Kapitel 40
[Anfänge; Erster Akt]
~Der erste Akt eines Anfangs~
Es war wahrlich seltsam nicht tot zu sein. Jedenfalls war das Casmiels bescheidene Meinung. Er war noch nie ein sonderlich großer Fan des Lebens gewesen. Traumatische Ereignisse waren irgendwie nicht gut auf Dauer. Jedoch schien der Tod unfassbar langweilig. Dolores hatte recht. Natürlich hatte sie recht. Casmiel war nicht für den Tod gemacht.
Doch das war auch nicht wirklich das, was er ein traumhaftes Leben nannte. Umringt von Familie. Zu seiner Beerdigung. Unfassbar schwach und kurz davor umzukippen, da er noch immer seit Tagen nichts gegessen, getrunken oder generell getan hatte.
Doch die Show musste weitergehen. Er war in einem Haibecken und versuchte gerade das tropfende Blut seiner Nase davon abzuhalten, sein Ende zu schreiben. Es war vermutlich eine äußerst unpassende Referenz, doch Casmiel war unfassbar müde und nicht in der Lage mehr zu liefern. Er musste sich schon genug darauf konzentrieren, sich von seiner Verbeugung aufzurichten und nicht sofort umzukippen, sondern weiterhin elegante Bewegungen auszuführen, ein charmantes Lächeln aufrecht zu erhalten und bei dem Anblick von Aspen nicht zu weinen.
Sie trug weiß. Ein weißes Kleid, das ihre dunkle Haut betonte, ihre Augen zum Strahlen brachte und aus all dem Schwarz herausstich. Sie trug weiß zu seiner Beerdigung, wie sie schwarz zu ihrer Hochzeit getragen hatte.
„Das...das ist unmöglich. Du warst tot!" kreischte dort eine ebenso bekannte Stimme. Icarus. Beinahe hätte Casmiel vergessen, dass er Probleme hatte. Probleme die nicht seine Psyche betrafen. Jedenfalls nicht im Moment.
Er wandte sich ungestört zu Icarus, die wütend auf ihn zumarschierte und ihn alleine mit ihrem sehr bedrohlichen Blick ermordete. Doch Casmiel war heute schon einmal gestorben. Das war wirklich genug für ein ganzes Leben.
„Es ist wahrlich erbärmlich, dass Menschen noch immer denken, sie könnten mich besiegen. Mich. Casmiel Aradeon Tripe. Erbe der Tripes. Sohn von Charon Asklepios Tripe und verdammter Anführer der roten Hand. Ich habe den Tod besiegt, ich werde auch dich besiegen, Darling." War seine einfache Antwort. Lächeln. Nicht mehr. Mehr war auch nicht nötig. Die Maske hatte etwas furchtbar beruhigendes. Wie ein alter Freund. Ein Lächeln. Ein Schild. Und in diesem Moment war es vermutlich wirklich dass einzige, was Icarus davon abhielt, Casmiel hier und jetzt umzubringen.
Vermutlich war es auch das einzige, was Casmiel davon abhielt, sein Bewusstsein zu verlieren. Doch momentan hatte er anderes zu tun.
„Du hast kein Recht auf diesen Namen!" zischte Icarus argwöhnisch und Casmiel konnte ihre aufbauende Wut spüren, wie sie den letzten Faden spannte und langsam reißen ließ.
„Du bist nicht der Erbe der Tripes, du bist nicht der Sohn von Charon und du bist auch kein Anführer mehr! Deine Rebellion ist gefallen! Du hast verloren. Akzeptiere es also."
Ihre letzten Worte waren mit solchem Abschaum geschmückt, Casmiel konnte das Gift in der Luft schmecken, dass versuchte, sich durch seine Haut zu fressen. Jedoch war er dieses Gift gewohnt. Er schöpfte Energie daraus. Es konnte ihn nicht mehr besiegen.
„Falsch. Und zwar in allen Punkten. Du hast kein Recht darauf, Icarus. Dein Name, dein Aussehen," Cas lachte mitleidig und schüttelte den Kopf, „alles an dir. Du bist nicht der Erbe der Tripes. Du bist auch nicht Charons Kind." Er ging ignorant an Icarus vorbei und wandte sich nun an alle anwesenden Tripes, die wieder ihre geschulten Masken aufgesetzt hatten und die gesamte Konversation zwischen Casmiel und Icarus mitverfolgt hatten, jedes einzelne Zucken analysierten.
