Kapitel 6

[Das Ende der Normalität]

~Eine alte Rolle~

||Ein Jahr und sechs Monate nach Casmiels Verschwinden (Gegenwart)||

Casmiel erwachte von einem seltsamen Traum, an den er sich nicht mehr erinnern konnte. Er wusste nur, dass er das vermutlich auch nicht wollte.

Er nahm seinen Kopf von dem Busfenster, gegen das er sich gelehnt hatte und versuchte sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Cas war nun schon seit zwei Stunden unterwegs und würde scheinbar bald sein Ziel erreichen.

Er hatte nicht erwartet, dass er Aspen so schnell wieder sehen würde, geschweige denn, dass sie ihn aufsuchen würde und nicht anders herum.

Zugegeben, er hätte es vermutlich erwarten sollen. Schließlich hatte er sie beinahe umgebracht und dennoch konnte sie ihm vergeben. Aspen war niemand, der nachtragend war. Lag wohl an ihrer Familie, deren Job es war, nicht an persönliche Rache zu denken. Für Asperia war es wohl natürlich einfach zu verzeihen, auch wenn sie beinahe jemanden getötet hatte oder anders herum. Für Casmiel war das etwas fremdes.

Er hatte nicht gelernt zu vergeben. Er hatte nicht gelernt zu vergessen. Er hatte gelernt, dass er kämpfen musste, wenn er etwas wollte und niemals aufgeben durfte.

Aspen reichte es schon, wenn sie einen Moment lang ihren Emotionen freien Lauf ließ und konnte danach sofort wieder vergeben. Casmiel hatte sie verraten, sie hatte ihn beinahe umgebracht, ihre Wut an ihm aufgelassen, ihm gesagt, was sie von ihm dachte und wieder gegangen. Damit hatte sie alles wieder in Ordnung und die Waagschale ins Gleichgewicht gebracht.

Casmiel war nicht wie sie und er würde es auch niemals sein.

Er wusste, dass es ein Fehler war, seine lange Reise nur wegen Theseus aufzugeben.

Schließlich begab er sich gerade zurück in sein toxisches Umfeld, dass er eigentlich verlassen sollte, um vollständig zu heilen.

Doch jetzt saß er in einem Bus, der in die Stadt fuhr, damit er Aspen bei irgendeiner Adresse treffen konnte, die sie ihm zugesteckt hatte.

Er hatte solch einen Fortschritt gemacht. Cas hatte keine Angst mehr zu schlafen. Er wachte zwar immer noch wegen Alpträumen auf, litt an Schlafparalyse und Insomnie, hatte enorme Probleme Einzuschlafen und hatte teilweise sogar Panikattacken, wenn er aufwachte, doch er schlief. Er konnte sich tatsächlich einfach in sein Bett legen, Musik oder einen Podcast einschalten, da ihn die Stille nervös machte und einschlafen. Er hatte einen Schlafrhythmus. Er blieb immer noch oft nächtelang wach, doch es waren nur mehr ein- bis zwei Nächte, bevor er wieder in der Lage war zu schlafen.

Außerdem war er dabei seine Essstörung zu besiegen. Er war noch immer zu leicht und zu dünn, doch er aß. Es waren meist kleine Portionen und er ließ viele Mahlzeiten entfallen, doch er aß zumindest einmal am Tag. Selbst wenn es nur ein Müsliriegel oder eine Kleinigkeit war, er bekam es runter und musste es nicht mehr hochwürgen. Er fühlte sich nicht mehr immer so, als würde er die Kontrolle verlieren, wenn er etwas aß. Nur noch manchmal an schlechten Tagen, wenn er in seine alten Gewohnheiten zurückfiel.

Er hatte nicht mehr das Bedürfnis sich selbst zu verletzen, wenn er seine Vergangenheit vermisste. Er wollte zwar noch immer manchmal zurück und wollte seine alten Methoden benutzen, um sich an Zuhause zu erinnern, doch er konnte sich zurückhalten. Er war in der Lage, sich selbst zu kontrollieren und seine eigenen Entscheidungen zu treffen, auch wenn sein Körper etwas anderes wollte.

