich ein großes Bett.

Auf dem Bett lag ein junger Mann. Maurice sog den Duft ein, den er lange gesucht hatte. Dann richtete er seinen Blick auf die zerbrechliche Gestalt dort auf dem Bett. Das braune Haar reichte ihm bis zu den Schultern. Er lag bäuchlings auf dem Bett, das Handy in den Händen und Kopfhörer auf. Leises Gemurmel drang aus dem Zimmer zu Maurice nach draußen. Dann, ganz plötzlich, schüttelte der Junge den Kopf. Maurice meinte, ein Lachen gehört zu haben.

Er fragte sich, ob der Junge diesen betörenden Duft hervorrief. Doch was sollte er tun? Wenn er sich zeigte, würde das Geheimnis um seine Familie, seine Spezies zerstört werden. Wenn er sich nicht zeigte, würde er diesen Jungen nie wieder sehen.

Allein der Gedanke schmerzte seinem toten Herz. Er stand nur ein paar Minuten hier, jedoch verzehrte er sich nach dem Unbekannten.

Verträumt blickte er in das Zimmer. Sein Kopf senkte sich gegen die Scheibe.

Er versuchte tunlichst, kein Geräusch zu machen. Doch das leise Seufzen konnte er sich nicht verkneifen.

Im Zimmer regte sich etwas. Schnell versteckte Maurice sich hinter einer Blumenvase. Zugegeben, es war kein gutes Versteck, allerdings war es auch das einzige, was es hier gab wohinter man sich verstecken könnte, doch wegzugehen brachte er einfach nicht übers Herz.

Das große, helle Licht im Zimmer wich einer kleinen Nachttischlampe.
Langsam richtete Maurice sich wieder auf. Die Balkontür war sperrangelweit offen. Mit seinem guten Gehör konnte er den sanften Herzschlag des Jungen hören. Es klang wie Musik, ein Rhythmus, den er nicht erraten konnte. Ein Mysterium, genauso wie der Junge selbst. Wer war er? Wieso zog es Maurice zu ihm? Er wusste es nicht. Und dieses Unwissen machte ihn unruhig. Seine Großmutter hatte ihm Geschichten von Vampiren erzählt, die sich verliebten und sich nie wieder trennen konnten. Sie nannte es die ›Ewige Verdamnis‹. Maurice erinnerte sich an die unterschiedlichen Bündnisse. Mensch und Vampir, Vampir und Vampir, Werwolf und Vampir, Hexe und Vampir, Fee und Vampir, Tier und Vampir. ›Jedes Lebewesen auf der Erde verdient eine Person, die sich aus Liebe um einen sorgt, nicht wegen eines dummen Bandes.‹, belehrte ihn seine Oma. Er hatte ihr geglaubt. Hatte an das Unglück, das diese Bande mit sich brachten geglaubt. Doch in diesem Moment zweifelte er. Er zweifelte an dem, was ihm über das Band beigebracht wurde. Er zweifelte an seiner Fähigkeit, Dinge klar zu sehen, denn in diesem Moment hatten seine Gefühle die Oberhand. Sie drängten seinen Kopf zurück und nahmen dessen Platz ein. 

Wie in Trance bewegte er sich auf die Balkontür zu. Langsam, schleichend, anmutig, wie eine Katze vor dem Sprung, näherte er sich seiner Begierde. Seine blauen Augen betrachteten den Jungen auf dem Bett versonnen. So etwas schönes hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. 

Plötzlich drehte das Gesicht des Jungen sich zu ihm um. Grau-braune Augen bohrten sich in seine. Ein erschrockener Ausdruck zuckte über dessen wunderschönes Gesicht. Langsam stand er auf. Seine langen Beine trugen ihn in Maurice Richtung. Als er direkt vor ihm stand, legte er misstrauisch den Kopf schief. Maurice bemerkte, dass der Junge ein paar Zentimeter größer war als er. 

»Kann ich dir helfen?«, fragte er mit einer müden Stimme. Noch war Maurice wie erstarrt. Als wären seine Gliedmaßen eingeschlafen. Die Worte blieben ihm im Hals stecken. Was sollte er sagen? Wie würde er es aufnehmen?

Unsicher lächelte er. Der Junge zog seine Augenbrauen hoch. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt.
"Hallo? Sprichst du meine Sprache?" Er wedelte mit der Hand vor Maurices Gesicht herum. Damit riss er ihn aus der Starre.

"Ähm... Hallo.", sagte Maurice leise. Immer noch musterte der Junge ihn misstrauisch.

"Darf ich fragen, was du auf meinem Balkon machst?", fragte er. Maurice brachte kein Wort heraus. Er wusste es ja selbst nicht. Ein Instinkt hatte ihn geleitet, doch das konnte er ihm ja nicht sagen, oder? Er musste das Geheimnis bewahren, musste schweigen.

