Kapitel 46

[Caamis gegen die Tripes]

~Oder: Wie man ein Familiendinner sehr viel witziger gestalten kann~

Aspen war etwas perplex, als sie Caamis sah. Sie hatte mehr von Casmiels Geheimwaffe erwartet. Irgendwie eine etwas bedrohlichere Person. Doch sie hatte von ihrem nicht-ganz-Vater Edan gelernt, dass niemand wirklich bedrohlich aussehen musste, um gefährlich zu sein.

Und diese Person war definitiv wahnsinnig.

Sie hatten wilde grüne Locken und gebräunte Haut. Leicht verschiedenfarbige Augen, dass eine erinnerte an Whiskey und das andere eher an Baumharz. Sie waren weder sonderlich groß, noch sonderlich muskulös, doch alleine ihre Ausstrahlung ließ alle aufsehen.

Sie kamen näher, nahmen einen Stuhl und schoben ihn hinter sich her. Das Holz machte ein grausiges Geräusch auf dem teuren Marmorboden, doch Caamis steuerte sein Ziel direkt an, stellte den Stuhl einfach neben Casmiels am Tischanfang und setzte sich. Sie legten ihre dreckigen, von Springerstiefel geschmückten Füße auf den Tisch, schnappten sich Casmiels Teller und begannen zu essen. Natürlich mit Gabel. Sie waren schließlich noch zivilisiert. Kartoffeln konnte man doch nicht mit den Händen essen.

„Nein, Opa. Ich bin nicht verrückt. Ja, ich bin wirklich für Casmiel da. Nein, er hat mich nicht bezahlt. Nicht direkt. Ich bekomme seinen Mantel." Meinte Caamis äußerst verwirrend, schien damit jedoch die aufbauende Spannung auszulassen. Ein paar der Tripes wirkten verblüfft, als hätte diese Person eben genau erraten, was sie sagen wollten. Also wollte Aspen diese These ausprobieren.

Sie wollte sich Caamis vorstellen, doch bevor sie auch nur den Gedanken zu Ende denken konnte, wandte sich Caamis schon zu ihr um, bot ihr ihre Hand an und grinste schief.

„Caamis Viitor Ciego Jacáre Prieto Mincinos Sergeij Alexejew Pesqui-Ceva. Wir kennen uns nicht, Aspen, aber ich bin ein großer Fan. Wirklich. Du bist genau das, was Casmiel an seiner Seite bräuchte. Aber leider ist er blind für wahre Schönheit und bleibt lieber bei diesem Versager Theseus. Ich mag den Kerl, wirklich, aber er ist mir zu nett, weißt du? Pazifismus, nur weil er unsterblich ist? Ach komm schon. Das ist langweilig. Aber du? Du bist großartig. Mach weiter so. Ich liebe alles an dir," meinten sie nur schnell, sodass selbst Aspen sich etwas schwer tat, ihnen zu folgen, doch sie fing nur an zu grinsen und nickte Casmiel bestätigend zu.

„Ich mag sie. Hol dir mehr solche Freunde," sie klopfte ihm bestätigend auf die Schulter und grinste Caami erneut an, der den Blick erwiderte und ihr zuzwinkerte.

„Casmiel. Was macht dieser Zi-" begann Astaia, doch Caamis unterbrach sie, indem sie den Teller auf den Tisch warfen, der klappernd aber ganz liegen blieb.

„Der Zivilist, wie du mich so charmant nennen wolltest, könnte euch alle auslöschen. Also haltet bitte eure Klappen und seid weniger arrogant. Ihr seid wirklich langweilig im Gegensatz zu Charon. Er hat zumindest noch etwas Spaß verstanden." Seufzte Caamis nur genervt, als wären sie unfassbar gelangweilt von dieser Vorstellung, bevor sie die Beine wieder vom Tisch nahmen und aufstanden. Sie schienen sich wirklich zu langweilen, denn nun gingen sie rastlos im Raum herum und sahen sich um.

„Du kanntest-"

„Charon?" unterbrach Caamis Archeus ohne ihn anzusehen. Die Wandtapete schien interessanter zu sein. „Jap. Alter Kumpel von mir. Oh ja. Bedauernswert, dass er jetzt tot ist und sowas. Das typische. Trauer, blah blah. Er war ein toller Mensch. Ihr kennt die Leier. Tut nicht so, als würde es euch tatsächlich ans Herz gehen, ihr alten Geier. Ihr seid doch nur aufs Erbe aus. Tja, ich kann euch enttäuschen. Ja, auch dich Astaia, altes Haus. Ihr werdet verlieren. Casmiel wird Erbe, ihr seid raus, geht heim. So einfach geht das. So, Fall erledigt. Könnt ihr jetzt bitte abhauen?"

Es hatte wohl noch nie jemand so mit den Tripes geredet (und sie so oft unterbrochen (und das auch noch richtig)), denn Aspen hatte sie noch nie so geschockt und still gesehen. Sie schienen Casmiel vergessen zu haben und nur seinen neuen Gast zu analysieren. Alle Augen waren auf Caami gerichtet, während Casmiel sich zurücklehnte, seinen Wein sippte und dem Chaos belustigt zusah.

