Kapitel 5

[Back to Life]

~Schulden zu begleichen~

||Irgendwann, irgendwo||

Dunkelheit. Mehr existierte nicht in diesen vier engen Wänden, die ihn umgaben. Mehr hatte dort nicht platz. Nur Dunkelheit.

Er sah nichts. Er hörte nichts. Die Dunkelheit übermannte alles und jeden, der es wagte, sich gegen sie zu stellen und er hatte versucht, ihr zu wiederstreben.

Sie hatte ihn besiegt.

Er hatte geschrien, gesungen, gesummt. Irgendwann hatte er begonnen mit sich selbst zu sprechen, nur um die Stille zu durchbrechen, die die Dunkelheit mit sich brachte.

Er hatte alles versucht. Alles, doch nichts davon hatte funktioniert. Nichts hatte die Stille abgehalten. Nichts hatte die Dunkelheit etwas heller gemacht.

Schemen. Schemen und Formen. Sie waren irgendwann verschwunden und mit dem Rest der Dunkelheit verschmolzen. Zu unsichtbaren Schatten geworden.

Er war irgendwann verstummt. Er war irgendwann selbst zu Dunkelheit geworden.

Es war wahrlich erschreckend, wie einfach Folter war. Wie unbedeutend sie wirken konnte.

Es war so schrecklich einfach.

Theseus saß in einer dunklen, engen Zelle. Wenn er den Arm ausstreckte, konnte er die nächste Wand fühlen, obwohl er selbst an einer der rauen Wände lehnte. Seine Beine waren dauerhaft in einem unbequemen Winkel gerichtet und er hatte aufgegeben, aufzustehen, wegen den Schmerzen, die ihn erwarten würden.

Er könnte aufstehen, doch mehr nicht. Kein Gehen, kein Strecken. Nichts. Es war eine perfekte Folterzelle und mehr war nicht von Nöten um ihm den Verstand zu rauben.

Anfangs waren es nur Stimmen gewesen, Geräusche. Sie waren von überall gekommen, doch Theseus wusste, dass er alleine war.

Dann hatte er den Bezug zur Realität verloren, als seine Träume ihn einholten. Mehr konnte er nämlich nicht tun. Schlafen, aufwachen, beten, schlafen. Mehr nicht.

Er hatte versucht, sich selbst zu beschäftigen, doch irgendwann war seine eigene Anwesenheit zu einer Plage geworden.

Und dann war er gekommen. Es war ein Zeichen dafür, dass es zu spät war, für Theseus. Das die Folter mehr zerstörte, als nur sein Zeitgefühl.

„Ach komm schon, Thesy. Du wirst doch nur etwas wahnsinnig, was ist schon dabei? Schließlich ist Wahnsinn nur ein Wort, um außergewöhnliche Intelligenz zu beschreiben" sagte die Stimme neckend und Theseus versteckte sein Gesicht hinter seinen zu sich gezogenen Knien. Er wollte diese Stimme nicht mehr hören.

„Verschwinde! Geh weg! Ich flehe dich an" versuchte er die Stimme loszuwerden, doch als er zur Seite sah, war er immer noch da.

Eine leuchtende Gestalt. Absolute Perfektion in seinen Augen und doch die Personifikation seines Zerfalls. Casmiel Aradeon Tripe.

„Oh, aber Darling. Ich würde dich niemals alleine lassen. Dafür liebst du mich zu sehr. Solange du mich nicht loslassen kannst, werde ich nicht verschwinden. So sind die Regeln" erklärte er nur nicht wirklich bedauernd klingend. Sein Grinsen sprach ebenso ganz andere Bände.

„Ich will dich aber loslassen. Wieso kannst du mich nicht einfach in Frieden lassen?" seufzte Theseus angestrengt. Er wusste, dass Casmiel gelegentlich mit sich selbst sprach. Doch von einer Halluzination wusste er nichts. Dolores war nur eine tote Freundin, nicht das Unterbewusstsein des Mannes. Er wusste nicht von Casmiels wahren Problemen.

„Tja. Das kannst du leider nicht. Dein Geist dürstet so nach sozialen Kontakten, dass es sich die Person vorstellt, die du am meisten vermisst. Mich. Es ist zwar ziemlich offensichtlich, dass ich es bin, doch ich fühle mich doch geehrt von deinem Unterbewusstsein" meinte Casmiel nur grinsend und Theseus lehnte seinen Kopf zurück an die Wand, die Augen geöffnet, doch nichts sehend. Die einzige „Lichtquelle" war schließlich Casmiel und er wagte es nicht, diesen anzusehen.

„Ich werde dir helfen, nachzudenken, okay. Schließlich habe ich das alles schon hinter mir und irgendwann lernt man eben mit solchen Dingen zu Arbeiten" meinte Casmiels Halluzination nur ruhig und Theseus wagte einen Blick zu ihm.

Schulterlange, weißblonde Haare. Dunkelblaue Augen. Perfektion. Mit jeder Faser seines Körpers zeigte er Perfektion, selbst mit den Narben, die seine Haut zierten. Selbst mit den Fehlern, die sein Leben prägten.

Jedenfalls für Theseus. Für andere hatte Casmiel schon längst verloren, was er brauchte, um perfekt zu sein. Er war schließlich kein Held in strahlender Rüstung, kein Glanz-Anführer und schon gar kein guter Mensch. 
Doch genau das machte Casmiel so besonders, wie Theseus fand. Genau das machte ihn zu einer perfekten Version seiner selbst. 

