Kapitel 10
[Welkende Blüten]
~Zerfallende Träume~
||Später||
Cas saß in einem Restaurant, durchnässt und müde. Seine Augenringe waren wieder präsenter, sein Gesicht wirkte eingefallener.
Seine weißblonden Haare trieften und warfen leichte Wellen, während sie immer wieder ein paar Tropfen auf den Tisch des Imbiss' fallen ließen. Sein weißes Hemd war durchsichtig geworden und zeigte seine Haut darunter, zeigte die Narben, die er trug.
Sein Blick war nach draußen gerichtet, die fallenden Regentropfen beobachtend, doch er schien abwesend zu sein, als ginge sein Blick in die Leere. Ins Nichts.
Mit einer Gabel stocherte er in seinem Essen herum. Kein Bissen war angerührt worden. Alles war wie es ihm gebracht worden war.
Casmiel konnte nichts essen. Durch Gordon hatte er Komfort in Essen gefunden. Es war eine Methode, um ihn in der Realität zu festigen. Wenn Casmiel etwas aß, konnte er seine Gedanken auf etwas konzentrieren. Er hatte seine ganz persönliche Liebe zum Essen gefunden.
Doch nun war das alte Gefühl der Übelkeit in seinen Rachen zurückgekehrt. Die Völle in seinem Magen, obwohl er knurren sollte. Er spürte wieder die Abneigung, den Hass, den er gegenüber dem Essen hatte, da es ein Beweis dafür war, dass er trotz allem nur ein einfacher Mensch war. Ein Mensch, der nichts an seinem Schicksal ändern konnte.
Denn das war es doch. Schicksal. Es war sein Schicksal, zerstört zu werden. Es war sein Schicksal, niemals geheilt zu werden. Es war sein Schicksal ein Tripe zu sein. Immer unvollständig. Niemals ganz. Nur ein Teil. Nur ein Mensch.
Jeder stirbt irgendwann.
Alt und jung.
Der Tot war noch nie jemand, der sich schuldig fühlte, wenn er die Leben junger Leute nahm, die noch so viele Erfahrungen vor sich hatten. Der Tot war noch nie jemand, der sich schuldig fühlte, wenn alte Menschen starben, die ihre Träume niemals verwirklichen konnten.
Der Tot war niemals fair. Der Tot wird niemals fair sein.
Aber Casmiel starb schon seit langer Zeit.
Langsam und still.
Jeder konnte es sehen. Jeder hatte die Möglichkeit etwas dagegen zu unternehmen, doch niemand bewegte sich.
Denn er starb langsam und still.
Jemand könnte ihm Wasser geben, Licht spenden. Doch niemand näherte sich ihm.
Es interessierte wohl niemanden wirklich.
Denn Casmiel war eine Topfpflanze in der Ecke einer Wohnung. Er stand irgendwo, nur um den Ort zu verschönern, nur um zu existieren, niemals zu leben.
Seine Blätter fielen zu Boden, seine Blüten verwelkten. Seine Knospen würden nie die Chance bekommen, sich zu öffnen. Seine Figur schrumpfte in sich zusammen. Alles zerfiel. Wurde nutzloser Staub.
Casmiel starb wie eine Pflanze und jeder konnte dabei zusehen.
Er starb langsam und still.
Allein.
Doch es war kein plötzlicher Tod, den niemand erwarten konnte.
Kein Unfall, kein Fehler, keine Überraschung.
Denn jeder konnte dabei zusehen, wie er langsam zerfiel, wie seine Blätter zu Boden fielen und langsam ihr Ende fanden.
Vielleicht hatte er es nicht anders verdient.
Vielleicht war dies sein wahrer Wert.
Vielleicht war es sein Schicksal.
Langsam und still.
Er hatte es bereits akzeptiert, dass dies der Weg war, wie er enden würde. Nicht mit einem Paukenschlag oder einem Donnergrollen, wie er es sich immer vorgestellt hatte.
Nicht pompös und tragisch. Ohne viele Tränen. Ohne Erinnerungen. Ohne Erfolg.
Als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte er sich vorgestellt, wie ein Held zu sterben.
Mit trauernden Freunden, zerstörten Träumen. Weinenden Liebenden, schreienden Gefolgsleuten. Er hatte immer gehofft, sein Tod würde etwas bedeuten. Etwas verändern.
Er hatte immer gehofft, er würde ein Buchcharakter werden. Dass sein Schmerz einen Sinn hätte. Sein Leiden nicht grundlos sei. Er wollte Leser haben, die Tränen für ihn vergossen. Einen Autoren, der damit kämpfte, ihn letztendlich doch sterben zu lassen, da er nicht leben konnte. Nicht leben durfte. Das wusste er.
Er war gefährlich. Er war nicht erschaffen worden um leise und sanft zu sein. Er war geboren worden um die Welt unter seinen Fingerspitzen beben zu lassen. Doch da dies sein Anfang gewesen war, wäre sein Ende still.
