Kapitel 4

[Das Ende einer Freundschaft]

~Veränderungen~

||Sechs Tage nach Casmiels Verschwinden||

„Ich werde dich nicht verletzten. Nicht noch einmal. Ich habe geschworen dich zu beschützen und das werde ich tun. Ich werde dich immer beschützen, Aspen" sagte er ehrlich, schloss seine Augen und wartete auf sein Ende.

Die Gestalt gegenüber von ihm zog ihre Maske von ihrem Gesicht und enthüllte tatsächlich Asperia Tripe, die einen verletzten Blick trug und ihre Augen nicht von Casmiel nahm.

„Beschützen?" fragte die Frau mit zitternder Stimme. Nicht aus Angst, sondern Wut. Das erkannte Casmiel auch ohne seine Fähigkeit. Sie schnaubte sarkastisch aus und verdrehte dabei die Augen. Man konnte ihr ansehen, dass sie damit kämpfte, sich nicht sofort auf den anderen zu stürzen und ihn kaltblütig zu ermorden.

Casmiel fragte sich, ob er Asperia tatsächlich noch etwas bedeutete.

„Wenn du das beschützen nennst, dann verstehe ich, wieso du jeden verlierst, der dir etwas bedeutet" erwiderte Aspen scharf und Casmiel zuckte bei ihren Worten leicht zusammen.

Sie hatte wohl recht. Er war nicht in der Lage jemanden zu beschützen. Er war kaum in der Lage sich selbst zu beschützen. Wie sollte er also jemanden den er liebte, behalten könnte, wenn er sie nur in ein Meer der Gefahr stieß und dabei zusah, wie sie versuchten, nicht zu ertrinken?

„Du bist Schuld daran, dass ich alles verloren habe. Wusstest du von Charons Plan? Wusstest du, was er mir angetan hat? Wusstest du, dass er mich zu seiner Erbin machen will, nur weil du weggerannt bist? Weil du zu feige warst, um dich ihm zu stellen? Wie konntest du das tun?" fauchte sie hasserfüllt und Casmiel drückte seine Augen fest zusammen, bevor er sie zögernd öffnete und Aspen in die Augen sah. Er sah den Verrat, die Verletztheit. Er sah den Hass und die Trauer. Er sah alles und er wünschte sich, er hätte seine Augen nie geöffnet.

Aspen trat einen Schritt nach vorne und obwohl Casmiel größer war als sie, schien es, als würde sie auf ihn herabsehen.

„Du kannst nicht einfach verschwinden, Casmiel! Du verletzt sehr viele Leute damit! Leute, die dich lieben und dich brauchen. Ich habe auf dich gezählt, weißt du? Ich habe mich darauf verlassen jemanden bei mir zu haben, der mich unterstützt. Ich habe mich auf dich verlassen, Cas. Ich dachte, ich könnte Charon besiegen, weil ich dich an meiner Seite hätte. Ich dachte, ich könnte nicht zerstört werden, weil du bei mir wärst. Doch dann warst du nicht mehr da! Du hast mich einfach im Stich gelassen!" sie wurde immer lauter, ihre Stimme zitterte nun stark und sie schien zu versuchen, ihren Schmerz zu verstecken. Doch Aspen war kein Mensch, der seine Gefühle hinter Mauern versteckte. Das war der Grund gewesen, weshalb Casmiel sie so sehr geliebt hatte.

„Es tut mir leid-" versuchte er ihr zu sagen, doch Aspen ließ nicht zu, dass er sich entschuldigte.

„Lass es einfach, Tripe. Dir tut es nicht leid. Du bist verschwunden und das ohne auch nur ein Wort. Ohne irgendetwas. Du warst plötzlich weg und ich war alleine mit all den Menschen, die dich zerstört haben. Ich frage dich, Cas, was hast du erwartet, würde passieren? Das ich die Zeit meines Lebens hätte als Erbin der Tripes? Als plötzliche Schlagzeile und neuestes Opfer von Charon? Dachtest du wirklich, es würde mir grandios gehen als neues Mitglied deiner Familie? Mit Achill, Casandra und Atlas, die alle erwarten, dass ich perfekt wäre? Dachtest du wirklich, ich würde dich nicht mehr brauchen?" fragte sie ihn nur und kam immer näher, bis Casmiel einen Schritt zurückweichen musste, um nicht direkt vor ihr zu stehen.

Er suchte nach Worten, fand sie jedoch nicht. Er war zu müde dafür. Zu müde für Lügen, zu müde für die Wahrheit. Zu müde für eine Maske, zu müde für sein wahres Gesicht. Er wollte nur alleine sein und schlafen, damit er die Realität einen Moment verlassen konnte.

„Ich brauche Hilfe, Aspen! Manchmal muss man Verantwortung für sein eigenes Glück übernehmen und genau das habe ich getan!" sagte er zurück und ließ die Barriere um seine Gefühle los. Er wollte, dass Aspen verstand, wieso er gehen musste. Er wollte, dass sie verstand, wieso er ihr nicht helfen konnte.

