Kapitel 4
Toni
Nachdem ich die letzten Kilometer bis zu der Adresse, die mir mein Chef gegeben hat, gefahren bin, stehe ich in dem Flur unmittelbar vor der Tür meines Glücks.
Oder Verderbens ...
Meine innere Stimme, die ich von nun an Leo 2.0 nenne, hätte ich ebenso lieber in Chicago zurücklassen sollen.
Ich drehe den Schlüssel im Schloss um und trete nur langsam in mein neues Zuhause ein. Mir weht augenblicklich der Duft der frisch renovierten Wohnung entgegen und ich lasse meinen Blick gemächlich schweifen. Tatsächlich bin ich erstaunt. Es hätte mich durchaus schlimmer treffen können. Die Bleibe ist nicht groß und daher leicht überschaubar. Dennoch reicht es für mich als Einzelperson vollkommen aus. Von dem kleinen, schmalen Flur aus, kann ich die Türen zum Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad ausmachen. Ich betrete als Erstes den Wohnbereich, in dem auch die Wohnküche zum Vorschein kommt. Die Küche ist eine Singleküche mit schönen anthrazitfarben, wodurch sie sehr modern wirkt.
Der Raum ist hell und lichtdurchflutet, dank der großen Terrassentür, die auf die Dachterrasse führt. Die Einrichtung des Wohnzimmers ist hauptsächlich in Weiß gehalten, bis auf die Couch, diese ist ebenfalls anthrazit, wie die Küche. Aber auch hier ist alles modern eingerichtet.
Ich gehe weiter ins Schlafzimmer, das direkt nebenan ist. Dort steht ein großes Bett und an der Wand ein geräumiger Schrank mit einem ebenso großen Spiegel. Nun fehlt nur das Bad. Allerdings kann ich aus dem Rest der Wohnung schon schließen, dass es vermutlich genauso schlicht ist, wie all die anderen Räume. Ich öffne die Tür und stelle fest, dass ich richtig lag. Es ist nicht sonderlich groß. Es besteht aus einer Toilette, einem Waschbecken und einer ebenerdigen Dusche. Die Fliesen sind ebenfalls in dunkelgrau gehalten und der Rest ist weiß. Da es nicht mehr zu begutachten gibt, verlasse ich das Bad wieder.
Die Wohnung ist perfekt. Klein, schlicht und unscheinbar, genauso wie ich. Ich hole meine Tasche aus dem Flur und krame das Wichtigste zusammen. Frische Klamotten, Shampoo, Duschgel und etwas Schminke. Vollgepackt gehe ich wieder ins Bad und mache mich fertig, da ich in einer knappen Stunde in der Bar sein muss. Nach kurzer Zeit bin ich frisch geduscht und angezogen.
Da ich nicht genau weiß, was mich erwartet, habe ich mich für einen schwarzen Bleistiftrock und eine weiße Bluse entschieden und dazu noch einfache schwarze Pumps. Ich greife mir meine Tasche, in der ich mein Handy und meine Schlüssel verstaue und verlasse die Wohnung. Zu meinem Entsetzen muss ich draußen feststellen, dass es vollkommen unerwartet wie aus Eimern gießt. Ich laufe, soweit es mit diesen Schuhen möglich ist, zu meinem Auto und bin nach wenigen Minuten schon klatschnass. Ich fahre zu der mir angegebenen Adresse und muss zur Kenntnis nehmen, dass die Bar mitten in der Innenstadt ist, wo man zu meinem Pech leider nicht parken kann. Gezwungenermaßen stelle ich mein Auto auf einem Sandparkplatz ab und laufe den Rest zur Bar. Da es noch immer regnet, komme ich vollkommen nass an dem Lokal an.
Wozu war ich doch gleich duschen?
Ohne mich nochmals umzusehen, gehe ich zügig in die Bar. Mir schlägt umgehend ein penetranter Geruch entgegen. Es riecht nach altem Zigarettenrauch, Schweiß und etwas, was ich nicht definieren kann und es auch nicht unbedingt möchte. Das stinkt eher, wie in einer Männerumkleide im Fitnesscenter, als eine Bar. Gedanklich notiere ich mir, dass ich gegen diesen Geruch zweifellos irgendetwas tun muss. Ich lasse meinen Blick schweifen und so, wie es riecht, sieht es zu meinem Erschrecken auch aus.
Es ist sehr dunkel, die Möbel sind abgenutzt und sehen aus, als würden sie jederzeit auseinanderfallen. Die lange Theke ist ebenso alles andere als einladend und der Fußboden hat sicherlich schon mehr erlebt als meine Großmutter.
Jeder Keller ist sauberer als das Loch hier!