Als seine Heilung begonnen hatte, hatte er begonnen, depressive Episoden zu bekommen. Tage, an denen er das Bett nicht verlassen hatte. Tage, an denen er einfach nichts gemacht hatte, weil er nicht konnte. Früher hatte Casmiel solche Tage nicht gekannt. Er hatte immer etwas zu tun gehabt und wenn nicht, dann hat er sich eben etwas gesucht. Doch die Ruhe und Zeit, die der Abstand ihm gebracht hatte, hatte ihm auch solche Phasen des Nichtstuns gegeben.

Doch selbst diese Episoden hatten nachgelassen.

Casmiel war in der Lage gewesen, sich Freunde zu machen. Madeleine und Jason beispielsweise. Vielleicht war Casmiel oft genervt von ihnen, da sie nicht auf seinem Level waren und es niemals sein würden, doch er war es gewohnt mit Leuten zu arbeiten, die nicht genauso intelligent waren wie er.

Kurz gesagt: Casmiel hatte Fortschritte gemacht, doch er war noch längst nicht vollkommen von seiner Vergangenheit geheilt und er würde es wohlmöglich auch niemals sein. Die Alpträume würden vermutlich niemals weggehen, seine Narben ihn immer daran erinnern, doch er würde in der Lage sein, ein Leben zu leben, ohne Angst vor Strafen und Krieg zu haben. Ein Leben, in dem er ein Trout war, kein Tripe.

„Du weißt, dass du einen Fehler machst, Cassy."

Casmiel zuckte zusammen, als er diese Stimme hörte. Er hatte sie nun ein halbes Jahr nicht mehr gehört. Ein halbes Jahr lang. Doch hier war sie wieder. Genauso nervig wie auch schmerzhaft. Es bedeutete, dass er zurückfiel in seine alten Muster, sein altes Ich. Er war noch nicht einmal wieder zurück im Krieg und doch kam sie wieder zu ihm.

„Ich brauche deine Hilfe nicht mehr, Dolores," antwortete er nur harscher als er es jemals zuvor getan hätte. Früher war Casmiel dankbar gewesen, für die Anwesenheit der Halluzination, nun war sie ein Bote schlechter Nachrichten. Ihre Anwesenheit war ein Zeichen dafür, dass Casmiel Hilfe benötigte, weil seine Psyche in Gefahr war.

Es hat lange gedauert zu realisieren, dass Dolores keine gewöhnliche Halluzination war. Sie war sein Unterbewusstsein. Seine innersten und ehrlichsten Gedanken in Form der wertvollsten Person in Casmiels Leben. Er würde nie wieder jemanden so sehr lieben, wie er Dolores geliebt hatte, da ihm nun etwas fehlte, dass er damals noch gehabt hatte. Hoffnung.

„Ich weiß. Aber du wirst sie brauchen, wenn du dich darauf einlässt. Dieser Krieg ist nicht mehr dein Problem, Cassy. Du musst loslassen um zu heilen. Du bist so weit gekommen, willst du das alles für einen Mann aufgeben, den du glaubst zu lieben?" fragte Dolores ihn nur kopfschüttelnd, als würde er etwas unglaublich dummes tun.

„Ich- ich kann ihn nicht einfach bei ihm lassen, Dolores. Ich kann es einfach nicht. Es war unfair von Aspen mich hierfür zu fragen, aber sie braucht mich wirklich. Sie wird es nicht alleine schaffen und- ich schulde ihm etwas" versuchte er sich zu rechtfertigen. Es war ungewohnt mit seinem Unterbewusstsein in seinen Gedanken zu sprechen. Er hatte es schon lange nicht mehr getan und war die seltsame Präsenz nicht mehr gewohnt, genauso wenig wie er Dolores' kritischen Blick gewohnt war, den sie eben auf ihn gerichtet hatte.

„Du solltest egoistisch sein. Sie hat sich für den Krieg entschieden. Du dich dagegen. Wieso könnt ihr beide nicht einfach akzeptieren, dass es manchmal Zeit ist solche Dinge loszulassen?" fragte Dolores nur scheinbar genervt von Casmiel dummer Entscheidung.