"Bist du ein Schweiger?" Diesmal blickte der Junge eher belustigt. Maurice musste antworten. Er musste irgendetwas sagen. Aber was? Er war weder geübt in Konversationen mit Vampiren noch mit Menschen. Er war ein Einzelgänger. Wesen jeglicher Art, mit denen er agieren musste, bis auf seine Fledermäuse, doch die ließ er mal besser außen vor. So starrte er den Jungen an. Kein Wort glitt über seine Lippen. Was immer er sagen wollte, die Worte erreichten ihn nicht. Als wäre er stumm. 

"Okay... Dann schweigen wir eben." Der Junge trat auf den Balkon und zog die Tür leicht hinter sich zu. Als er an dem Vampir vorbei lief, stieg ihm der Duft von Erdbeeren in die Nase.
"Also, da du nicht mit mir nicht reden willst, muss ich das wohl übernehmen." Grinsend lehnte er an der Balkonbrüstung. Maurice blickte zu ihm. Die braun-grauen Augen blitzten hellwach. Es schien, als wäre alle Müdigkeit aus dem Jungen gewichen. Die schwarzen Locken wurden durch wenige, fast blasse rote Strähnen hervorgehoben. Maurice konnte und wollte seinen Blick nicht von dem Menschen losreißen. Er war einfach zu schön.

"Ich heiße Jules. Meine Mutter dachte bei der Geburt, dass ich feminine Züge in meinem Gesicht hätte, deswegen wollte sie mich eigentlich Jule nennen, hat aber noch ein 's' drangehängt, weil das angeblich mehr auf einen Jungen passen würde. Und jetzt bin ich damit fürs Leben gezeichnet.", verkündete der Junge. Jules. Der Name war schön.

Jules sah ihn nachdenklich an.
"Du bist nicht gerne in der Sonne, oder?" Maurice nickte. Was sollte er auch sonst tun? Er war so schon gruselig genug, da wollte er Jules nicht nur anstarren und alles komischer machen.
"Ich auch nicht. Wenn ich jemals ein Superschurke werden würde, dann würde ich die Reihenfolge ändern. Erst würde ich die Sonne zerstören und dann die Erde. Dann hätte ich mein Kindheitstrauma auch noch miteingebracht. Das gäbe bestimmt eine super Hintergrundgeschichte. 'Der junge J-Man, damals noch Jules, zerstörte die Sonne aus einem einfachen Grund: Er wollte sich für die etlichen Sonnenbrände rächen, die er trotz Sonnencreme bekommen hatte'.", eröffnete er Maurice. Jules schaute ihn direkt an. Sein Blick war weder abwertend, noch verächtlich. Er blickte ihm nur in die Augen. Unbehaglich blickte Maurice zur Seite.

"Bist du sowas wie Superman oder warum hast du einen Umhang?", fragte Jules interessiert und deutete auf den schwarzen Umhang, der Maurice zum Fliegen diente. Bevor er jedoch den Mund öffnen konnte, sinnierte Jules schon weiter.
"Ich glaube, dass du einen guten Geschmack hast, was deine Garderobe angeht. Vielleicht bist du ja ein Vampir. Das würde zumindest Bella Swan als erstes annehmen. Hast du Twilight gelesen oder geschaut? Tu es nicht, es sei denn, du willst lachen." Ein breiteres Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Er war in einer anderen Welt. Eine Welt, die sich nur in Jules' Gedanken abspielte, die Maurice nicht erahnen konnte.

Ein Vampir. Wenn Jules nur wüsste...
"Also, nehmen wir einfach mal an, du wärst ein Vampir. Die Kulisse würde passen. Ich meine, es ist Nacht, also kannst du - als echter Vampir - nicht zu Staub zerfallen. Außerdem kannst du - als Fake Vampir aka Twilight Vampir - nicht anfangen zu glitzern, was andere Menschen ja so verstörend finden würden." Jules' Stimme triefte nur so von Sarkasmus.
"Ich meine, wenn irgendeine random Person anfangen würde zu glitzern, wäre das doch nicht der Weltuntergang. Allerdings ist da diese eine Szene bei Twilight, die mich immer fast vom Sofa kickt. In dieser Szene benimmt sich Edward richtig lustig. Er will Bella unbedingt zeigen, wieso er sich nicht bei Sonnenlicht zeigt und ist richtig aggressiv drauf. Er rennt dann so hyperaktiv rum und dann, halt dich fest, stellt er sich in die Sonne und GLITZERT!", lachte Jules. Sein Lachen war herzlich und warm. Automatisch musste Maurice grinsen.

"Aber mal ehrlich, bist du menschenscheu?" Mit wachen Augen blickte Jules ihn an. Seine ganze Aufmerksamkeit lag auf ihm. Zögerlich nickte er. Was sollte er auch sonst tun? Zum Sprechen konnte er sich noch nicht durchdringen. Warum eigentlich? Er müsste nur seinen Mund aufmachen und Wörter produzieren. Doch er kam nicht umhin, dass er fasziniert auf den lebendigen Jungen starrte, der so viel Lebensfreude ausstrahlte, wie sonst kein Wesen, dass er jemals getroffen haben sollte. 

