Kapitel 26
[Zerbrochenes Versprechen]
~Zerstörende Worte~
Stille.
Das Lachen, das einst von den Wänden gehallt war, war verstummt. Niemanden war mehr wichtig, ob Mittwoch oder Freitag war. Die Zeit existierte nicht mehr. War nicht mehr relevant.
Niemand wagte es, ein Wort zu äußern, obwohl jeder Fragen hatte. Niemand wagte es, die Stille zu durchbrechen, die sich auf die Anwesenden gelegt hatte.
Jedenfalls hätte die Stille sich weiterhin durch die Herzen und Gedanken aller Anwesenden gefressen, wäre Aspen nicht aufgestanden und hätte ihre Hand auf den Tisch geschlagen, um die Aufmerksam aller auf sich zu ziehen.
„Ist doch egal. Icarus ist ein Idiot. Wir sollten einfach mit unserem Plan weitermachen wie bisher. Sie können uns zwar verfolgen, aber sie können uns nicht vernichten. Noch nicht. Es war zwar wirklich knapp, aber ich bin nicht umsonst eine Assassine. Wir werden das Spiel umdrehen und sie angreifen, sodass-"
„Nein" unterbrach Casmiel sie nur ruhig und alle Blicke richteten sich auf ihn. Seit Icarus' Verschwinden hatte er kein Wort mehr gesprochen, nur zugehört. Es war erschreckend wie sehr er seinem alten Ich nun ähnelte, als er Eirene verloren und keinen Laut mehr geäußert hatte.
„Ich werde zu Charon gehen und ihm geben, was er will. Theseus wird frei sein und ihr seid frei. Ganz einfach."
Aspen schnaubte nur empört und sah Casmiel ungläubig an.
„Ist das dein Ernst? Du gibst auf? Wow. Das habe ich wirklich nicht erwartet, Tripe. Ein wirklicher Heldenmove" meinte sie nur sarkastisch, doch Casmiels Blick blieb ruhig auf ihr liegen.
„Ich sagte es bereits. Ich bin kein Held. Jeder scheint das zu realisieren außer du, Asperia" erwiderte er nur desinteressiert und Aspen funkelte ihn mörderisch an.
„Nenn mich nicht Asperia."
„Nenn mich nicht Tripe."
Stille. Doch dieses Mal war sie angespannt, als wäre sie eine Saite, die jederzeit reißen würde.
Doch anders als normalerweise wagte es niemand sich zwischen die Fronten zu stellen. Niemand stand auf und versuchte Aspen und Casmiel zu beruhigen. Niemand mischte sich ein.
Und so spannte sich die Saite weiter und weiter.
„Du willst also einfach wegrennen? Zurück zu Daddy? Gott, das ist erbärmlich, Casmiel. Du machst denselben Fehler erneut. Du rennst schon wieder zurück zu ihm und gibst ihm, was er von dir verlangt" blaffte Aspen genervt. Sie schien sich nicht mehr zurückzuhalten.
„Ich versuche von meinen Fehlern zu lernen. Dieser ganze Krieg ist doch nur meine Schuld. Charon hätte Rosswell Wright schon vor Jahren stürzen können, wäre ich nicht aus der Arena geflohen. Ich hätte ihm einfach gehorchen sollen. Ohne mich wäre dieses ganze Drama nie passiert. Ich werde meine Schuld bezahlen und diesen Krieg beenden, indem ich zurückgehe. Dorthin, wo ich hingehöre" gab er nur schärfer als beabsichtigt zurück, doch Cas war zu stolz, um sich jetzt zu entschuldigen.
„Wieso geht es bei dir immer um eine verdammte Schuld? Wenn jeder Teenager einen Krieg auslösen würde, nur weil er sich gegen seine Eltern stellt, dann wäre die Welt schon lange zerstört. Mach dich nicht wichtiger als du bist" meinte Aspen nur skeptisch und verschränkte die Arme ineinander.
„Ich bin aber kein normaler Teenager, Aspen. Ich bin ein Tripe. Meine Taten haben einen Einfluss auf die Geschehnisse der Welt. Ich habe schon genug zerstört. Mir wurde beigebracht, dass die Welt aus Schulden besteht, die ausgeglichen werden müssen und nun bin ich an der Reihe, die meine auszugleichen" antwortete Casmiel zwar versuchend, ruhig zu bleiben, doch man konnte hören, dass seine Stimme leicht wütend zitterte.
„Oh. Dir wurde das also beigebracht. Charon hat dir auch beigebracht zu töten. Ist das etwa wie die Welt funktioniert?"
„Meine Welt funktioniert tatsächlich so"
„Deine Welt ist eine verdammte Lüge, Casmiel! Deine gesamte Existenz ist eine verdammte Lüge! Du bist ein Mensch, wie jeder andere auch. Deine Taten mögen die Welt beeinflussen, doch du kannst deine Taten beeinflussen. Und wenn du jetzt zurückgehst, dann hast nicht du das Sagen über deine Taten, sondern Charon!"