„Ich habe nicht mein gesamtes Leben lang unter meinem Vater gelitten um jetzt von meinem rechtmäßigen Thron gestoßen zu werden, ganz sicher nicht von jemandem wie dir, Icarus. Du magst mein Blut in deinen Adern tragen, du willst meinen Namen tragen. Doch du hast uns gerade allen bewiesen, dass du nicht bereit bist, um irgendjemanden anzuführen. Ich werde den Platz meines Vaters annehmen, seine Aufgaben übernehmen und die Tripes führen." Beschloss er selbstbewusst, fast schon arrogant, als wäre es keine Herausforderung sondern simpel ein Spiel, dass er spielte.
Er ignorierte das Schreien seines Körpers, die Schwere seiner Lider. Er ignorierte das Stechen in seinem Magen und die Trockenheit seiner Kehle, die noch immer eine kratzige Spur in seiner melodischen Stimme hinterließ. Er hatte keine Zeit dafür. Jetzt musste er überzeugen und sein Publikum bestand aus Menschen, die so waren, wie er. Gefährlich.
Er hörte Icarus' Schnauben und wie sie auf ihn zuging, jedoch drehte er sich nicht um. Sein Blick ging geradeaus, seine Augen zuckten nicht eine Sekunde, nicht einmal als Icarus sprang und eine ihrer Federn in seinen Schädel jagen wollte.
Denn das brauchte er nicht. Er hörte wie zwei Messer aufeinandertrafen, Metall auf Metall, Klinge gegen Klinge. Er hörte das wütende Knurren von Icarus und wandte sich erst jetzt zu ihr um.
Aspen stand dort, ihr eigenes Messer gehoben, Icarus' Hieb parierend, mit einem herausfordernden Blick in den Augen.
„Du wirst mich doch nicht bei meiner Beerdigung töten. Also wirklich, ich hätte mehr Anstand von dir erwartet." Seufzte Casmiel enttäuscht während Aspen noch immer gegen den Griff von Icarus hielt.
Aspen wandte ihren Kopf zu Casmiel und lächelte ihn vorwurfsvoll an. Ihre Augen waren teils wütend, andererseits jedoch amüsiert, als würden sie sich nicht sicher sein, welche Emotion Casmiel zuerst treffen sollte.
„Du verdammter Bastard" zischte sie genervt und trat Icarus einmal in den Bauch, um sie loszuwerden, bevor sie sich vollkommen zu Casmiel drehte.
Diese taumelte nach hinten, noch immer wutentbrannt, hielt sich jedoch zurück, während ihr Blick von Aspen zu Casmiel sprang.
„Du warst tot! Wie kannst du nicht tot sein?" fragte sie dann verwirrt, tausende verschiedene Gefühle in ihren Augen, als wüsste sie nicht, was genau sie als erstes empfinden sollte.
„Ist das nicht klar ersichtlich?" meldete sich dort eine fremde Stimme, die Casmiel schon lange nicht mehr gehört hatte. Eine junge Frau. Lange, weißblonde Haare. Dunkelblaue Augen, umrahmt von hellen Wimpern und einem scharfen Blick. Eine elegante Kinnlinie, sanft übergehend zu den schmalen Wangen und den markanten Wangenknochen. Ihre Haare waren zurückgebunden, sodass sie ihr nicht im Weg waren, während die andere Hälfte glatt über ihren Rücken lief und sich nur an den Spitzen leicht wellte. Ihre Haltung war aufrecht und anmutig. Ihre Lippen zu einem höflichen Lächeln geformt. Ihre Aura war ruhig, doch es war keine leise, friedliche Ruhe. Es war die Ruhe, vor einem zerstörerischem Sturm.
„Er ist ein Tripe. Nein. Entschuldige. Er ist Casmiel Aradeon Tripe. Die Legende." Etwas in ihrer Stimme klang zu bewundernd, als würde sie sich über ihn lustig machen und Achill tauchte neben der jungen Frau auf.
„Zügle dich, Artemis," knurrte er tief ohne seinen strengen Blick von Casmiel zu heben. Seine Hand ruhte auf der Schulter von Artemis, doch sie veränderte ihre Haltung nicht einen Augenblick.
„Casmiel." Richtete er das Wort dann an seinen Neffen, „Du hast dich verändert, wie ich sehe. Dein Haarschnitt macht dich jünger. Du sieht deinem Vater ähnlich. Nur die Narben stören. Er hätte diese Imperfektion nie geduldet."
Der provokante Unterton war so präsent, wie der Hohn in Artemis' Stimme zuvor, doch Casmiel war nicht gestorben um jetzt seine Fassung zu verlieren. Stattdessen lachte er nur heiter und schüttelte den Kopf.