"Okay, ein weiteres Vampirbeispiel hab ich noch." Jules grinste. Man möge das Grinsen als diabolisch oder gar gehässig ansehen, wenn man das Gespräch nicht von Anfang bis Ende gehört hatte. Denn dann wusste man, dass die Gehässigkeit, mit der Jules' Grinsen untermauert ist, keineswegs Maurice galt, sondern ganz allein dem, was er ihm gleich mitteilen würde. 

"Pass auf. Kennst du Vampire Diaries?", fragte Jules. Maurice schüttelte den Kopf. Mit diesem ganzen Menschenzeug hatte er sich noch nicht auseinander gesetzt. Brauchte er auch nie. Dachte er zumindest. 

"Also, Vampire Diaries beschreibt das Leben eines Mädchens namens Elena, dass voll der FanFiction Maincharacter ist, was soviel bedeutet wie, dass sich alles nur um sie dreht." Bis zu diesem Punkt war Jules' Stimme noch in einem normalen Tonfall, doch jetzt wechselte er sie.

"Oh mein Gott, meine Eltern, meine Tante, mein Onkel, der Freund meiner Tante und mein Vielleicht-Bruder sind alle gestorben! Was werde ich nur mit meinem Leben anfangen? Ich meine, all diese Dinge sind nur wegen den Vampiren geschehen, die in mein Leben gekommen sind. Hm, ich weiß nicht. Vielleicht bin ich einfach der Schlüssel zu allem und jedem, muss immer im Mittelpunkt stehen, alle lieben mich und trotzdem fühle ich mich sooooo schlecht, weil alle um mich herum sterben und das nur, damit ich lebe." Er machte eine kurze Pause, um sich einen Ast zu lachen, doch dann war er wieder total ernst.

"But seriously, dude. In der ganzen Serie geht es nur um sie und ihr eigenes Dilemma. Sie darf nicht sterben, weil sonst Mars die Erde zerstört. Sie darf nicht sterben, weil in China sonst ein Sack Reis umfällt. Sie darf nicht sterben, weil das nur am Sankt Nimmerleinstag geht. Sie darf nicht sterben, weil sie die Erde, mit der ihr Grab zugeschaufelt werden würde nicht verträgt. Die Liste könnte ewig so weitergehen. Und jedes Mal sah es so aus, als würde sie sterben, aber SIE TUT ES NIE!"

Er musste schmunzeln. Wie sich Jules aufregte, war wirklich eine andere Nummer. Plötzlich fragte Maurice sich, wie es sein konnte, dass er sich in Jules' Nähe so wohl fühlte. Normalerweise fühlte er sich von anderen immer eingeengt. In der Gegenwart anderer konnte er nicht atmen. Ihm fehlte die Luft. Sie texteten ihn zu mit sinnlosem Geplänkel und erwarteten eine Antwort von ihm. Erwarteten, dass er irgendwie reagierte und nicht nur da stand und nichts tat. Mit Jules war das anders. Jules schien ihn zu verstehen. Schien zu verstehen, dass er eher den Zuhörer anstatt den Sprecher spielte.

Vielleicht gefiel es Jules auch, dass er das ganze Unterhaltungsprogramm darbot.

"Wenn es dir nicht gefällt, warum beschäftigst du dich dann damit?", fragte Maurice aus heiterem Himmel und brach damit sein Schweigen. Seine Stimme hörte sich rau an und kratzte etwas, weswegen er sich kurz räusperte. Ihm war nicht klar, wie selten er seine Stimme benutzte oder überhaupt sprach

"Weil das meine Unterhaltung darstellt. Alles nur zu meiner Belustigung. Das ist ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann, weißt du?" Jules schien nicht überrascht zu sein, dass Maurice auf einmal sprach. Er redete einfach darüber hinweg. Als würde er nicht wollen, dass Maurice sich unwohl fühlte.

"Wie heißt du eigentlich?", fragte Jules ihn. Jetzt, da der Unbekannte anscheinend doch sprechen konnte, wollte er auch einen Namen wissen. Die dunkle, leise Stimme war so angenehm und warm, dass Jules die Tatsache nicht ignorieren konnte, dass der Unbekannte namenslos war.

"Maurice.", antwortete der Unbekannte leise. Jules konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Junge einfach zufällig bei ihm auf dem Balkon gelandet war. Aber ansprechen wollte er es nicht. Es konnte ja sein, dass er sich erschrecken würde und verschwände. 

"Hey, wie der Affe aus 'Die Pinguine von Madagaskar'!", rief Jules lachend. Wie so oft fiel ihm erst auf, wie dumm sich etwas anhörte, wenn er es schon ausgesprochen hatte. Allerdings war es mitten in der Nacht. Jules hoffte, dass Maurice sich nicht angegriffen oder gar beleidigt fühlte.

"Ähm, ich kenne das nicht.", gestand Maurice und schaute auf den Boden.
"Wie bitte?! Ich hoffe, du hast heute Nacht nichts mehr vor." Jules griff nach Maurices Arm und zog ihn in sein Zimmer, was überraschenderweise ohne Protest erfolgte.

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