Vielleicht war jetzt die Zeit, um zu zerfallen. Um zu verwelken.
Doch er würde nicht welken, ohne zuvor alles zu zerstören.
„Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finden würde," meldete sich da eine Stimme und desinteressiert blickte Casmiel auf, bevor er seinen Blick auf den vollen Teller vor sich fallen ließ. Lustlos schob er ihn von sich und ließ seinen Blick wieder zu der Person vor sich wandern.
„Du solltest nicht hier sein. Du hättest mich nicht suchen sollen. Ich war ein Idiot" meinte Casmiel nur und wandte seinen Blick erneut ab. Es tat weh, sie zu sehen.
Aspen jedoch setzte sich einfach gegenüber von ihm hin und sah seinen gefüllten Teller an, dann wieder ihn.
„Weiß ich schon. Cassy, ich kenne dich schon mein ganzes Leben lang" meinte sie nur schulterzuckend doch Casmiel schüttelte nur amüsiert schnaubend den Kopf.
„Du kennst mich vielleicht seit einem Jahr. Wenn wir nett sind" korrigierte er sie nur mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
„Zahlen sind unwichtig. Was zählt ist meine persönliche Einschätzung und diese besagt, dass ich richtig liege" meinte sie nur abwinkend mit sehr ausschweifenden Gestiken.
Dann jedoch wurde Aspen ernster und nahm Casmiel Hand in die ihre. Er wehrte sich nicht.
„Komm, Cassy. Erzähl mir, was los ist."
Stille. Es erinnerte Casmiel an die Stille, die zwischen ihm und Gordon geherrscht hatte. Es war zugleich angenehm als auch beschämend, als müsste er es sein, der diese Stille durchbricht, doch er konnte es nicht.
„Ich denke, diese Welt brennt und ich kann nichts dagegen tun. Ich will nichts dagegen tun. Denn für mich hat sie schon immer gebrannt. Ich bin schließlich in ein brennendes Haus geboren worden. Ich kenne es nicht anders. Doch alle anderen bemerken es. Die Stimmung. Die Veränderungen. Charon hat ein totalitäres System erschaffen, ohne das irgendjemand davon weiß. Er kontrolliert alles und jeden, doch niemand bemerkt die Schnüre, die an ihnen befestigt worden sind. Es war so einfach für ihn, die Welt in Brand zu setzen doch die Menschen fühlen nur die Wärme und Sicherheit, die er ihnen zeigt" sagte Casmiel langsam und gedämpft. Er sah auf sein Essen zurück und schloss kurz seine Augen, bevor er sie wieder auf Aspen richtete.
„Ich kenne Charons Flammen. Ich kenne die Wärme und Sicherheit, doch ebenso kenne ich den Schmerz, den sie mir verursacht haben. Ich kenne Charon. Doch das wird nicht reichen, um ihn aufzuhalten. Ich werde nicht reichen, um ihn aufzuhalten, doch alle erwarten es von mir. Alle erwarten immer, dass ich ihre Arbeit übernehme. Ich habe die Arbeit des Sick Boys übernommen, die Arbeit des gefallenen Engels und die Arbeit der Legende. All das und ich habe nichts zurückbekommen. Nur Leid und Schmerz. Mein gesamtes Leben lang. Jetzt, nachdem ich endlich die Chance hatte, um zu heilen, werde ich erneut in einen Krieg gezwungen, in den ich niemals wollte, obwohl ich-" Casmiels Stimme erstarb in seinem Hals und er schloss seine Lippen erneut.
Sein Blick wanderte weg von Aspens Augen, hin auf die Tischplatte, zum Essen und wieder zurück. Er wusste, was er sagen wollte, doch er wagte es nicht, diese Worte zu äußern.
„Manchmal vermisse ich den Krieg. Ich vermisse das ständige balancieren auf der Linie zwischen Leben und Tod ohne jeglichen Halt. Ich vermisse das alltägliche Wiedersehen mit dem Tot und die schale Berührung, die nie vollkommen ist. Ich vermisse mein Leben, als ich zerbrochen war."
Als die Worte seine Lippen verlassen hatten, schloss er diese wieder und ließ seine Augen langsam zu Aspens wandern.
Schmerz. Mitgefühl. Wut. Er konnte all das allein aus ihrem Blick lesen. Verwirrung. Unsicherheit. Wieder Wut. Sie schien sich nicht entscheiden zu können, wie sie reagieren sollte.