Mit einem mulmigen Gefühl gehe ich ein paar Schritte weiter. Mir kommt kurz darauf ein groß gebauter, blonder Mann entgegen. Seine Haare sind lang und er hat sie zu einem ordentlichen Manbun zusammengebunden. Er hat eins dieser Babyfaces auf die, die meisten Frauen stehen und seine Augen leuchten fröhlich in einem normalen Blau. Wären wir hier nicht in einem Kaff in Illinois, würde er perfekt einen Surfer Typen abgeben. Als er mich sieht, kommt er mit einem warmherzigen Lächeln direkt auf mich zu.
»Hallo, bist du die neue Geschäftsführerin?« Er reicht mir seine Hand und ich nicke. »Antonia Vega, richtig?«, hakt er weiter nach.
»Ja, richtig, aber Toni ist ausreichend. Und du bist der Barchef?« Ich lächele freundlich und versuche meine Umgebung, welche mir einen Würgereiz verschafft, auszublenden.
»Ja, ich heiße Liam. Möchtest du dich schon einmal etwas umsehen? Der Rest des Teams müsste auch bald hier sein«, informiert er mich, woraufhin ich mir ein Lächeln abringe.
Nichts lieber als das!
Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass es mir schon reicht, was ich bis hierhin gesehen habe, aber da ich ein freundlicher Mensch bin, nicke ich und schenke ihm ein gequältes Lächeln. Ich gehe einige Schritte weiter und erkenne in einer der hinteren Ecken einen alten Billardtisch und eine Jukebox. Mich nicht mehr zurückhaltend, drehe ich mich abermals zu Liam um.
»Wie kann es sein, dass hier noch Gäste herkommen? Ich mein, hast du dich hier mal umgesehen?«, frage ich mit gekräuselter Nase.
»Es ist die einzige Bar hier in der Umgebung. Es bleibt den Leuten in Jacksonville also nichts anderes übrig«, zuckt er mit den Achseln. Er sagt es mit dem höchsten Maß an Desinteresse und es scheint mir, obwohl der Laden so heruntergekommen ist, dass es nicht an Besuchern mangelt.
Ich gehe weiter in Richtung Theke und sehe dahinter eine Tür, auf der steht »Nur für Personal«. Ich drücke die Tür auf und stehe daraufhin in einem engen Flur. Liam scheint mir gefolgt zu sein, da ich seine Stimme plötzlich hinter mir wahrnehme.
»Hier ist die Personalküche.« Er deutet auf eine Tür neben mir und drückt sie etwas auf, damit ich einen Blick hineinwerfen kann. Sie hat eine kleine Küchenzeile mit allen notwendigen Geräten. Außerdem ist noch ein großer Tisch mit acht Stühlen in der Mitte des Raumes.
»Gegenüber ist das Bad und hier weiter hinten sind zwei Büroräume. Eines davon wäre dann deins«, teilt Liam mir mit. Er deutet auf eine Tür links von mir. Ich betrete den Raum und stelle fest, dass es ein vollkommen normales Büro ist. Schreibtisch, Stühle und eine Wand mit Regalen, in der alle möglichen Ordner stehen.
»Du kannst dir das natürlich einrichten, wie du möchtest. Am besten so, dass du dich bei uns wohlfühlen kannst«, sagt Liam mit einem ehrlichen Grinsen, welches nebenbei gesagt, hervorragend zu seinem Gesicht passt.
»Danke.«
Ich drehe mich gerade wieder um, da hören wir beide lautes Gelächter.
»Da ist das restliche Team auch schon«, klatscht Liam erfreut in die Hände. Er zieht mich an meinem Handgelenk hinter sich her, um wie gehabt nach vorne in die Bar zu gehen. Ich erkenne auf Anhieb eine bunte Mischung aus fünf fröhlichen Menschen. Sie unterhalten sich aufgeregt und lachen ab und an mal. Es gleicht eher eines vergnüglichen Wiedersehens, als Mitarbeiter, die soeben zur Arbeit gekommen sind.
»Hey Leute, ich möchte euch gerne Toni vorstellen. Sie ist ab heute unsere neue Geschäftsführerin und wird in den Laden hier hoffentlich etwas frischen Wind reinbringen«, meint Liam, wodurch das Stimmengewirr verstummt. Alle Augenpaare liegen auf mir und schauen mich erwartungsvoll an. Sie lächeln aufmunternd und scheinen sich darauf zu freuen, mich kennenzulernen. Die offene Ausstrahlung, die jeder von ihnen hat, macht es mir umgehend leichter, mich sofort hier wohlzufühlen. Da öffnet sich unerwartet die Tür und ein Mann betritt die Bar.
»Habe ich die lebensverändernde Ansprache schon verpasst?«
Shit! Was will er denn hier
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