Casmiel erwiderte nichts. Er wusste, dass Dolores recht hatte und das seine Ausreden nichts halfen. Sie war sein Unterbewusstsein, natürlich hatte sie recht. Vielleicht sollte er sie in Zukunft einfach ignorieren. Er musste lernen seine eigenen Entscheidungen zu treffen und sich nicht von anderen beeinflussen zu lassen.

Als der Bus bei der Endhaltestelle stehen blieb, stieg Casmiel aus und sah sich um. Es war eine abgelegene Straße mitten in einer kleinen Stadt, fern von seiner neuen Heimat Fairfield. Er vermisste die kleine Umgebung schon jetzt etwas. Die Normalität, die er dort erlebt hatte. Die Leute, die noch nach eineinhalb Jahren über ihn gesprochen hatten, als wäre er neu dort. Er vermisste einfach sein Leben, dass so unkompliziert gewesen war, ebenso wie er die Komplikationen seines einstigen Zuhauses und des Krieges vermisste.

Casmiel steckte schon lange in diesem Ambivalent fest und er konnte sich nicht entscheiden, ob er Frieden und Krieg bevorzugte. Seine Familie und deren Intelligenz oder die Freundlichkeit und Dummheit der Menschen in der kleinen Ortschaft? Er wusste es nicht.

Casmiel ging weiter in eine abgelegene Gasse hinein und blieb nach ein paar Minuten vor der roten Türe eines sehr baufälligen Hauses stehen, dass aussah, als wäre es ein wahres Wunder, dass es noch stand, doch Casmiel las die Hausnummer und den Straßennamen. Er war hier richtig.

Also versuchte er die morsche, rot-angestrichene und bereits abblätternde Türe zu öffnen und sie gab tatsächlich knarzend nach, sodass er das dunkle Eingangszimmer betreten konnte, das nur von dem einfallenden Licht der Türe erleuchtet wurde.

Casmiel konnte die schemenhaften Umrisse der Möbelstücke erkennen und die Bretter, die vor die Fenster genagelt wurden und nur einzelne Lichtstrahlen durch ihre Risse hindurchließen, das Haus jedoch ansonsten komplett von der Helligkeit abgrenzten.

Er schloss die Türe hinter sich und stand in der Dunkelheit.

Nun konnte er jedoch den leichten, kaum erkennbaren Lichtschein erkennen, der wohl von einem eigenen Raum hinter einer Wand stammte. Keine Türe. Also ein Mechanismus.

Casmiel kannte Aspen jetzt schon lange genug um zu wissen, dass sie den Begriff „einfach" nicht kannte. Sie war keine einfache Person und machte es somit auch anderen nicht wirklich einfach. Weder wenn es um sie, noch ihre Methoden ging.

Also näherte sich Casmiel der Wand und horchte an ihr. Gedämpfte Stimmen drangen kaum merklich an sein Ohr. Sie waren nicht verständlich, aber ein Zeichen dafür, dass hinter der Wand tatsächlich ein weiterer Raum versteckt war.

Er fühlte sich an der rauen Wand entlang und seine Finger blieben an einer sanften Erhebung stehen, die man nicht erkannt hätte, außer man suchte danach. Er drückte leicht und tatsächlich bewegte sich die Wand etwas nach vorne.

Er öffnete die nun sichtbare Türe und trat in den versteckten Raum. Die Stimmen waren verstummt und sie schienen mit einem Feind zu rechnen, denn er konnte die Nervosität spüren, die einige von den Anwesenden zu fühlen schienen.

„Keine Angst. Ich werde euch nicht töten. Außer ihr seid Aspen. Dann überlege ich es mir noch einmal. Ich hab ein paar Wachen der Arena mit mir mitgebracht. Natürlich nur für den Notfall" meinte Casmiel sarkastisch und er konnte ein amüsiertes Schnauben hören.

Er ging den kurzen und düsteren Gang weiter entlang bis er in einen erleuchteten Raum trat, aus dem die Stimmen gekommen waren.