„Und wer bist du, um da-"

„Um das einschätzen zu können?" unterbrach Caamis Astaia erneut, die immer wütender zu werden schien, „Nun. Hast du nicht zugehört? Bist du taub, Oma? Ich bin Caamis Viitor Ciego Jacáre Prieto Mincinos Sergeij Alexejew Pesqui-Ceva. Wie oft muss ich das noch sagen, bis man sich endlich meinen Namen merkt? Eure sind nicht viel besser. Nur hat meiner eben mehr Stil. Götter, ihr seid erbärmlich. Ich fange wirklich an diesen Soziopathen von Charon zu vermissen."

Aspen war sich inzwischen sicher, dass Caamis wahnsinnig war. Aber das war okay. Mit Wahnsinn kam sie klar. Sie hatte Casmiel überlebt.

„Nun, Astaia. Drastische Zeiten verlangen nach drastischen Maßnahmen," Casmiel deutete auf Caami, sein Lächeln war fast noch überheblicher als bei seiner Zeit in der Rebellion. Aspen gefiel dieses Selbstbewusstsein, dass Casmiel zu verloren haben schien. Caamis schien seine besten Charakterzüge wieder hervorzuholen. So auch seinen Wahnsinn. Diesen konnte Aspen nicht wirklich in Gut oder Schlecht einteilen.
„Caamis ist meine drastische Maßnahme. Und da das hier mein Grundstück ist, darf sie ebenso hier sein, wie du. Ich will nichts über irgendwelche Familientreffen und -traditionen hören. Wenn es euch so wichtig ist, würde ich Caamis auch heiraten. Schließlich hatte Liebe noch nie einen sonderlich wichtigen Status in unserer Familie, nicht wahr?" fragte er nur und Caami kam glücklich auf ihren dreizehn Zentimeter Schuhen angesprungen und warfen ihre Arme von hinten über Casmiel, sodass sie ihn in eine sehr spontane Umarmung zogen.

Er schien weder überrascht, noch sonderlich gestört davon.

„Aw. Wenn du mich heiraten willst, dann hättest du das doch einfach sagen können, mein Schatz! Ich hätte es zwar vermutlich kommen sehen, was deine Überraschung vernichtet hätte, doch ich bin keine einfache Person, Cas! Ich verlange Glamour!" mit diesen Worten drückten sie Cas einen Kuss auf die Wange und sprangen wieder davon. Die Tripes wirkten weniger begeistert.

„Heiraten? Liebe? Ich dachte, du hättest dein Auge auf diesen netten, jungen Mann geworfen. Wie war sein Name doch gleich? Theseus? Hatte dein Vater ihn nicht eingesperrt wie nicht dich auch früher?" meinte Casandra lachend, während sie Casmiel ihr schönstes Lächeln schenkte. Icarus saß neben ihr und beobachtete aufmerksam. Sie schienen vor dem Essen geredet zu haben, denn Icarus wirkte nun sehr viel ruhiger und nahm sich zurück, während Casandra sich fast schon vor ihr Kind stellte. Um es zu beschützen oder in den Abgrund zu reißen war noch nicht klar, Aspen konnte sich beides vorstellen.

Die Erwähnung von Theseus machte sie jedoch wütend. Teilweise auf Casmiel, andererseits auch auf Casandra. Sie hatte ja keine Ahnung, was Theseus durchgemacht hatte. Oder sie wusste es, was ihre Lage nicht wirklich verbessern würde, wenn es nach Aspen ging. Aber sie hatte generell das Bedürfnis, diese ganze Familie mitsamt ihrer wertvollen Residenz abzufackeln. Würde viele ihrer Probleme lösen. Stattdessen nahm sie ihr Glas und trank es innerhalb eines Schluckes leer. Wenn sie sich schon nicht in das Gespräch einmischen konnte, dann konnte sie sich zumindest betrinken. Das klang nach einem tollen Plan, wie sie fand, weshalb sie sich gleich noch mehr Wein nachschenkte.

Jedoch fehlte ihr ganz klar die Stärke darin. Mal sehen, wie dieses Gespräch verlaufen würde. Vielleicht würde sie danach Whiskey brauchen.

Atlas drückte ihre Hand versichernd und sie sah sich nach ihm um. Gut, vielleicht würde sie bei ihrem Familienmassaker eine Ausnahme machen.

Casmiel hatte wohl irgendetwas auf Casandras Frage geantwortet, dass Aspen einfach ignoriert hatte. Doch nun wollte sie sich erneut auf das Gespräch konzentrieren. Es schien gerade spannend zu werden.