„Vielleicht ist das auch gut so! So viele Menschen starben nur aufgrund meiner Entscheidungen!"
„Und andere Menschen leben aufgrund deiner Entscheidungen!"
„Darum geht es nicht, Aspen!"
„Dann sag mir, worum es verdammt noch einmal geht!"
Ihre Worte hatten sich in Schreie verwandelt und Casmiel stand Aspen mit einem feindseligen Blick gegenüber. Ihre Freundschaft war schon immer auf toxischen Prinzipien gebaut gewesen, doch Casmiel war sehr gut darin gewesen, diese zu ignorieren.
Jeder Schrei löste Schmerzen in seiner Bauchgegend aus, die noch immer von Icarus' Angriff verwundet war und ihm Schwierigkeit beim Atmen und Sprechen verursachte.
„Nur wegen dir, habe ich meine Heilung aufgegeben. Es ging mir besser. Ich habe endlich jemanden erzählt, was Charon mir angetan hat. Ich hatte endlich eine Chance, diesem ewigen Kreislauf zu entkommen doch du hast ihn zerstört. Und jetzt willst du mich davon aufhalten, das einzig richtige zu tun. Du musst dich entscheiden, Aspen. Willst du Theseus retten oder einfach nur einen Krieg anfangen?" fragte Casmiel sie wütend und Aspen versuchte Worte zu finden, konnte jedoch nur harsche Bewegungen ausführen, um ihren Standpunkt zu rechtfertigen.
„Ich weiß es nicht, Casmiel! Okay! Ich. Weiß. Es. Nicht." Antwortete sie schließlich laut sah Casmiel wütend an.
„Dann wird es Zeit, endlich eine Antwort zu finden. Denn so, wie du dich im Moment verhältst, ähnelst du einem Kind, Aspen. Es wird Zeit, dass du endlich erwachsen wirst!"
„Ich soll mich meinem Alter entsprechend benehmen? Was zum Teufel soll das sein? Wieso sollte es mich interessieren, wie alt ich bin? Das Meer ist verfickt alt und ertränkt dich trotzdem mit Freude! Also wieso sollte ich das nicht tun?" schrie Aspen wieder und fuchtelte wild mit ihren Armen herum.
Sie waren vollkommene Gegensätze und in diesem Moment konnte man das sehen. Während Aspen stürmte und wütete, ausschweifende Bewegungen machte und über Casmiel thronte, saß er ruhig auf seinem Stuhl, sah Aspen unbeeindruckt zu und dennoch schien er den Raum mit seiner Präsenz einzunehmen und Aspen mit seiner bloßen Anwesenheit in eine Ecke zu drängen.
„Du bist nicht das Meer, Aspen. Du bist nur ein Mensch. Nicht einmal das, du bist eine Maschine. Gemacht, um zu töten. Icarus hatte recht. Du versucht so verzweifelt eine Heldin zu sein, doch du wirst niemals etwas anderes sein, als eine Killerin! Du wurdest mit dem Tod in deinen Adern geboren und du kannst ihn nicht loswerden, ohne zu verbluten. Also gib dein kindischen Getue endlich auf und werde erwachsen!" gab Casmiel nur zurück und sein Unterton hatte etwas spöttisches, während seine Miene unverändert kalt blieb.
„Ich bin keine Maschine. Ich bin keine Killerin und ich kann sein, wer auch immer ich sein will. Doch wenn wir schon über Monster reden, sprechen wir doch über dich. Du hast nie versucht ein Held zu werden. Immer hast du gesagt, du bist kein Held und ich habe es akzeptiert, habe nie darüber nachgedacht. Doch jetzt ist mir klar, wieso du kein Held bist. Du bist nur eine Maske, Tripe. Du hast schon längst verloren, was dich zu einem Menschen macht und du willst es gar nicht zurückbekommen. Du bist das Meisterwerk, dass dein Vater schon immer haben wollte. Du bist das Monster, dass du so lange versucht hast, hinter deinen Mauern zu verstecken und genau deshalb willst du jetzt zurück. Du hast endlich deine verdammte Perfektion erreicht und bist endlich das, was Charon immer wollte. Du hast verloren, doch du kannst mit diesem Verlust nicht umgehen, da dein einziges Ziel war, deinem Vater zu entkommen. Du bist erbärmlich, Casmiel Tripe und du wirst niemals deinem Namen entkommen können!"
Aspens Worte waren gefüllt mit Hass. Sie waren laut und tobend. Wie ein Sturm rissen sie alles mit sich und ließen nichts stehen. Alle Häuser, Mauern und Bäume wurden aus der Erde entfernt und mitgewirbelt. Zerstörerisch und gewaltig. Erbarmungslos.