In dem Raum war ein alt-erscheinender Billiardtisch in der Mitte, um den mehrere Menschen standen sowie auch ein paar Stühle, die jedoch nicht benutzt wurden. Dazu war in dem Raum noch eine schwache Lampe, die jedoch genügend Licht spendete und eine Minibar mit Barhockern.

Dort waren sie also versammelt.
Aspen, die ihn mit einem Grinsen im Gesicht ansah, Liope Salem, ihr großer Bruder, der ihn mordlustig musterte, Milany, Nachname unbekannt, Liopes Mensch-des-Vertrauens und irgendwie auch Aspens bester Freund (Casmiel hatte nicht wirklich mitbekommen wie das passiert war), Eleanor Tremblay, Mitglied der vierten Assassinenfamilie und ebenso eines der ältesten Mitglieder des Widerstandes und zu guter Letzt noch Juno Lovett, das Herz von Charons Organisation.

„Ich denke, es ist nicht nötig ihn vorzustellen," meinte Aspen nur, als alle Blicke sich auf den Neuankömmling gerichtet hatten und er gab ihr recht.

Casmiel war das Stück, dass jeden irgendwie miteinander verband. Zwar waren sie auch ohne ihr irgendwie verbunden, doch er war derjenige, der sie alle irgendwie verknüpfte.

Juno wandte ihren Blick nur nervös von ihm ab, während Liope näher kam und sich vor Casmiel stellte. Er starrte herausfordernd auf ihn herab und grinste gefährlich.
„Casmiel Aradeon Tripe. Der Bastard, der meine Schwester beinahe umgebracht hat" meinte er nur abfällig doch Casmiel drängte sich nur desinteressiert an ihn vorbei und ging zu Aspen, der ihn nur entschuldigend ansah.

„Sie hat mich danach auch beinahe umgebracht. Ich würde sagen, wir sind also quitt. Wir wissen beide, dass du dich nicht wirklich dafür interessierst. So wurdest du nicht erzogen, als Assassine. Du suchst nur einen Streit mit mir, weil du dich mit mir messen willst. Danke, aber ich habe kein Interesse daran," sagte Casmiel nur ohne Liope wirklich zu beachten, der ihn nur aufgeregt musterte. Scheinbar hatte Casmiel mit dieser Antwort nicht wirklich dafür gesorgt, dass Liope die Lust darauf verlor, ihn zu bekämpfen, sondern sie weiter ansteigen lassen. Großartig.

„Liope. Halt die Klappe. Es hat wirklich lange gebraucht ihn davon zu überzeugen. Ich war nicht mal sicher, ob er kommen würde" meinte Aspen nur genervt und wandte sich dann an Casmiel.

„Danke das du gekommen bist. Tut mir leid, dass ich deinen Urlaub unterbrechen musste und du deshalb vermutlich niemals herausfinden wirst, wie das Ehedrama der Lances ausgehen wird, aber dafür wirst du Theseus und die Welt retten können...hoffentlich jedenfalls. Also. Kommen wir zu den Grundlagen, jetzt da alle beisammen sind, die hier sein sollten" meinte Aspen nur und nahm die Akte heraus, die sie auch schon Casmiel gezeigt hatte.

Doch bevor sie weitersprechen konnte, mischte sich Juno Lovett ein und hob schüchtern die Hand.
„Entschuldige, falls ich dich unterbreche. Aber ich habe eine Frage. Du hast uns alle hier versammelt, aber wieso? Ich meine, wieso wir? Du bist doch normalerweise mit Alessia, Robb und Lorcan unterwegs. Doch...wieso genau diese Gruppe von Leuten?" fragte sie ernsthaft und etwas stammelnd und tatsächlich war Casmiel auch an der Antwort zu dieser Frage interessiert, hatte es jedoch nicht als nötig befunden, danach zu fragen. Aspen würde schon ihre Gründe haben, wieso genau diese Menschen und niemand anderes.