„Und du denkst nicht, dass das arrogant und egoistisch von dir war?" fragte sie ihn wütend und ballte ihre Hände zu Fäusten. Ihre Wut schien mit jedem seiner Worte zu steigen.

„Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Ich heile. Zum ersten Mal in meinem Leben. Und ich werde mich deswegen nicht schlecht fühlen. Es dauert lange, um zu erkennen, wie miserabel dein Leben ist, und noch länger, um zu sehen, dass es nicht so sein muss. Erst nachdem du alles aufgegeben hast, kannst du anfangen, einen Weg zu finden, glücklich zu sein und ich habe alles aufgegeben. Ich muss nur noch meinen eigenen Weg finden. Vielleicht solltest du dasselbe tun" meinte er nur ebenso wütend wie Aspen. Er wollte sich nicht mehr zurückhalten. Er war wütend. Auf alles. Die Welt, seine Familie, Aspen. Sich selbst. Er war wütend, weil er endlich eine Chance hatte sich zu bessern, doch niemand schien ihn zu verstehen, seine Reise zu unterstützen.

Bis auf Theseus. Er hatte ihn gehen lassen, obwohl es bedeutete, dass er wieder alleine war.

„Aufgeben? Du solltest mich besser kennen, Tripe! Ich gebe niemals auf! Ich werde diesen Bastard nicht gewinnen lassen. Er ist vielleicht der Präsident, doch ich werde ich stürzen. Egal wie lange es dauert, ich werde nicht aufgeben. Er hat den Sieg nicht verdient! Wieso siehst du nicht endlich ein, dass er Angst vor dir hat! Du kannst ihn besiegen, also tu etwas!" schrie Aspen nun und kam erneut näher.

Casmiel wich weiter zurück, bis er an seinem Auto anstieß und keinen Ausweg mehr hatte. Aspen würde ihn sowieso bekommen, doch er war bereit dafür. Er war schon seit er zehn Jahre alt war bereit zu sterben. Daran hatte sich nichts geändert.

„Hast du schon einmal daran gedacht, dass die Welt besser dran ist, wenn Charon sie beherrscht? Er hat die Phoenixe von ihrer Diskriminierung befreit und die Arena abgeschafft! Sie haben endlich eine Chance um zu leben. Wenn wir uns gegen ihn stellen, würde wieder irgendjemand kommen und uns als Monster bezeichnen! Wir wären wieder genau da, wo wir angefangen haben! Ich gebe auf, zum Wohl meiner Rasse! Vielleicht solltet du dasselbe tun und aufhören, dich an deinen egoistischen Zielen festzuklammern!" argumentierte er weiter. Er wusste innerlich, dass Aspen nicht aufgeben würde. Sie war zu stur dafür und irgendwo hatte sie auch recht, doch Casmiel musste sich selbst rechtfertigen. Er durfte nicht wieder in diesen Krieg gezogen werden, wenn er tatsächlich heilen wollte.

„Ich bin also egoistisch? Sieh dich doch einmal an! Alle deine Taten sind egoistisch! Du denkst nie an andere und trotzdem stehst du jetzt hier vor mir und behauptest an deine Rasse zu denken?" fragte Aspen nur sauer mit ihren Armen fuchtelnd.

„Ich habe es nicht anders gelernt, okay! Ich musste immer an mich selbst denken, da ich sonst gestorben wäre und jetzt versuche ich mich zu bessern! Ich versuche zumindest irgendetwas an mir zu verändern! Ich sage dir ins Gesicht, dass du egoistisch bist und du tust trotzdem nichts dagegen, sondern versuchst weiterhin es dir selbst zu rechtfertigen!" behauptete Casmiel weiterhin stur und aggressiv.

Es tat gut seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, doch zugleich bereute er jedes einzelne Wort, dass er gegen Aspen sprach.

Er steckte in einem ambivalenten Gedanken. Cas gab sich selbst recht, doch er konnte Aspens Worte nicht als vollkommen falsch betiteln. Er wusste nicht, wer in diesem Argument recht hatte und wer falsch lag. Er wusste nicht, auf welche Seite er sich stellen würde, wenn er ein Außenstehender wäre.

Früher wäre er definitiv bei Aspen gestanden. Er hätte alles getan, um seinen Vater fallen zu sehen und ihn von seinem Gewinn abzuhalten. Jetzt war alles anders und er sah auch die andere Seite der Münze.

Dieser Satz ließ Aspens Ketten jedoch zerspringen und ihre Faust segelte auf Casmiel zu. Ein ungesundes Knacken hallte durch die leere Parkgarage und Casmiels Welt begann sich zu drehen.

Er fühlte etwas dickflüssiges von seiner Nase tropfen und wischte mit seinem Daumen darüber. Es war warm und als er es ansah, sah er rot. Blut.