Kurz zuckte Casmiel zurück von ihr und war still. Man konnte nur das angestrengte Atmen von Aspen hören, die wohl nicht einmal Luft geholt hatte, während sie diese Worte geäußert hatte.
„Du bist genauso wie dein Vater."
Und diese Worte gaben Casmiel den Rest. Sie rissen seine letzten Steine ein. Nahmen den letzten Rest seiner Kontrolle, die er versucht hatte zu behalten.
Er stand ruhig auf, nahm seinen Mantel und legte ihn sich um.
„Du bist erbärmlich, Asperia. Anstatt deine eigenen Fehler zu suchen, schiebst du sie auf andere. Du sorgst dafür, dass alle dich lieben, nur um sie zu zerstören. Du bist eine Assassine, schleichst dich in das Herz anderer und zerreißt es von innen heraus. Du bist nicht in der Lage jemanden zu lieben, der dir nichts geben kann und jetzt, da ich dir nicht mehr geben kann, was du von mir verlangst, stößt du mich von dir. Aber das ist in Ordnung. Ich wollte sowieso gehen. Aber nicht, ohne ein paar letzte Worte zu hinterlassen" sagte er ruhig und sah Aspen direkt in die Augen, ein kühles Lächeln auf seinen schmalen Lippen.
„Du bist ein schlagendes Herz aus Stein. Du bist eine Droge, von der man sich nicht mehr losreißen kann. Man wird von dir abhängig, doch bemerkt es erst, wenn es zu spät ist. Man verliert seinen freien Willen, weil du alle dahingehend manipulierst, dich zu lieben. Man lernt zu ignorieren, dass dein Moralkodex vollkommen krank ist. Das du vollkommen krank bist. Du tötest, weil du es kannst. Du interessierst dich nicht für Konsequenzen oder Folgen. Alles was dich interessiert ist ein verdammtes Spiel. Dieser Krieg? Nicht deine Sache. Du hast dich eingemischt, weil dir langweilig war und du versuchst ihn weiterzuführen, weil dir langweilig ist. Du nennst mich einen Egoisten? Nein. Du bist ein Egoist. Denn während ich versuche diesen Krieg endlich zu beenden, willst du ihn weitertreiben und immer weiter, weil du weißt, dass du ihn gewinnen wirst, egal auf welcher Seite du stehst. Du wirst gewinnen, da dein einziges Ziel es ist, deine Langeweile zu besiegen. Du kennst nur Extremen und deshalb hast du ein extremes Spiel gestartet, um dich abzulenken. Du bist jetzt 23 Asperia. Du bist erwachsen. Doch du bist nicht in der Lage deine Kindheit loszulassen, da du nie eine Kindheit gehabt hast. Du hast Angst davor, erwachsen zu werden, weil du nie erfahren durftest, wie es überhaupt ist, ein Kind zu sein. Und genau deshalb startest du dein Spiel, bei dem alle mitspielen müssen. Ihr Tod ist dir egal. Doch es ist dir nicht egal, wenn sie nicht mehr mitspielen wollen. Denn dann hast du ein Problem. Dein Spiel braucht alle Spieler, ansonsten kannst du es nicht weiterspielen. Als ich aussteigen wollte, hast du mich beinahe umgebracht. Und jetzt hast du mich zurückgeholt, ignorierend, dass ich nicht mitgehen wollte. Du hast mich hier her geschleift, nur damit du deinen Spaß haben könntest und jetzt, da ich dieses Spiel beenden will, kannst du mich nicht gehen lassen, da du sonst verlierst. Und wir wissen beide, dass du nicht verlieren kannst. Du bist ein Kind, Asperia und du wirst niemals erwachsen werden. Doch dadurch wirst du auch niemals eine Heldin werden" zischte er und stand nun direkt vor Aspen die ihn nur wütend ansah.
Eine einzelne Träne verließ ihr Auge und rann über ihre Wange, während ihr ganzer Körper zitterte und bebte.
Casmiel sah auf sie herab und drehte sich dann einfach um, ohne ein weiteres Wort. Er verließ das Haus und ließ Aspen zurück, ebenso wie Eleanor, Liope, Milany und Juno, die den gesamten Streit wortlos mitverfolgt hatten.
Aspen sah Casmiel hinterher und wischte sich die Träne von der Wange, bevor sie sich zu den anderen drehte und sie mit einem fast schon mörderischen Blick betrachtete.
„Wir brauchen ihn nicht. Wir werden alleine gegen Charon kämpfen und wir werden gewinnen. Wir werden gegen sie beide gewinnen! Seid ihr an meiner Seite oder werdet ihr genauso wegrennen und das wahre Monster einfach gewinnen lassen?" fragte Aspen in die Runde. Von Trauer war in ihrer Miene nichts zu sehen. Nur pure Wut und Hass.
Keiner wagte etwas zu äußern. Niemand sagte auch nur ein Wort.
„Gut. Dann werden wir die Tripes vernichten. Jeden einzelnen von ihnen."
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