„Ach wirklich? Sag nicht, dass du, der einzig-wahre Casmiel Aradeon Tripe, eine Familientradition brechen willst. Das würde doch nicht zu dir passen. Gib es auf, Täubchen. Du bist weder stark noch intelligent genug. Wenn Charon es nicht schaffen konnte, seine Änderungen durchzusetzen, was würde dich dann dafür auszeichnen? Dass du in der Arena warst? Ein Phoenix bist? Oder vielleicht, weil du eine Rebellion geführt hast?" sie lachte und in Aspens Ohren hatte es einen leicht abfälligen Ton, auch wenn es nicht zu ihrem gütigen und freundlichen Gesicht passte, „Du wirst niemals etwas verändern können, auch wenn es süß von dir ist, dass zu denken."

Casmiels Augen schienen kurz distanzierter, kälter. Als hätte er etwas in sich ausgeschalten. Als hätte er sein Herz ausgeschalten, um seinem Kopf die komplette Kontrolle zu übergeben.
In diesem Moment, sah er Charon ähnlicher, als je zuvor. Aspen brauchte definitiv etwas stärkeres.

„Ich bin nicht mein Vater, Casandra. Sein Änderungen wurden vielleicht nie validiert, doch er hat sie dennoch durchgeführt. Ich wurde perfektioniert. Ich bin nicht umsonst zerstört worden, nur um mir von dir anzuhören, was ich kann und nicht kann." Sein Lächeln wurde herausfordernd, seine Augen blieben entfernt davon. Kalt und leer. „Du warst nicht einmal gut genug, um für den perfektionierten Zerfall auserkoren zu werden. Du warst es nicht einmal wert, dass man dir das Geschenk der Ewigkeit gibt. Du bist es immer noch nicht wert, mir etwas zu befehlen."

Diese Worte ließen einen Schauer über Aspens Nacken schweben. Ein unangenehmes Gefühl, dass hier gerade etwas gehörig falsch lief. Das Casmiel falsch lief. Die Erwähnung von Theseus hatte ihn wohl doch näher an seine Grenzen getrieben, als er sich selbst zugetraut hatte. Er würde einen Fehler machen, Aspen fühlte es.

Doch auch seine Worte schienen nicht wirkungslos geblieben zu sein. Casandras Lächeln zitterte leicht. Icarus wirkte wütend und wollte sich wohl schon einmischen, doch Casandra lächelte ihm nur versichernd zu und nickte beruhigend, als wäre es keine große Sache. Dies schien Icarus zwar nicht zu gefallen, doch sie hielten sich zurück.

Bevor Casandra noch etwas äußern konnte und Casmiel damit an den absoluten Rand der Psychopathie treiben würde, schlug Aspen ihre Hand gegen den Tisch und ließ darin eine Whiskeyflasche auftauchen, die sie wohl gerade aus dem nächsten Supermarkt geklaut hatte. Diese Teleportationsfähigkeit erwies sich für unglaublich nützlich.
„Ich habs schon verstanden. Ihr habt alle unglaubliche Probleme." Waren ihre unhöflichen Worte und Caamis war aufmerksam geworden, als würde endlich etwas passieren, dass ihnen gefiel.

„Elternprobleme, toxische Zwangsehen. Und so weiter. Es wird langsam wirklich langweilig. Könnt ihr nicht mal was anderes tun als euch gegenseitig zu manipulieren und dieses imaginäre Schachspiel zu spielen? Wäre das hier ein Treffen meiner Familie, hätte es schon mindestens drei gebrochene Nasen und einen Mordanschlag auf die britische Königin gegeben. Vielleicht hätten wir auch ein Brettspiel gespielt, wer weiß das schon. Also haltet alle mal die Klappen und kriegt eure Probleme in den Griff, gottverdammt. Ihr seid weder perfekt noch so großartig, wie ihr euch immer darstellt. Ihr seid langweilig, eintönig und unkreativ. Ich, für meinen Teil, hab wirklich genug gesehen."

Mit diesen Worten stand Aspen einfach auf, öffnete ihre Flasche und trank einen starken Schluck von dem brennenden Getränk, dass ihre Kehle durchspülte und sie zum ersten Mal diesen Abend etwas anderes fühlen ließ, als Genervtheit.

„Ihr könnt mich alle mal. Würde Cas es mir erlauben, wärt ihr alle schon tot oder gerade dabei, elendig am Boden zu verrecken. Ihr seid nämlich nichts besonderes. Nur weitere Seelen, die man vernichten kann, wenn man ihr Herz zum Stoppen bringt, was wahrlich keine Kunst ist. Gute Nacht, hat mich wirklich gefreut. Aspen von Dannen," sie küsste nur schnell Atlas' Wange, verneigte sich satirisch vor den Mitgliedern der Tripe-Familie, drehte sich auf ihrem Absatz um und zeigte ihnen ihren Mittelfinger, während sie die Flasche exte und den Saal verließ, wie Caamis ihn gerade erst betreten hatte.

Der Abend war ein Desaster gewesen. Es kümmerte sie nicht mehr. Sie würde keine Sekunde länger in dieser verdammten Residenz bleiben. Sie wollte nach Hause. Zu Liope, zu ihrem Vater. Irgendwohin, wo sie keinen verdammten Tripe sehen müsste. Einfach nur weg von hier.

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