Er sah zu Aspen, die schwer atmete und ihre Hand noch immer zu einer Faust geformt hatte, Casmiel herausfordernd musternd, aber dennoch ernsthaft und wütend.

„War das schon alles, Asperia?" fragte Casmiel nur provokant und Aspen schlug erneut zu.

Casmiel konnte nicht mehr weiter nach hinten weichen, weshalb er sich nur an seinem Auto abstütze, um nicht umzukippen und seine vermutlich gebrochene Nase mit seiner davor schwebenden Hand beschützte, sie jedoch nicht berührte.

Er leckte über seine aufgeplatzte Lippe und schmeckte den bitter-metallischen Geschmack seines eigenen Blutes. Er sah Aspens Hand, die ebenso rot war, doch er vermutete, es war nicht ihr Blut, dass dort von ihren Fingern tropfte.

„Du hast mich im Stich gelassen!" schrie Aspen und packte Casmiel an seinen Schultern um ihn zur Seite zu werfen.

Er fiel zu Boden und versuchte sich irgendwie abzurollen, doch sein Körper war geschwächt und sein Gehirn schrie nach einer Pause. Er konnte nicht mehr weitermachen. Weder sein Körper noch sein Gehirn hatten Energie dafür, weshalb er einfach schwach am Boden liegen blieb und sich auf allen Vieren abstützte, während das Blut von seiner Nase auf den Boden tropfte und eine kleine Lache entstehen ließ.

Seine Muskeln schmerzten und er fühlte die blauen Flecken, die eigentlich beinahe verschwunden waren, nun aber wieder zurückzukommen schienen, durch seinen Aufprall auf dem harten Betonboden.

Seine Sicht verschwamm und alles drehte sich. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft seine Fähigkeit zu nutzen, um die Schmerzen auszublenden. Er konnte nur zulassen, dass Aspen ihn töten würde.

„Du hat mich verraten!" schrie sie weiter und trat gegen Casmiels Bauchregion. Er rollte sich zu einem kleinen Ball zusammen und versuchte seine Organe zu beschützen, wie er es gelernt hatte von den zahlreichen Prügeleinheiten, die sein Bruder ihm in seiner Kindheit gegeben hatte. Er war diese Schmerzen gewohnt.

„Du hast mich allein gelassen!" die Worte schmerzten mehr als die Tritte und Schläge. Aspens zitternde Stimme war schmerzhafter als die blauen Flecken und blutige Nase, die sie ihm zufügte.

Doch Casmiel kämpfte gegen seine eigenen Gedanken an. Er wollte sich nicht wieder selbst die Schuld an etwas geben, dass richtig war. Er wollt heilen und dafür musste er eben Leute alleine lassen, die er liebte. Er wollte sie beschützten. Er musste sie beschützten und um das zu können, musste er sich erst selbst beschützen können.

„Du hast dafür gesorgt, dass er mich bekommt! Du hast dafür gesorgt, dass Charon mich in seine Familie bekommt! Du hast dafür gesorgt, dass ich ein Teil dieses Abschaums werde!" schrie sie weiter und mit jedem weiten Wort, schlug sie Casmiel.

Es waren unkontrollierte Schläge. Aspen sah das nicht als Auftragsmord oder gezielten Anschlag. Sie blendete ihre Emotionen auch nicht aus. Sie ließ sie zu. Sie wollte das Casmiel wusste, wie sie sich fühlte.

Sie hob ihn einfach auf als wäre es Nichts und warf ihn gegen die Wand der Parkgarage, an der er hinunterschlitterte und am Boden liegen blieb.
Er hustete und würgte. Blut tropfte von seinem Mund und seilte sich an seinem Speichel ab. Sein Auge schwoll an und seine Nase war definitiv gebrochen. Man konnte sein Gesicht durch das ganze Blut nicht einmal mehr richtig erkennen und es bildeten sich bereits blaue Flecken.

Aspen kam wieder auf ihn zu und hob ihn an seinem Kragen hoch um ihm in die Augen zu sehen.
„Du bist Schuld, dass ich zerstört werde, Casmiel Tripe."

Diese Worte waren leise gewesen. Geflüstert und doch so hart wie ihre Schreie. Diese Worte ließen Casmiels Herz zerspringen und seine Gedanken überfluteten sein Gehirn. Er konnte sie nicht mehr zurückhalten.

Aspen nahm seinen Kopf und schlug ihn einmal fest gegen die Steinwand, bevor sie den Körper einfach auf den Boden warf und aufstand.

Casmiel musste gegen die Ohnmacht ankämpfen. Vielleicht würde er an den inneren Verletzungen sterben. Es war Aspen egal. Er war ihr egal.

Ohne weitere Worte ging sie weg und teleportierte sich nach einigen Metern aus der Garage heraus.

Sie ließ ihn einfach dort liegen. Sein Schicksal lag nicht mehr in ihrer Hand.

Sein Schicksal interessierte sie nicht mehr.

Er interessierte sie nicht mehr.  

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