„Ausgezeichnete Frage, Lovett. Ich habe diese Leute ausgesucht, da ich kampffähige Leute brauche. Ich liebe meine drei Idioten wirklich, aber sie sind nicht kampferfahren genug für diese Mission. Ich werde sie einweihen, sowie auch noch andere, aber ich brauche Leute, die wissen, wie sie sich selbst verteidigen können. Ich hätte zwar auch auf Seoras gehofft, doch er ist auf Charons Seite, ebenso wie Icarus. Ich kann sie nicht vor ihm retten, dass können sie nur selbst" Aspen verstummte nur kurz.
Für Außenstehende mochte es wir eine Kunstpause wirken, doch Casmiel konnte Aspens Blick sehen, der an ihn gerichtet war. Ein Blick von Verständnis, Akzeptanz. Ein Blick, der aussagte, dass nur sie beide wirklich verstehen konnte, weshalb Seoras und Icarus nicht bei ihnen waren und was genau Aspen damit meinte.
„Deshalb habe ich euch zusammengeholt. Scheinbar brauchen wir eine kleine Vorstellungsrunde. Gut. Juno Lovett, einstige Arenakämpferin, befreundet mit früherer Nummer 1, eigentlich beiden früheren Nummer Einsen, wenn wir Icarus mitzählen und irgendein Herz von Charons Teenie-Organisation. Eleanor Tremblay, Assassine, Mitglied der roten Hand, eine alte Freundin von mir. Milany, hat Erfahrung damit, Menschen das Herz aus der Brust zu reißen, intelligent, kann Gedanken lesen, was sehr nützlich ist. Liope Salem, mein Bruder. Casmiel Tripe. Asperia S- Tripe. So, dann hätten wir das auch erledigt. Großartig. Irgendwelche Fragen?"

Liope hob grinsend eine Hand und fragte unschuldig:
„Wieso hast du mich nicht richtig vorgestellt?"

Aspen schlug ihm nur gegen den Hinterkopf und verdrehte genervt ihre Augen.
„Weil alle wissen, wer du bist, wenn ich dich als meinen Bruder vorstelle, Vollpfosten. Jetzt halt die Klappe, außer du hast etwas wichtiges mitzuteilen" meinte sie nur und wandte sich wieder an die anderen.

„Irgendwelche nützlichen Fragen?" fragte sie erneut mit einem scharfen Blick zum kichernden Liope neben ihr, doch niemand wagte es eine weitere Frage zu stellen.

„Perfekt. Also zurück zu den Grundlagen" sie breitete die Akte aus und nahm einige Blätter aus dem Folder, die sie dann auf dem alten Billiardtisch verteilte, um den die einzelnen Parteien herumstanden. Die Blätter waren mit Bildern und Informationen bedruckt. Aus seinem Augenwinkel sah er ein Bild, dass aussah wie eine kleine Kammer. Er wandte den Blick unauffällig ab und beachtete ein anderes, das Casmiel sofort in die Augen stach und er nahm das Blatt in die Hand.

Es war ein Bild von Theseus. Er schien nicht gewusst zu haben, dass er fotografiert wurde. Er schien während des Bildes irgendwohin gegangen zu haben, sein Kopf war jedoch nach hinten gedreht und sein Blick auf etwas unbekanntes gerichtet, dass außerhalb des Bildrahmens war.

Seine schwarzen Locken standen wild zu allen Seiten ab, schienen jedoch von Wind verwirrt zu werden. Seine dunkelgrünen Augen waren aufmerksam nach hinten gerichtet und er trug einen dunkelgrauen Mantel.

Casmiel hatte ihn seit eineinhalb Jahren nicht mehr gesehen. Das Bild war vermutlich gemacht worden, bevor Theseus überhaupt involviert gewesen war. Er sah noch so jung aus, auch wenn er wohl nicht wirklich jung war. Dennoch, seine Augen sprachen Bände. Sie hatten noch nicht dasselbe gesehen, gehört, gespürt wie der Theseus, den Casmiel jetzt kannte. Es waren nicht die Augen des Mannes, in den er sich verliebt hatte.

Er strich mit seiner anderen Hand über das Bild, als würde er Theseus' berühren können, doch er tat es nicht. Er konnte es nicht.

Aspen nahm das Papier aus seinen Händen und legte es zurück zu den anderen mit einem entschuldigendem Blick.