Natürlich. Er hatte viele Fehler. Sehr viele. Theseus wusste das vermutlich besser als viele andere Menschen. Er kannte einen kleinen Bruchteil von Casmiels Vergangenheit, doch dieser reichte schon aus, um so viele seiner Fehler kennenzulernen. All die dunklen Schatten, die Casmiels falsches Licht vertrieben. Doch diese Fehler liebte Theseus. 

Er liebte Casmiels Arroganz, die ihn zuvor genervt hatte. Das falsche Selbstbewusstsein, dass doch ein kleines bisschen Wahrheit beinhielt, da Casmiel seinen Wert irgendwie doch kannte. 
Er liebte sein Lächeln. Sei es die charmante Maske oder ein aufrichtiges, ehrliches Lächeln, dass wie ein Kunstwerk war. 
Er liebte seine Tränen. Wenn er endlich losließ und etwas von sich erzählte. Wenn er sich endlich öffnete und sein Herz preisgab, dass sonst von hohen Mauern überschattet wurde. 
Theseus liebte Casmiel. Das war alles. 

Theseus hatte genügend Zeit gehabt, um nachzudenken und er hatte viele Gedanken an Casmiel gewidmet und an diesen Raum. Er war etwas zu klein für Theseus. Wenn er aufstand, musste er sich etwas ducken. Es war genau Casmiels Größe.
Ein Kind hätte wenigstens genügend Platz um die Beine auszustrecken, doch auch nur während einer gewissen Zeitspanne.
Außerdem waren leichte Kratzer im Stein, die wohl eine Zeitspanne zeigten und die hölzerne Türe war ebenso zerkratzt, als hätte jemand versucht, sich mit seinen Fingernägeln zu befreien.
Theseus vermutete also, dass diese Zelle für Casmiel gemacht worden war und der Gedanke daran, machte ihn krank.

„Also. Nummer 1: Zeitgefühl. Du hast seit deinem Aufenthalt nicht gegessen. Dein Körper ist Dehydration gewohnt, da du dich selbst vergisst, um andere glücklich zu machen, doch du könntest niemals mit einem leeren Magen arbeiten, ergo: Es ist definitiv länger als drei Tage. Verhungert bist du noch nicht. Dein Körper kann zwar abnehmen, doch du kannst nicht durch fehlendes Essen sterben. Du stirbst nur kurz, bis dein Körper genügend Ressourcen aus deiner Kraft gezogen hat um sich zu regenerieren und deine Organe am Leben zu erhalten. Zähle diese und lass deinen Körper sterben, selbst bei Dehydration. So kannst du einen ungefähren Überblick über die Zeit behalten und deine mentale Stabilität etwas aufrecht erhalten" meinte Casmiel nur sachlich und kurz vergaß Theseus, dass das nicht der wahre Cas war, der hier vor ihm saß.

„Woher weißt du das alles?" fragte Theseus ihn nur beeindruckt. Er hatte nie jemanden erzählt, dass er seine eigenen Bedürfnisse zurückstellte, nur um anderen zu helfen. Schließlich war sterben für ihn kein Problem. Aber Essen, dass war etwas, dass Theseus nicht vergessen konnte. Er musste nicht einmal hungrig sein, doch sein Körper arbeitete nicht richtig, wenn er Lust auf Essen hatte.

„Ich bin eine Halluzination deines eigenen Geistes. Du hast vielleicht einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten, doch deine Erfahrung hat dich intelligent gemacht. Du bist viel schlauer, als du dir eingestehst und das weiß der wahre Casmiel auch. Ansonsten könnte er nicht in der Lage sein, dich zu lieben" meinte die Halluzination sanft und es wäre wohl recht seltsam gewesen, mit der Einbildung der Person zu reden, die man liebte, während sie über sich selbst sprach, doch Theseus fand seltsame Sicherheit in dieser Konversation. Sie klang wie er. Wieso konnte Theseus seine indirekte Anwesenheit also nicht einfach genießen?

„Aber was ist, wenn er mich nicht liebt? Was wenn Charon recht hat und er nicht mehr in der Lage ist zu lieben? Es ist nicht viel Zeit vergangen, seit er Eirene verloren hat. Was ist, wenn ich nur ein Platzhalter bin für jemanden, der besser ist als ich? Jemand, der ihn tatsächlich verdient hat"

„Was ist, wenn du genau die Person bist, die er verdient hat?" fragte die Halluzination zurück und darauf hatte Theseus keine Antwort mehr.

Es war grausam alleine in der Dunkelheit zu sitzen. Die Gedanken konnten einfach übernehmen. Theseus hatte keine Chance gegen sie, konnte ihren schmerzhaften Schauer nicht ausblenden. Als würde Theseus den Kern eines Wirbelsturmes verlassen und in den zerreißenden Strom gerissen werden.

Als er wieder zur Seite sah, war die Halluzination verschwunden und mit ihr das Licht. Er hatte nicht wirklich etwas vom Raum gesehen, doch es war wie ein Heiligenschein gewesen, der Casmiel umgeben hatte. Ein warmes, goldenes Licht, nur damit Theseus ihn tatsächlich sehen konnte.

Jetzt war er weg und mit ihm die Wärme.

Mit zitternder Stimme sprach er wieder in die Dunkelheit.
„Ich...ich bitte nicht um viel. Normalerweise bete ich auch nicht aber...Casmiel legt einen großen Wert auf dich, selbst wenn ich nicht wirklich weiß, wer du bist oder wer du warst. Casmiel vertraut dir und ich will dir auch vertrauen. Aber...Dolores. Solltest du tatsächlich so etwas wie eine Göttin sein...dann bitte ich dich. Rette mich. Rette mich, weil ich nicht in der Lage bin, mich selbst zu retten..."

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