„Oh, wenn du wüsstest, Achill. Tatsächlich war es Charon selbst, der mir diese Narben gegeben hat. Aber das konntest du doch nicht wissen. Du hast schließlich keine Ahnung von Perfektion," erwiderte er, als wäre es gewöhnlicher Nachtod-Smalltalk und drehte sich dann zu Aspen um, die die restlichen Tripes mit einem bedrohlichen Blick beobachtete.
„Ich werde alles erklären, Asp. Der Moment ist eben eher ungünstig. Ich muss ein Familienessen organisieren, wie es scheint." Erklärte Casmiel gerade wage, wurde jedoch, wieder, unterbrochen.
„Du willst das Essen organisieren? Wirklich. Was gibt dir das Recht dazu? Wenn Charon dir dein Gesicht verunstaltet hat, dann bedeutet das wohl, dass er dich nicht mehr als seinen Erben ansieht. Schließlich achten wir Tripes jederzeit darauf, keine Spuren unserer Traditionen zu hinterlassen. Aber das solltest du doch wissen. Oder hast du es während deinem kurzen Ableben vergessen?" fragte Astaia Chrissovalantis, Casmiels Tante aus dem dritten Zweig, nach. Sie trug kein Lächeln. Nur eine strenge Miene, die ihre Missgunst Casmiel gegenüber präsentierte.
Astaia war schon lange gegen Charons Regime. Sie war weder Casmiel noch irgendjemand anderem jemals wohl gesinnt gewesen und nach dem Tod ihrer Tochter und Erbin, Agape, wurde sie kalt und bitter.
Ihre beiden anderen Kinder, Aida und Chrysovalandis, standen hinter ihr, die Blicke gesenkt und nur kurz nach oben huschend, als würden sie jegliche Konfrontation mit ihrer Mutter vermeiden wollen. Auch ihr Ehemann, Adamantios, hielt sich zurück bei seinen Kindern.
Astaia war älter als Charon gewesen, doch sie war nie auch nur bei den Möglichkeiten von Erben gestanden. Immer schon hatten Achill und Charon den Vorrang. Diesen nahm sie ihnen selbst nach all den Jahren übel. Natürlich konnte sie es nicht leiden, dass nun der Sohn ihres Throndiebes sich einmischte und sein Erbe übernehmen wollte.
Doch Casmiel war darauf vorbereitet worden. Schon mit sechs Jahren hatte Charon ihm von der Familie erzählt. Von ihren vergangenen Fehden und möglichen Zügen.
Das hier war kein gewöhnlicher Erbstreit, der vor Gericht ausgefochten werden könnte. Das hier war psychologische Kriegführung. Mit Charons Tod war das tripe'sche Imperium in einer gefährlichen Lage. Jeder falsche Zug könnte zu ihrem Untergang führen. Jeder noch so kleine Fehlschlag bestimmte die Zukunft der gesamten Welt. Deren Rettung oder Ende.
Die Beerdigung war nie eine Beerdigung gewesen. Sie war jegentlich Show und Vorwand. Niemand hätte sich für Charon, Calliopeia oder Casmiel interessiert, wäre nicht mit ihnen das Erbrecht des zweiten Zweiges gefallen. Die Karten wurden neu gemischt, die Zukunft war ungewiss und das Schachfeld neu besetzt.
Deshalb wollte Casmiel Charon nicht töten. Deshalb wollte er das hier vermeiden. Deshalb war Charons Ableben sein letzter Ausweg gewesen. Er hätte Zeit gebraucht, um sich darauf vorzubereiten. Argumente, Züge, Pläne. Eine Strategie, um die Haie um sich herum loszuwerden. Doch diese Zeit hatte er nicht. Charon war gefallen. Er war nicht mehr der erste Erbe und die Familie würde die Chance auf Macht zerfleischen, egal was es mit der Welt anstellen würde.
„Nun, meine liebe Astaia. Dies ist eine berechtigte Frage. Doch ich erinnere dich nur zu gerne daran, dass dieses Haus mir gehört und damit auch der Grund, auf dem du stehst. Ich könnte dich also einfach mit einem Wort verschwinden lassen. Natürlich könnte dieses ganze Dilemma ebenso in einem anderen Anwesen ausgetragen werden. Doch du bestehst auf unsere Traditionen, weshalb diese Möglichkeit ebenso gestrichen ist, da jeder Erbvertrag auf diesem heiligen Grund geschlossen wurde, auf dem der erste Tripe begraben liegt. Willst du etwa gegen Chryso Apollons Wünsche gehen und seine heiligen Gebeine beleidigen?" fragte Casmiel nur unschuldig.
Er bemerkte, wie sehr diese Situation an seiner Energie nagte. Seine Sicht war bereits verschwommen, doch er hielt sich aufrecht und ließ keine seiner Bewegungen willkürlich passieren. Kontrolle. Kontrolle. Kontrolle. Ansonsten hätte er schon verloren.