„Okay. Das sind alle Informationen, die wir haben. Am Tag meiner Hochzeit, dem 30.12., ist der Sick Boy, Theseus Rendall, spurlos verschwunden. Wir haben gedacht, er wäre mit Casmiel durchgebrannt, der an demselben Tag ohne auch nur ein Wort verschwunden war, bis ich diese Akte in einem Archiv von Charon Tripe fand. Sie besagt, dass er Theseus eingesperrt hätte. Sie beschreibt ebenso die...Methoden der Folter, die er an ihm verübt, um ihn zu Brechen" Aspen sagte es vollkommen sachlich, als wäre es ein Bericht über einen Fall, der sie nichts anging (bis auf den Kommentar über Casmiels verschwinden ohne Worte) bis zu dem letzten Satz, während dem ihre Stimme kaum merklich zitterte. Casmiel bemerkte es jedoch.

„Er wird momentan in der Arena festgehalten, die umgebaut wird in ein Hochsicherheitsgefängnis, dass angepasst wird an die Kräfte der Phoenixe, da viele in der Lage wären, ohne Probleme aus gewöhnlichen Gefängnissen auszubrechen. Dies wurde von der Regierung angeordnet und von Charon Tripe, dem Präsidenten, gefordert, um ein Gleichgewicht zwischen Phoenixen und gewöhnlichen Menschen herzustellen. Unser Ziel wird es sein, Theseus von dort zu befreien und Charon aufzuhalten" erklärte sie weiter, nachdem sie kurz tief durchgeatmet hatte.

Aspen musste ihre Emotionen unter Kontrolle halten, während sie davon sprach, wie ihre bester Freund gefoltert wurde und das nun schon seit eineinhalb Jahren. Eineinhalb Jahre, in denen sie nichts tun hatte können, da sie von nichts gewusst hatte.

„Frage. Wieso sollten wir ihn befreien? Ich weiß, er ist dein bester Freund und hat was mit Cassy am Laufen, aber wieso die ganze Mühe? Wieso einen Krieg herausfordern und den Frieden gefährden für nur einen einzigen Menschen, der sogar noch unsterblich ist?" fragte Eleanor nur kühl und Casmiel gab ihr irgendwo recht, doch trotzdem stieg Wut in ihm auf, als Eleanor das einfach so sagte, als wäre Theseus es nicht wert gerettet zu werden.

„Du beziehst es schon wieder auf dich selbst, Cassy. Nur weil du es nicht wert warst, gerettet zu werden, bedeutet das nicht, dass er es nicht ist. Schließlich hat für dich nie jemand so etwas organisiert. Niemand hat Akten gestohlen, Menschen versammelt und Pläne geschmiedet um dich zu retten, nicht wahr? Weder als du bei Charon warst, noch als du in der Arena gefoltert wurdest. Du warst es nie wert und wirst es auch niemals sein, weil du einfach du bist" meldete sich die Stimme von Cassiopeia in Casmiels Gehirn, doch er blendete sie einfach aus.

Sie lebte nicht mehr. Er war es wert gerettet zu werden. Er war es immer wert gewesen. Das wusste er. Er wusste es, doch es war unglaublich schwer, sich selbst davon zu überzeugen, selbst wenn er es musste, um seine Psyche vor dem Wahnsinn zu bewahren. Er konnte diese Gedanken nicht durchdringen lassen. Es waren nur Gedanken, nichts weiter.

Casmiel atmete tief durch und sah dann zu Eleanor.
„Es geht nicht darum, das ich ihn liebe oder Aspen mit ihm befreundet ist. Es geht darum, dass Charon gefährlich ist und in diesen Akten steht, dass er Theseus' DNA nutzen will um Drakonen zu erstellen, die unsterblich sind. Drakonen, die nicht verletzbar sind. Wir müssen Theseus also nicht nur da raus bringen, sondern auch die DNA, die Charon bereits sichern konnte, zerstören und ihn somit stoppen. Das alles muss anonym passieren. Wir dürfen nicht erkannt werden, niemand von uns. Keine Beweise, kein Krieg, keine erneute Diskriminierung. Solange wir einen guten Plan haben und jeder von uns weiß, was er zu tun hat, können wir es schaffen ihn zu retten und damit auch den Fortbestand einer normalen Welt," erklärte Casmiel möglichst gelassen. Er durfte seine Fähigkeit nicht einsetzten. Sich selbst etwas beruhigen war noch in Ordnung, doch sobald er starke Gefühle zurückhalten, Hormone manipulieren oder seine Kraft extern benutzen wollte, würden sie ihn finden können und damit auch diese ganze Organisation.