„Ich vermisse mein zerbrochenes Ich, da es damals einfacher war als jetzt. Ich bin kontrolliert worden. Keine Entscheidung, die ich getroffen hätte, hätte etwas geändert. Keiner meiner Schritte wäre zu einem Fußabdruck geworden. Ich war nur Schall und Rauch. Verschwindende Worte. Tinte im Wasser. Ich bin spurlos verschwunden. Jetzt, da meine Existenz zu einer essentiellen Waffe in diesem Krieg geworden ist, bleibt alles auf meinen Schultern zurück und ich zerbreche erneut, doch das allein. Ich werde nicht von Schnüren aufrecht erhalten, nicht neu geformt, nicht mit einem Sinn zerstört. Ich werde zerbrochen, da ich zu schwach bin, um dem stand zu halten und ich werde zerbrochen, da ich auf die Hilfe meines Vaters angewiesen bin" seine Worte blieben immer monoton, fast apathisch. Als wäre es ein sachlicher Fakt, den er darbrachte und keine Erklärung seines Gefühlschaos.
„Aus einem Niemand wurde Jemand und dieser Jemand hält es nicht aus kein Nichts zu sein" dieses Mal waren seine Worte scharf wie eine Klinge und doch so melodisch wie ein sanftes Lied.
„Ich erinnere mich nicht daran, nicht müde zu sein. Wie es war, als ich noch schlafen konnte. Als ich noch nicht von Alpträumen geplagt worden bin. Denn sie hören nicht mehr auf. Selbst nach eineinhalb Jahren des Heilens bin ich noch nicht einmal in der Lage länger als fünf Stunden zu schlafen, da die Alpträume nie aufgehört haben. Ich weiß nicht, was die Realität ist. Ob das alles nur eine weiterer Foltermethode meines eigenen Verstandes ist. Ich kann es dir nicht sagen. Aber ich überlebe. Das ist, was ich immer getan habe. Überlebt" er seufzte nur und schüttelte leicht den Kopf.
„Ich vermisse Theseus, Asp. Ich vermisse die Sicherheit, die er mir gegeben hat. Die Wärme, die er ausgestrahlt hat. Ich vermisse alles von ihm. Er war mein Zuhause. Doch ich kann nicht nach Hause gehen, nicht mit meinem Namen. Nicht mit meiner Identität, die ich nicht ändern kann. Ich werde für immer Casmiel Aradeon Tripe bleiben. Irgendjemand wird mich immer erkennen, selbst wenn ich mich verändern würde. Ich wäre niemals wirklich frei, von diesem Namen, der niemals der meine hätte sein sollen." Es klang traurig. Fern. Als hätte Casmiel bereits damit abgeschlossen, niemals wieder nach Hause zurückzukehren. Kein Zuhause mehr zu besitzen.
„Ich stehe in der Asche meines alten Ichs, doch aus irgendeinem Grund verbrenne ich nie ganz. Aus meiner Asche, entsteht neues Leben, das alte Narben trägt. Alte Erinnerungen. Ich wurde nicht herzlos, ich wurde intelligenter. Denn ich werde mein Glück nicht für andere aufgeben, nicht erneut. Denn ich habe schon so viel Zeit meines Lebens damit verschwendet, mich aufs Spiel zu setzten, um für andere da zu sein und genau deshalb werde ich deine Mission nicht anführen, so sehr ich Theseus auch liebe. Es mag egoistisch sein, doch ich kann nicht mehr zurück, nicht an diesen Ort. Nicht zurück zu ihm" sagte er nur und wollte bereits aufstehen, doch Aspen hielt seine Hand fest.
So stand er da. Wartend. Seine Hand wurde von Aspen festgehalten, die noch immer saß, während er auf sie herabsehen musste und bereit war zu gehen.
„Casmiel" bat Aspen ihn nur leise und sah auf ihre Hände, die trotz allem noch verbunden waren. „Bitte. Ich brauche dich. Es ist egoistisch, doch ich schaffe es nicht ohne dich. Nicht dieses Mal. Ich kann Charon nicht besiegen und du-" ihre Augen wanderten wieder nach oben und sahen ihn bittend an. Stolz, aber bittend.
„Du hast mir Frieden gegeben, als ich mitten im Krieg lebte. Ich denke nur du bist in der Lage, auch dieser Welt Frieden zu geben" ihre Worte waren ehrlich. So ehrlich. Rein. Es zeigte das Wesen von Aspen. Ihr innerstes. Ein weites Feld.
Stille. Erneut. Absolute Stille. Sie sahen sich an. Egoistische Ziele, die sie trennten.
Obwohl, vielleicht war es nicht egoistisch. Schließlich wollten beide nur etwas, dass dem anderen wiederstrebte, doch gebraucht wurde. Sie brauchten sich gegenseitig.
Deshalb seufzte Casmiel nur und drückte Aspens Hand sanft.
„Mein Psychologe sagte sowieso ich solle mir Freunde suchen. Leider hat er nie erwähnt, dass ich mich von alten Freunden fernhalten sollte, die versucht haben, mich umzubringen."
„Du wirst mich das nie wieder vergessen lassen, oder?" fragte Aspen nur genervt seufzend doch Casmiel erwiderte dies nur mit einem charmanten Grinsen.
„Niemals."
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