„Casmiel hat recht," stimmte ihm zum ersten Mal jemand zu. Atlas. Eine wahrlich befreiende Abwechslung, vor allem da Casmiel spüren konnte, wie viel Abneigung man ihm gegenüber hegte. Durchgehend. Innerhalb seiner eigenen Familie.
„Als Erbe von Charon hat er ein Anrecht auf den Familiensitz und damit auch auf die Rolle als Familienoberhaupt. Wir müssen den Traditionen Folge leisten. Ansonsten könnten wir uns nicht als Nachkommen der Tripes bezeichnen. Astaia, Achill. Wir müssen einen Familienrat einberufen und diese Beerdigung endlich beenden." Atlas sah zu den dunklen Wolken, die sich langsam aber sicher näherten. Man konnte bereits den Regen riechen und die statische Ladung des Gewitters in der Luft spüren.
„Beginnen wir die Verhandlungen morgen. Nutzen wir die Nacht, um zu trauern und uns im Anwesen einzufinden. Wir alle brauchen Ruhe nach den heutigen Ereignissen. Dann kann Casmiel uns auch erklären, wie er von den Toten zurückgekehrt ist und was unser künftiges Vorgehen sein wird. Schließlich haben wir ebenso die Presse und das Volk an unseren Fersen, die nach Charon fragen."
Casmiel hätte seinen Cousin jetzt gerne umarmt, doch stattdessen nickte er nur langsam und ging zu Aspen, die sich von dem ganzen Chaos zurückzog und still beobachtete. Er zog sie leicht mit sich und ging ohne ein weiteres Wort. Die Menge verteilte sich. Manche blieben, anderen verließen das Gelände ebenso. Die Diener vergruben die Särge und es wurde kein Wort mehr darüber verloren.
Erst als Casmiel außerhalb der Sichtweite war, wagte er es, zusammenzubrechen und nur knapp von Aspen aufgefangen zu werden, die ihn sofort panisch ansah und langsam auf den Boden setzte.
Cas hielt seinen schmerzenden Kopf und hielt seine Augen geschlossen. Ein nerviger Tinnitus hatte sich in seinen Ohren gefunden und der Schwindel setzte ein.
„Keine Sorge," seufzte er angestrengt und massierte seine schreienden Schläfen, „ich brauche nur eine kurze Pause. Danach kann ich weitermachen. Lass mich nur kurz..." weiter kam er nicht, denn eine Welle des Schmerzes machte sich in seiner Brust breit und durchzuckte ihn, wie ein Blitz. Ein schmerzerfülltes Zischen drang über seine zusammengepressten Lippen und er machte sich noch kleiner.
„Keine Chance, Cassy. Du gehst keinen Meter mehr. Bist du wahnsinnig? Ruh dich aus. Wir- du musst was essen! Und trinken! Du warst tot, gottverdammt. Vergiss das ganze Familiendrama einen Moment und...keine Ahnung...stirb nicht wieder!" zeterte Aspen nur wütend, als wäre Casmiel wahnsinnig. Er hatte doch nur keine Zeit um sich auszuruhen. Schlaf war im Moment das letzte, was er gebrauchen konnte. Er musste nachdenken. Planen.
„Ich bringe dich erst mal weg von hie-"
„Nein!" unterbrach Casmiel sie sofort und blendete seine Schmerzen langsam wieder aus, sodass er zumindest einen klaren Gedanken fassen konnte. „Nein. Nicht weg. Ich muss hier bleiben, Asp. Ein Moment der Schwäche und sie werden gewinnen. Ich kann das nicht zulassen. Ich muss..."
Cas verstummte und ließ seinen Blick in die Ferne wandern. Seine Lider zuckten nur leicht, ansonsten war sein Ausdruck leer. Gedankenverloren. Als hätte er gerade etwas realisiert, dass er vergessen hatte.
Seine Hand wanderte zu Aspens Oberarm und packte diesen, sodass sie ihn verwirrt ansah. Erst dann brach er aus seiner Starre und sah sie mit eisernem Willen in seinem Blick an.
„Die Arena. Ich muss in die Arena. Bring mich bitte hin." Bat er ernst und kühl. Er schien befreit von jeglichem Schmerz, der ihn zuvor zu Boden gezwungen hatte. Schwach, doch nicht mehr von Schmerzen erfüllt.
Aspen nickte zögerlich und nahm Casmiels Hand in die ihre. Sie atmete einmal tief ein und teleportierte sich und Cas sofort weg.
Zurück an den Ort, des Anfangs.
Den ersten Akt.
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