„Du spuckst große Worte, Tripe. Darf ich dich an deine früheren Taten erinnern, als du der Anführer der roten Hand warst? Ich erinnere mich sehr gut an deine Pläne, von denen du wusstest, aber niemand anderes" erwiderte Eleanor nur mit einem erwartungsvollen Blick auf Casmiel gerichtet, der ihren kalten, bernsteinfarbenen Augen standhielt.

„Du darfst mich daran erinnern, doch es ist nicht mehr als das. Eine Erinnerung. Ich habe mich verändert, Tremblay. Ich bin erwachsen geworden. Vielleicht solltest du das auch einmal probieren. Ich habe gehört es soll dabei helfen, sich selbst weniger ernst zu nehmen und über einen lächerlichen Crush hinwegzukommen" meinte er nur ebenso kühl wie sie und traf mit seinem Kommentar genau da, wo es weh tat.

Er wusste natürlich von ihrer Schwärmerei für ihn. Casmiel konnte Gefühle spüren und manipulieren. Es war ihm schon immer bewusst gewesen, doch er war absichtlich nie darauf eingegangen. Jetzt konnte er es gegen Eleanor benutzen.

Sie wandte sie wütend von ihm ab und Milany schaltete sich ein, um die Anspannung zu durchbrechen.
„Also müssen wir schon wieder gegen den Staat vorgehen, so wie wir es immer tun. Großartig. Scheinbar ändern sich ein paar Dinge nie, zum Beispiel dass unsere Taten illegal bleiben. Was ist unser Plan?" er ignorierte Casmiel einfach und richtete seine weißen, ausdruckslosen Augen auf Aspen, die desinteressiert die Akten durchsah und sich nicht für die kurze Diskussion interessiert hatte.

„Plan? Oh, ich hab keinen Plan. Dafür hab ich Cas mitgebracht. Du kennst schließlich Liopes und meine Pläne. Wir werfen Charon einen Glückskeks an den Kopf und versuchen dabei nicht zu sterben" meinte Aspen nur schulterzuckend und alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf Casmiel, der sich nur fragend umsah, bevor sein Blick auf Aspen landete.

„So war das nicht ausgemacht. Ich habe gesagt, ich wäre dabei. Ich kann diese Mission nicht übernehmen. Ich bin raus aus diesem Geschäft, Asp. Das sagte ich dir bereits" meinte Cas nur ohne sich für die Anwesenheit der anderen zu interessieren.

„Ach komm schon, Cassy. Wir brauchen dich. Ich bin schrecklich was Pläne angeht. Du bist der einzige von uns, der das wirklich kann. Wenn du uns einbeziehst, dann könnte es sogar wirklich was werden!" versuchte sie erneut ihn dafür zu überreden, doch Casmiel schüttelte nur den Kopf.

„Ich bin raus aus dem Anführerzeug. Ich bin nicht eineinhalb Jahre verschwunden um dann wieder zurück in meine alte Rolle zu schlüpfen, die mich erst dazu gezwungen hat zu verschwinden. Tut mir leid, Aspen, aber du musst dir wohl einen anderen Anführer suchen" meinte er nur und verließ den Raum, dessen Anwesenden vollkommen still waren von dem plötzlichen Abgang des Tripes.

Aspen sah Casmiel nur zwiegespalten nach und seufzte dann.
„Ich werde ihm folgen. Lest euch die Akten durch, überlegt euch was. Bin gleich wieder da" wies sie den anderen an bevor sie ebenso aus dem Raum stürmte und Casmiel hinterherrannte. 

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